Re: Wie aus "Dienern" "Aufseher" wurden

 

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 03. Juni 2001 16:48:15:

Als Antwort auf: Schauspielerei geschrieben von Drahbeck am 26. Mai 2001 20:18:50:

Wie aus "Dienern" "Aufseher" wurden.
Anfang der 70-er Jahre wurde bekanntlich bei Jehovas Zeugen das von Rutherford abgeschaffte Ältestenamt wieder eingeführt. Gekoppelt war diese damalige organisatorische Veränderung zugleich noch mit dem Rotationsprinzip. (Letzteres wurde später noch etwas entschärft). Mit anderen Worten: Langjährige Funktionsträger bei den Zeugen Jehovas, sahen sich "über Nacht" in die zweite Reihe zurückversetzt und dies lediglich aus formal-organisatorischen Gründen. Im Hintergrund dabei stand das WTG-Bemühen, bei dem demnächst fällig werdenden Jahr 1975, alles "fest im Griff" zu haben. Sollten vormalige ZJ-Funktionsträger dieses Jahr "zu wörtlich" genommen haben, so wurde die Spitze des Konfliktes dergestalt abgebogen, dass sie im Jahre 1975 nicht mehr die örtlichen Funktionsträger repräsentierten. Letztere wurden nicht zuletzt aus den Jüngeren rekrutiert, speziell für diese Krisenjahre.

Rutherford hatte es seinerzeit, unter umgekehrten Vorzeichen schon mal vorexerziert. Bei Rutherford bekamen die damaligen Ältesten, sogenannte "Erntwerksvorsteher" an die Seite gestellt. Auch wieder vorzugsweise aus der jüngeren Generation rekrutiert. In rasend schneller Entwicklung ging eine Machtposition nach der anderen auf die von der WTG gesteuerten "Erntewerksvorsteher" über. Die von den örtlichen Versammlungen gewählten "Ältesten" sahen sich zunehmend in die Rolle von nichts mehr zu sagen habenden "Maskottchen" zurückgedrängt. Schließlich war es für Rutherford am Ende dieser Entwicklung ein leichtes, sie auch formal abzuschaffen. Zu "sagen" hatten sie davor schon eh nichts mehr.

Im Zusammenhang mit der Wiedereinführung des Ältestenamtes in den siebziger Jahren fiel noch eine weitere bedeutende Entscheidung. Nannten sich bisher die Funktionsträger der Zeugen Jehovas in der Regel "Diener", in unterschiedlicher Hierarchieabstufung, so wurde diese Vokabel plötzlich mit aus dem Verkehr gezogen. Fortan war offiziell nur noch von "Aufsehern" die Rede.
Verständlich, dass auch diese Zäsur der "Christlichen Verantwortung" einmal einen Kommentar wert war (abgedruckt in deren Nr. 52).
Um es vorweg zu sagen. Meine Wege und die Wege der sogenannten "Christlichen Verantwortung" haben sich schon relativ früh wieder getrennt. Ich mache mir ihre Wertungen und Kommentare keineswegs undifferenziert "zu eigen". Etliches hätte ich anders akzentuiert. In manchen Wertungen auch zuückhaltender formuliert.
Aber der Fall "Christliche Verantwortung" ist inzwischen "Geschichte". Ihre damaligen Texte können heute nur in Chronistenform dargeboten werden. Unabhängig von diesen Vorbehalten steht es auch für mich fest, dass der Wechsel der Vokabel von "Diener" in "Aufseher", durchaus eines Kommentares wert war.
Der seinerzeitige CV-Kommentar dazu soll nachstehend noch einmal wiedergegeben werden:

Nicht mehr Diener, sondern Aufseher Eingesandt aus einer Versammlung bei Berlin
Mit der Wiedereinführung des Ältestenamtes ist auch eine Ersetzung der bisherigen Organisations-Anweisungen verbunden Die Neufassung dieser Anweisungen liegt nunmehr in dem WT-Buch "Organisation zum Predigen des Königreiches und zum Jüngermachen" seit 1972 vor.

