Re: "GEMEINSCHAFTSENTZUG"


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von X am 30. September 2007 21:49:

Als Antwort auf: Re: "GEMEINSCHAFTSENTZUG" geschrieben von X am 29. September 2007 21:55:

Zitate:
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Brücke zum Menschen 1990/I 101/102 S.39-41

(3)

BzM: ,Kommen wir nun zu einem anderen Komplex. Was veränderte sich in den Beziehungen zu den Zeugen außerhalb eurer Familie?'

Michael: ,Die ZJ außerhalb der Familie sind dazu angehalten von der Organisation, einen nicht mehr zu grüßen, gar nicht mehr zu sprechen und eigentlich den Kontakt zu meiden. Sie gingen auf die andere Straßenseite, wenn man sie sah, sie grüßten einen nicht. Ich bekam am Anfang immer leichtes Herzklopfen, wenn ich einen ZJ sah, und das hat sich bis heute eigentlich auch nicht geändert.
Ich kann eine kurze Situation erzählen: Eine Frau kam mir entgegen, eine Zeugin, sie sprach mich an, und ich sagte ihr dann: ,Du weißt doch, daß Du mit mir nicht sprechen darfst. Es ist besser für Dich, wenn Du das nicht tust.' Also, man versucht, das Gewissen der ZJ zu sein; so war es am Anfang. Es fällt mir heute noch schwer, mit ZJ zu sprechen, weil ich immer weiß, daß sie etwas nach ihren Richtlinien Verkehrtes tun, wenn sie mit mir sprechen.'

Gerhard: ,Bei mir war es so, daß alle Zeugen (bis auf eine Ausnahme) jeglichen Kontakt mit mir sofort abbrachen. Was mich so besonders getroffen hat war, daß auch Menschen, mit denen ich zum Teil jahre- und jahrzehntelang befreundet gewesen war, die Freunschaft von einer Minute zur anderen abbrechen konnten.
Bei Begegnungen mit mir bekannten ZJ auf der Straße habe ich bis heute ein ungutes Gefühl. Natürlich hat sich schon etwas geändert im Laufe der Zeit. Ich habe, denke ich, inzwischen soviel Selbstbewußtsein, um mit solch demonstrativer Mißachtung fertig zu werden. Auch kann ich heute mit ZJ, die mich kennen, ganz normal umgehen.'

BzM: ,Hielten sich denn alle euch bekannten Zeugen an diese Regeln? Und hat sich daran im Laufe der Zeit etwas geändert?'

Michael: ,In gewisser Hinsicht hat sich schon etwas geändert. Ich denke z.B. an Telefonanrufe bei uns, gerade auch von ZJ, die mich vorher nicht kannten, die noch jung in der Organisation sind, daß sie sich ganz anders verhielten; aber auch alte Bekannte grüßten mich teilweise freundlich, so daß ich mich selbst gewundert habe und mir das eigentlich nicht erklären konnte. Eigentlich dürften sie es immer noch nicht, auch wenn der Ausschluß schon Jahre zurück liegt. Soweit ich den WT und die Schriften der ZJ verfolgt habe, hat sich an dieser Regel nichts geändert. Ich weiß nicht, wie die einzelnen ZJ das begründen, aber das ist vielleicht gerade etwas, was für uns als ehemalige Zeugen typisch ist, daß wir diese Organisationsregeln sehr streng sehen, während es ZJ gibt, gerade auch solche, die schon lange dabei sind, die diese eben nicht als starre Paragraphen ansehen.'

Gerhard: ,Ich habe in den Jahren nach meiner Trennung immer wieder einmal die WT-Schriften gelesen. An den Organisationsregeln gegenüber getauften ehemaligen Zeugen, die ausgeschlossen wurden oder sich selbst abwandten, hat sich wenig geändert. Und die Reaktion der mir bekannten ZJ sind bis heute gleich geblieben, d.h. sie ,kennen' mich nach wie vor nicht. Die Erfahrungen eines freundlichen Umgangs, von denen Michael sprach, habe ich bisher nicht gemacht.
Allerdings habe ich inzwischen einige ZJ und Ehemalige kennengelernt, die mir erzählten, daß auch sie die Umgangsformen der ZJ ihren Abweichlern gegenüber als unwürdig und unmenschlich empfunden haben bzw. empfinden.'

BzM: ,Haben diese Erfahrungen etwas verändert an eurer Einstellung zu anderen Menschen?'

Michael: ,Als Zeugen Jehovas haben wir gelernt, die Welt in ,Gläubige' und ,Ungläubige' aufzuteilen, in Zeugen Jehovas und (Noch-)Nicht-Zeugen.
Und in dieser Beziehung habe ich mein Verhalten als Christ schon geändert. Anderen, die das von mir gesprochene Glaubensbekenntnis nicht nachsprechen können, oder die meine Erfahrungen mit Gott, die ich gemacht habe, so nicht erlebt haben, spreche ich nicht das Christsein ab. Vielmehr versuche ich, trotz ihres Andersseins und Andersdenkens mit ihnen im Gespräch zu bleiben.'

Gerhard: ,Diese menschlich schwierigen Erfahrungen haben dazu beigetragen, mich sensibler zu machen für Gefühle anderer, besonders derer, die man an den Rand gedrängt hat.'

BzM: ,Eine letzte persönliche Frage:
Wenn ihr noch einmal an dem Scheideweg wäret, wenn es nochmals darum gehen würde, ZJ zu bleiben oder sich zu trennen, wenn ihr all das, was ihr erlebt habt berücksichtigt, würdet ihr nochmals so entscheiden, wie ihr es getan habt?'

Michael: ,Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, daß gerade diese schwere Form der Trennung, die die WTG einem aufdrängt, auch ihr Gutes hat, nämlich daß die Trennung ziemlich schnell kommt und daß man merkt, daß nur auf Gott ganz allein Verlaß ist.'

Gerhard: ,Ich würde mich auch nochmals so entscheiden. Obwohl ich die Folgen damals noch nicht absehen konnte, bin ich nach wie vor froh, diesen Schritt vollzogen zu haben.'

Teil 19


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