Geschrieben von Drahbeck am 27. Februar 2004 13:51:39:
Als Antwort auf: KdöR-Tragödie - neuer Aufzug geschrieben von
Drahbeck am 31. Januar 2004 11:06:50:
Die derzeit beiden letzten relevanten Gerichtsentscheide im "Endlosstreit"
KdöR-Ansprüche der Zeugen Jehovas datieren aus dem Jahre 1997 und dem Jahre 2000
(Fortsetzung in Aussicht gestellt). 1997 war dieser Streit bis vor das
Bundesverwaltungsgericht gezogen worden, welches am 26. 6. 1997 in einer Weise entschied,
über welche die juristischen Körperschaften der Zeugen Jehovas nicht sonderlich
"erfreut" waren. Und so legten sie denn prompt auch das Rechtsmittel der
Verfassungsbeschwerde ein, welche im Jahre 2000 vor dem Karlsruher
Bundesverfassungsgericht zur Verhandlung kam. Zweigeteilt in eine mündliche Anhörung vom
September 2000 und in der anschließenden Urteilsverkündung am 19. 12. 2000; sozusagen
als "Weihnachtsgeschenk".
Es soll ja Leute geben, die kein Weihnachten feiern. Auch das ist bekannt. Genau wie
der Termin der Urteilsverkündigung (in vorgenanntem Kontext) zwiespältig war; so war es
wohl auch das eigentliche Urteil.
Das Bundesverfassungsgericht folgte in seiner mündlichen Verhandlung dem Prinzip, allen
Prozessbeteiligten noch mal die Möglichkeit zu geben, ihre Sicht der Dinge in einem
kurzen Statement darzulegen. Die unter Leitung von Jutta Limbach stehende Verhandlung
beinhaltete auch, dass ein Vertreter des Gerichtes selbst, Prof. Dr. Dr. Hassemer dabei
ebenfalls mit einem Statement-Beitrag vertreten war. Ein paar Sätze aus diesem
Hassemer-Votum. Zu beachten ist: Er beschrieb lediglich Sachverhalte. Er hat aber damit
durchaus kein "Urteil" ausgesprochen. Hassemer bemerkt:
Wenn der Staat einer Religionsgesellschaft das Recht gibt, eine KdöR zu sein, ihr
diesen Status verleiht, so bietet er ihr so etwas wie eine Kooperation an. Und natürlich
wird er einer Schlange keine Kooperation anbieten, die er an seinem Busen nährt, und die
ihn dann beißt."
Weiter, so Hassemer:
Die Konstellation um die gestritten wird.
Die ZJ verbieten die Transfusionen von fremden Blut, bringen deshalb ihre Mitglieder in
Probleme.
Sie haben abweichende Meinungen zur Ableistung von Wehr- und Zivildienst,
sie haben vom Grundgesetz abweichende Meinungen dafür, ob die Bürger zur Wahl gehen
sollen, oder sich zur Wahl stellen sollen.
Sie machen den Leuten Probleme, die willig sind auszutreten
und sie machen auch Kindern Probleme, durch ein besonders rigides System.
Seitens des Berliner Senats sprach dessen beauftragter Rechtsanwalt Südhoff.
Einige seiner Ausführungen:
Haltung zum aktiven und passiven Wahlrecht.
Das Bundesverfassungsgericht hat allein aufgrund dieser Sachlage, auf die Unzulässigkeit
der Verleihung der Körperschaftsrechte an die Beschwerdeführerin beschlossen.
Betrachtet man die Lehrmittel der Beschwerdeführerin, so wird der Staat als Teil des
dem nahen Untergang geweihten Systems, als satanische Organisation angesehen. Ich darf die
Beschwerdeführerin mit weiteren Aussagen zitieren:
"Die organisierte menschliche Gesellschaft unter Satan dem Teufel ist wirklich böse
und korrupt. Die politischen Systeme bilden einen gewichtigen Bestandteil der Welt Satans.
Diese tierähnlichen Regierungen erhalten ihre Macht von Satan."
Sicherlich hat die Beschwerdeführerin nun in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren
auch Quellen vorgelegt, die stärker die faktische Unterordnung der Beschwerdeführerin
unter das staatliche System akzentuieren. An ihrer grundsätzlichen dogmatischen
Betrachtung hat sich indes nichts geändert.
Wie die im Jahre 1999 noch in Berlin verteilten Flugblätter wiederum belegen, nachdem die
Welt samt ihren von Satan beeinflußten Himmel, oder ihren Heerscharen, und ihrer Erde
oder ihrer menschlichen Gesellschaft, wie durch Feuer vernichtet werden.
Die Beschwerdeführerin verfolgt aus dieser Motivation heraus eine Doktrin der strikten
Abgrenzung bzw. genauer gesagt, Ausgrenzung ihrer Mitglieder vor gesellschaftlichen
Betätigung.
Die Beschwerdeführerin betreibt ein System der Dinge, das Kontakte mit Außenstehenden,
außer in missionarischen Absichten verpönt, da die Loyalität gegenüber den Souveränen
Herrn Jehova ein getrennt von der Welt einschließt.
