Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Lothar Richard Riehl

Er studierte Chemie, Physik und Pharmakologie und brachte es im Jahre 1955 (im Alter von 27 Jahren) zum Dr. rer. nat. Später kam er mit Jehovas Zeugen in Berührung und ließ sich im Jahre 1971, nachdem er aus der katholischen Kirche ausgetreten war, von Ihnen taufen. Da hatte er das 43 Lebensjahr erreicht. Aber ab 1980 gar, fühlte er sich bei den Zeugen Jehovas zum "Überrest" zugehörig und war somit einer jener Wenigen, die von den Symbolen des jährlichen Gedächtsnismahles nahmen. Also um es auf einen kurzen Nenner zu bringen: Er war einer jener wenigen "Vorzeige-Intellektuellen", die es ja auch bei den Zeugen Jehovas gibt. Man wird nicht unbedingt sagen können, dass er etwa in gravierende Konflikte zur Theologie der Zeugen Jehovas geraten ist. So es solche auch bei ihm gegeben hat, hat er sie in der Regel "heruntergeschluckt".

Dies ist also - in groben Umrissen - der Lebenslauf eines Mannes, der sich im Alter von 71 Jahren als "Spätberufener" dazu ausersehen fühlte, noch einen eigenen Buchverlag zu eröffnen. Der Vollständigkeit halber sollte man hinzufügen, dass sein gesamtes "Verlagsprogramm" wohl im wesentlichen aus zwei Büchern besteht, deren Autor er selbst ist.

Lothar Richard Riehl "Geht nicht über das hinaus, was geschrieben steht! (1. Korinther 4:6)".

ISBN 3-933940-05-2; 39,50 DM. (Band I)

Ich würde das Buch von Riehl mit einem Vergleich einschätzen wollen. In den zwanziger Jahren gab es eine Oppositionsgruppe die sich "Wahrheitsfreunde" nannte. Einer ihrer führenden Köpfe war Ewald Vorsteher. Er veröffentlichte mal eine Schrift die er betitelte: "Zuversichtliches über die Zeit seit Adam. Die genaue und unwiderlegliche Chronologie."

Darin gab er seiner Überzeugung Ausdruck: "Der Verfasser dieser Zeilen (Vorsteher) hat in seinem ca. Fünfundzwanzigjährigem Studium der Bibelbücher bezüglich Zeitangaben usw. noch nicht einen Widerspruch in der Bibel gefunden; denn selbst die wenigen, in die heutige Bibel hineingeratenen Abschreibfehler stören die Grundlage der Bibel nicht."

Genauso eine ähnliche These, will auch Riehl einige Generationen weiter, seinen Lesern weismachen. Auch er meint in Analogie zu den Zeugen Jehovas, dass wir in den letzten Tagen leben, dass die Weltverhältnisse dies bestätigen würden. (S. 213, 227). Er setzt sich auch mit der seinerzeitigen 1975-Verkündigung auseinander, die er in ihren wesentlichen Aussagen korrekt zitiert (S. 58). Jetzt kommt aber der Haken. Sein Kommentar dazu:

"Diese kühnen Behauptungen haben sogar zu einem gewaltigen Zustrom von 'Neubekehrten' geführt, die allerdings statistisch gesehen praktisch alle wieder das Weite gesucht haben, als 1975 vorbei war und die offensichtlich falsche Prophetie durch die Ereignisse offenkundig gemacht worden war. … Denn sie verließen scharenweise wieder das Volk Gottes, waren also an biblischer Wahrheit gar nicht interessiert, sondern nur am Überleben" (S. 58).

Angesichts dieser Argumentationskette fühlt man sich unwillkürlich an Vorsteher erinnert, der gleichfalls das Rutherford'sche 1925-Datum ablehnte, um es dann durch eine vermeintlich "genauere" Berechnung für den 19. 10. 1926 zu ersetzen.

