Geschrieben von D. am 18. Mai 2002 11:42:18:
Als Antwort auf:
Holbach Teil I geschrieben von D. am 18. Mai
2002 11:37:15:
Paul Thiry d Holbach
Religionskritische Schriften
(Auszüge aus dem 1970 erschienenen Buch)
- Ohne Kommentar - bewusst ohne Kommentar - Letzterer sei dem Leser überlassen!
Das entschleierte Christentum
oder Prüfung der Prinzipien und Wirkungen der christlichen Religion
124:
In den vielgerühmten Geboten und Ratschlägen, die Jesus Christus uns gegeben hat, finden
wir schließlich nur überspannte Leitsätze, deren Anwendung unmöglich ist, Regeln, die
wörtlich befolgt, der Gesellschaft schaden würden. In jenen Geboten aber, die wirklich
angewendet werden können, finden wir nichts, was nicht den Weisen der Antike ohne die
Hilfe der Offenbarung schon besser bekannt war.
Dem Messias zufolge besteht sein ganzes Gesetz darin, Gott über alles zu lieben und
seinen Nächsten wie sich selbst. Ist dieses Gebot möglich? Einen zornerfüllten,
launischen, ungerechten Gott lieben, den Gott der Juden lieben! Einen ungerechten,
unversöhnlichen Gott lieben, der grausam genug ist, seine Geschöpfe auf ewig zu
verdammen! Das fürchterlichste Wesen lieben, das der menschliche Geist jemals
hervorbringen konnte! Ist ein derartiges Wesen etwa geeignet, im Herzen des Menschen ein
Gefühl der Liebe zu wecken? Wie soll man lieben, was man fürchtet? Wie soll man einen
Gott verehren, unter dessen Geißel man zittern muß? Belügt man sich nicht selbst, wenn
man sich einredet, ein so furchteinflößendes, zur Empörung reizendes Wesen zu lieben?
Seinen Nächsten wie sich selbst lieben, ist das ehr möglich? Es liegt in der Natur
jedes Menschen, vor allen anderen sich selbst zu lieben. Seine Nächsten liebt er
überhaupt nur nach Maßgabe dessen, was sie zu seinem eigenen Glück beitragen. Er ist
tugendhaft, wenn er seinem Nächsten Gutes tut, er ist großmütig, wenn er ihm seine
Eigenliebe opfert. Er liebt ihn aber immer nur um der nützlichen Eigenschaften willen,
die er in ihm findet. Er kann ihn nur lieben, wenn er ihn kennt, und seine Liebe zu ihm
muß sich nach den Vorteilen richten, die ihm daraus erwachsen.
125:
Seine Feinde zu lieben ist also ein unmögliches Gebot. Man kann es sich versagen, dem,
der einem schadet, Böses zu tun; aber die Liebe ist eine Regung des Herzens, die nur in
uns erwacht angesichts eines Gegenstandes, den wir als vorteilhaft für uns ansehen.
Die Christen mögen doch aufhören, uns die Vergebung des Unrechts als ein Gebot zu
rühmen, das nur von einem Gott habe ausgehen können und das die Göttlichkeit seiner
Moral beweise! Pythagoras hatte lange vor dem Messias gesagt, man räche sich an seinen
Feinden nur, indem man sich bemüht, sie zu Freunden zu machen; und Sokrates sagte im
"Kriton", daß es keinem Menschen gestattet sei, sich mit einem neuen Unrecht
für ein erhaltenes Unrecht zu rächen.
126:
Ganz allgemein kann man sagen, daß Fanatismus und Schwärmerei die Grundlage der Moral
Christi bilden.
Das Christentum ist fortwährend damit beschäftigt, entweder die Menschen durch
bedrohliche Schrecken zu entwürdigen oder sie mit leichtfertigen Hoffnungen zu
berauschen.
Wie man sieht, erfordert diese Tugend (Glauben) einen totalen Verzicht auf den gesunden
Menschenverstand, eine widersinnige Anerkennung unwahrscheinlicher Tatsachen, eine blinde
Unterwerfung unter die Autorität der Priester, der einzigen Bürgen für die Wahrheit der
Dogmen und Wunder ...
