Re: 8. 9. 1957 (Vor fünfzig Jahren)


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 08. September 2007 02:08:

Als Antwort auf: Re: 1. 9. 1957 (Vor fünfzig Jahren) geschrieben von Drahbeck am 02. September 2007 08:48:48:

Wenn man den „Spiegel" oder ähnliches liest, weis man. Man liest ein politisch orientiertes Blatt. Was ist nun, wenn man das „Erwachet!" der Zeugen Jehovas liest?
Nicht unbedingt jene Ausgaben selbigen aus der Gegenwart (das sei schon eingeräumt. Die Ausgaben der Gegenwart sind wohl eher in die Rubrik einzuordnen: „Gut geeignet das vor Langeweile auch die „Füsse einschlafen"). Kaum etwas was da einem „wirklich vom Hocker reißen würde".

Aber die „Erwachet!"-Ausgaben aus den 1950er Jahren muss man schon anders bewerten. Neben ihrer prinzipiellen Kopierei etwa aus „Reader's Digest", enthielten sie auch ausgesprochene Politik-Elemente.

So auch die „Erwachet!"-Ausgabe vom 8. 9. 1957, bei der man mindestens zwei (genauer sogar noch erheblich mehr) Beiträge politischer Art nachweisen kann.
Etwa
„Weitere antikommunistische Strömungen in China";
oder „Landeskongreß der ungarischen KP",
oder in der Rubrik Hauptartikel besonders auch beachtlich „Seato tagt in Australien".

Alle genannten Beiträge könnten (fast) abstrichslos so auch im „Spiegel" oder ähnlichem gestanden haben. Lese ich letzteren weis ich, der „hängt sich schon mal aus dem Fenster". Der legt es fallweise auch auf die Konfrontation an, und muss damit rechnen (erinnert sei an die Kontroverse des Franz Josef Strauß mit selbigem), dass es auch harte Auseinandersetzungen deshalb geben kann.

Ist es nun Aufgabe einer Religionsgemeinschaft, hier eben der Zeugen Jehovas, sich in gleicher Weise zu exponieren? Wussten letztere nicht, dass sie im Ostblock zu der Zeit nicht gerade „gut gelitten" waren? Sicher, sie wussten es! Wenn trotz dieses Umstandes, sie sich in die aktive Politik mit „reinhängten" kam dies einem zusätzlichen Öl ins Feuer gießen gleich.

Das mag denn auch die nachfolgende Meldung aus dieser „Erwachet!"-Ausgabe verdeutlichen. Würde man selbige wortwörtlich so auch in „Spiegel" (als Beispiel) lesen, kann man nur sagen. Okay, der weis was er tut.
Aber in einem Religionsgemeinschafts-Organ, noch dazu in der akuten zeitgeschichtlichen Konstellation, ist dieser Beitrag mehr als verfehlt. Es sei denn, man will selbst bewusst und aktiv in der Politik mitmischen. Dann aber braucht man sich auch nicht mehr zu wundern, dass es „aus dem Wald auch zurückhalt".

Nochmals betont. Zum Inhalt. Ist das eine „Spiegel"-Meldung dann okay. Aber es war eben eine Religionsgemeinschafts-Meldung.

Selbige berichtete unter der Überschrift:
„Ausbootung im Moskauer Polizeipräsidium" das nachfolgende:
„Die Revolution hat wieder einmal „ihre eigenen Kinder gefressen". So geschah es, daß in dem Machtkampf im Kreml vier Hauptpersonen, nämlich Molotow, Malenkow, Schepilow und Kaganowitsch, ausgebootet wurden. In den Moskauer Kommunique hieß es als Erklärung:

„Das Präsidium des Zentralkomitees und das ganze Zentralkomitee berichtigten geduldig die erwähnten Genossen und bekämpften deren Fehler, in der Hoffnung, daß sie nicht auf ihnen bestehen und sich nicht in Gegensatz zur gesamten führenden Körperschaft der Partei stellen würden. Trotzdem haben sie ihre falsche antileninistische Haltung beibehalten. Sie haben eine konservative Haltung angenommen und hartnäckig an veraltete Formen und Arbeitsmethoden gehalten, die nicht mehr den Interessen des Fortschritts in der Richtung zum Kommunismus entsprechen.

Sowohl auf dem Gebiete der inneren Fragen als auch in außenpolitischen Angelegenheiten sind sie Sektierer und Dogmatiker. Sie verständigten sich auf einer parteifeindlichen Grundlage und gingen darauf aus, die Politik der Partei zu ändern und ihr die verurteilten, irrigen Führungsmethoden wieder aufzuzwingen. Sie wandten Methoden der Intrige an und bildeten eine Verschwörung gegen das Zentralkomitee. So wurde die „parteifeindliche Gruppe" einmütig vom Zentralkomitee verurteilt. Molotow, Malenkow und Kaganowitsch wurden aus dem Zentralkomitee ausgeschlossen und Schepilow seines Postens als Sekretär des Zentralkomitees enthoben. Auch verloren sie ihre Ministerposten. Diese Gruppe gab dann auch ihre Verschwörung und die schädliche Art ihrer parteifeindlichen Umtriebe zu.

Diese Vorgänge stellen die wichtigste Änderung auf höchster Ebene der sowjetischen Politik seit dem Tode Stalins dar. Von westlichen Beobachtern (Hervorbung von mir) wurden sie auch als große Überraschung gewertet. Der Umstand, daß das Zentralkomitee eine derart schwerwiegende Maßnahme traf, zeigte, daß der Kampf zwischen den beiden Richtungen viel erbitterter war, als die demokratische Fassade, die nach Stalins Tode errichtet wurde, hätte ahnen lassen.

Die „New York Times" berichtete nach dieser „Säuberungsaktion", daß der Sieger eindeutig Chruschtschew sei, aber der stalinistische Charakter der Säuberung außerhalb jeder Debatte stehe.
„Der wesentliche Charakter der Sowjetunion hat sich nicht geändert. Sie ist noch immer eine totalitäre Diktatur, in der sich eine kleine Gruppe erfolgreich alle Macht über das sowjetische Volk anmaßt."

In Belgrad und Warschau zeigte man sich sehr befriedigt über diese Ablösung. In Polen ist man von der vollständigen Niederlage der Stalinisten überzeugt, die mit allen Mitteln bestrebt waren, die Politik Gomulas zu bremsen.
Einige Zeit nach der Ausbootung wurde dem ehemaligen Ministerpräsidenten Malenkow vorgeworfen, ein Verbrechen organisiert zu haben, für das bereits einige seiner Helfer mit dem Tode bestraft wurden. Malenkow soll einer der Hauptorganisatoren der Leningrader Affäre gewesen sein. Schwernik sagte, daß die schuldigen „Fraktionäre" in den Müllkasten der Geschichte geworfen würden. Chruschtschew nannte Schepilow einen „Karrieristen" und ein „schamloses doppelzüngiges Individuum", während er Malenkow als den „Schlimmsten von allen" bezeichnete. Dadurch, daß Marschall Schukow in das Zentralkomiteee aufgenommen wurde, sicherte sich Chruschtschew die Rückendeckung durch die Armee."


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