Re: Kirchlengern


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 16. Juli 2003 13:36:11:

Als Antwort auf: Re: Logisch das ZJ Feinde haben geschrieben von D. am 16. Juli 2003 12:03:03:

Die am Stadtarchiv Bielefeld tätige Historikerin Monika Minninger, hatte im Jahre 2001 einmal eine Regionalstudie vorgelegt mit den Titel:
"Eine Bekennende 'Kirche'. Zur Verfolgung von Zeugen Jehovas in Ostwestfalen und Lippe 1933-1945"

Auch sie schätzt ein, dass Westfalen neben dem Schwarzwald, als eine der Wiegen deutscher Bibelforscher bezeichnet werden kann. Zumindest für die ganz frühen Anfangsjahre. Später kam noch Sachsen mit hinzu. In Dresden gab es in den zwanziger Jahren zeitweilig mehr Bibelforscher, als parallel zur gleichen Zeit in New York (USA).
Nach 1945 sollte der Verbreitungsgrad nicht unbedingt mit jenen regionalen Schwerpunkten identisch sein. Wie gesagt, diese Angabe bezieht sich auf die Anfangszeit.
Bedeutsam erscheint mir dabei auch Frau Minninger's Satz (S. 6):
"Schon einmal, in Krisenzeiten des 19. Jh. hatten sich in den Dörfern des Minden-Ravensberger Landes Bibelkreise zusammengefunden. Das geringe Freizeitangebot der Dörfer bis in die zweite Hälfte des 20. Jh. förderte diese Tendenz zur Frömmigkeit in privaten Nachbarschafts- und Verwandtenzirkeln."

Eine größere Ortschaft in dieser Region ist Kirchlengern. Dortiger Ältester und Leiter der örtlichen Bibelforschergemeinde war der 1885 geborene Leiter des Elektrizitätswerkes in Kirchlengern, Wilhelm Trippler.
Im Gegensatz zu anderen Bibelforschergemeinden der 1920er Jahre, verfügte die Kirchlengerner Gruppe auch über eine eigene Versammlungsstätte; laut Frau Minninger eine "große Holzbaracke, die zu Tripplers Vorträgen an Sonntagen 300 bis 350 Zuhörer fasste."

Wie nun Rutherford es zunehmend durchsetzte, dass die Bibelforscher zu Buchverkäufern degradiert wurden, machte Trippler diesen Kurs nicht mit. Die Folge. Eine Separation seiner Gruppe. Zitat aus der Studie von Frau Minninger:
"Dieser (Trippler) hatte 'durch seine Stellung und Rednergabe einen ungeheuren Einfluß und viele Brüder damals abgezogen', die seine Kritik an Prunk und 'Papsttum' der Magdeburger Zentrale und seine Ablehnung der Kolportage mittrugen. In Bünde blieben 1931 nur 20-30 Bibelforscher bei der IBV, während zu seinen (Tripplers) Veranstaltungen vor dem Verbot 300-350 Personen kamen."

Auch einzelne Mitglieder der Trippler-Gruppe gerieten nach 1933 in die Fänge der Gestapo. Auch jene Gruppe war gegenüber den politischen Forderungen des NS-Regimes weitgehend passiv. Sie ließen sich aber nicht für die USA-Hegemonialansprüche auch dahingehend instrumentalisieren, durch Weigerung an "Wahlen" des NS-Regimes teilzunehmen, selbiges über Gebühr zu provozieren. Ihnen blieben damit einige Härten, die die Zeugen Jehovas ereilten, somit erspart.

Auch nach 1945 sammelte sich die Kirchlengerner Gruppe erneut. Aus der ehemaligen Holzbaracke ist schon lange ein festes Gemeindehaus geworden. Und sie gaben schon ab Ende der 1940er Jahre eine eigene Zeitschrift heraus mit dem Titel "Christliche Warte".
Sie erscheint bis heute noch im vierteljährlichen Rythmus.
Im Internet ist sie allerdings nicht präsent. Inhaltlich bewerte ich sie auch als "stockkonservativ". Nichts, was mich persönlich dabei ansprechen würde (inhaltlich).

Es fragt sich allerdings ob die Zeugen da wirklich "besser" sind. Die sind auf ihre Art, genauso konservativ nur eben etwas anders akzentuiert.

Wie immer man das auch bewerten will. Eines zeigt meines Erachtens auch der Fall Kirchlengern. Eine weiterleben als Religionsgemeinschaft ist auch ohne den extremen Zwang zum WTG-üblichen sogenannten Predigtdienst möglich.


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