DDR-Kirchenlexikas


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 05. März 2003 16:04:42:

Ein kleiner DDR-Rückblick.
Alt-Bundesrepublikaner können sich, wie die Erfahrung zeigt, vielfach nicht in die Situation hineinversetzen, wie sie da mal in der "DDR" bestand. Für etliche Alt-Bundesrepublikaner war und ist das offenbar eine "Insel von einem anderen Stern". Es soll hier jetzt nicht um Polemik gehen. Dennoch scheint mir diese Vorbemerkung nötig.

Es geht hier jetzt mal um eine Detailfrage. Um Lexika mit Informationen zu Religionsfragen.
Alt-Bundesrepunlikaner sind da verwöhnt. Jede größere wissenschaftliche Bibliothek hat da beispielsweise das sechsbändige Lexikon "Die Religion in Geschichte und Gegenwart" und anderes mehr im Angebot. So etwas gab es in der DDR nicht. Man tat sich überhaupt schwer dort, überhaupt mal ein Lexikon anzubieten dass nur der Religionsthematik gewidmet ist. Erst 1979 war es dort erstmals soweit.

Noch eine weitere Zwischenbemerkung. In Alt-Bundesrepublikanischen Gefilden gibt es auch zum Thema Religion usw. diverse spezialisierte Verlage. Soviel dass man sie kaum überblicken kann. Auch das war unter den provinziellen DDR-Verhältnissen grundlagend anders. Im Prinzip gab es dort nur drei Verlag dafür.
Der St. Benno Verlag für katholisches (existiert heute noch. Das Buch des Klaus-Dieter Pape bezüglich der Zeugen Jehovas wurde dort verlegt). Und dann noch zwei andere Verlage die den Wechsel zur Marktwirtschaft eben nicht überstanden haben. Einmal die Evangelische Verlagsanstalt für das im Namen genannte; und zum anderen der Union-Verlag. Letzterer im Besitz der Blockflötenpartei DDR-CDU.

Nur im Union-Verlag erschienen dann die Lexikas mit Religionsthematik. Es versteht sich fast von selbst. Nur als einbändige Ausgaben. Von einer sechsbändige Ausgabe a la RGG wagte dort niemand auch nur im Entferntesten zu träumen.
1979 veröffentlichte der Union-Verlag unter dem Titel "Theologisches Lexikon" erstmals ein solches. Es gab davon 1981 noch eine zweite überarbeitete Auflage. Fast alle in der DDR vertretenen Religionen wurden darin auch mit eigenen Artikeln abgehandelt. "Fast alle".
Unschwer zu erraten welche wohl nicht. Antwort: "Der Kandidat hat hundert Punkte" wenn er sagt, dass die Zeugen Jehovas für dieses Lexikon "Luft", nicht existent waren.

Übrigens erschien die erste Auflage des thematisch verwandten Buches des Theologieprofessors Helmut Obst (gleichfalls im Uniion-Verlag) 1980 ("Apostel und Propheten der Neuzeit") gleichfalls ohne ein die Zeugen Jehovas bezügliches Kapitel. Das sollte sich erst mit der zweiten Auflage (1981) ändern. Und dies deshalb auch, weil gewissen DDR-Regisseuren im Hintergrund, das weiter totschweigen dessen, selbst nicht mehr so geheuer wahr. Aber das möchte der von ihnen auch begünstigte Herr Obst heute lieber nicht mehr so genau wissen.

Noch einmal gab der Union-Verlag ein spezielles der Religion gewidmetes Lexikon heraus. Das nannte sich dann "Kirchenlexikon" und erschien erst im Jahre 1990. Also fünf Minuten vor Toresschluß der DDR. Aber immerhin noch eindeutig DDR-orientiert.
Als Herausgeber zeichnen Sigrid und Karl-Wolfgang Tröger. Letzterer wohl Theologieprofessor, seine Frau hingegen Bibliothekarin in der Deutschen Staatsbibliothek zu Ostberlin. Dort war die Frau Tröger nicht nur einfache Bibliothekarin sondern eine Art Abteilungsleiterin die (fast) alles was mit Religion zu tun hatte, unter sich hatte. Angefangen von der Entscheidungsfindung darüber, welche Bücher die Stabi für den Religionssektor kommerziell erwirbt (und welche nicht) und anderes mehr.

Sie ist auch in diesem Kirchenlexikon mit zwei speziellen, dem weiteren Umfeld der Zeugen Jehovas zuzuordnenden Artikeln vertreten. Während der eigentliche, die Zeugen Jehovas behandelnde Artikel von dem Helmut Obst bestritten wird.