Sie verlangt völlige Neutralität gegenüber der politischen Ordnung und sanktioniert die
Mitgliedschaft in politischen und gesellschaftlichen Organisationen.
Das aktive und das passive Wahlrecht, wird als Verstoß gegen dieses Neutralitätsgebot
begriffen und über den Gemeinschaftsentzug, mit verheerenden sozialen Folgen für den
Betroffenen, sanktioniert.
Nunmehr verlangt die Beschwerdeführerin vom Staat die Verleihung des Körperschaftsstatus
der öffentlich rechtlichen Religionsgesellschaft.
Man könnte versucht sein, darin bereits aus Sicht der Beschwerdeführerin selbst den
Versuch einer Quadratur des Kreises zu sehen.
Das ist aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, dass die Beschwerdeführerin den Staat
unter Aufrufung reiner formaler Betrachtungsweise dazu zwingen will, sie, die den Staat
rigoros ablehnt, mit staatlichen Privilegien über andere Religionsgemeinschaften
herauszuheben.
Die Beschwerdeführerin hat eine subjektive Klageänderung vorgenommen. Statt der
Religionsgesellschaft, klagt nunmehr der in Berlin eingetragene Verein. Die Mitglieder der
Religionsgemeinschaft wurden in einem Rundschreiben vom 9. 11. 1999 durch die
Beschwerdeführerin darüber informiert, dass sie nunmehr Mitglieder des Vereins der
Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Deutschland e. V. seien.
Wenn das diesbezügliche Rundschreiben unklar gehalten ist, und die gewollte Schaffung
tatsächlicher Fakten wohl eher vernebelt.
Die Mitglieder die überhaupt verstanden haben, dass sie nunmehr Mitglieder eines
weltlichen Vereins sein sollen und dieses kritisch hinterfragen, werden von der
Beschwerdeführerin ausgeschlossen.
Vielmehr dürfte eine Vermutung dafür sprechen, dass die überwältigende Mehrzahl der
Mitglieder dagegen wäre, wenn sie dazu überhaupt gefragt würde.
Eine Zwangsverkorperierung der Mitglieder durch Vereinsgründung, ist aber nach deutschem
Zivilrecht nicht zulässig.
Wäre immer noch der Zweifel zu prüfen, ob jedenfalls die Beschwerdeführerin in ihrer
ursprünglichen Form, also der Religionsgemeinschaft der ZJ in Deutschland mit Sitz in
Berlin aktiv legitimiert gewesen wäre.
Hier hat das Land Berlin detailliert nachgewiesen, dass der eigentliche Sitz der
Religionsgemeinschaft bereits in Selters/Taunus, übrigens auch noch heute ist.
Er hat darüber hinaus nachgewiesen, dass nach den vorliegenden Satzungen, einerseits der
Beschwerdeführerin und andererseits der Wachtturm- Bibel- und Traktat-Gesellschaft,
Deutscher Zweig, allein die Wachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft Deutscher Zweig,
aktiv legitimiert gewesen wäre.
Seitens der Interessenvertretung der Zeugen Jehovas sprach deren beauftragter
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Weber.
Weber hob besonders hervor, dass sich im Verlaufe des Bestehens der Bundesrepublik
Deutschland, die Konditionen für Religionsgemeinschaften ohne Körperschaftsrechte, im
Vergleich zu denen mit Körperschaftsrechten immer mehr in Richtung auf
Ungleichgewichtigkeit entwickelt hätten.
Dieser Aspekt wird auch noch durch ein auf der Webseite der Zeugen Jehovas
veröffentlichtes Gutachten von Prof. Dr. Hans-Wolfgang Arndt unterstrichen. Verfasst wohl
noch vor der Verhandlung über die Verfassungsbeschwerde der Zeugen Jehovas. Gemäß
diesem Gutachten habe sogar das Bundesfinanzministerium, unter ausdrücklicher Bezugnahme
auf die 1997er Gerichtsentscheidung, entschieden, bisher den Zeugen Jehovas gewährte
steuerliche Gemeinnützigkeits-Anerkennung, unter Vorbehalt zu stellen. Tenor der
Anweisung des Bundesfinanzministeriums. Sollte das Bundesverfassungsgericht, die 1997er
Gerichtsentscheidung wieder bestätigen, ist es endgültig aus mit der gewährten
finanziellen Gemeinnützigkeit. Dann könnte das Eintreten, was im Falle Scientology schon
früher der Fall war. Die steuerliche Bewertung auch der Zeugen Jehovas unter
Gesichtspunkten, ohne Gemeinnützigkeitsanerkennung.
Arndt bestätigt denn in seinem Gutachten auch, dass die Zeugen Jehovas ihn
ausdrücklich um die Erstellung eines solchen gebeten hätten. Liest man es, kann man sich
bei gewissen Passsagen des Eindruckes nicht erwehren, da wird die PR-Sicht der WTG,
lediglich durch den Mund eines Universitätsprofessors wiedergegeben. Aber das kennt man
ja schon zur Genüge von anderen einschlägigen "Gutachten", etwa die des Herrn
B..