127:
Diese Tugend, obgleich für alle Menschen notwendig, ist dennoch eine Gabe des Himmels und
die Wirkung einer besonderen Gnade. Sie verbietet Zweifel und Prüfung; sie beraubt den
Menschen der Fähigkeit, seine Vernunft zu gebrauchen, und der Freiheit zu denken. Sie
beschränkt ihn auf eine tierische Stumpfheit gegenüber Dingen, von denen man ihm
nichtsdestoweniger einredet, sie seien die wichtigsten für sein ewiges Glück. Hieran
erkennt man, daß der Glaube eine Tugend ist, die von Menschen erfunden wurde, die das
Licht der Vernunft fürchten ...
128:
Die Wissenschaft war und wird stets ein Gegenstand des Hasses für die christlichen
Gelehrten sein. Sie wären ihre eigenen Feinde, wenn sie die Weisen liebten.
130:
Es war immer erlaubt, Hinterlist, Betrug und Lüge anzuwenden, sobald es darum ging, die
Sache Gottes zu verteidigen. Die jähzornigsten, heftigsten, verdorbensten Menschen sind
für gewöhnlich am eifrigsten.
Das ökumenische Konzil zu Konstanz ließ Johannes Hus und Hieronymus von Prag trotz
des kaiserlichen Geleitbriefes verbrennen. Mehrere Christen haben gelehrt, daß man
Ketzern gegenüber sein Wort nicht zu halten brauche. Die Päpste haben hundertmal von den
Eiden und Versprechungen entbunden, die man Irrgläubigen gemacht hat. Die Geschichte der
Religionskriege zwischen Christen zeigt uns Verrätereien, Grausamkeiten, Treulosigkeiten,
die in anderen Kriegen ohne Beispiel sind. Wenn man für Gott kämpft, ist alles
gerechtfertigt. In diesen Kriegen sieht man nichts als an Mauern zerschmetterte Kinder,
hingeschlachtete schwangere Frauen ...
131:
Für einen Christen war ein Ungläubiger niemals mehr als ein Hund. Daß sich die
Christlichen Nationen die Besitzungen der Bewohner der Neuen Welt widerrechtlich
angeeignet haben, ist augenscheinlich eine Folge der jüdischen Ideen. Die Kastilien und
Portugiesen hatten offensichtlich die gleichen Rechte, sich Amerika und Afrikas zu
bemächtigen, wie die Hebräer sie hatten, sich zu Herren über die Länder der Kanaaniter
zu machen, die Bewohner zu vernichten oder in die Sklaverei zu führen.
Der heilige Augustinus lehrt uns, daß nach göttlichem Recht alles den Gerechten
gehört - ein Leitsatz, der sich auf eine Stelle aus den Psalmen stützt, die besagt, daß
die Gerechten die Frucht der Arbeit der Gottlosen essen werden ... Man weiß, daß der
Papst durch eine Bulle, die er für die Könige von Kastilien festlegte, welche die
Eroberungen regelte, die jeder von ihnen in den von Ungläubigen bevölkerten Ländern
gemacht hatte.
132:
Es scheint, als habe das Christentum nur den Vorsatz, niederträchtige, für die Welt
nutzlose Sklaven hervorzubringen, denen blinde Unterwerfung unter ihre Priester jede
Tugend ersetzt.
133:
Als Folge dieser fanatischen Ideen bevölkerten sich, vor allem in den ersten Zeiten des
Christentums, Wüsten und Wälder mit vollkommenen Christen, die der Welt entsagten und
damit ihren Familien den Beistand und ihrem Vaterland die Bürger entzogen, um sich einem
müßigen und beschaulichen Leben hinzugeben. Daher diese Scharen von Betbrüdern und
Klostermönchen, die sich unter den Fahnen verschiedener Schwärmer für ein dem Staate
nutzloses oder sogar schädliches Heer anwerben ließen.