Es hat (zumindest meine Person) aufhorchen lassen, als ich es zur Kenntnis nahm, dass die Frau Tröger da auch die Freytag-Bewegung abhandelte und eine weitere von ihr abgesplitterte Gruppe. Die waren ja auch von dem DDR-Verbots-Verdikt ebenfalls betroffen, haben aber im Gegensatz zu den Zeugen Jehovas dort nicht überlebt. So können sich die Zeiten ändern!

Nachstehend noch als Dokumentation (ohne weitere Kommentierung) die drei genannten Artikel aus diesem Kirchenlexikon:

Zeugen Jehovas
Die Zeugen Jehovas gingen aus der „Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher" hervor. Ihr Gründer ist der amerikanische Kaufmann Charles Taze Russell (1852-1916). Streng calvinistisch erzogen (Calvinismus), geriet er als junger Mann durch die Lehren von der doppelten Prädestination und der ewigen Verdammnis in eine innere Krise, die er durch die Bekanntschaft mit einer adventistischen Splittergruppe, welche Termine für die Wiederkunft Christi errechnet hatte, überwand. Nach dem Scheitern dieser Erwartungen unternahm Russell weitere Berechnungen. Sie ließen ihn zu der Erkenntnis kommen, daß Jesu Christi unsichtbare Gegenwart auf Erden im Jahre 1874 begonnen habe und Jesus nach einer vierzigjährigen Erntezeit im Jahre 1914 sichtbar wiederkommen werde, um alle Reiche der Welt zu zerbrechen und die wahrhaft Gläubigen zu sich in den Himmel zu entrücken. Diesen Plan Gottes mit der Menschheit, der in der Bibel niedergelegt sei, verbreitete Russell durch Bücher, Traktate und Vorträge. Sein wichtigstes Sprachorgan wurde die seit Juli 1879 erscheinende Zeitschrift »Zions Wachtturm und Verkündiger der Gegenwart Christi«. 1881 gründete er die »Zions Wachtturm Bibel und Traktatgesellschaft«, eine Art Verkündigungsunternehmen, das bis heute Zentrum der Bewegung ist. Russell war Präsident dieser Aktiengesellschaft auf Lebenszeit. Seine Bücher und Traktate wurden in 16 Millionen Exemplaren in 35 Sprachen verbreitet. Es entstanden Gruppen von Anhängern in mehreren Ländern; 1903 konnte ein deutsches »Zweigbüro« eingerichtet werden. Auf Weltebene erfolgte 1913 in London die Gründung der »Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher«. Nachdem die Bewegung durch das Ausbleiben der erwarteten Endereignisse im Jahre 1914 und durch den Tod Russells 1916 in eine schwere Krise geraten war, schuf Russells Nachfolger, der Richter Joseph Fränkin Rutherford (1869-1942), auf der Grundlage veränderter Bibelauslegungen eine autoritär geleitete, straff zentralistisch geführte, extrem kirchen- und gesellschaftskritisch ausgerichtete apokalyptische Gemeinschaft. Die Radikalisierung der Verkündigung und die Berechnung neuer Wiederkunftstermine führten zu Abspaltungen. Insgesamt wuchs jedoch die Bewegung, besonders stark in Deutschland. Hier war 1928 die Zahl der Anhänger größer als in den USA. 1931 wurde unter Bezug auf Jes. 43,10.12 die Bezeichnung »Zeugen Jehovas« angenommen. Die »politische Neutralität« und »spirituelle Staatenlosigkeit« der Z. J. führten immer wieder zu Konflikten mit Regierungen. 1932 wurde die Bewegung in Italien, 1933 in Deutschland verboten. Ihre Anhänger wurden verfolgt und vielfach in Konzentrationslager eingewiesen. Nach Rutherfords Tod kam es unter der Leitung von Nathan Homer Knorr (1905-1977) zu einem Ausbau der Schulungs- und Missionsmethoden. Bestimmend blieb die von Rutherford grundsätzlich festgelegte Linie. Sie wird von dem jeweiligen Präsidenten bis heute fortgesetzt.

