Geschrieben von D. am 18. Mai 2002 18:22:41:
Als Antwort auf: Re:
Holbach Teil II geschrieben von D. am 18.
Mai 2002 11:42:18:
Paul Thiry d Holbach
Religionskritische Schriften
(Auszüge aus dem 1970 erschienenen Buch)
- Ohne Kommentar - bewusst ohne Kommentar - Letzterer sei dem Leser überlassen!
Briefe an Eugenie
Oder Schutzmittel gegen die Vorurteile
305:
Überall sind die hinterlistigen Diener der Religion offen oder insgeheim Feinde der
Vernunft gewesen, weil sie stets bemerkten, daß die Vernunft ihren Absichten
zuwiderläuft. Überall verleumdeten sie die Vernunft, weil sie zu Recht fürchteten, daß
die Vernunft ihre Herrschaft durch die Aufdeckung ihrer Ränke und der Nichtigkeit ihrer
Fabeln zerstört. Überall waren sie bestrebt, auf den Trümmern der Vernunft die
Herrschaft des Fanatismus und der Einbildung aufzurichten.
307:
Tatsächlich sehen wir recht oft, daß die aufgeklärtesten Menschen für immer in den
Vorurteilen ihrer Kindheit befangen bleiben.
Mit einem Wort, alles beweist uns, daß nichts schwieriger ist, als sich von den
Begriffen zu lösen, die uns in unserer Jugend eingeflößt worden sind.
Sie brauchen sich also nicht einer Schwäche zu schämen, die sie fast mit aller Welt
gemeinsam haben und von der nicht einmal die größten Menschen ausgenommen sind.
308:
Die religiösesten Menschen sind selten die liebenswertesten und die geselligsten. Da die
Frömmigkeit, selbst die aufrichtigste, diejenigen, welche von ihr ergriffen sind,
lästigen Andachtsübungen unterwirft, da sie deren Einbildungskraft mit unheimlichen und
niederdrückenden Gegenständen erfüllt, da sie deren Eifer antreibt, ist sie kaum
geeignet, den Frommen die ausgeglichene Laune, die milde Sanftmut und die Anmut zu geben,
die für die Gesellschaft so wertvoll sind.
310:
Die empfindlichsten und mitfühlendsten Menschen halten sich ganz ehrlich für
verpflichtet, hart zu sein, sich Gewalt anzutun, die Natur zu unterdrücken, um sich gegen
diejenigen grausam zu zeigen, die man ihnen als Feinde ihrer Denkweise bezeichnet.
Erkennen Sie zum Beispiel in den Verfolgungen, denen in Frankreich die Protestanten so oft
ausgesetzt waren, die Sanftmut unseres Volkes und seiner Regierung wieder? Finden Sie in
den Quälereien, den Einkerkerungen, den Ausweisungen, die man heutzutage über die
Jansenisten verhängt, Vernunft, Gerechtigkeit, Menschlichkeit? Wenn diese jedoch jemals
stark genug würden, um ihrerseits Verfolgungen anstellen zu können, so würden sie ihre
Gegner zweifellos nicht gerechter und milder behandeln.
312:
Ist es nicht seltsam, daß diejenigen, deren Beruf es ist, sich selbst in der Religion zu
unterrichten, um andere darin zu unterweisen, zugeben, daß sie deren Dogmen selbst nicht
verstehen, und dennoch dem Volk hartnäckig aufdrängen wollen, was sie nach ihrem eigenen
Eingeständnis nicht begreifen! Würden wir wohl Vertrauen zu einem Arzt haben der uns -
nachdem er zugegeben hat, daß er sein Handwerk nicht versteht - dennoch einreden möchte,
wie ausgezeichnet seine Heilmittel sind? Das jedoch tun unsere geistlichen Quacksalber
täglich.
324:
Aber alle jene Antworten, welche die Theologen unaufhörlich im Munde führen, dienen nur
dazu, die hervorragenden Ideen, die sie uns von der Gottheit geben, mehr und mehr zu
vernichten. Aus ihren Antworten folgt in der Tat, daß Gott sich wie ein eigenwilliger
Herrscher benimmt, dem es genügt, einigen Günstlingen Gutes zu erweisen, und der sich
für berechtigt hält, seine übrigen Untertanen zu vernachlässigen und sie im
schrecklichsten Elend schmachten zu lassen.
343:
Dieser Gott ist nur damit beschäftigt aufzubauen, um zu zerstören, zu vernichten, um
wiederaufzurichten; gleich einem Kinde, das seiner Spielsachen überdrüssig wird,
zerstört er unaufhörlich das, was er geschaffen hat, zerbricht er das, was der
Gegenstand seiner Begierden war. Keine Voraussicht, keine Beständigkeit, keine Harmonie
in seinem Verhalten, keine Verbindung und keine Klarheit in seinen Reden; wenn er handelt,
billigt er einmal das, was er geschaffen hat, ein andermal bereut er es; er erzürnt und
ärgert sich über das, was er zu machen erlaubt hat; er duldet trotz seiner unendlichen
Macht, daß der Mensch ihn beleidigt; er läßt zu, daß Satan, sein Geschöpf, alle seine
Pläne durchkreuzt.