Es ist eigentlich nicht ersichtlich, weshalb nun auch Riehl sich in das Dissidentenheer der Zeugen Jehovas einreiht. Von der Ideologie her, besteht eigentlich wenig Anlass. Auch Riehl könnte noch heute als "treuer" Zeuge Jehovas eingeschätzt werden. Denn seine Differenzen in ideologischer Hinsicht sind mehr oder weniger nur marginal.

Dennoch hat Riehl den Schritt getan mit einer Veröffentlichung an die Öffentlichkeit zu treten, die nicht im Sinne der Zeugen Jehovas sein kann. So fragt man sich interessiert: Was ist denn nun bei ihm der Knackpunkt gewesen, dass er nicht mehr länger willens ist, im alten Trott weiter zu marschieren? Die Antwort auf diese Frage, kann man auf Seite 95 in seinem Buch lesen, wo er schreibt:

"So hat dieser inzwischen böse Sklave also tatsächlich damit begonnen, seine Mitsklaven 'zu schlagen' und die Schläge sind hart und schmerzhaft. Dies kann jeder verstehen und nachvollziehen, der als aufrichtiger und bibeltreuer Bruder von seinen Glaubensbrüdern schon einmal 'Abtrünniger', 'böser Sklave', 'Betrüger' oder gar 'Dämonist' genannt worden ist, direkt oder indirekt, z. B. durch geheime Briefe, von denen man dann noch erfährt, versandt von Versammlung zu Versammlung, von Zweigbüro zu Versammlung und umgekehrt mit entsprechenden Andeutungen.

Es kann bis an die Grenze psychischer und physischer Kraft gehen, wenn man in Versammlungen, die man besucht, schlecht gemacht oder verachtet wird, wenn man spürt, wie über einem getuschelt wird, alles infolge unbegründeten Verdachts und was noch schlimmer ist, weil man Jehovas Wort treu ist und sich gegen Fälschungen desselben wehrt! Ja, sie 'schlagen' ihre Mitsklaven, die nicht wie der böse Sklave verwegen vorandrängen, sondern sich unerschütterlich und treu an Gottes Wort halten und daher mit den WT-Lehren nicht einverstanden sind. Deshalb können diese auch in den Versammlungen keine Kommentare mehr geben, weil sie sonst gegen besseres Wissen, ja gegen ihr Gewissen reden und offen gegen den Sklaven Stellung beziehen müssten. Dies würde in den Versammlungen bei den Mitbrüdern nur Verwirrung stiften und ihnen selbst unweigerlich Gemeinschaftsentzug einbringen. Aber gerade deshalb werden sie wieder öffentlich bloßgestellt mit hintergründigen Bemerkungen."

Damit hat er sein Credo, in seinem Fall offenbart. Interessant in Riehls' Buch ist auch noch die auf Seite 327, 328 abgedruckte deutsche Übersetzung aus der Zeitschrift "Time" vom 22. 2. 1982 die auf den Fall Raymond Franz Bezug nimmt, mit dem er sich in etwa gleichstellt.

Will man ein zusammenfassendes Urteil abgeben, so wird man sagen können: Auch Lothar Richard Riehl ist am totalitären Innenklima der Zeugen Jehovas gescheitert!



Im InfoLink-Forum vermerkte LuckyX als Ergänzung:

In Frankreich gab es da in den 60-er /70-ern ein Pendant, zumindest einen Fall, der mich an Riehl erinnert: Einen brillanten und hochintelligenten, sehr belesenen jungen Mann Jean Yves Simotel unter dem Alias Jean Dyl. Er veröffentlichte zwei Bände, immerhin in La Pensée Universelle unter dem Titel "A la recherche de la Verité (Auf der Suche nach der Wahrheit)".

Sie zeichneten sich durch sprachliche Brillianz und intellektuelle Prägnanz aus. Darin versuchte er, den Leser mit gewissem Aufwand an anspruchsvollen Zitaten aus Wissenschaft, Theologie und Philosophie aufgrund von Vernunftschlüssen zur WT-Lehre zu führen.