Nach dem 2. Weltkrieg gelang den Z. J. weltweit der Durchbruch zu großen Missionserfolgen. 1965 überschritt die Zahl der »Verkündiger« die Millionengrenze. Neben Nordamerika und Europa bildeten die Entwicklungsländer zunehmend einen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten. Dort konnten teilweise erhebliche Erfolge erzielt werden. Global gab es 1985 nach eigenen Angaben 3 024 131 Verkündiger in 205 Ländern. Sie leisteten 590 540 205 Stunden Verkündigungsdienst. In der DDR und 18 anderen Staaten ist die öffentliche Arbeit der Z. J. nicht erlaubt. Die Zahl der Verkündiger betrug in der BRD und Berlin (West) 1985 115 604. In einer Reihe von Ländern haben sich ehemalige Z. J. zu eigenen Vereinigungen zusammengeschlossen (z. B. in der DDR die »Studiengruppe Christliche Verantwortung«, Gera).

An der Spitze der Gemeinschaft stehen der Präsident und die Leitende Körperschaft (18 Mitglieder). 6 Komitees (z. B. ein Schreib-, Lehr-, Fabrikkomitee) unterstehen direkt der Leitenden Körperschaft. Die von ihr berufenen und ausgesandten Zonenaufseher stellen durch regelmäßige Besuche den Kontakt zu den Organisationseinheiten in den einzelnen Ländern, Ländergruppen oder Erdteilen her. Dort bestehen Zweigkomitees und Zweigbüros. Das Gebiet, für das ein Zweigbüro zuständig ist, gliedert sich in Bezirke, die wiederum in Kreise (etwa 20 Versammlungen) aufgeteilt sind. Sie werden von Bezirks- bzw. Kreisaufsehern kontrolliert. Die unterste Einheit ist die Versammlung. Sie wird von der Ältestenschaft, bestehend aus Sekretär, Aufseher und Dienstamtsgehilfen, geleitet. Ein straff organisiertes Schulungs- und Missionssystem garantiert die einheitliche Ausrichtung der inneren und äußeren Arbeit. Alle Aktivitäten werden genau abgerechnet. Eine Ausbildung der ehrenamtlichen Funktionsträger erfolgt nicht. Finanziert wird die Organisation durch Spenden (»Gute-Hoffnung-Gelder«) und Verkauf von Schriften. Karitative Einrichtungen bestehen nicht. Das christliche Kirchenjahr mit seinen Festen, insbesondere Weihnachten und Ostern, sowie alle volkstümlichen Bräuche (z. B. Geburtstagsfeiern) werden entschieden abgelehnt. Von Gottesdiensten im herkömmlichen Sinn kann man nicht sprechen. Zentrale Veranstaltung ist das sonntägliche Wachtturmstudium mit Gesang und Gebet im »Königreichssaal«. Daneben bestehen für die Mitglieder vielerlei Verpflichtungen (z. B. Felddienststunden mit Nachbesuchen, Heimstudien, Bezirksstudien, Dienstversammlungen). Im Mittelpunkt der Kontakte zur Welt stehen die missionarischen Bemühungen. Die Kirchen gelten als Teil der satanischen Organisation, zu der keinerlei Beziehungen bestehen dürfen.

Lehrgrundlage ist allein die Bibel, die in einer eigenen Übersetzung (Neue-Welt-Übersetzung) verwendet wird. Das Lehrgebäude basiert auf Bibelstellen, die wie frei verfügbare Bausteine aus allen biblischen Büchern ausgewählt werden. Im Zentrum der Lehre steht der Plan Gottes. Er ist von Jehova entworfen, um auch nach dem Fall Luzifers seine Absicht, die Menschen zum ewigen Glück zu führen und seinen Namen zu rechtfertigen, zu verwirklichen. Jesus, von Natur aus nicht Gott, sondern ein zum Sohn angenommenes Geschöpf Gottes, erbrachte durch seinen Tod das notwendige »Loskaufopfer«. Im endzeitlichen Kampf hat er eine wichtige Aufgabe. 1914 übertrug ihm Jehova die »Königreichsgewalt«. Satan wurde von ihm besiegt und auf die Erde geworfen, die jetzt ganz vom Teufel beherrscht wird. Zu seiner Organisation gehören auch die Kirchen als Teil des »Weltreichs der falschen Religion «. Viele der kirchlichen Lehren sind nach Ansicht der Z. J. absolut falsch (z. B. Trinitätslehre, Unsterblichkeit der Seele, Erlaubnis von Blutgenuß und Bluttransfusion). Die Z. J., die »Theokratische Organisation«, repräsentieren dagegen das kommende Gottesreich. Sie kennen allein den rechten Namen Gottes (Jehova), mit dem er gerufen sein will. Die Angehörigen der »Theokratischen Organisation« stehen im schroffen Gegensatz zur Welt. Das alttestamentlich ausgerichtete Gottesbild in Verbindung mit der apokalyptischen Naherwartung prägen die betont gesetzlich-strenge Ethik der Z. J. Hoffnung und Angst bestimmen die Sicht von Gegenwart und Zukunft. Immer neu errechnete Termine für das Ende der 6000 Jahre seit der Erschaffung der Welt (als wahrscheinlich wurde zuletzt das Jahr 1975 angenommen) lösten mehrfach apokalyptische Hochstimmung und danach tiefe Enttäuschungen aus. Die Schlacht von Harmagedon, in der alle widergöttlichen Mächte und Menschen vernichtet werden, gilt nach wie vor als nahe bevorstehend. Sie wird stattfinden, solange noch »Überrestglieder«, die das Jahr 1914 erlebten, auf Erden sind. Die Zukunftsverheißungen für die Z. J. selbst sind sehr detailliert und äußerst verlockend. Die 144 000 Gerechten werden nach ihrer Entrückung beim Wiederkommen Christi vom Himmel aus über die Erde herrschen, auf der die »große Volksmenge« der getreuen Z. J. in paradiesischen Verhältnissen lebt. Die Heilsgeschichte endet mit dem »goldenen Zeitalter« für alle, die sich zu Jehova bekehren, und mit der Vernichtung des Teufels und seines Anhangs.