134:
Mit einem Wort, das Christentum scheint sich die Aufgabe gestellt zu haben, in allem die
Natur und die Vernunft zu bekämpfen. Wenn es irgendwelche Tagenden anerkennt, die vom
gesunden Menschenverstand gutgeheißen werden, will es sie stets übertreiben. Das
Christentum hält nie jene richtige Mitte, die das Merkmal der Vollkommenheit ist.
Wollust, Ausschweifung, Ehebruch, mit einem Wort, die verbotenen und schändlichen Freuden
sind offensichtlich Dinge, denen jeder, der auf seine Erhaltung bedacht ist und die
Achtung seiner Mitmenschen erwerben will, widerstehen muß. Die Heiden haben diese
Wahrheit erkannt und gelehrt, trotz der Zügellosigkeit der Sitten, die das Christentum
ihnen vorwirft. Die christliche Religion, mit diesen vernünftigen Lebensregeln
unzufrieden, empfiehlt das Zölibat.
135:
Wenn wir die Vernunft zu Rate ziehen, werden wir feststellen, daß die Freuden der Liebe
uns selber schaden, wenn wir ihnen mit Maßlosigkeit frönen, und daß sie zum Verbrechen
werden, wenn sie anderen schaden. Wir werden erkennen: ein Mädchen verführen bedeutet
sie zu Schande und Ehrlosigkeit verurteilen und ihr die Vorteile der Gesellschaft
entziehen. Wir werden feststellen, daß der Ehebruch ein Eingriff in die Rechte eines
anderen ist, der die Vereinigung der Gatten zerstört, zumindest Herzen entzweit, die
bestimmt waren, einander zu lieben. Wir werden aus diesen Tatsachen schließen, daß die
Ehe als einziges Mittel, auf ehrbare und rechtmäßige Weise das Bedürfnis der Natur zu
befriedigen, die Gesellschaft zu vermehren, sich eine Stütze für das Alter zu
verschaffen, ein viel ehrenwerterer und geheiligter Zustand ist als jenes zerstörerische
Zölibat, jene freiwillige Kastration, die das Christentum die Dreistigkeit hat, in eine
Tugend zu verwandeln.
Es ist offensichtlich, daß die christliche Religion in der Ehe einen Zustand der
Unvollkommenheit sieht. Vielleicht rührt das daher, daß Jesus Christus der Sekte der
Essener angehörte, die ähnlich wie die Mönche der Neuzeit der Ehe entsagten und sich
dem Zölibat weihten. Diese Ideen sind wahrscheinlich von den ersten Christen übernommen
worden, die nach den Prophezeiungen Christi jeden Augenblick das Ende der Welt erwarteten
und es daher als unnütz ansahen, Kinder zu haben und die Bande zu vervielfältigen, die
sie an eine zum Untergang bestimmte Welt fesselten. Wie dem auch sei, der heilige Paulus
sagt, daß es besser ist zu freien, den Brunst zu leiden ... Jesus selbst hat lobend von
denen gesprochen, die sich zu Eunuchen machten um des göttlichen Reiches willen. Origenes
nahm diesen Rat oder dieses Gebot wörtlich. Der heilige Märtyrer Justinus sagt, daß
Gott von einer Jungfrau geboren werden wollte, um die gewöhnliche Zeugung, welche die
Frucht einer ungesetzlichen Begierde ist, abzuschaffen. Daß das Christentum die
Vollkommenheit ans Zölibat bindet, war einer der Hauptgründe, weshalb es aus China
verbannt wurde. Eduard der Bekenner enthielt sich seiner Frau während seines ganzen
Lebens. Die Vorstellung, daß die Vollkommenheit an die Keuschheit gebunden ist, war die
Ursache des allmählichen Aussterbens des sächsischen Königshauses in England. Der
heilige Mönch Augustinus, Apostel der Engländer, befragte Papst Gregor, wieviel Zeit ein
Mann brauche, der mit seiner Frau verkehrt habe, um wieder die Kirche betreten und in die
Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen zu werden.
