Geschrieben von Drahbeck am 12.
März 2002 16:02:00: Als Antwort auf: Re: Frankreich
(2) geschrieben von Drahbeck am 11. März 2002 05:27:39:
In einer Zeitung vom 9.7.2001, Seite 15 (Nr. 6491) schrieb der nicht
unbekannte Gerhard B... unter der Überschrift "Transzendenz oder
Kommerz" auch über den Fall der WTG. Wer B... Auslassungen kennt, kann
unschwer die Tendenz des Artikels erraten. Er ist und bleibt einer der
führenden Steigbügelhalter der WTG, der in "vornehm gesetzten" Worten für
sie bei Bedarf "aufjault". So betont er, dass aufgrund der
US-Kirchenpolitik, dort 70 % der Bevölkerung am "kirchlichen Leben"
teilhaben.
"In Frankreich dagegen, wo seit 1905 eine strikte Trennung von Staat und
Kirche herrscht, machen 70 Prozent der Bürger keinen Gebrauch von den
Angeboten der etablierten Religionen."
Interessant ist mehr der zweite Teil seiner Ausführungen in diesem
Artikel. Darin findet sich auch der Satz:
"hat der französische Senat nun Anfang Mai 2001 ein Anti-Sektengesetz
verabschiedet.
Deutschland zögert noch, weil ein solches Vorgehen auch den Status der
beiden großen "Volkskirchen" berühren könnte"
Und weiter:
"Die durch Ministerpräsident Lionel Jospin eingesetzte "Interministerielle
Mission zur Bekämpfung des Sektenwesens" in Frankreich nimmt bei etwa 180
kleinen Religionsgemeinschaften psychologisch-politische Etikettierungen
vor, die auch auf große, längst etablierte Religionsgemeinschaften
zutreffen.
Frankreich beharrt auf seinem mystisch überhöhten Fortschritt, Deutschland
auf konservativer religiöser Versorgung durch die Etablierten. Trotz
entgegengesetzter Motive kommen sie zu demselben Ergebnis: Die "Sekten"
sind zu bekämpfen. Damit wird den privilegierten "Volkskirchen" mit dem
Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und einem gesetzlich
verbrieften "Öffentlichkeitsauftrag" die Chance eingeräumt, sich ohne
Konkurrenzdruck zu verfrommen."
Weiter noch auszugsweise Zitate zum Thema aus Infolink respektive
WT-Cleanup zitiert:
"Das französische Finanzministerium will seit 1998 nicht mehr den rein
religiösen Charakter der "Association les Témoins de Jéhovah" anerkennen
und damit auch nicht mehr deren Steuerbefreiung.
Somit würden alle Spenden unter einen Steuersatz von 60 Prozent fallen.
Dieser soll auch rückwirkend für 1993 bis 1996 erhoben werden, zuzüglich
einer Strafe und Verzugszinsen in Höhe von nochmals 48 Prozent.
Dagegen hatte die Vereinigung der Zeugen Jehovas in Frankreich geklagt.
Sie unterlag am 4. Juli vor dem Tribunal de Grande Instance in Nanterre,
will aber in Berufung gehen ...
Ein Sprecher sagte, der geforderte Betrag entspreche den Spendeneinnahmen
von 4 Jahren und bedeute das Ende der Vereinigung, sollte das Urteil
bestätigt werden.
Dass die Zeugen Jehovas deshalb von der Bildfläche in Frankreich
verschwinden würden, ist unwahrscheinlich. Kurz nach dem Steuerbescheid
von 1998 gingen die Spendengelder an Gesellschaften im benachbarten
Ausland, nicht mehr an die fragliche Vereinigung (vergleichbar mit einem
eingetragenen Verein in Deutschland). Zudem wurden die eigenen
Druckmaschinen aus dem "Bethel" in Boulogne-Billancourt in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion abtransportiert und werden nun in Großbritannien
betrieben.
