"Dieter Nuhr-Verschnitt"

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 26. Juni 2007 07:27:42:

"Dieter Nuhr-Verschnitt"
(Bitte die Anführungsstriche beim Titel beachten)

Jene Leute, welche da im deutschsprachigem Raum (und wohl nicht nur dort) auf den Universitäts-Lehrstühlen sitzen, haben zwar auch eine Biographie. Indes in ihrer Sozialisation wird man wohl kaum je einen vorfinden, der da sagen kann.
Auch die Zeugen Jehovas seien Teil der eigenen Sozialisation gewesen. Über die Zeugen Jehovas wissen diese hochgestellten Persönlichkeiten kaum mehr als wie ein Dieter Nuhr, der da mal in einem Sketch kundtat.

Wenn bei ihm zu Hause die Zeugen Jehovas klingeln würden. Dann würde er sie nicht einfach wegschicken. Nein, er würde sie hereinbitten, ihnen einen Kaffee kredenzen und sich eine Stunde lang vom Weltuntergang erzählen lassen, "weil das so schon schaurig sei". Und immer dann wenn denn seine Besucher meinten, "jetzt haben wir ihn missioniert", würde er ins Gespräch einwerfen:
"Ich glaube, der Mensch ist für die Ekstase gemacht." Und an der Reaktion seines Besuches würde er dann erkennen. Jetzt dämmert es denen. Das mit der "Missionierung" klappt hier wohl nicht so recht.

Wer sind denn die, die da auf den Universitäts-Lehrstühlen sitzen? Nochmals die Eingangsfrage aufnehmend. Spezifizieren wir das doch mal etwas näher. Reden wir nicht von "den" Universitäts-Lehrstühlen. Reden wir von einem konkret zu benennenden. Den der Universität Basel in der Schweiz. Ohne die dortigen Herrschaften persönlich zu kennen, würde ich mir doch eine Charakterisierung jener Herrschaften zutrauen. Und diese Charakterisierung wäre. Gutbürgerlichen äußeren Verhältnissen zugehörig.

Nun hat sich offenbar einer (heute) ebenfalls "gutbürgerlichen" Verhältnissen Zugehöriger, der da in der Tat mal eine Zeugen Jehovas-bezügliche Biographie hatte, auch in ihre Gefilde "verirrt". Und gleich einem Dieter Nuhr befanden auch sie. Der könnte uns doch auch mal eine Stunde lang vom Weltuntergang erzählen, weil das "so schon schaurig ist". Das nun nicht wörtlich zu verstehen, sondern eben dem Universitätsrahmen angepasst. Sprich man befand (ein Bürgerlicher hilft dem anderen Bürgerlichen). Den "Erzähler" küren wir zum Doktor, wenn er uns für unseren Geschmack das "schaurig genug" kredenzt.

In die Alltagspraxis übersetzt heisst dass dann wohl. Vor allem die eigenen Theorien, und "Quellenbelege" möchte man dann doch aus dem Munde des Doktoranden wiederholt haben. Macht er das wie gewünscht, soll der Lohn der Promotion dann nicht ausbleiben.

Für 49,90 Euro kann man nun solch ein Selbstbeweihräucherungsprojekt selbst "bewundern" (der Buchhandel macht es möglich), so man denn will. Ich allerdings (der ich meine auch eine ZJ-Phase in meiner Biographie hinter mir zu haben) kann mich allerdings des Eindruckes nicht erwehren. Das mit der Selbstbeweihräucherung hat wohl vorzüglich geklappt. Und das war es dann auch schon.

Natürlich findet man in dieser Studie auch solche Begriffe wie:
Leon Festingers Theorie der kognitiven Dissonanz oder Milgram-Experiment. Nur die kannte unsereins auch schon vorher. Dazu wäre die Investition der 50 Euro nicht zwingend notwendig gewesen.

Also ich kann mich nicht erinnern, mit einer relevanten Ausnahme, in den letzten Jahren Zeugen Jehovas-bezügliches von Bruno D... registriert zu haben. Und wenn es doch solches gegeben haben sollte, ist es jedenfalls nicht zu meiner Kenntnis gelangt. Die genannte relevante Ausnahme befindet sich heute noch im Internet. Dieser D...'sche Text ließ einiges erhoffen.

