Bei Hempels unter dem Sofa

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 13. Juli 2004 05:49:48:

"Wie bei Hempels unter dem Sofa"

Als die Nazis 1938 in Österreich einmarschierten, gab es auch in der Ortschaft St. Lambrecht in der Steiermark nicht wenige, die ihnen zujubelten. Einigen von diesen Jublern verging aber schon nach ganz kurzer Zeit dieser "Jubel". Diejenigen, auf die das besonders zutraf, waren die Insassen des katholischen Benediktiner-Klosters in St. Lambrecht.

Hitlers SS war nichtgerade für "Kirchenfreundlichkeit" bekannt, wie überhaupt das gesamte Regime insgesamt. Mag da ein Bischof Innitzer in Wien seine Kirche auch mit der Hakenkreuzfahne geschmückt haben. Der triste Alltag sollte ihn und seinesgleichen schon bald einholen.

In Hitlerdeutschland gab es den in den Geschichtsbüchern dokumentarisch festgehaltenen Kirchenkampf. Soweit er die katholische Kirche betraf, hatte er einen besonderen Schwerpunkt, der sich in sogenannten Sittlichkeits- und Devisenprozessen niederschlug.
Die zwar nach einiger Zeit, von Hitler höchstpersönlich wieder gestoppt wurden. Aber in der Sicht ihrer Macher war das nur eine vorübergehende Pause. Die "Abrechnung" würde schon noch weitergehen, zum geeigneten Zeitpunkt.


Beispiele Kirchenfeindlicher Karikaturen aus der SS-Zeitschrift „Das Schwarze Korps" vom Mai 1937.
Wenn man solche Hintergründe kennt, dann beschleicht einem ein Unbehagen, wenn gewisse Kreise, deren „Stärke" mit Sicherheit nicht gerade historische Kenntnisse sind, auch in der Neuzeit eine ähnliche Argumentationsverengung vornehmen.

Als die Nazis nun auch Österreich beherrschten, da konnten sie partout nicht der Versuchung widerstehen, sich auch mal ein paar dortige katholische Klöster näher anzusehen. Nicht etwa dass sie nun fromm geworden wären, und dort einzutreten gedächten. Das lag ihnen fern. Aber, so schlussfolgerten sie. Wenn man diese Klöster mal auf den Kopf stellt, wird man sicherlich Material vorfinden für den weiteren Ausbau der Sittlichkeits- und Devisenverbrechens-These.
Gesagt getan. Und so erhielt auch das Kloster St. Lambrecht alsbald Besuch der SS-Horden.
Wie es ihrer Mentalität entsprach, gingen sie dabei nicht gerade "vornehm" zu Werke.

Nachdem die konsternierten Mönche nach Ende dieser Besuchsaktion den ihnen verbliebenen Trümmerhaufen näher besichtigten, kamen sie zu dem Resultat: "Das kann doch wohl nicht wahr sein…" Blauäugig wie sie noch waren, glaubten sie nun. Würden sie sich nun bei hohen politischen Stellen darüber beschweren, würden sie sicherlich Genugtuung erfahren. Das allerdings, sollte sich als grundsätzliche Fehleinschätzung erweisen.

Statt "Genugtuung" bekamen sie erneut Besuch, von den inzwischen bekannten Horden, die noch an Zerstörung das nachholten, was sie beim ersten Male nicht geschafft hatten. Noch immer nicht genügend "bekehrt", glaubten die Mönche es mit einem neuen Protestversuch wagen zu können. Darüber ward deren Adressat nun aber richtig böse. Das ist offener Widerstand gegen die Staatsgewalt, so seine glasharte "Logik". Die könne nur mit einem beantwortet werden. Der Beschlagnahme des Klosters.

Die neuen Herren setzten erstmal einen "Treuhänder" ein. Versteht sich einen "verdienstvollen" Nazi. Da es sich in St. Lambrecht aber um eine umfängliche Klosteranlage handelte, die man nicht ungenutzt lassen wollte, zogen schon alsbald neue Herren dort ein. Dazu waren zwar einige Umbauten nötig. Kein Problem. Die neuen Herren hatten ja in ihren KZ genügend Fachkräfte unfreiwilliger Weise interniert. Die durften das nun besorgen.

Die neuen Herren fanden alsbald auch heraus, dass dies eine landschaftliche schöne Gegend sei. So richtig geeignet, für Ihresgleichen mal sorgenfrei Urlaub zu machen.
Die Urlauberzimmer mussten natürlich im Schuss gehalten werden. Verpflegt wollten die Herrschaften auch sein. Auf der Suche nach geeignetem Personal ward man alsbald schon fündig. 23 Zeuginnen Jehovas, aus Ravensbrück überstellt, durften nun ab Mitte 1943 dort diesen Job ausüben. Bei ihrer Auswahl spielte auch die Überlegung eine Rolle.
Die machen keine Fluchtversuche. Ergo braucht man für sie auch kein zusätzliches Wachpersonal.

Und so durften denn diese Zeuginnen Jehovas, in ihrer Häftlingskleidung, lediglich durch eine zusätzliche zivile Schürze etwas abgemildert, diesen erlauchten Gästekreis bedienen, ihre Zimmer säubern und für das leibliche Wohl dieses nun zum Hotel gewordenen Institution sorgen. Sie waren zwar weiter Gefangene, interniert in einem speziellen Trakt von St. Lambrecht. Aber in der Regel hatten sich ihre Lebensbedingungen, im Vergleich zu der Zeit in Ravensbrück, durchaus etwas gebessert.