Die Weltzentrale der Zeugen Jehovas, die Watchtower Society in
Brooklyn/New York, hat versucht, international Druck gegen diese
Entscheidung zu erzeugen, beispielsweise durch die ganzseitige
Veröffentlichung eines offenen Briefes an den französischen Präsidenten
Jacques Chriac in der New York Times vom 05.07.1998.
Hintergrund für die Haltung der Finanzbehörden ist ein
Untersuchungsbericht von 1996, der u.a. den Zeugen Jehovas eine Gefährdung
der öffentlichen Ordnung vorwirft. Das sei belegt durch das Verbot von
Bluttransfusionen, die soziale Isolation der Kinder und eine höhere
Selbstmordrate.
Das "Conseil d'Etat" sah das in einem anderen Streit mit dem Finanzamt
ganz anders: In höchster Instanz wurde am 23. Juni 2000 entschieden, die
Gemeinden der Zeugen Jehovas in Riom und Clamecy beeinträchtigten durch
ihre Aktivitäten nicht die öffentliche Ordnung. Zudem genügten die Zeugen
Jehovas nach französischem Recht den Ansprüchen an eine "bekannte
Religion". Konkret hat das zur Folge, daß die einzelnen Gemeinden doch
keine Grundsteuer für ihre Säle bezahlen müssen."
Bezüglich des offenen Briefes in der New York Times wird kommentiert:
"Man spricht von einer "Strafsteuer" und sieht die Existenz aller nicht
gewinnorientierten Organisationen in Frankreich gefährdet. Außerdem ist
von einer "Verletzung von Menschenrechten" die Rede.
Ironisch ist auch, daß ausgerechnet die Zeugen Jehovas davon sprechen, im
Interesse der Religionsfreiheit aller Franzosen zu handeln. Sie, die sie
doch alle Religionen außer sich selbst als "falsche Religion" und "die
große Hure Babylon" bezeichnen.
Natürlich fehlen in der Anzeige einige wichtige Aspekte, die geeignet
wären, die Situation in einem etwas anderen Licht erscheinen zu lassen."
Weiter heisst es in dem Kommentar:
"So wird zum Beispiel nicht erwähnt, warum die Zeugen Jehovas in
Frankreich nicht als steuerbefreiter kultureller Verein anerkannt sind. Im
sogenannten Gest-Guyard-Report vom Januar 1996 werden die Zeugen Jehovas
nämlich unter den "gefährlichen" Sekten aufgeführt. Der
Untersuchungsbericht, der auf polizeilichen Ermittlungen beruht, begründet
dies unter anderem mit dem Verbot von Bluttransfusionen, das als ernste
Lebensgefahr für die Mitglieder angesehen wird. Außerdem wird darauf
verwiesen, daß Kinder von Zeugen Jehovas von der übrigen Gesellschaft
isoliert und damit in ihrer natürlichen sozialen Entwicklung
beeinträchtigt werden. Dazu kommt die Feststellung, daß es in den Reihen
von Zeugen Jehovas eine überdurchschnittlich hohe Selbstmordrate gibt."
Die Zeitschrift "Berliner Dialog" Nr. 2/1998 veröffentlichte zum Thema
Frankreich auch einen kommentierenden Bericht. In ihm war zu lesen:
...
"Frankreich beschliesst, Religion zu besteuern!" ("France moves to tax
Religion!") So lautet in Riesenbuchstaben die Überschrift eines "Offenen
Briefes an Frankreichs Präsidenten", den die "Leitende Körperschaft der
Zeugen Jehovas" in Brooklyn (N.Y., USA) auf einer vollen Seite der New
York Times und der Washington Post am 5. Juli 1998 und in der
International Herald Tribune am 8. Juli 1998 als Anzeige hat drucken
lassen. Die sehr hohen Kosten dafür werden natürlich von den Spenden der
Zeugen Jehovas bestritten.