Gemessen an dieser Hoffnungserwartung erweist sich das nun vorliegende D...'sche Buch als Enttäuschung. Warum das so ist, meine ich schon verdeutlicht zu haben. Es ist D... offenbar nicht gelungen, gegenüber dem universitären Umfeld, in das er da ja zeitweilig mit eingebunden wurde, selbstbewusst genug aufzutreten. Und es ist ihm offenbar auch nicht gelungen, den an ihn herangetragenen Erwartungshorizont. "So nun rede uns mal schon nach dem Munde. Erzähl nur das, was "w i r" hören möchten." Dieser Umfeld vermochte er offenbar nicht entschieden genug zu widerstehen.

Er hat damit sicherlich den Anforderungen seiner Mentoren Genüge geleistet. In der Sache indes ein enttäuschendes Endergebnis abgeliefert. Es sind zwar so rund 370 Seiten Buchpapier "vollgefüllt" worden. An geschraubten Wendungen in ihm mangelt es auch nicht. Indes was denn als "Nutzen" nach der Lektüre übrig bleibt, hält sich für meinen Begriffe in sehr bescheidenen Grenzen.

Natürlich gibt es auch in diesem Fall wieder die obligaten "Fragebogen" und ihre "Auswertung". Partiell auch Interviews. Ähnliches kannte man schon von der Studie der Frau Neitz. Oder auch nicht zu vergessen der Studie von Frau Rauchfleisch und noch einiger anderer.
(Stefanie Rauchfleisch; Franziska Weibel: Kindheit in religiösen Gruppierungen - zwischen Abgrenzung und Ausgrenzung Edition Soziothek, Bern 2002 (zugleich Diss).
Nun also ordnet sich auch Herr D... dieser Kontinuitätslinie zu.

Der Praxiswert jener Theorien, die denn seine Mentoren so gerne hören wollten, wird in einem bei D... als beiläufiger Exkurs angeordnete Anmerkung deutlich.
Zitat:
"Die Kontroverse um »Gehirnwäsche« und »Deprogrammierung«
Der Begriff Gehirnwäsche verdankt seine Entstehung einem Missverständnis im Zusammenhang mit der chinesischen Indoktrinierung amerikanischer GIs während des Koreakrieges. Viele Amerikaner waren damals schockiert zu hören, dass einige ihrer gefangenen Soldaten während der Gefangennahme antiamerikanische Äusserungen gemacht hatten und dass sogar einige wenige sich weigerten, in ihre Heimat zurückzukehren, als der Krieg beendet war. Edward Hunter, ein Journalist, der später bekannte, als CIA Undercover Agent tätig gewesen zu sein, hatte für diese seltsamen Vorgänge den Begriff geprägt. Er behauptete, die chinesischen Kommunisten hätten eine neuartige, intensive und heimtückische Methode der Indoktrinierung erfunden, die tatsächlich imstande sei, den Bewusstseinszustand jener zu verändern, auf die sie angewandt werde und die sie hsi nao (buchstäblich: Gehirn waschen) nannten."

Wenn man sich denn mit solchen Theorien - auf Zeugen Jehovas-Verhältnisse übertragen - zufrieden gibt, dann mag man wohl das Wohlbefinden der Bürgerlich-Saturierten auf den Unversitätsstühlen befördert haben, wäre mein Kommentar dazu. Indes in der Zeugenfrage hat man damit nichts bis Nullkommanichts, "bewegt". Mein Schlussresümee wäre.

Wer denn die Befindlichkeit der Bürgerlich-Saturierten, denen man auch in der Ex-ZJ-Szene begegnen kann (nicht zuletzt etwa bei Infolink). Wer deren Befindlichkeit als Wertmaßstab zur Beurteilung der Zeugenfrage an die oberste Stelle setzt, hat das Thema verfehlt. Er hat in der Sache zwar nichts falsches gesagt. Das sicherlich nicht. Aber er trifft einfach nicht den entscheidenden "Nerv". Spätestens bei der auch zahlenmßig deutlich sichtbaren Zunahme fremdsprachiger Bevölkerungsanteile unter den Zeugen Jehovas in Deutschland, wird (oder kann) wieder deutlich werden, was die Zeugen Jehovas zu allen Zeiten primär waren. Eine vorrangige Unterklassen-Religion. Die heutigen (den zweiten und dritten Generationen usw.) dem Mittelstande soziologisch Angehörenden, vergessen eines. Das sie heute zum "Mittelstand" zählen, ist eben auch einer der wesentlichen Aspekte ihrer eigenen Abnabelung von der WTG-Religion.

Bis indes die neuen von der WTG-Religion rekrutierten soziologischen Unterschichten soweit sind, das Teile ihrer zweiten und dritten Genaration (wenn überhaupt) auch mal zum Mittelstand "aufsteigen". Das kann dauern, und nochmals dauern

Zurück zum zu besprechenden Autor.
Er spendet sich zwar selber Lob, und das war es dann! Auch D... ist diese Tendenz nicht fremd. Schon sein Internettext kündet davon, wenn er darin davon redet, während seiner Zeugenzeit nur durch ein "Doppelleben" über die Runden gekommen zu sein.