In ihrem Buch "Geschichte(n) ins Leben holen. Die Bibelforscherinnen des Frauenkonzentrationslagers St. Lambrecht"; im Jahre 2004 in Graz erschienen, stellt Antita Farkas diesen Sachverhalt etwas näher vor.
Sie bemühte sich auch, soweit noch möglich, die Individualbiographien dieser 23 etwas näher vorzustellen. Dabei begegnet man auch einem Namen: Ella Hempel, der Anlass für die Überschrift bildet und selbstredend nicht wörtlich gemeint ist. Aber dass es den geflügelten Spruch "Wie bei Hempels unterm Sofa" gibt, dürfte doch wohl weitgehend bekannt sein.

Auch diese Ella Hempel verdient es in den Rang einer Protagonistin erhoben zu werden. Schon Margarete Buber-Neumann hat ihr in ihrem Buch "Als Gefangene bei Stalin und Hitler" ein Denkmal gesetzt.

Auch Frau Farkas zitiert aus diesem Bericht. Und so mag denn dieser Überblick sein Ende finden mit der auszugsweisen Zitierung dessen, was Frau Farkas, via Buber-Neumann, via eigener Recherchen zum Fall Hempel berichtet:

Die am 4. März 1900 geborene Ella hieß mit ihrem Mädchennamen Zippel. Sie lebte im sächsischen Grethen und war zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung bereits verheiratet.
Ihr Mann gehörte nicht der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas an. Als Ella Hempel 1938 ins Konzentrationslager Lichtenburg deportiert wurde, ließ sie ihre vier Kinder bei ihrem Gatten in Grethen zurück. Im Mai 1939 wurden alle weiblichen Häftlinge aus dem KZ Lichtenburg nach Ravensbrück verlegt.
Mit dieser Überstellung kam Ella Hempel in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück und wurde dem so genannten Musterblock 3, Seite A, zugeteilt. Die politische Gefangene Margarete Buber-Neumann, die als „Blockälteste" der "Vorzeigebaracke" auch mit Ella Hempel Kontakt hatte, beschreibt sie als „übereifrige Sächsin", die fegte und wischte und Fenster und Türen auf ihren Hochglanz kontrollierte, um den Anforderungen, die an den „Musterblock" gestellt wurden, gerecht zu werden.

Ella Hempel erhielt im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück regelmäßig Post von zu Hause. In den Briefen, die ihr Mann an sie richtete, stand immer dieselbe Bitte nach ihrer Rückkehr: "Meine liebe Elia, wann kommst du endlich nach Hause? Die Kinder und ich warten auf Dich jeden Tag. Der Haushalt ist unordentlich, die Kinder haben nicht die rechte Pflege, der Garten und die Landwirtschaft verkommen langsam. Wie kannst du so hartherzig sein und die Deinen im Stich lassen. Das hält der liebe Gott bestimmt nicht für richtig."

Aus diesen Zeilen geht hervor, dass Ella Hempels Mann seine Frau indirekt gerne zur Unterschrift der „Abschwörungserklärung" und damit zur Rückkehr motiviert hätte. Ella Hempel blieb ihrer Glaubensüberzeugung trotzdem treu und meinte unter Tränen, so berichtet Margarete Buber-Neumann: "Jehova befiehlt: ,Du sollst dein Weib und dein Kind verlassen und mir nachfolgen ". Die Bibelforscherin interpretierte die Textstelle wörtlich und betrachtete ihre Konzentrationslagerhaft als Glaubensprüfung, die mit dem Schmerz der Trennung von ihrer Familie verbunden war.

Im Mai 1943 wurde Ella Hempel mit den übrigen Zeuginnen Jehovas, die für den Arbeitseinsatz im KZ St. Lambrecht bestimmt waren, in die Steiermark transferiert. Im Frauenkonzentrationslager St. Lambrecht wurde sie als Häftlingsköchin eingesetzt. … entstand für sie ein intensiver Kontakt zu den zivilen Angestellten des Küchenbereiches. Ella Hempel musste die Wirtschaftsverwalterin Lore Kroll täglich wecken, bevor sie selbst die ihr aufgetragene Arbeit begann. Eine innige Beziehung entwickelte sie zur Küchenhilfe Margarete Günter-Messnarz, der sie mütterlich zugetan war. Diese zwar verbotene, aber dennoch gepflegte soziale Beziehung nützte die tief überzeugte Bibelforscherin, um ihren Glauben aktiv zu leben. Sie versuchte die zivilen Angestellten der Küche, besonders die junge Margarete, von ihren Glaubensvorstellungen zu überzeugen. Ella Hempels Missionierungsversuche scheiterten allerdings. Margarete Günter-Messnarz ließ sich zwar nicht bekehren, diskutierte allerdings mit Ella Hempel über Bibelstellen und Glaubensinhalte. Damit wurde die Bibelforscherin ihrem religiösen Auftrag gerecht.

Ella Hempel erreichte eine Erlaubnis, Besuch von ihrer Familie im Frauenkonzentrationslager St. Lambrecht zu bekommen. Ihre Kinder und ihr Mann baten Ella, nach Hause zu kommen. Sie erwiderte, dass sie so lange im Konzentrationslager bliebe, bis Gott sage, dass es genug sei. Auch die Wirtschaftsverwalterin Lore Kroll erinnerte sich an den Besuch der Familie Hempel mit völligem Unverständnis über die Haltung Ellas, der ihre Glaubensüberzeugung wichtiger war als die Freiheit und damit die Rückkehr zu ihrer Familie.

Man vergleiche auch:
diestandard.at/?id=1675061


ZurIndexseite