Das "Trennungsgesetz" vom 9. Dezember 1905 garantiert uneingeschränkte
Religionsfreiheit in Frankreich, erklärt aber zugleich: "Die Republik
erkennt keinen 'Culte' (= Religion) an". Es ging dabei um die Abschaffung
der institutionellen Stellung, wie sie bis dahin die Katholische Kirche,
die beiden protestantischen Konfessionen und die Juden genossen hatten (u.a.
Besoldung der Pfarrer und Rabbiner durch den Staat etc.). Natürlich wird
damit nicht die Existenz der Religionsgemeinschaften bestritten; die
Ausübung der Religion aber sollte nun durch die Schaffung von "cultuellen"
Vereinen geregelt werden.
"Cultuelle" Vereine für die freie Ausübung von Gottesdienst
Die "cultuellen Vereine" sollen ausschließlich für die Ausübung der
Gottesdienste ("culte"), also für die Religionsausübung sorgen. Sie dürfen
keine andere Tätigkeit ausüben. Alle anderen karitative, erzieherische,
publizistische etc. - Tätigkeiten der Religionsgemeinschaften werden von
Vereinen des allgemeinen Rechtes getragen; viele davon wiederum genießen
auch die Vorteile der "anerkannten Gemeinnützigkeit" (ein wenig anders als
die deutschen gemeinnützigen e.V.s).
Wenn Vereinigungen nun als "cultuell", also Zwecken des Gottesdienstes
dienend vom Innenministerium anerkannt sind, dürfen sie Schenkungen und
Erbschaften annehmen und sind für ihre Kirchen bzw. ihre jeweiligen
religiösen Zwecken dienenden Gebäude von der Grundsteuer befreit. Es gibt
heute verschiedene Religionsgemeinschaften, die 1905 kaum vertreten waren
und die heute über als "cultuell" anerkannte Vereinigungen verfügen.
Darunter sind nun mehrere muslimische, auch buddhistische "cultuelle"
Vereinigungen. Es ist hier unmöglich, auf alle Einzelheiten einzugehen,
erwähnt werden soll aber, daß z.B. jede katholische Diözese ihren "cultuellen"
Diözesanverein zur Unterhaltung der Kirchengebäude und des
gottesdienstlichen Lebens hat.
Königreichssäle - Gottesdienst räume oder Schulungsräume?
Auch die Zeugen Jehovas versuchen nun seit Jahren, ihre örtlichen
Einrichtungen ("Königreichsäle") als "cultuelles" anerkennen zu lassen.
Außer in einigen Fällen (die gegenwärtig von den Steuerbehörden
angefochten werden) ist ihnen dies nicht gelungen. (Auch gegen diese
negativen Entscheidungen haben "Jehovas Zeugen" Berufung eingelegt. Eine
Entscheidung des höchsten Verwaltungsgerichtes "Conseil d'Etat" hat die
Ansprüche, die "Königreichssaal-Vereinigungen" als "cultuell"
anzuerkennen, zurückgewiesen. Unter anderem "weil die Natur und der Zweck
mancher ihrer Aktivitäten ... diesem Verein nicht den Charakter eines
cultuellen Vereins im Sinne des Gesetzes von 1905 verleihen".
Schenkungsgesetz von 1992
Anfang Mai 1998 hat die Direktion der Steuerbehörde des De_[partement "Hautsde-Seine"
(unmittelbare Nähe von Paris) nach langen Ermittlungen dem französischen
Sitz der WTG ihre Entscheidung mitgeteilt:
Es geht dabei um die Besteuerung von Schenkungen, die seit einem Gesetz
von 1992 (das sich nicht speziell auf Sekten bezieht) mit 60 % zu
besteuern sind. Danach werden Schenkungen als reguläre Einnahmen
eingestuft. Es geht dabei natürlich nur um größere Summen, nicht um kleine
Geschenke oder um den "Klingelbeutel".
Ehemalige Zeugen oder Angehörige berichten, daß u.a. alte Leute bewogen
werden, ihr Haus oder andere Güter zu verkaufen und den Erlös direkt an
die WTG zu übergeben. Betroffen waren dabei zunächst die rechtmäßigen
Erben, aber in manchen Fällen auch die Steuerkasse.