Er ging im Bethel ein und aus, war als Vorzeigeintellektueller geschätzt, nicht aber als eigenmächtiger Autor. Nicht unerwartet, aber für ihn wohl schmerzhaft, musste er daher erfahren, dass seine eigenmächtige Initiative von der offiziellen WTG gar nicht begrüßt wurde, hatte doch sie ihr blaues Büchlein ("Die Wahrheit die zu ewigem Leben führt", 1968) und das sollte in den Monaten vor Harmagedon genügen. Und ungefragte Unterstützung oder auch Apologetik war damals nicht gefragt.

Er hatte eine höhere Ausbildung genossen, war finanziell unabhängig, Sonderpionier und nahm irgendwann von den Symbolen, wie übrigens so mancher im Konflikt mit der WTG …

Leider ist er sehr jung verstorben, er wäre sonst vielleicht einer der Unseren. Man sprach danach von ihm nicht gut, er war zu intelligent und ihm war keiner der biederen Organisationsmenschen gewachsen. Schade und nicht gerecht, denn die sich als "besser" unter den ZJ ansahen, waren einmal stolz, seine Bücher im Regal zu haben .... Und seine Bücher bereiten auch heute noch einen gewissen intellektuellen Genuss.

Hans-Joachim Kammer hat sich das Buch von Riehl auch angesehen. Sein Urteil fiel gleichfalls nicht günstig aus.

Habe ich bisher versucht, mich relativ zurückhaltend zu Riehl zu äußern, so muss ich zum Schluß doch noch etwas deutlicher werden. Wie bereits angedeutet, hat Riehl unter dem gleichen Titel noch einen zweiten Band veröffentlicht. Sorry, ich empfehle diesen Band nicht. Es wäre sicherlich müßig, sich jetzt in eine Detailpolemik zu verstricken. Es geht hier mehr um grundsätzlichere Dinge.

Ein bedeutender Mann der Weltgeschichte, und diesen Satz unterschreibe ich durchaus, äußerte mal sinngemäß:
Dass die Philosophen (und man könnte micht hinzufügen auch die Religionen), nur die Welt verschieden interpretiert haben, dasss es aber darauf ankäme, sie zu verändern.

Bei Riehl haben wir das klassische Beispiel eines solchen "Nur-Interpretierers". Er registriert, dass in der Esoterikszene beispielsweise ein Ernst von Däniken allerlei (unbewiesene) Spekulationen über "Götterbesuche auf Erden" publiziert hat. Nun will Riehl sich nicht mit Däniken und Konsorten identifizieren. Er bemängelt, dass diese Esoteriker keine sonderliche Wertschätzung für die Bibel hätten (womit er ja so unrecht nicht haben dürfte).

Die Bibel indes ist für Riehl das A und O und zwar in einer Weise, dass er diese Esoteriker noch am liebsten "rechts überholen" möchte. Nun habe ich nichts dagegen, wenn man sich für die Bibel als historisches Dokument interessiert. Jedoch nicht in der Art und Weise, wie sie Riehl vorschwebt. Ein Beispiel dafür (in Band II S. 98), ist zum Beispiel seine in "Abgrenzung" von den Esoterikern formulierte These:

"Nun ist die Annahme nicht mehr abwegig, daß Engel auch Flügel benutzt haben, keine angewachsenen Vogelflügel, sondern technische Flügel zur besseren Ausnutzung des Raketenantriebs. Zwar sagt die Bibel darüber nichts, aber es geht aus anderen Dokumenten zwingend hervor ..."

Dieser "zwingenden Logik" des Herrn Riehl vermag ich mich nicht anzuschließen.