136:
Das Zölibat, den Priestern der römischen Kirche vorgeschrieben, scheint das Ergebnis
einer sehr raffinierten Politik der Päpste zu sein, die ihre Priester diesem Gesetz
unterwarfen. Zunächst sollte es die Verehrung der Völker steigern, die glaubten, daß
ihre Priester nicht Menschen von Fleisch und Blut wie die anderen seien. Um anderen
zerriß man, indem man den Priestern die Ehe verbot, jene Bande, die sie an Familie und
Staat fesselten, um sie einzig und allein an die Kirche zu binden, deren Güter dadurch
nicht geteilt und immer als Ganzes erhalten wurden. Durch das Zölibat sind die Priester
der römischen Kirche so mächtig und so schlechte Bürger geworden. Das Zölibat macht
sie in gewisser Weise unabhängig. Sie sind nicht genötigt, an ihre Nachkommenschaft zu
denken. Ein Mann, der Familie hat, hat Bedürfnisse, die einem Unverheiratetem unbekannt
sind, für den mit seinem Tode auch alles andere zu Ende ist. Die größten Fürsprecher
des priesterlichen Zölibats waren immer jene Päpste, die am ehrgeizigsten waren. So
bemühte sich Gregor VII. Mit höchstem Eifer, es durchzusetzen. Wenn die Priester sich
verheiraten konnten, so würden die Könige und Fürsten sich bald selbst zu Priestern
machen, und der Papst fände in ihnen keine genügend gehorsamen Untertanen mehr. Das
Zölibat ist es, dem die Hartherzigkeit, die Unmenschlichkeit, die Halsstarrigkeit, der
unruhestiftende Geist zu verdanken sind, die man der katholischen Geistlichkeit von jeher
vorgeworfen hat.
137:
Scheint die Kirche mit dem Verbot der Ehe zwischen Verwandten nicht auch gleichzeitig
verboten zu haben, daß diejenigen, die sich vereinigen wollen, einander genau kennen und
allzu innig lieben?
138:
Alle Tugenden, die das Christentum bewundert, sind entweder überspannt und fanatisch oder
bezwecken nur, den Menschen zu erniedrigen und ihn furchtsam und unglücklich zu machen.
141:
Kein anderer Glaube hat jemals seine Anhänger vollständiger und andauernder von seinen
Priestern abhängig gemacht als das Christentum. Sie verloren ihre Beute nie aus den
Augen. Sie ergriffen immer die geeignetsten Maßnahmen, um die Menschen zu versklaven und
sie zu zwingen, etwas zu ihrer Macht, ihrem Reichtum, ihrer Herrschaft beizusteuern.
142:
Das Leben der Christen ist ein Kreislauf von Zügellosigkeiten und periodischen Beichten.
Allein die Priesterschaft zieht Nutzen aus diesem Brauch, der sie befähigt, eine absolute
Herrschaft über das Gewissen der Menschen auszuüben.
143:
In einigen christlichen Sekten scheint sich die Religion bemüht zu haben, den Tod für
den Menschen noch tausendmal bitterer zu machen. Ungerührt tritt der Priester ans Bett
eines Sterbenden, um ihn in Unruhe zu versetzen. Unter dem Vorwand, ihn mit Gott zu
versöhnen, läßt er ihn das Schauspiel seines Todes im voraus kosten.
Man braucht sich nur ein wenig in der Geschichte umzusehen, so wird man finden, daß
sich die christlichen Priester in alles haben einmischen wollen: Die Kirche als gute
Mutter kümmerte sich um die Kopfbedeckung, die Haartracht, die Kleidung und das Schuhwerk
ihrer Kinder. Im 15. Jahrhundert nahm sie Anstoß an den spitzen Schuhen, die man damals
Schnabelschuhe nannte. Der heilige Paulus hatte bereits zu seiner Zeit bestimmte
Haartrachten verboten.
Nichts ist barbarischer als die Bräuche der römischen Kirche bezüglich der
Sterbenden. Die Sakramente lassen mehr Leute sterben als Krankheiten und Ärzte.
144:
Mit Hilfe des Dogmas vom Fegefeuer und der Wirksamkeit der kirchlichen Gebete, um diesem
zu entgehen, ist s der römischen Kirche oft gelungen, die Familien ihrer reichsten
Erbschaften zu berauben. Oft enterbten gute Christen ihre Verwandten, um ihren Besitz der
Kirche zu geben.