Für die letzten Jahre geht es um einen Betrag von über Fr 300 Millionen
(fast 100 Millionen DM), die nachgezahlt werden sollen. Anfang Juli hat
die Steuerbehörde den Besitz des Vereins der Zeugen Jehovas mit Hypotheken
belastet - zunächst nur als Sicherheit. Die Zeugen Jehovas behaupten nun,
damit seien sie Opfer religiöser Intoleranz; außerdem versuchen sie,
anderen religiösen Vereinen ("an die 2 000!") einzureden, sie könnten
"Opfer" der gleichen "Verfolgung" werden. (Zur Erinnerung: Nur als "cultuell"
also "gottesdienstlichen Zwecken dienend" anerkannte Vereine sind von
dieser Steuer befreit - aber auch dabei dürfen Erben, wenn solche
vorhanden sind, nicht übergangen werden).
Religionsfreiheit und Schenkungssteuerfreiheit
Auf einer Pressekonferenz protestierten (u.a.) die Anwälte der Zeugen
Jehovas: Die Besteuerung dieser Schenkungs Einnahmen sei ein "fiskales
Attentat auf Vereinigungs- und Religionsfreiheit". Sie beabsichtigen, die
Entscheidung der Steuerbehörde vor Gericht anzufechten. Behauptet wird,
der Staat wolle die Beiträge der Gläubigen an eine Religionsgemeinschaft
besteuern, also den Ertrag der Kollekten - aber darum geht es natürlich
nicht.
Da die vom Staat geforderten 300 Millionen 60 % der Einnahmen der WTG in
den letzten 3 Jahren betragen müssen, geht die Steuerbehörde anscheinend
von einem Einkommen (durch Schenkungen) von Fr 500 Millionen aus, wobei es
nur um Summen geht, die sich belegen lassen. Die Erfahrung lehrt, daß die
Beträge, um die es geht, in Wirklichkeit viel höher sind.
Steuerhinterziehung ist nichts Neues, doch geschah sie früher selten im
Namen der "Religionsfreiheit". Jetzt mehren sich Unternehmungen - ob
"Sekten" oder kommerzielle - die sich mit dem Namen "Kirche" oder
"Religion" schmücken und unter diesem Mäntelchen alle möglichen
Privilegien gegenüber "normalen" Bürgern und Vereinen beanspruchen. In
Frankreich aber wurden solche Privilegien seit einem Jahrhundert ziemlich
genau geregelt und zum großen Teil abgeschafft.
Die Anzeige in US-Zeitungen könnte darauf hindeuten, daß die Zeugen
Jehovas dem Beispiel der Scientology folgen möchten, die bereits
versuchen, den US Kongreß und die US-Regierung in ihren Feldzug (in diesem
Fall gegen die Bundesrepublik Deutschland) einzuspannen."
Also wenn ich das zusammenfassen soll, dann scheint mir,
dass in der Tat in den letzten Jahren in Frankreich mit seiner 70% nicht
religiös gebundenen Bevölkerung, eine härtere Gangart gegen die WTG
eingeschlagen wurde. Auch scheint mir diesbezüglich ein Zweiklassenrecht
zu bestehen. Die "Großkirchen" sind von dieser Härte offenbar so nicht
betroffen. Andererseits kann ich die französische Begründung, weshalb man
die WTG steuerlich nicht mit den "Großkirchen" gleichsetzt, durchaus
nachvollziehen. Meine "Sympathie" hat die WTG mit Sicherheit nicht. Sollte
sie tatsächlich dauerhaft in diesem juristischen Streit unterliegen (diese
Gewissheit habe ich allerdings so noch nicht), wäre das ein beachtlicher
Meilenstein.
Stören würde mich aber trotzdem, dass es den "Grosskirchen" besser dadurch
geht.
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