So etwa, wenn Arndt schreibt:
Angehörige der ZJ haben mit dem Eintritt in die Gemeinschaft eine vorverlagerte
Religions- und Gewissensentscheidung dahingehend getroffen, sich "nicht als Teil der
Welt" anzusehen und betrachten es infolgedessen als mit dem göttlichen Willen nicht
vereinbar, an politischen Wahlen teilzunehmen. Bei den ZJ erfolgt diese
Gewissensentscheidung erst, nachdem sie sich aus freiem Willen vor der Taufe in der Regel
über einen Zeitraum von mehreren Jahren eingehend mit den Glaubenslehren dieser
Gemeinschaft beschäftigt haben. Angehörige der ZJ, die nach der Taufe gleichwohl an
staatlichen Wahlentscheidungen teilnehmen, werden nicht kontrolliert. Soweit es um
Briefwahlen geht, bestehen ohnehin keine Kontrollmöglichkeiten. Ob ein ZJ zur Wahl geht
und was der einzelne in seiner Wahlzelle macht, entzieht sich ebenfalls der Kenntnis der
Religionsgemeinschaft.
Ein ZJ, der wählt, hat deshalb zwei Alternativen:
Er wählt, ohne sich zu offenbaren. Obwohl er sich damit von den Glaubensgrundsätzen der
Gemeinschaft entfernt, findet eine Sanktion nicht statt, weil 1. sein Wahlverhalten nicht
bekannt und 2. auch nicht überprüft wird.
Offenbart er sich, stellt ein Komitee der zuständigen örtlichen Versammlung, bestehend
aus mindestens 3 Ältesten fest, ob er sich von seiner früher getroffenen
Gewissensentscheidung, kein Teil der Welt und politisch neutral zu sein, entfernt hat.
Sofern der Betroffene dies wünscht, wird ihm in einem Gespräch geholfen, wieder ein
gutes Verhältnis zu Gott zu erlangen, um weiterhin ein Glied der Gemeinschaft bleiben zu
können. Bereut der Betreffende seinen Glaubensverstoß, bleibt er Mitglied der
Religionsgemeinschaft.
Andernfalls hat er sie verlassen. Jederzeit hat er die Möglichkeit, seine Wiederaufnahme
in die Religionsgemeinschaft zu erwirken. Wegen der Teilnahme an einer politischen Wahl
haben in den letzten 10 Jahren lediglich 3 Personen die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas
verlassen.
Selbst wenn man also im Falle ZJ einen Konflikt zwischen den Verfassungswerten der
Religionsfreiheit einerseits und dem Wahlrecht und dem Demokratieprinzip andererseits
annehmen sollte, müßte dieser Konflikt entgegen der vom Bundesfinanzministerium
vertretenen Ansicht zu Gunsten der Religionsfreiheit aufgelöst werden.
Soweit es um die Ableistung des Zivildienstes geht, haben die Zeugen Jehovas im Jahre
1996 eine religiös begründete Neubewertung des Zivildienstes vorgenommen. Seither ist es
jedem betroffenen Zeugen Jehovas möglich, wenn ihn keine besonderen persönlichen
Gewissensgründe daran hindern, den Zivildienst zu leisten.
Das Bundesverfassungsgericht hat dann auch in seiner Dezember 2000-Entscheidung
versucht ein "salomonisches" Urteil zu fällen. Den Aspekt,
gesellschaftspolitische Abstinenz, der im 97er Urteil noch einen Hauptpfeiler darstellte,
ließ es nicht mehr gelten. Ein Sieg also für die Zeugen Jehovas. Indes ganz ungetrübt
war dieser Sieg wohl nicht. Das Gericht fällte immer noch kein endgültiges Urteil. Es
beschloss das ganze Verfahren an die Vorinstanz zurückzuverweisen, mit der Maßgabe eine
"typisierende Gesamtbetrachtung" anzustellen. In der könnte zwar die
gesellschaftspolitische Abstinenz der Zeugen Jehovas mit einfließen. Indes
"dominierend" dürfte dieser Aspekt im Vergleich zur 97er Entscheidung nicht
mehr sein.
Man darf gespannt sein, wie dieser "Eiertanz" weitergeht. Meine persönliche
Meinung dazu: Das Gericht hat sich gekonnt um eine Kardinalfrage herumgedrückt. Die Frage
des weiteren Ausbaues der KdöR-Privilegien. Dieses Zweiklassenrecht ist in der Tat
anfechtbar.
Wegweisend wäre es gewesen, es hätte eine Weichenstellung in Richtung
Beschneidung der KdöR-Privilegien eingeleitet, und nicht in Richtung deren faktischer
Ausweitung.
Sie wittern Morgenluft
Jehovas Zeugen und die Schule
Koerperschafts-Kommentare
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