Heinrich Hannover


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 24. Mai 2002 18:50:05:

Der Bremer Rechtsanwalt Heinrich Hannover, hat in Buchform seine Erinnerungen über einige von ihm im Zeitraum 1954-1974 anwaltlich betreute Gerichtsverfahren vorgelegt. Hannover, einer gutbürgerlichen Familie entstammend, begann seine Verteidigerlaufbahn damit, dass er als Neuanfänger eine gerichtliche Pflichtverteidigung zugesprochen bekam. Das heißt eine, deren Honorar aus der Staatskasse bezahlt wird. Dabei handelt es sich gleich zum Beginn seiner Laufbahn schon um einen politisch akzentuierten Prozess. Er hatte in der Hochphase des kalten Krieges, im konkreten einen Kommunisten zu verteidigen.

Wie das manchmal so ist. Gewisse Weichenstellungen ziehen Weiterungen nach sich. Und so ist Hannover auch in den folgenden Jahren eine der "ersten Adressen", wenn es um Kommunistenprozesse in der alten Bundesrepublik zu Adenauers Zeiten, ging. Bemerkenswert fand ich es schon, dass in einem dieser Prozesse ihm selbst der Ostberliner Staranwalt Friedrich Karl Kaul, zuarbeitete. Dieweil diesergestalt wohl die Ostseite glaubte ihre Interessen in der feindlichen Bundesrepublik am besten wahrnehmen zu können.

Anfang der 1960-er Jahre bekam er dann eine neue Klientel. Die Zeugen Jehovas. Selbige landeten vor Gericht, weil sie nebst dem Wehrdienst auch den Ersatzdienst verweigerten.
Schon zeitgenössisch hatte sich Hannover publizistisch zu den Zeugen Jehovas-Prozessen zu Wort gemeldet. So etwa in Heft 2/1964 der Zeitschrift "Goldtammer's Archiv für Strafrecht". Seinen dortigen Aufsatz lies er mit dem Ausruf ausklingen, dass die Annahme, die Zeugen Jehovas könnten mit Gefängnisstrafen gebrochen werden, illusionär sei.

Hannover musste auch die Erfahrung machen, dass in erster Gerichtsinstanz in der Regel keine für die Zeugen Jehovas günstige Gerichtsurteile erstritten werden konnten. Im Verfolg dieser Erkenntnis gelang es ihm, einen seiner Mandanten dahingehend zu motivieren, in weiteren Berufungsverfahren die Sache voranzutreiben. Einen solcher von ihm betreuter Fall war der des Fliesenleger Ewald G. Den trieb Hannover soweit, dass er schließendlich eine Verfassungs-Beschwerde-Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht erreichte. Was Hannover dabei nicht sagt, aber trotzdem durchaus der Anmerkung wert ist, besteht darin, dass die nicht geringen Kosten für die diversen Gerichtstermine, in diesem (und auch in ähnlichen Fällen) prinzipiell der Mandant zu tragen hat. Der Fliesenleger Ewald G. musste die für ihn bittere Erkenntnis ziehen, diesen gesamten Rechtsstreit bezahlen zu dürfen, nebst absitzen der verpassten Gerichtsstrafe. Denn auch die Verfassungsbeschwerde ging für ihn negativ aus.

Einige Zitate aus dem Rückblick von Heinrich Hannover:
"Je katholischer die Gegend, in der die Gerichte amtierten, um so intoleranter gingen sie mit der abweichenden Glaubenshaltung der Zeugen Jehovas um. Kamen die jungen Ersatzdienstverweigerer in nicht-katholischen Landstrichen mit Strafen davon, die vier oder fünf Monate Gefängnis (beim ersten Mal) nur selten überstiegen, so mußten sie in Bayern regelmäßig mit einem Jahr Gefängnis und mehr rechnen. Auch das Prozeßklima unterschied sich deutlich. Während man im Evangelischen doch mitunter das schlechte Gewissen der Richter zu spüren glaubte, die hier über Glaubensdinge zu Gericht saßen, hatte man im Katholischen eher das Gefühl, daß die Gelegenheit, Leute mit falschem Gesangbuch einzusperren, ganz gern genutzt wurde.