Da seine Studie, laut Untertitel eine "Psychoimmunologische Studie zu den Zeugen Jehovas" sein will, wird man sicherlich seiner Beobachtung zustimmen können:
"Obwohl die Gemeinschaft - ideologisch betrachtet - den Ausgeschlossenen ignorieren sollte, scheint von ihm eine merkwürdige Faszination auszugehen, der die Gläubigen, wenn sie sich nicht in Acht nehmen, erliegen könnten. Der Ton, mit der in der Literatur der WTS über ehemalige Zeugen Jehovas, über Abtrünnigkeit und Abtrünnige gesprochen wird, übertrifft an Schärfe und Deutlichkeit noch die an sich schon nicht sehr zimperlichen Aussagen über andere »Gegner der Wahrheit«. (S. 198f.)

Und dann zitiert er dazu diverse Belegstellen aus der WT-Literatur. Diesen Aspekt seiner Beobachtung würde ich durchaus zustimmen. Ein weiterer Kommentar von ihm:
... Das Hauptproblem des Internets für das dogmatische System der Zeugen Jehovas ist, wie diese detaillierten Hinweise zeigen, die Möglichkeit zu unkontrollierbarer »Gemeinschaft mit Weltmenschen« sowie - noch schlimmer - der ungefilterte Zugang zum »Gedankengut von Abtrünnigen«. Keine der bis hierher dokumentierten Immunisierungsstrategien wird von der WTS derart offensiv und kompromisslos verfolgt wie die Ausgrenzung ehemaliger Mitglieder und damit die Kontrolle von Informationen, deren Quelle sie sind. Und bei keiner anderen Strategie der Kritikabwehr ist die immunologische Redeweise so dominant, wie wenn es darum geht, sich vor der »Abtrünnigkeit« zu schützen." (S. 204f.)

Über sich selbst äußert der Autor, und dass ist vielleicht auch interessant;
"Meine Mutter konvertierte, als ich sechs Jahre alt war, während der Vater zeitlebens ein erbitterter Gegner blieb. Ich wuchs also in einem - wie die Zeugen Jehovas sagen - »geteilten Hause« auf. Als junger Erwachsener liess ich mich taufen und wurde auch bald zu einem »Ältesten« ernannt. Zu Beginn der 90er Jahre verliess ich aus freien Stücken die Gemeinschaft" (S.213)

Das muss man dann ja wohl auch noch sagen. D... beschreibt, wie vorzitiert, die Sachverhalte, relevanter Art, richtig. Aber trotz (oder gerade wegen) seiner mit vielerlei Vokabeln, nicht unbedingt volkstümlicher Art (dies wiederum als Reverenz an das universitäre Umfeld). Trotz seiner geschraubten Schreibweise, hat auch er kein "Patentrezept" zu bieten, wie denn die von ihm richtig beschriebenen Sachlagen, positiv geändert werden können. Jedenfalls habe solch ein "Patentrezept" bei ihm ich nicht registriert. Wenn dass nun so ist, bleibt letztendlich die Frage offen. Wem nützt eine "geschraubte Schreibweise"?

Sofern sich ein "einfacher Zeuge" zu seinem Buch hin verirren sollte. Das als Antwort darauf. "Dem" nützt diese geschraubte Schreibweise sicherlich nicht viel.

Banal, aber durchaus charakteristisch für die kritisierte "geschraubte Schreibweise" empfinde ich z. B. seine auf Seite 343 formulierte;
"These 2: Die Immunität aktiver Zeugen Jehovas gegenüber Kritik und Zweifel am Glaubenssystem ist ein empirisch nachweisbares Phänomen."

A ja. Das wusste man eigentlich auch so. Dazu bedurfte man allerdings nicht der vorzitierten D...'schen "Formulierungskünste".

Auch noch so ein "klassisch formulierter" Weisheitssatz:
"Mitglieder der Glaubensgemeinschaft, deren religiöse Identität aus unterschiedlichen Gründen zerbricht oder schon zerbrochen ist, halten weiterhin an ihrer Mitgliedschaft fest, obwohl sie in mancher Hinsicht dysfunktional und mit erheblichen Konflikten oder gar Leiden verbunden ist." (S. 345)

Benötigt man zu solcherart Weisheit die Formulierungskünste eines Herrn D...?