150:
Das sind die Vorteile, welche die christliche Religion der Gesellschaft einbringt. Sie
bildet einen unabhängigen Staat im Staate. Sie macht die Völker zu Sklaven. Sie
begünstigt die Tyrannei der Herrscher, wenn diese der Religion willfährig sind; sie
wiegelt die Untertanen auf und macht sie zu Fanatikern, wenn die Fürsten nicht gefügig
genug sind. Befindet sich die Religion in Übereinstimmung mit der Politik, so richtet sie
die Nationen zugrunde, erniedrigt sie, macht sie arm und beraubt sie der Wissenschaft und
des Gewerbefleißes; wenn sie sich von der Politik trennt, macht sie die Bürger
ungesellig, aufsässig, intolerant und rebellisch.
Wenn man nur ein wenig nachrechnet, so wird man bemerken, daß in Italien, Spanien,
Portugal und Deutschland die geistlichen Einkünfte nicht nur diejenigen der Herrscher,
sondern auch die der übrigen Bürger überschreiten. Man sagt, daß es allein in Spanien
mehr als 500 000 Priester gibt, die über ungeheure Einkünfte verfügen.
Es ist sicher, daß der König von Spanien nicht den sechsten Teil dieser Gelder für
die Verteidigung des Staates zur Verfügung hat. Wenn die Mönche und Priester für ein
Land notwendig sind, muß man zugeben, daß der Himmel sich die Gebete ziemlich teuer
bezahlen läßt.
151:
Lactantius sagt, ein Christ dürfe weder Soldat noch Kläger sein ... die Quäker und
Mennoniten tragen keine Waffen, sie sind konsequenter als andere Christen.
Der heilige Papst Gregor ließ zu seiner Zeit heidnische Bücher in großer Zahl
vernichten. Zu Beginn des Christentums sehen wir, daß sich der heilige Paulus Bücher
bringen ließ, um sie verbrennen zu lassen.
152:
Mit einem Wort, würde man mit aller Strenge den Leitsätzen des Christentums folgen, so
könnte kein Staatswesen existieren. Sollte man an dieser Behauptung zweifeln, dann höre
man sich an, was die ersten Kirchenväter sagen, und man wird sehen, daß ihre Moral mit
der Erhaltung und Macht eines Staates völlig unvereinbar ist. Man wird erfahren, daß
nach Lactantius kein Mensch Soldat sein darf, daß nach dem heiligen Justinus kein Mensch
sich verheiraten darf, daß nach Tertullian kein Mensch Beamter sein darf, daß nach dem
heiligen Chrysostomus niemand Handel treiben, daß vielen anderen zufolge niemand
studieren soll. Vereinigt man schließlich diese Grundsätze mit denen des Welterlösers,
so wird sich daraus ergeben, daß ein Christ, der nach Vollkommenheit strebt, wie er soll,
das nutzloseste Glied seines Landes, seiner Familie und seiner ganzen Umgebung ist. Er ist
ein müßiger Grübler, der nur ans Jenseits denkt, mit den Interessen dieser Erde nichts
gemein hat und nichts inniger ersehnt, als sie schnell zu verlassen.
Lactantius zeigt, daß die Vorstellung vom nahen Ende der Welt einer der Hauptgründe
für die Ausbreitung des Christentums gewesen ist.
154:
Es gab zu allen Zeiten Menschen, die aus den Irrtümern der Welt ihren Gewinn zu ziehen
verstanden. Die Priester aller Religionen fanden Mittel, auf den Ängsten des gemeinen
Volkes ihre eigene Macht, ihre Reichtümer und ihre Größe zu begründen.
158:
Die Interessen der Priesterschaft wurden auf diese Weise von denen der Gesellschaft
getrennt. Menschen, die ihr Leben Gott geweiht hatten und auserwählt waren, seine Diener
zu sein, waren keine Staatsbürger mehr; sie wurden mit den weltlichen Untertanen nicht
auf eine Stufe gestellt; die Gesetze und bürgerlichen Gerichtshöfe besaßen keine Macht
über sie; nur von Menschen ihrer eigenen Körperschaft wurden sie gerichtet. Deshalb
blieben die größten Frevel oft ungestraft. Sie waren Gott allein unterworfen, und ihre
Person war daher unverletzlich und geheiligt.