345:
Ein System, das von falschen Prinzipien ausgeht, kann immer nur zu einer Anhäufung von
Unrichtigkeiten führen.
357:
Und man hat Zuflucht genommen zur Allmacht Gottes, zu seinem höchsten Willen und zu
Wundern, die immer die letzte Rettung der Theologen sind, wenn sie sich nicht mehr aus der
Affäre zu ziehen wissen.
369:
Sie werden mich vielleicht fragen, ob es, wenn man die Idee einer künftigen Welt
zerstört, noch Gewissensbisse geben kann, also jene Strafen, die für den Menschen so
nützlich sind und so geeignet, ihn im Zaum zu halten. Ich antworte, daß es immer
Gewissensbisse geben wird, auch wenn man die entfernte und ungewisse Rache der Gottheit
nicht mehr zu fürchten braucht. Jeder Mensch, dessen Vernunft nicht völlig getrübt ist,
merkt sehr wohl, daß er sich bei den anderen verhaßt macht, daß er ihre Feindschaft
fürchten muß, wenn er Verbrechen begangen hat, wenn er sich von seinen Leidenschaften
fortreißen ließ, wenn er sich weigerte, ihnen Gutes zu tun, wenn er sein Mitleid
erstickte; er schämt sich also, weil er von ihnen verachtet und verabscheut wird. Er
weiß, daß er ständig ihrer Wertschätzung und ihrer Hilfe bedarf. Die Erfahrung beweist
ihm, daß auch seine verborgensten Laster ihm selbst schaden; so muß er stets
befürchten, daß seine schändlichen Laster und seine geheimen Verbrechen, die er
vielleicht begangen hat, durch einen unglücklichen Zufall aufgedeckt werden. Aus all
diesen Ideen erwachen sowohl Reue als auch Gewissensbisse selbst bei denen, die nicht an
die Hirngespinste eines künftigen Lebens glauben.
370:
Das wahre Mittel, auf Erden glücklich zu leben, besteht darin, andere glücklich zu
machen; seinesgleichen glücklich zu machen heißt tugendhaft zu sein.
374:
Wenn Sie mich fragen, wie es möglich war, daß sich die Menschen nicht gegen so viele
wiedersinnige und unverständliche Träumereien empörten, so werde ich Ihnen meinerseits
erklären, worin dieses große Mysterium, das Geheimnis der Kirche, das Mysterium unserer
Priester, besteht.
Man muß nur die allgemeinen Neigungen des Menschen, besonders wenn er unwissend und zum
Nachdenken unfähig ist, aufmerksam betrachten. Jeder Mensch ist neugierig. Sobald man die
Dinge, die man ihm als für sein Glück wichtig hinstellt, mit einem Geheimnis umgibt,
wird seine Neugier angestachelt, und seine Einbildungskraft beginnt zu arbeiten. Der
Pöbel verachtet, was er kennt und was er zu begreifen vermag. Das Mittel, ihn für sich
einzunehmen, besteht darin, ihn zu blenden, ihm Wunder und außergewöhnliche Dinge zu
verkündigen. Er bewundert und achtet nur das, was sein Erstaunen bewirkt, seine
Einbildungskraft reizt und seinen Geist beschäftigt, der selbst meist keine Ideen hat.
Man wird also immer den Priester, die die meisten Wunder und Mysterien verkünden, am
begierigsten lauschen; sie werden vom Volk am besten aufgenommen, am meisten geachtet und
am besten bezahlt.
381:
Jene Priester merkten bald, daß sie für sich selbst arbeiteten, wenn sie für die
Götter arbeiteten, und daß sie sich die Geschenke und die Opfer zunutze machen konnten,
die man den Wesen darbrachte, die niemals erschienen, um das zu fordern, was für sie
bestimmt war.
Auf diese Weise haben die Priester mit der Gottheit gemeinsame Sache gemacht. Ihre
Politik zwang sie also, die Irrtümer des Menschengeschlechts zu begünstigen und zu
vermehren. Sie sprachen von diesem unbestimmbaren Wesen wie von einem eifersüchtigen, von
Eitelkeit und Selbstsucht erfüllten Monarchen, der nur gibt, damit auch ihm gegeben
werde; der ständig die Zeichen der Unterwerfung, der Achtung und der Ergebenheit, die man
ihm entgegenbringt, sehen und wiederholt haben will; der um seine Gunst gebeten sein will
und der sie, um sie kostbarer zu machen, nur den ganz Eifrigen erweist und sich besonders
durch Geschenke besänftigen und gewinnen läßt, aus denen seine Priester Nutzen zu
ziehen wissen.