Uwe Räder

Ludwig Feuerbach äußerte einmal:

"Wo die Vorsehung geglaubt wird, da wird der Glaube an Gott von dem Glauben an dieVorsehung abhängig gemacht. Wer leugnet, dass eine Vorsehung ist, leugnet, dass Gott ist oder - was dasselbe - Gott Gott ist; denn ein Gott, der nicht die Vorsehung des Menschen, ist ein lächerlicher Gott, ein Gott, dem die göttlichste, anbetungswürdigste Wesenseigenschaft fehlt. Folglich ist der Glaube an Gott nichts anderes als der Glaube an die menschliche Würde, der Glaube des Menschen an die absolute Realität und Bedeutung seines Wesens."

Nun gibt es einige mit christlicher Sozialisation, die sich einen christlichen Glauben ohne "Vorsehung" prinzipiell nicht vorstellen können oder wollen. Über einen solchen möchte ich kurz noch nachfolgend reden. Da gibt es in der Esoterikszene einen dort geschätzten Verlag; namens "Ewertverlag". Einen Namen machte sich dieser Verlag vor einiger Zeit schon damit, dass es Schriften des "Jan von Helsing" verlegte. An anderer Stelle dieser Webseite habe ich mich zu Helsing etwas näher geäußert und bitte das dort zu entnehmen. Jener Verlag gab noch ein weiteres Buch heraus mit dem Titel der "Schlüssel zur Offenbarung". Laut Untertitel "Eine Einführung in das Verständnis ihrer Prophezeiungen". Als Verfasser zeichnet ein Herr Uwe Räder.

Normalerweise würde mich diese Publikation in keiner Weise interessieren. Mein diesbezüglich nicht mehr vorhandener "Bedarf", wurde seinerzeit schon von der Wachtturmgesellschaft der Zeugen Jehovas, auf das nachhaltigste gedeckt. Nun kommt aber der wunde Punkt, weshalb ich es mir angetan habe, auch dafür 39, 80 DM auszugeben (die mir als rausgeschmissenes Geld leid tun). Der Grund liegt darin, dass der Verfasser einleitend schon zu berichten weiß, dass er selbst einmal 27 Jahre lang Zeuge Jehovas gewesen sei. Dann kam im Jahre 1988 das WTG-Buch "Die Offenbarung - ihr großartiger Höhepunkt ist nahe!" heraus, dass offenbar seine Kritik fand. Er glaubte diese Kritik nur in der Art artikulieren zu können, indem er selbst ein Buch zum Thema schrieb. Verwundern tut es mich nicht, dass daher auch seine Tage bei den Zeugen Jehovas gezählt waren.

Herr Räder lehnt also die WTG-Auslegung ab. Offenbar aber nicht den Glauben an die "Vorsehung", der für ihn offenbar existenziell ist. So meint er (noch analog zu den Zeugen Jehovas) eine alsbaldige Vernichtung der falschen Religion verkünden zu dürfen. Als Begründung für diese sinnige These meint er den Vergleich ziehen zu sollen:

"Dabei dürfte es jetzt - nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion - leichter vorstellbar sein als vorher. Wer hätte sich vor wenigen Jahren vorstellen können, daß es in Russland ganz plötzlich die alles überschattende, bis dahin alles beherrschende kommunistische Partei, die KPdSU nicht mehr geben würde?" (S. 42)

Auch die "Nord" "Südkönig"-Auslegung der Zeugen Jehovas lässt in indirekter Form bei Räder grüßen. Etwa, wenn er schreibt: "Wenn man bedenkt, daß die USA schon Menschen auf dem Mond landen ließen, kann man gespannt sein, zu welchen beeindruckenden 'Zeichen' diese Weltmacht mit Satans Unterstützung in der Zeit des Endes noch fähig sein wird" (S. 171).

Für sich und seinesgleichen wähnt Räder indes die "Himmelfahrt der Heiligen".

Es tut mir leid, mich weiter mit dem Räder'schen Erguss zu beschäftigen, erachte ich als nutzlose Zeitverschwendung. Den Grund habe ich schon genannt. Der Glaube an die "Vorsehung" ist nicht der meinige.

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