Re: Nadelöhr


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 18. April 2004 19:11:58:

Als Antwort auf: Nadelöhr geschrieben von Karl am 18. April 2004 15:20:00:

In dem Buch "Geschichte der Zeugen Jehovas. Mit Schwerpunkt der deutschen Geschichte" S. 29f. wird darauf eingegangen. Danach hatte Russell in Band 4 der "Schriftstudien" die Auslegungsvariante aufgenommen, damit sei ein "Tor namens Nädelohr" in der Stadtmauer von Jerusalem gemeint. Und interpretiert dies dahingehend, dass damit lediglich ausgesagt sei, die Reichen müssten um ins "Reich Gottes" eingehen zu können, gebeugt werden; dieweil jenes Tor "niedrig" gewesen sei. Der gesamte Kontext von Band 4 "Schriftstudien" macht deutlich, dass Russell allen Überlegungen radikaler Art in der Eigentumsfrage eine grundsätzliche Absage erteilt. So sollen vorhandene diesbezügliche Spannungen erst nach dem "göttlichem Eingreifen" ihre Auflösung finden.

Gleichwohl gab es aber im Christentum, etwa in einigen katholischen Orden beispielsweise, immer mal wieder Auffassungen, welche die Meinung vertraten, "Reiche" könnten nicht in das "Reich Gottes" gelangen. Diese Strömungen waren allerdings in der Regel in der Minderheit und die Kirchenoberen haben sie bestenfalls als "exotisches Beiwerk" geduldet. Für sich selbst selbstredend nicht.

Hätte sich Russell dieser Position angeschlossen, hätte das aber auch die Frage provoziert: Und wie hält er es persönlich damit? Bekanntlich hatte ja der Verkauf seiner Bekleidungsladenkette ihm einiges eingebracht. Auch warfen ihm zeitgenössische Kritiker vor, mit Aktien zu spekulieren, und dabei bei einem seiner Anhänger namens Otto von Zech, nach "allen Regeln der Kunst" einen Anlagebetrug vorgenommen zu haben.
Zitat: "1894 hatte Russell an einen Otto von Zech wertlose Ölaktien verkauft, die für Zech einen Verlust von ca. 3 000 Dollar bedeuteten."
Mit vorstehender Auslegung glaubte Russell wohl dabei den "Stein der Weisen" gefunden zu haben.

Inwieweit und wann, wahrscheinlich schon zu Rutherford's Zeiten, sich die WTG-Auslegung in diesem Punkt veränderte, müsste noch nachgeprüft werden. Entsprechende Belegstellen dafür sind mir jetzt auf Anhieb nicht geläufig.
Soweit es die Zeit nach 1945 betrifft scheint mir der früheste Beleg in einer Leserfrage im "Wachtturm" von 1951 S. 272f. zu bestehen.
Die WTG verbreitet sich darin mit den Worten:

"Wir erinnern uns, dass man vor Jahren das 'Nadelöhr' so erklärte, als ob es eine kleine Tür in einem der grossen Tore Jerusalems bedeutete, so dass, wenn die Nacht hereingebrochen und die Tore verschlossen waren, man dieses Türchen öffnen und das Kamel von seiner Last befreien konnte, so dass es auf den Knieen und Schenkeln, anders gesagt: unter grossen Schwierigkeiten, durch die kleine Tür hindurchkriechen konnte.
Dann im Jahre 1940, gab George M. Lamsa seine Übersetzung 'Das Neue Testament, übersetzt aus aramäischen Originalquellen' heraus, worin Matthäus 19:24 wie folgt lautet:
'Wiederum sage ich euch: Es ist leichter für ein Seil, durch ein Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen, in das Königreich Gottes einzugehen.' …
In Lukas 18:25 aber wird in der Originalbibel ein anderes griechisches Wort benutzt, und die Neue-Welt-Übersetzung gibt somit diesen Vers wie folgt wieder:
'Es ist in der Tat leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Königreich Gottes eingehe.'
Wir glauben, dass Jesus eine buchstäbliche Nahnadel und ein buchstäbliches Kamel meinte, um die Unmöglichkeit der Sache ohne die äusserste Hilfe Gottes darzustellen."

Spätere WT-Ausführungen äußern sich meines Erachtens im ähnlichen Sinne. In der Sache wurde damit Russell der "Laufpass" gegeben; ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen.


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