Als Exkurs noch eine Notiz zum Literaturverzeichnis bei D...:
Am Rande vermerkt, als Anmerkung zum bei D... mit abgedruckten Literaturverzeichnis, Marke "Schweizer Käselöcher". Das er die Schriften, etwa von Frau Ursula Neitz mit nennt, kann ich durchaus nachvollziehen. Liegen doch selbige auf einer ähnlichen "Wellenlänge" wie seine eigene Studie. Insbesondere die WTG indes dürfte es freuen, in Form von Herrn D... auch einen willigen Diskriminierungsgehilfen gegenüber Gebhard bekommen zu haben. Denn letzterer existiert für D... weder in Buch - noch Webseiten-Form.

Dafür gibt es aber im D...'schen Literaturverzeichnis "Ersatz". Etwa in Form des Buches von Frau Marion Bayerl (immer noch über den Buchhandel erhältlich, zum ebenfalls "sozialen" Preis von 64.75 Euro). Der Haken ist dann wohl der, dass ich, abgesehen von der Preisfrage, zu Bayerl eine entschieden andere Meinung zum Wert ihrer Studie habe, als etwa Herr D... dies durch ihre Erwähnung, (und anderweitige Nichterwähnung) dokumentiert.

Nun mag Herr D... sich damit trösten. Er nannte ja auch nicht den Herrn H., oder den Herrn D. usw. Das stimmt zwar. Dafür aber brachte es Herr G. zur "Ehre" auch von D... genannt zu werden.
Die Webseite "Infolink" bringt es "mit Ach und Krach" gerade mal noch bei D..., zur gelegentlichen Miterwähnung, verbaler, kaum aber "inhaltlicher" Art. Damit "erschöpft" sich für Herrn D... (abgesehen vielleicht von "Infosekta") auch schon das Potential WTG-kritischer Webseiten, dass bis in seinen näheren "Bewusstseinshorizont" hingelangte.

Als weiterer Exkus noch eine Notiz zu jenem Zeugen Jehovas bezüglichen Text von D..., der im Internet verfügbar ist.
Im August 1996 besuchte er nach längerer Pause, erstmals wieder einen Kongresse der Zeugen Jehovas in München. Die „Pause" ist dahingehend zu deuten, dass er sich von der WTG-Religion inzwischen „abgenabelt" hat. Heute nennt er sich laut seiner Verlagsvita: „Psychologe und Inhaber des Kulturbetriebes sphères in Zürich".
Seine damaligen Kongresseindrücke brachte er auch zu „Papier" (etwas genauer formuliert zu „Internet". Siehe dazu beispielsweise;
www.infosekta.ch/is5/gruppen/jz_deckert1996.html

In seinen seinerzeitigen „Kongress-Impressionen" konnte man auch lesen:
„(Vor 24 - in Worten vierundzwanzig - Jahren war ich das letzte - und bislang einzige Mal - hiergewesen, Internationaler Kongress der Zeugen Jehovas, ein Jahr nach den Olympischen Spielen."
Über sich selbst sagt er weiter:
„Zeuge Jehovas sein hiess für mich, ein konsequentes Doppelleben zu führen. Es war (mit den Jahren) eine Art Überlebensstrategie, eine existentielle Notwendigkeit, oder besser: meine Not-Lösung, solange Lebensumstände, Einsicht und Mut sich noch nicht zu der Konstellation gefügt hatten, die den Entscheid, den Sprung möglich machte."

Zu den Eindrücken, die er auf jenem Kongress sammelte gehört dann wohl auch der:
„Die erste dieser Linien ist psychologischer Natur und hat mit dem kollektiven Grundbefinden der Wachtturm-Gesellschaft resp. der Zeugen Jehovas als Weltgemeinschaft zu tun. Mir fiel auf, wie die Wachtturm-Gesellschaft in den letzten Jahren (noch) selbstbewusster, in ihrem Selbstverständnis (noch) selbstsicherer, oder - wenn man es weniger wertneutral sagen möchte - (noch) arroganter geworden ist."