Danach heißt es jetzt nicht mehr Versammlungsdiener, Kreisdiener, Bezirksdiener usw. sondern Versammlungsaufseher, Kreisaufseher, Bezirksaufseher usw. Die bisherigen Verantwortlichen sind angewiesen, darauf zu achten, daß überall die Titel geändert werden.
Ist das von Bedeutung? Vielleicht für die kommende WTG-Krise von 1975? Wenn es nicht ohne Bedeutung wäre, würde diese Änderung nicht vorgenommen worden sein. Aber waren die Diener-Bezeichnungen bisher nicht biblisch? Natürlich waren sie biblisch, auch wenn jetzt etwas anderes als biblisch bezeichnet wird. Es ist bedauerlich, wie die Bibel immer noch Gutdünken und Zweckmäßigkeit umgedeutet wird und wie bedenkenlos das befolgt wird.
Jede Bezeichnung hat ihren Sinn, hat ihre besondere Bedeutung Diener z. B. lenkt den Sinn auf Demut, Hilfe, Achtung anderer, der Versammlung dienen, ihr dienstbereit zu sein. Aufseher dagegen betont etwas ganz anderes. Es kennzeichnet etwas Übergeordnetes, das Anweisung-Geben an Untergebene, den Kontrolleur, den Aufsichtsführenden, den Inspektor, den Zurechtweiser, den Prüfer, den Zuchtmeister, die Autorität, den Vorgesetzten, die zu respektierende Aufsicht und Sanktionsbefugnis.
Warum diese neue Bezeichnung, dieser neue Titel? Nur so? Das muß doch seinen Sinn haben, daß man andere Gesichtspunkte in den Vordergrund bringt. Das biblisch begründen zu wollen ist müßig, denn die bisherigen Diener-Bezeichnungen waren hinreichend biblisch begründet. Es muß also etwas anderes der Hauptgrund sein.
So ist es! Diese Titeländerung steht im Zusammenhang mit der kommenden WTG-Krise von 1975. Es soll nicht nur eine "keimfreie" Ältestenschaft, sondern auch eine ergebene derartige Führungs-Elite in den Dienstämtern sein, wenn 1975 hereinbricht. Der Aufseher-Titel hat daher weniger einen biblischen Grund - war Diener etwa nicht biblisch? - er hat einen emotionellen und psychologischen Hauptgrund.
Die Aufseher-Titulierung ist im Unterschied zu den Diener-Bezeichnungen psychologisch genau auf die Neigung abgestellt, andere beaufsichtigen, belehren, führen, bevormunden und beherrschen zu können und zu möchten. Es schmeichelt der vorhandenen Neigung, Autoritätsperson zu sein, wie der Apostel Paulus es in 1. Kor. 4:8 erwähnt. Ja, mit diesem Aufseher-Titel wird den Dienern psychologisch mehr Autorität und Ansehen verliehen, soll es jedenfalls.
Wer aber verleiht ihnen dies? Der Herr? Das ist fraglich, denn die Diener-Bezeichnungen waren wirklich hinreichend biblisch begründet. Es ist die Organisation, die WTG, die es ihnen verleiht. Sie gewährt ihnen das "Vorrecht", ihr verdanken sie diese neue Form von Autorität in den Versammlungen.
Sollten sie also Gott danken für dieses neue "Vorrecht", etwas zu sein, so werden sie dabei praktisch immer der WTG-Führung verbunden sein, die ihnen allein das ermöglicht. So wird still und leise gesichert, die künftige Ältestenschaft durch die Aufseher-Titel fest an die WTG-Führung gebunden zu haben, wenn die Krise von 1975 über die Organisation hereinbricht. Denn die Diener- oder Ältestenschaft, sozusagen die zusammenhaltenden Kader der Organisation, war und ist die entscheidende Klammer. Wenn sie gebunden sind und folgen, bleibt den Versammlungen kaum etwas anderes übrig, wird gefolgert. Auch über 1975 hinweg, in eine ungewisse WTG-Zukunft.


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