Hauptproblem für die Lehre der Z. J. ist der Kampf mit der verrinnenden Zeit. Die wichtigsten apokalyptischen Daten sind bereits verbraucht. So kann das Abendmahl (einmal im Jahr am 14. Nisan) nur noch von den Angehörigen der »Tempelklasse« gefeiert werden, das heißt von den Z. J., die bis 1931 zur Wachtturmgesellschaft fanden. Die Taufe ohne trinitarische Formel wird öffentlich durch Untertauchen vollzogen. Bei Eheschließungen kann im Königreichssaal eine Hochzeitsansprache gehalten werden. Auch Bestattungsfeiern werden durchgeführt.

Intensive Missionstätigkeit, die Exklusivität ihres Anspruchs und ihrer Methoden, die Radikalität ihrer religiösen und ethischen Forderungen sowie die absolute Hingabe vieler an die Ziele der Organisation ließen die Z. J. zu einer der bekanntesten wie umstrittensten Religionsgemeinschaften der Neuzeit werden.
H. O.

Menschenfreunde - Les Amis de l'Homme
Menschenfreundliches Werk - Kirche des Reiches Gottes
Alexandre Freytag, geboren 1870 in Baden (Schweiz), bewegte von Kindheit an die Frage, wie das menschliche Leben von der Bedrohung des Todes zu lösen sei. Im Suchen nach einer Antwort stieß er 1898 auf die »Ernsten Bibelforscher« (Zeugen Jehovas) und gehörte ihnen lange Jahre als Leiter des Genfer Büros an. 1920 kam es zum Bruch. Freytag kritisierte u. a., daß die Bibelforscher die Notwendigkeit einer radikalen Änderung des Menschen nicht genügend beachteten. In dieser Zeit schrieb er »Die göttliche Offenbarung«, 1922 folgte die »Botschaft an die Menschheit« und 1933 »Das ewige Leben«. Während er in den beiden ersten Schriften die Frage nach dem Grund von Alter, Krankheit und Tod aufgeworfen hatte, legte er in seinem dritten Buch dar, wie das Leben zu verlängern oder überhaupt unbegrenzt zu machen sei.

Freytags Bücher fanden starke Verbreitung, seine Anhängerschaft wuchs. Seine Bewegung fand vor allem in der Schweiz, in Frankreich (Eglise du Royaume de Dieu - Les Amis de l'Homme), Deutschland, Österreich und Amerika Verbreitung. Als ihr Zentrum entstand in Cartigny bei Genf das »Philanthropische Werk«. Das »Menschenfreundliche Werk - Kirche des Reiches Gottes«, das in Deutschland die Bezeichnung »Menschenfreundliche Gesellschaft >Der Engel des Herrn<« erhielt, wurde 1933 von den Faschisten verboten. Seit 1945 ist es in der BRD wieder tätig und umfaßt (nach Hutten) etwa 70 »Gruppen«. 1947 starb A. Freytag.