Und wohl auch dieser Satz gehört mit zu seinen Kongress-Impressionen:
„Die Sprache der Wachtturm-Gesellschaft ist ein stehendes, ein trübes Wasser. ...
Wer auf dieser Woge nicht schwimmen, die 'richtigen' Gefühle und Einstellungen nicht (mehr) mobilisieren kann, hat einen schweren Stand. Die Sicherheit und Bestimmheit, mit der die Wachtturm-Gesellschaft nicht nur ihre Lehren, sondern auch die passenden Gefühle und Einstellungen verordnet, ihr Selbstverständnis als Sprachrohr aller (guten und echten) Zeugen Jehovas, ihre suggestive Rhetorik lähmt jeden ernsthaften Widerspruch oder setzt den Widersprechenden a priori ins Unrecht. Überhaupt frappiert die fraglose Selbstverständlichkeit (um nicht zu sagen Selbstherrlichkeit) einer Argumentation, die den betreffenden Gedankengang oder die jeweils zu akzeptierende Ansicht als derart plausibel darstellt und oft sogar schon voraussetzt, dass einer anderen Meinung nur schlechte Absichten - und nicht etwa gute Argumente - zugrundeliegen können."

Auch das gehört zu seinen Impressionen:
„Es ist von der Gefahr die Rede, angesteckt, vergiftet, verseucht zu werden, wenn man es sich auch nur anhört oder es zur Kenntnis nimmt. Ich erfuhr, dass die zahlreichen Ordner Anweisung hatten, jedes Verteilen von gegnerischen Flugblättern oder Schriften auf dem gemieteten Areal ('Wir haben hier Hausrecht, das ist momentan unser Königreichssaal') strikt zu unterbinden. Zweimal wurde ich von solchen Funktionären angesprochen, wer ich sei, was ich hier wolle, was ich in meiner Tasche habe. Ein besonders Pflichteifriger kam auf mich zu, als ich während des Programms in einem Tribünengang stand und still für mich meine Notizen machte. Er beobachte mich schon längere Zeit, meinte er, fragte auch nach einem entsprechenden Ausweis, nachdem ich den Zweck meines Besuches erklärt hatte. Es gebe bei Jehovas Zeugen nichts zu untersuchen. ...

In der Schlussansprache brachte der hochrangige Redner das lobenswerte Beispiel einer jungen Zeugin Jehovas, die sich in der Schule geweigert hatte, einen Film über Sekten anzusehen, der während einer Unterrichtsstunde gezeigt werden sollte. Sie habe zuerst den Lehrer gefragt, ob in diesem Film auch ehemalige Zeugen Jehovas auftreten würden, und da dies der Fall gewesen wäre, habe sie ihren Entschluss dem Lehrer mitgeteilt und ihre Weigerung sogar gegenüber dem Direktor der Schule durchgesetzt. Schliesslich hätten sogar die meisten ihrer Mitschüler und Mitschülerinnen sich mit ihr solidarisiert, so dass in der Folge der Lehrer auf die Vorführung des Films verzichtet habe. Die Ausführlichkeit und Bestimmtheit, mit der diese Begebenheit beschrieben (wie auch immer sie sich tatsächlich abgepielt haben mag), der hervorragende Ort, an dem sie erwähnt (die Schlussansprache als Standortbestimmung und Blick in die Zukunft) und der besondere Applaus, mit der sie aufgenommen wurde (Volkes Stimme), bestätigten mir zum Abschluss und hochoffiziell die Erfahrung, mit der ich individuell und hautnah während der drei Tage konfrontiert war: Der 'Abgefallene' ist (und bleibt) die Achillesferse der Wachtturm-Gesellschaft. Er bedroht sie durch sein blosses Dasein. Mit aller Macht und allen Mitteln, die ihr zu Gebote steht, wird sie ihn deshalb weiterhin diskriminieren, tabuisieren, verdrängen und ihre Verfahrensweise mit folgendem Zirkelschluss begründen müssen: 'Wir haben Frieden und Einheit unter uns. Abtrünnige gefährden die Einheit. Aus diesem Grunde müssen sie ausgeschlossen werden. Weil wir solche Personen ausschliessen, haben wir Frieden und Einheit unter uns'. Der 'Abtrünnige', will er noch etwas von ihr oder hat er noch eine Rechnung offen, muss sich deshalb - wie die bösen Triebe im Traum - verkleiden und verstellen. Und selbst dann hat er sich vor der Zensur, vor den Sicherheitskräften höllisch in acht zu nehmen.

Titel auf der Verlags-Homepage
www.v-r.de/de/titel/389971381/

Inhaltsverzeichnis auf der Verlags-Homepage
www.v-r.de/data/files/389971381/Inhalt.pdf
Zu Frau Neitz
Weltenwechsel

Zu Frau Bayerl
Bayerl.

Zum Thema Festinger, neben dem Buch von Elmar Köppl

Siehe auch noch Parsimony.1828

Zum Thema Milgram, wiederum das Buch von Koeppl (heutzutage bei ebay für 5 Euro erhältlich. Also ein Zehntel des Preises des Buches von D...)
Und unter anderem auch
Parsimony.16705


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