382:
Wenn nun jemand einen solchen Menschen nach dem Grund seines Verhaltens fragt oder von ihm
wissen will, warum er dieses Verhalten zu einer wichtigen und heiligen Pflicht gemacht
hat, so wird er nur sagen können, daß man ihn von Kindheit an gelehrt hat,
ehrfurchtsvoll die Bräuche zu achten, die heiliggehalten werden müssen, da sie ihm
unverständlich sind. Wenn man ihn über diesen gewohnheitsmäßigen Flitterkram
aufzuklären sucht, so wird er entweder nicht darauf hören, oder er wird sich gegen
denjenigen erzürnen, der den in seinem Gehirn verwurzelten Begriffen widerspricht. Jeder
Mensch, der ihn zum gesunden Verstand zurückführen und gegen die Gewohnheiten, die er
angenommen hat, angehen will, wird ihm lächerlich und unvernünftig erscheinen, oder er
wird ihn sogar als einen Ketzer und Gotteslästerer von sich weisen.
385:
Würden sie tatsächlich die angeblichen Pflichten, welche die Religion Ihnen auferlegt,
mit unvoreingenommenen Augen prüfen, so müßten Sie eingestehen, daß sie allein den
Priestern nützen, für Gott und die Gesellschaft aber, der sie häufig offensichtlich
Verderben bringen, gleichermaßen nutzlos sind.
389:
Diese religiösen Übungen, die sich die meisten Menschen zur Hauptsache machen, drängen
gewöhnlich die wahren Pflichten der Moral völlig zurück; sind die Frommen religiös, so
sind sie doch sehr selten tugendhaft: sie sind damit zufrieden, das erfüllt zu haben, was
die Religion fordert und sorgen sich sehr wenig um das Übrige. Sie glauben von Gott
geliebt zu werden, und kümmern sich kaum darum, ob sie von den Menschen verachtet werden,
oder sie tun nichts, um deren Liebe zu erringen. Das gesamte Leben eines Frommen ist damit
ausgefüllt, daß er peinlich genau die Pflichten erfüllt, die einem Gott gleichgültig,
dem Frommen selbst unbequem und für die anderen nutzlos sein müssen.
392:
Die guten Christen können mit jenem Philosophen aus dem Altertum verglichen werden,
welcher, da er die Augen unaufhörlich auf die Sterne gerichtet hatte, in einen Brunnen
fiel, den er vor seinen Füßen nicht sah.
397:
Prüfen wir ohne Vorurteil die Quelle einer Unzahl von Übeln in unserer Gesellschaft, so
werden wir sehen, daß sie auf die unheilvollen Spekulationen der Religion
zurückzuführen sind, welche die Menschen mit Schwärmerei, Fanatismus und Wahnsinn
erfüllen und sie auf diese Weise blind, unbesonnen und zu Feinden ihrer selbst und der
anderen machen.
402:
Der Gott der Christen hat wie der Janus der Römer zwei Gesichter: einmal stellt man ihn
uns unter den Zügen der Güte dar, zum anderen zeigt man ihn uns dürstend nach Rache,
Zorn und Grausamkeit.
403:
In der Theorie freilich predigt das Christentum zwar Nachsicht, Duldsamkeit, Eintracht und
Frieden, aber in der Praxis üben die Christen niemals diese Tugenden, es sei denn, sie
sind nicht stark genug, ihrem vernichtenden Eifer freien Lauf zu lassen. In der Tat zeigen
die Christen nur denen gegenüber die allgemeinen Gefühle der Menschlichkeit, die ebenso
denken wie sie und die gleichen Dinge zu glauben vorgeben; sie hegen einen mehr oder
weniger großen Abscheu gegen alle, die nicht alle theologischen Spekulationen ihrer
Priester teilen.
Mit einem Wort, nirgends herrscht aufrichtige Toleranz. Die Priester der
verschiedenen Sekten lehren die Christen von Kindheit an, sich gegenseitig zu mißtrauen
oder sich sogar um theologischer Fragen willen, die niemand jemals verstehen wird zu
hassen.
416:
Sind denn jene endlosen Auseinandersetzungen, in die sich unsere tiefsinnigen Metaphysiker
verstricken, für die Völker, die nichts davon verstehen, von Interesse? Hat das Volk von
Paris oder in den Provinzen irgendwelche Vorteile davon, wenn sich unsere Gottesgelehrten
untereinander darüber streiten, was man von der Gnade zu halten habe?
417:
Im Gegenteil, würde man die Priester entsprechend ihrem Verdienst bezahlen, würde man
ihre Funktionen entsprechend ihrem wahren Wert einschätzen, so fände man vielleicht,
daß sie keinen besseren Lohn verdienen als jene Kurpfuscher, welche an den Straßenecken
Heilmittel feilbieten, die gefährlicher sind als die Leiden, welche sie zu heilen
versprechen.
430:
Mit einem Wort: ein guter Christ ist ein Mensch des Jenseits; für unsere Welt ist er
nicht geschaffen.
439:
Mit einem Wort, wenn man in der Bibel einige Gebote einer gesunden und nützlichen Moral
findet, so findet man dort ebenfalls alles, womit man die schrecklichsten Verbrechen
rechtfertigen kann.
444:
Wenn man also fragt, was man an die Stelle der Religion setzen könnte, so würde ich
antworten: eine vernünftige Moral, eine rechtschaffene Erziehung, vorteilhafte
Gewohnheiten, klare Prinzipien und weise Gesetze, die auch die Bösen beeindrucken, sowie
Belohnungen, die zur Tugend ermuntern.
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