Re: Noch so ein Exportschlager


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 26. Januar 2003 14:13:10:

Als Antwort auf: Re: Noch so ein Exportschlager geschrieben von Drahbeck am 26. Januar 2003 11:01:09:

Neben den in den anderen Links bereits kritisierten Herren, sollte man einen weiteren nicht vergessen. Er weilt zwar auch nicht mehr unter den Lebenden. Seine von ihm geschaffene Organisation indes ist nach wie vor aktiv. Die Rede ist von Herrn Werner Heukelbach. Bekannt geworden auch durch seinen Slogan: "Gerade Du brauchst Jesus!"

Seine Organisation rühmt sich, beispielsweise seine Broschüre "Das harrt ihrer!" in der er auch auf dem Endzeitklavier spielt, in mehr als 4,5 Millionen Exemplare abgesetzt zu haben. Also "fast" schon an die Auflagenzahlen der Zeugen Jehovas heranzukommen. Mit letzteren trifft er sich übrigens in der Ausmalung der auch von Russell beschworenen "gelben Gefahr". So hat jeder dieser Endzeitpropheten so seine eigenen Schwerpunkte.

Der eine stiert wie das hypnotisierte Kaninchen auf die Schlange, nach Israel. Der andere lässt diesen Aspekt zwar auch nicht unberücksichtigt, will aber das volkreiche Land China auch noch mit in seinem Konzert der Schaffung von Ängsten, integriert sehen.
Wie schon sein genannter Slogan deutlich macht, will Heukelbach "rüberbringen", dass die Menschen die da Jesus als ihren Erretter akzeptieren, einen anderen Lebensstil befolgen würden als die "böse Welt".

Für die Beschreibung der "bösen Welt" hat er denn auch eine "zugkräftige" Schilderung parat, die da besagen will: Seht von denen unterscheiden wir uns positiv (und ich Heukelbach habe das auch gelehrt - deshalb spendet mal schön für mein "Missionswerk"). Letzteres sagt er zwar nicht so unverblümt. Wer sich aber auf dieses "Missionswerk" tatsächlich einlässt - wird sehr wohl, früher oder später, auch noch mit diesem Aspekt konfrontiert.

Um es vorweg zu sagen. Religion vermag dem säkularen Zeitgenossen manchmal befremdlich erscheinen. Beispiel. Die Kleiderordnung die islamisch geprägte Frauen zu praktizieren pflegen, erscheint manchem säkularen Zeitgenossen (das heisst einem der keine persönliche Beziehung zur Religion hat) doch etwas befremdlich. Derselbe Typ von Zeitgenosse mag vielleicht auch den Kopf schütteln, registriert er christliche Kreise wo man in der "Kleiderordnung", namentlich bei den Frauen, auch gewissen betont konservativen Aspekten begegnet. Damit wird der säkulare Zeitgenosse leben müssen; dass es eben auch Menschen gibt, die seine Wertvorstellungen nicht reflektieren.

Wie soll man nun Heukelbach einschätzen? Mit Sicherheit auch als einen Typ, dem das Konservative im genannten Bereich mehr zusagt als das Gegenteil.
Dieser Konflikt ist meines Erachtens auch nicht das, was bei der Kritik an den Evangelikalen ungebührlich herausgestellt werden müsste. Gleichwohl besteht aber andererseits auch kein Grund es prinzipiell zu verschweigen".

Die konservative Weltsicht von Heukelbach kommt auch prägnant in nachfolgendem Zitat von ihm zum Ausdruck, mit dem er sehr wohl "rüberbringen" möchte. Die da Jesus angenommen hätten, unterschieden sich davon.