Aber nicht nur die religiöse Einstellung, auch das politische Bewußtsein der Richter schlug oft spürbar durch, wenn sie gefordert waren, einer gefährlichen Minderheit - und welche Minderheit wird von Konservativen nicht für gefährlich gehalten? - Toleranz zu erweisen. Solchen Richtern fehlte jede selbstkritische Distanz, wenn sie ohne mit der Wimper zu zucken ihrem Strafterror Beugehaftcharakter zumaßen und dessen Wiederholung ohne Ende ankündigten. So zum Beispiel in einem Urteil des Landgerichts Braunschweig, nachdem die guten Zwecke des Ersatzdienstes aus der Sicht der Richter dargelegt waren:

'Eine Grundanschauung, die solche Zwecke mißbilligt, muß als staatsgefährlich, asozial und unchristlich bezeichnet werden. Man gewinnt den Eindruck, daß Anschauungen dieser Art unbemerkt von den Anhängern der betreffenden Sekte absichtlich gesteuert werden, um Schwierigkeiten hervorzurufen. Da es sich diesmal um eine erstmalige Bestrafung handelt, kann man der Strafe im wesentlichen noch Beugecharakter beimessen. Es wird also festzustellen sein, ob der Angeklagte durch die Verbüßung vielleicht Vernunft annimmt. Wenn das nicht der Fall sein sollte, so scheint für jeden künftigen Fall der Dienstverweigerung eine Gefängnisstrafe erforderlich, die an Dauer mindestens der Zeit der Dienstverpflichtung gleichkommt. (LG Braunschweig, 8. 10. 1962).

Der Fliesenleger Ewald G. war nur einer von vielen Zeugen Jehovas, die ich wegen Verweigerung des zivilen Ersatzdienstes zu verteidigen hatte. Der beim Kreiswehrersatzamt in Stuttgart gebildete Prüfungsausschuß hatte ihn wegen seiner religiösen Überzeugung am 27. 3. 1957 als Kriegsdienstverweigerer anerkannt. Daß er aber darüberhinaus, wie alle Mitglieder seiner Glaubensgemeinschaft, auch den zivilen Ersatzdienst für unvereinbar mit Gottes Geboten erklärte, brachte ihn in Konflikt mit dem Strafgesetz.

Ewald G., Jahrgang 1937, war, ebenso wie seine Mutter und seine ältere Schwester, 1954 aus der evangelischen Kirche ausgetreten und zu den Zeugen Jehovas gegangen. Der Vater hatte diesen Schritt schon vier Jahre früher vollzogen, zwei jüngere Geschwister folgten noch nach, so daß inzwischen die ganze Familie sich zu dieser Religionsgemeinschaft bekannte.

Als ich das Verteidigermandat übernahm, war Ewald G. schon vom Amtsgericht Leonberg "wegen Vergehens der Dienstflucht i. S. des § 37 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst" zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten, ohne Bewährung, verurteilt. Seine strafbare Handlung wurde darin gesehen, daß er seiner Einberufung zum Dienst bei einem staatlichen Erziehungsheim nicht nachgekommen war. Der Amtsrichter hatte einige Mühe gehabt, den Sinn einer Strafe zu begründen, da er die 'unerschütterliche Festigkeit' der, wenn auch 'irrigen', Glaubenshaltung des Angeklagten erkannt hatte. Und so schrieb er ins Urteil, es gehe allein darum, 'daß die hartnäckige Weigerung, sich dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst zu beugen, geahndet werden muß'.
… In dem Verfahren gegen Ewald G. konnte ich leider noch nicht aus der vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen im April 1964 herausgegebenen 'Partei-Justiz' betitelten Schrift zitieren - in späteren Verfahren habe ich es getan -, die sich als 'vergleichende Dokumentation über den nationalsozialistischen und kommunistischen Rechtsmißbrauch in Deutschland' vorstellte und ein Kapitel über die Verfolgung der Zeugen Jehovas im Hitler-Reich und in der DDR enthielt. Da wurde, so als ob es in der BRD Vergleichbares nicht gäbe, der Empörung über die Bestrafung von Zeugen Jehovas durch die DDR-Justiz Ausdruck gegeben, die ihre Freiheit einbüßten; 'einfach weil beiden totalitären Systemen ihre religiöse Überzeugung staatsfeindlich erschien.'

Für den Richter und die Schöffen der Stuttgarter Strafkammer war der Vergleich mit Ulbrichts 'Unrechtsstaat' wohl auch zu 'starker Toback' gewesen. Sie hatten meinen Ausführungen über die Behandlung der Ernsten Bibelforscher in Hitlers Unrechtsstaat mit steinernen Gesichtern zugehört. Ihre rechtsstaatliche Selbstgewißheit blieb unberührt von jedem Zweifel, als sie die vom Amtsrichter verhängte zweimonatige Gefängnisstrafe für Ewald G. bestätigten.