Nach seiner Lehre wurde die Grundordnung der Schöpfung, der Altruismus, nicht eingehalten. Dadurch entstanden alle Übel in der Welt: Schäden an Leib und Seele, Krankheit und Tod, Zerstörung der Natur, Haß und Krieg. Um diese zu beseitigen, muß das »Weltallgesetz« Gottes wiederhergestellt werden, wozu die »Sendboten« Gottes in die Welt kamen. Jesus ist das Urbild des neuen Menschen. Er verkündete erneut die richtige Lebensordnung. Mit ihm brach das Evangeliumszeitalter an, das 2000 Jahre währt, sieben Perioden umfaßt und der Sammlung der »Kleinen Herde«, d. h. der 144 000 wahren Christen (außerhalb der Kirchen!), dient. A. Freytag verstand sich als endzeitlicher Sendbote der 7. Periode, der dieses Werk vollenden und Menschen um sich scharen sollte, die nach dem »Weltallgesetz« das Gottesreich auf Erden aufbauen. Diese Aufgabe fällt vor allem der »Armee des Allmächtigen« zu, während die Glieder der »Kleinen Herde« unmittelbar am Wirken Christi (Totenauferweckung usw.) teilhaben. Mit den Freunden der »Armee des Allmächtigen« bilden die drei Gruppen die »Glaubensfamilie«.

In der Lehre A. Freytags kommen die Vorstellungen der Bibelforscher mir teilweise zur Geltung. Vor allem geschieht nach seiner Ansicht die Einführung des Reiches Gottes allmählich durch menschliche Anstrengung (altruistische Lebensweise) und nicht durch die Entscheidungsschlacht von Harmagedon. Deshalb kommt dem »Heute« eine besondere Bedeutung zu. Zur Gesundung des einzelnen Menschen an Seele und Leib und damit der Menschheit insgesamt soll außer der Hingabe an den Nächsten auch eine vegetarische Ernährung beitragen.

In den »Versuchsstationen«, die in mehreren europäischen Ländern und in Mexiko eingerichtet wurden, möchten die »Menschenfreunde« ihre Lehren und ihre Lebensweise modellhaft verwirklichen (u. a. durch eine »alternative« Landwirtschaft). In der Gemeinschaft gilt die durch Untertauchen vollzogene Taufe als Aufnahmeritus. Am Karfreitag wird das Passahmahl gehalten. Außer den täglichen Morgenandachten gibt es mehrere wöchentliche Versammlungen unterschiedlichen Charakters (Heiligungs-, Gebets- und Leseversammlungen; in letzteren werden A. Freytags Schriften gelesen).
Obwohl der Altruismus eine zentrale christliche Forderung ist, stimmen Freytags naturphilosophische und theologische Gedanken mit den Vorstellungen der Bibel, aufs ganze gesehen, nicht zusammen.
S. T.

Les Amis de l'Homme (Menschenfreunde)
Nach dem Tode von Alexandre Freytag im Jahre 1947 führte in Frankreich Joseph Bernard Sayerce (gest. 1963) das »Menschenfreundliche Werk« eigenständig fort, gab ihm den Namen »Les Amis de l'Homme« (Menschenfreunde) und gründete ein neues Zentrum in Paris (seit 1963 in Bordeaux). Seine Mitarbeiterin und spätere Nachfolgerin Lydie Sartre (gest. 1972), die »chere Maman« der Bewegung, verlieh ihrem Amt betont weibliche Züge. Beide verstanden sich in der » Familie « der Menschenfreunde als die » Eltern «, die in der nun angebrochenen Endzeit die Menschen zum Heil führen und einst den Erlösten das Reich Gottes aufbauen sollten. Joseph Neyrand führte als »erstgeborener Sohn« ihr Werk fort (gest. 1981).

Im Unterschied zum »Menschenfreundlichen Werk« vertreten die französischen Menschenfreunde keine exklusiven Glaubenslehren, verlangen nicht den Kirchenaustritt ihrer Anhänger und nehmen jedermann auf, der ihren Altruismus der Tat teilt. Im Sinne der praktizierten Nächstenliebe richteten sie ab 1950 das karitative Werk der »Sozialen Dienste« ein und gründeten ab 1969 im Tal von Saint-Germain eine Siedlungsgemeinschaft, die durch ihre Unterstützung von Bauern mit Landmaschinen ein breites Echo fand. Ihr optimistischer Grundgedanke ist, durch Vorbildhaltung immer mehr Menschen für ein altruistisches Leben zu gewinnen und so das Reich Gottes allmählich auf Erden zu errichten.
S. T.


ZurIndexseite