Heukelbach entwirft das folgende Bild (Zerrbild) von der "bösen Welt"
"Es gibt verschiedene Erscheinungen, welche den Verfall der heutigen Gesellschaftsordnung kennzeichnen. Bei den Griechen und Römern war die Zeit vor ihrem Untergang gekennzeichnet durch Brot und Spiele. Der Staat mußte für das Aufkommen jedes einzelnen sorgen, und daneben nahmen die Feste und Spiele das Volk gefangen; dann kam der Zusammenbruch. Heute baut man wieder die gewaltigen Arenen und Sportstadien für über 100 000 Menschen.
Bald hat man nicht mehr genug Sonntage, um der Festseuche Genüge zu leisten. Eine Ausstellung jagt die andere. Musik-, Straßen- und Schützenfeste müssen die Tage abzählen, um sich gegenseitig nicht im Wege zu stehen. In die Millionen gehen die Besucher. Gewaltige Vermögen werden da verpraßt. Auto-, Rad- und Pferderennen halten ganze Gegenden in Atem und füllen ganze Zeitungen mit ihren faszinierenden Berichten.
Die Vergnügungssucht wird den Kindern schon eingeimpft. Die Zahl der Vergnügungsstätten wird immer noch vermehrt. Die Fastnachtanlässe nehmen Formen an, die jeden sittlich denkenden Menschen anekeln. Die Nachtlokale in den Städten sind überfüllt, in der Mehrzahl von jungen Menschen. Ihre Augen werden dort geblendet und die Herzen verhärtet gegen die ethische, sittliche Ordnung. Das alles soll über den Ernst des Lebens hinwegtäuschen.
Das Strandbadleben stumpft alle Schamhaftigkeit ab, sie wird erstickt, und die Abwehr gegen eine Unmenge sittlicher Verirrungen, welche die Menschen in Not und Trübsal bringen, wird unterbunden. Die Sinneslust lodert auf, und das Unterscheidungsvermögen zwischen Gut und Böse erstirbt. Damit wird der Sittenlosigkeit Tür und Tor geöffnet. Man hat auch früher Wasser-, Luft- und Sonnenbäder benutzt, und sie sind eine wertvolle Gesundheitspflege, doch eben in dem Rahmen einer sittlichen Ordnung".

Konservatismus in möglichst vielen Bereichen, ist somit das Rezept der Heukelbach's und Co. Wer es befolgt, der ist auch heute noch bereit, alles zu Spenden, auf dass die Kirche sich mächtige Kathedralen bauen kann, während er selbst nur in einer minderwertigen Kate hausen mag. Krass gesprochen.

In einer auch über den Buchhandel vertriebenen Dissertation hatte sich Holm-Dieter Roch einmal mit dem Fall Heukelbach näher beschäftigt. Seiner Arbeit gab er den Titel: "Naive Frömmigkeit der Gegenwart."
Sie ermöglicht durchaus einige interessante Einblicke. Und so seien denn als Abschluss dieser Replik noch einige Sätze aus der Studie von Roch zitiert:

Heukelbach, 1898 geboren. Schließlich trat er am 28. März 1928 um 22.00 beim Besuch einer Evangelisationsveranstaltung der landeskirchlichen Gemeinschaft in Wiedenest seine Bekehrung ein.
Aufschlußreich ist das Urteil seiner Zuhörer, über das Heukelbach berichtet: 'Man sagte: Heukelbach redet fast immer dasselbe, er kommt immer wieder auf den einen Punkt, daß man sich bekehren muß.'
Wegen seines Herzleidens wurde Heukelbach 1934 aus dem Dienst der Reichsbahn entlassen.
Der Erfüllung seines Wunsches, hauptberuflich als Evangelist tätig zu sein, stand nun nichts mehr im Wege. Zunächst wirkte Heukelbach bei einer anderen Zeltmission mit, dann ermöglichte ihm eine Spende von 2500 RM die Anschaffung eines eigenen Zeltes.
Nach dem Krieg hat Heukelbach noch einige Male Evangelisationsveranstaltungen abgehalten, bis sein Gesundheitszustand dies nicht mehr zuließ.
Nun begann er mit dem Aufbau seiner Schriften- und Rundfunkmission, die ihn zu einem weit über Deutschlands Grenzen hinaus bekannten Mann machte. Innerhalb weniger Jahre wurde seine Schriftenmission zum größten Unternehmen dieser Art in Deutschland.

Für die Sendungen über Radio Luxemburg wurden in einem Monat DM 31.000,-- aufgewandt und eine ganzseitige Anzeige in HÖR ZU kam auf DM 36.800,--. Jedem Freundesbrief liegt zu diesem Zweck eine Zahlkarte bei.

