Geschrieben von + am 24. Dezember 2007 00:09:
Als Antwort auf: Re: Tagebuch eines Toten - Allein geschrieben
von + am 23. Dezember 2007 00:33:
Der Tod hat mich übersehen.
Mir ist es überhaupt nicht mehr ums viele reden.
Der Tag war heiß und blutig.
Nachmittags versuchte der Feind unseren Graben von der linken Flanke aufzurollen, wurde
jedoch vom Stp. X aus, der erblöst lag, durch Inf.Feuer und Handgranaten aufgehalten und
verjagt.
Das Hintergelände sowie unsere Artillerie wurden völlig vergast.
Abends 06.30 setzte der Feind 2 Stoßtrupps gegen Stp. X an.
Er wurde durch Inf.- und Sperrfeuer zurückgehalten.
Die in unserem Sperrfeuer zurückflutenden feindl. Inf.-Massen ließen erkennen, dass
wiederum ein starker Angriff angesetzt war.
Verluste 1 Offz. und 2 Mann tot, 12 Mann verwundet und 2 Mann vermisst, doch zeigte sich
bei dem kleinen Rest der Kp. ein berechtigter Stolz, seine Stellung gegen dreimaligen
übermächtigen Angriff behauptet zu haben.
Die Kp. Liegt bei heftiger Beschießung durch alle Kaliber in einem offenen Graben.
Abermals starke Verluste.
Es muss wohl so um Acht Uhr herum gewesen sein, vielleicht auch etwas vor- oder
nachher, ich bin mir nicht mehr sicher, und es spielt auch keine Rolle, verstummte der
Kanonendonner.
Waffenstillstand.
Alles steht still, sogar die Erde drehe sich nicht mehr um ihre Achse.
Die Stille eines Friedhofs, eine Grabesstille, eine Stille, die einen wahnsinnig macht,
die etwas Unheimliches an sich hat.
Diese Stille ist schlimmer als der Schlachtenlärm.
Ich wage es nicht meine Augen zu schließen, denn dann sehe ich sie - die schrecklichen
Bilder der Toten und Verstümmelten, vor meinem Auge.
Der Schlachtlärm übertönte wenigstens die Schreie und Rufe der sterbenden, die in mir
weiter toben.
Lieber Albert!
Mein geliebter Sohn!
Ich weiß nicht ob Dich diese Worte jemals erreichen werden, aber Du bist der letzte an
den ich meine Worte noch richten könnte.
Bitte, vergess mich nicht!
Albertchen
Rache ist nutzlos.
Weine nicht um mich.
Vergeude nicht Dein Leben meinetwegen.
Ich habe erkannt, dass Patriotismus nicht genug ist.
Ich will keinen Hass oder Bitterkeit gegenüber anderen empfinden.
Ich bin nur noch müde so entsetzlich müde.
Wer wird schon nach mir suchen.
Nach jemanden suchen, der schon vor Jahren gestorben ist.
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Mein Name ist Albert Martin
Ich bin 19 Jahre alt.
Wir schreiben das Jahr 1936.
Ein Soldat namens Christinecke machte uns ausfindig obwohl wir als Mitglieder der
Vereinigung ernster Bibelforscher enteignet und von unserem Hof vertrieben wurden.
Mein Vater Bruno Martin verstarb am 25.Oktober 1918 an Erschöpfung.
Achtzehn Tage bevor die Waffen ab dem 11.November 1918 endgültig schwiegen.
Christinecke übergab mir die persönlichen Habseligkeiten meines Vaters mit den
Briefen und einer abgegriffenen Broschüre die mit den Worten beginnt:
Mein Name ist Bruno Martin
Ich bin 19 Jahre alt.
Morgen werde ich zum Militärdienst einberufen.
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"Wachtturm" 1. 1. 1998
Seite 32
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