Der Angeklagte lebe in der 'irrigen Meinung' er könne die Ableistung des zivilen Ersatzdienstes mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Frage, ob durch eine Maßnahme die Freiheit des Gewissens verletzt werde, könne nicht nach subjektiven, sondern nur nach objektiven Maßstäben beurteilt werden. Anders als der Amtsrichter hatten Richter und Schöffen der Strafkammer auch keine Schwierigkeiten mit dem Strafzweck. Es gehe um eine 'generalpräventive', also um eine abschreckende Wirkung der Strafe. Auch ist die Rede von der 'Gefährlichkeit des Verhaltens des Angeklagten für die Allgemeinheit.'

Der im Gerichtssaal anwesende Vater meines Mandanten weinte bei der Urteilsverkündigung. Ich versuchte zu trösten, es gebe ja noch die Revisionsinstanz. Und ich legte gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision ein, über die das Oberlandesgericht zu entscheiden hatte. …
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart gab mir nur insoweit recht, als ich mich gegen den Anspruch des Landgerichts gewandt hatte, die Gewissensentscheidung des Angeklagten nach 'objektiven Maßstäben' als irrig beurteilen zu können. Aber das Revisionsgericht widersprach meiner Auffassung, daß die Glaubens- und Gewissensfreiheit den Vorrang vor der staatlich verordneten Ersatzdienstpflicht habe. Der Staat trete in seinen Anforderungen dem einzelnen nicht mehr wie im Zeitalter des fürstlichen Absolutismus als fremder 'Staatsapparat' entgegen, sondern sei mit der Gemeinschaft identisch, deren Glied der einzelne sei. Ohne Unterordnung unter die Anforderungen dieser Gemeinschaft sei für den einzelnen ein Leben innerhalb der modernen Zivilisationsgesellschaft nicht denkbar. - Große Worte dunklen Inhalts, die mich mit dem unguten Gefühl erfüllten, Ähnliches schon mal irgendwo gelesen zu haben, als noch das Hohelied der Volksgemeinschaft gesungen wurde.

Ich rief für den Fliesenleger Ewald G. das Bundesverfassungsgericht mit der Verfassungsbeschwerde an, dessen 1. Senat unter seinem damaligen Präsidenten Dr. Müller und unter Mitwirkung der Richter Dr. Bergler, Dr. Stein, Ritterspach, Dr. Haager, Rupp-von Brünneck und Dr. Böhmer am 4. Oktober 1965 einstimmig beschloß:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen."
Nachdem Hannover auch mit seiner Verfassungsbeschwerde gescheitert war, versuchte er ein letztes mal, durch eine Publikation in der Zeitschrift "Vorgänge" (Heft 10/1966) auch die Öffentlichkeit zu alarmieren. In seiner Sachstandsdarstellung band er dabei bewusst auch die Vergleiche zu Hitlerdeutschland und der DDR mit ein. Der Fall Fliesenleger G. war allerdings schon mit der gescheiterten Verfassungsbeschwerde endgültig zu den Akten gelegt. Und die damit verbundenen Kosten, die er als Unterlegener selbstredend alleine zu tragen hat, dürften wohl seine Ambitionen auf weitere gerichtliche Kapriolen endgültig demotiviert haben. Und auch Hannover merkt an, dass er nach vorgenanntem letztinstanzlichen Urteil keinen Kontakt zu seinem, bis dato, Mandanten mehr hatte.

Im weiteren Verlauf schildert Hannover, wie sich die Sachlage erst ab 1968 zu entspannen begann; genauer erst ab 1969 durch Einfügung des § 15a in das Zivildienstgesetz, mit der Mogelpackung, freiwilliges Arbeitsverhältnis in einem Krankenhaus oder ähnliches. Auch diese Lösung wird von Hannover kritisch bewertet, wenngleich er den Fortschritt gegenüber dem davor bestehenden Zustand, durchaus anerkennt.

In seinem abschließenden Kommentar äußert er dann noch:
"Da zeigte sich, daß es letztlich nur um die Durchsetzung des förmlichen Rituals staatlicher Autoritätsentfaltung ging, dessen Nichtbeachtung konservativen Geistern nun einmal unerträglich ist und deshalb bestraft werden muß, egal ob die Regelverletzung in der Nichtbegründung eines staatlich verordneten Arbeitsverhältnisses oder in der Weigerung besteht, einen leeren Hut zu grüßen (Schillers 'Wilhelm Tell')."

Als liberal gesinntem Rechtsanwalt lag auch Heinrich Hannover sehr viel daran, dass Maximum für seine Mandanten herauszuholen. Wenn er also vorstehend beklagt und den Staat bezichtigt ein "förmliches Ritual staatlicher Autoritätsentfaltung" um jeden Preis durchgesetzt zu haben. Dann wäre da wohl bloß noch hinzuzufügen. Genau dieser Vorwurf autoritärer Machtenfaltung ist auch auf eine andere Adresse übertragbar, deren Name n i c h t "der Staat" lautet!



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