Die Isolation des Bekehrten von der Welt äußert sich besonders auffällig in seiner völligen Passivität gegenüber dem politischen und sozialen Geschehen. Er nimmt alles, was ihm widerfährt, als eine Schickung Gottes geduldig auf sich und versucht in keiner Weise handelnd in das Geschehen einzugreifen.
Heukelbachs Schriften sind von einer gesteigerten apokalyptischen Naherwartung erfüllt.
Heukelbachs Schriften weisen erhebliche Gemeinsamkeiten mit der Kitschliteratur auf. Die Sprache seiner Schriften zielt darauf ab, beim Leser Gefühlswirkungen auszulösen. Heukelbach bevorzugt das Gefühl ansprechende Vokabeln, putzt einfache Ausdrücke zu etwas Besonderem auf und verwendet sachlich nichtssagende Wendungen als reine Gefühlsauslöser. Die meisten seiner Metaphern entstammen nicht der Lebenswirklichkeit des heutigen Menschen. Die auf diese Weise erzeugten Gefühle unterliegen keiner rationalen Kontrolle und verhindern darum ein realitätsgerechtes Verhältnis zur Wirklichkeit. Der Leser wird in eine Scheinwelt versetzt, die ihn die Realitäten des Alltags vergessen läßt.

Entsprechend dem dualistischen Grundcharakter der untersuchten Frömmigkeit sind die durch Heukelbachs Schriften hervorgerufenen und genährten Gefühlsbindungen nicht ambivalent, sondern nach einem "Freund-Feind-Schema" polarisiert. Auch hierin zeigt sich der kindlich-naive Charakter dieser Frömmigkeit, denn gerade die Fähigkeit zu ambivalenten Gefühlsbeziehungen unterscheidet den Erwachsenen vom Kinde.

Die Behauptung, Religion täusche die im Leben Benachteiligten über ihre tatsächliche Situation hinweg, gehört bekanntlich zu den Grundthesen der klassischen Religionskritik. Zweifellos gibt diese These, wo sie einseitig vertreten wird, zu berechtigter Kritik Anlaß. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß nicht bestimmte Formen von Frömmigkeit unter anderem die Funktion haben, über unbefriedigende Realitäten hinwegzutäuschen, sie zu kompensieren. Dies scheint auch bei Heukelbachs Frömmigkeit der Fall zu sein. Im übrigen ist es interessant, daß der Vorwurf, narkotisierend zu wirken, erstmals gegen eine Frömmigkeit erhoben wurde, die mit der Heukelbachs vieles gemein hat …

Es muß aber noch ein weiterer Faktor in Betracht gezogen werden. Die moderne Gesellschaft bietet in zunehmendem Maße Möglichkeiten zur Bewältigung der Lebensproblematik an, die mit der naiven Frömmigkeit in Konkurrenz treten. Sie ermöglichen ebenso wie diese Frömmigkeit eine Flucht aus der Realität in Illusionen, verlangen jedoch ein wesentlich geringeres Maß an persönlichen Opfern. Wir nennen nun einige Stichworte:
Werbung, Kitschliteratur. Comics, Schlager und Schnulze, Readers Digest und Bild-Zeitung. Der Vorwurf, Opium des Volkes zu sein, der gegenüber Heukelbachs Frömmigkeit - wie sich gezeigt hat - durchaus angebracht ist, muß ebenso gegen diese Erscheinungen erhoben werden. Man könnte geradezu von Opiaten des modernen Menschen sprechen.

Eine Wiederholung der Erweckungsbewegung des vorigen Jahrhunderts erscheint gänzlich ausgeschlossen. Das bedeutet selbstverständlich nicht, daß die naive Frömmigkeit in absehbarer Zeit zum Aussterben verurteilt sein wird. Überall dort, wo die Anpassung an die kulturellen Gegebenheiten unserer Zeit aus welchen Gründen auch immer - nicht oder nur ungenügend erfolgt ist, wird sie weiterhin auf Resonanz stoßen. Ebenso wird sie da Erfolg haben, wo die von der Gesellschaft angebotenen Mittel zur Bewältigung der Lebensprobleme nicht ausreichen.

Auch das starke Echo das Heukelbachs Rundfunksendungen bei deutschen Volksgruppen im Ausland (Sowjetunion, Südamerika) gefunden hat, deutet darauf hin, daß Heukelbachs Frömmigkeit - sozialpsychologisch gesehen - eine "Frömmigkeit der Unangepaßten" darstellt.

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