159:
Denn täuschen wir uns nicht: das Christentum, noch nicht zufrieden damit, den Menschen
Gewalt anzutun, um sie äußerlich seinem Kult zu unterwerfen, hat die Kunst erfunden, das
Denken zu tyrannisieren und das Gewissen zu martern, eine Kunst, die jedem heidnischen
Aberglauben fremd war.
160:
Anstatt sich mit nützlichem Wissen zu beschäftigen, kümmerten sich die Theologen stets
nur um ihre Dogmen. Anstatt die wahre Moral zu erforschen und die Völker mit ihren
wirklichen Pflichten bekannt zu machen, suchten sie nur Anhänger zu gewinnen. Die
Priester des Christentums vertrieben sich ihren Müßiggang mit nutzlosen Spekulationen
über eine barbarische und rätselhafte Wissenschaft, die sich unter dem Namen
Gotteswissenschaft oder Theologie die Ehrfurcht des gemeinen Volkes erwarb.
161:
In fast allen Jahrhunderten beklagte man sich lauthals über die Mißbräuche der Kirche;
man sprach davon, sie zu ändern. Doch trotz dieser angeblichen Reformen der Kirche an
Haupt und Gliedern blieb sie immer korrumpiert.
162:
Überall läßt die herrschende Sekte die anderen ihre Überlegenheit auf grausame Weise
fühlen.
164:
Die katholischen Nationen sind in Europa die unwissendsten und die am meisten versklavten.
Die religiöse Sklaverei zieht die politische Sklaverei nach sich. Die Priester der
römischen Kirche scheinen den Herrschern den gleichen Vorschlag zu machen wie der Teufel
Jesus Christus als er ihn in der Wüste versuchte ... Wir werden dir alle deine
Untertanen, an Händen und Füßen gebunden, ausliefern, wenn du dich unseren
Hirngespinsten unterwerfen willst.
166:
Alles, was bisher gesagt wurde, beweist klar und deutlich, daß die christliche Religion
einer gesunden Politik und dem Wohlergehen der Nationen widerspricht. Sie kann nur
uneinsichtigen und tugendlosen Fürsten von Vorteil sein, die es für ihre Pflicht halten,
über Sklaven zu herrschen, und die sich, um die Völker ungestraft tyrannisieren und
ihnen das Fell über die Ohren ziehen zu können, mit der Priesterschaft verbünden, deren
Funktion es stets war, sie im Namen des Himmels zu betrügen.
167:
Die Religion ist die Kunst, die Menschen durch Schwärmerei trunken zu machen, um sie
daran zu hindern, sich mit den Übeln zu befassen, mit denen ihre Herrscher sie hienieden
plagen. Mit Hilfe unsichtbarer Mächte, mit denen man ihnen droht, zwingt man sie,
schweigend alles Elend zu erleiden, das ihnen von sichtbaren Mächten zugefügt wird. Man
läßt sie hoffen, daß sie in einem anderen Leben glücklicher sein werden, wenn sie sich
mit einem unglücklichen Dasein in dieser Welt abfinden.
170:
Ein paar nutzlose Bekehrungen, einige fruchtlose und späte Reuebekenntnisse, einige
wertlose Entschädigungen, können sie den fortwährenden Zwistigkeiten, den blutigen
Kriegen, den gräßlichen Metzeleien, den Verfolgungen und unerhörten Grausamkeiten die
Waage halten, für welche die christliche Religion seit ihrer Begründung Ursache und
Vorwand war? Gegen einen verborgenen Gedanken, den sie ersticken will, bewaffnet diese
Religion ganze Völker, die sich gegenseitig vernichten. Sie trägt den Aufruhr in die
Herzen von Millionen Fanatikern; sie bringt Unruhe in die Familien und Staaten; sie
tränkt die Erde mit Tränen und Blut.
Holbach Teil III
Parsimony.2576
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