Re: Versuch einer verspäteten Antwort


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 14. April 2007 11:05:29:

Als Antwort auf: Re: Widerspruch geschrieben von Drahbeck am 25. Februar 2007 12:19:13:

Vor einiger Zeit tauchte mal eine bestimmte Frage auf. Sie wurde wie folgt formuliert:

"Ich erinnere mich daran, dass mir Familie Voigt erzählte, dass sie und andere Bibelforscher, 1925 an einem bestimmten Tag, den ich mir nicht merkte, feierlich gekleidet zum Friedhof gingen, denn man (die WTG) erwartete damals die Auferstehung aus den Gräbern. Sie erzählten mir, wie enttäuscht sie waren, dass kein Grufti erschien. Sie schämten sich dann, auch wegen ihrer Festkleidung am Friedhof...
Gibt es irgend welche Dokumente über diese Aktion, die offenbar weltweit angesetzt gewesen sein muss? "
parsimony.19450

In dem Versuch einer Antwort darauf musste dergestalt gepasst werden, dass ein in der beschriebenen Ausführlichkeit überlieferter Vorgang in der WTG-Literatur bislang nicht bekannt sei.
Siehe dazu:
parsimony.19451

Nun ist das mit der mündlichen Überlieferung (Oral history) ohnehin so eine Sache. Fehlerquellen sind da nicht auszuschließen.

Aber eine in der Substanz - zumindest ähnliche - Aussage scheint mir im "Wachtturm" vom 15. Dezember 1923 enthalten zu sein. Dort (S. 374f.) kann man das nachfolgende Statement lesen:

„Bibelforscher glaubten im allgemeinen, dass das Jahr 1914 das Merkzeichen des Endes aller Bemühungen der Kirche auf dieser Seite des Vorhangs sein, und dass ihre Verwandlung dann stattfinden würden. Manche waren hiervon so gründlich überzeugt, dass sie Vorbereitungen trafen, am letzten Tage des Monats September alles und jedes hinter sich zu lassen und einzugehen mit den Herrn.

Manche hielten Ansprachen worin sie sagten: „Das ist das letzte Mal, daß ich zu den Freunden sprechen werde. Morgen gehen wir heim."

Jedoch der Herbst 1914 kam und ging vorüber und viele der Heiligen die noch auf dieser Seite in dem Fleische sind, wunderten sich, wann ihre Verwandlung stattfinden würde. Seitdem haben sie vorausgeblickt und gefragt: Wann dürfen wir erwarten das wir heimgehen werden?

In dem Watch Tower vom 1. November 1914 sagte Bruder Russell: „Wir können aber von unser Verwandlung nicht weit entfernt sein und wir raten dazu das alle vom Volke des Herrn Tag für Tag so leben, als ob dies der letzte Tag auf dieser Seite des Vorhangs sei, und dass der heutige Abend oder der morgende Tag, uns in die herrlichen Dingen jenseits des Vorhangs einführen werde. Wenn wir in dieser Weise leben, so wird sicherlich wenigstens eine heilsame Erfahrung für uns sein, in dem dies uns reichem Segen zuführt und den Charakter mehr und mehr zur Reife bringt. Welch gesegnete Art so zu leben! Jeder Tag eine Vorfreude, unseren Erlöser zu sehen und mit ihm an seinen wunderbaren Werke teilzuhaben."

Auch die Schlusssätze scheinen mir dabei beachtlich. Da orientierte Russell noch auf die "Charakterentwicklung" als eines der christlichen Ziele. Genau, selbige wurde später von Rutherford als "Fetisch" ausdrücklich verdammt und durch die Zielstellung des "Klinkenputzens" ersetzt.

In ihrem Buch „Die Verwüstungen des Heiligtums" wiesen die Gebrüder Sadlack schon zeitgenössisch darauf hin. Etwa mit der Passage:

"Möge das Träumen und das Reden von der 'Entwicklung eines vollkommenen Charakters' aufhören!, Möchten doch alle Christen tätig sein in der Erfüllung ihres Bundes..."

"Satan (!] hat den Sinn von Millionen auf das Mittel der sogenannten 'Charakterentwicklung' gelenkt..." (J. F. Rutherford im WT. 1926:168; 1927:231.)

"Ich nahm vor einiger Zeit an einer dreitägigen Hauptversammlung teil, wo vier Älteste vier Fünftel der Zeit gebrauchten. und nicht ein Wort von Königreichs-Arbeit erwähnten. Die ganze Zeit sprachen sie von Charakter-Entwicklung, indem sie ab und zu für den Wachtturm einige Entschuldigungen machten. Aber den Teil, der für mich übrigblieb, benutzte ich dazu, die Brüder daran zu erinnern, daß sie sich fünfzehn Jahre zurück in der Erntezeit befanden und nicht in dem Königreich, der Wirklichkeit." (Ein angeblich auf dem weißen Pferde sitzender Pilgerbruder im WT. 1926:335.)

Merkt ihr, Geliebte, die "Entwicklung" der Lehre der Wachtturm-Gesellschaft und die Rück-Entwicklung des christlichen Charakters? Merkt ihr, wie hier die heiligsten christlichen Grundsätze und Gefühle geschmäht und verletzt werden? ..."

Weiter die Sadlacks:
„Bis zum Erscheinen des Wachtturm-Artikels "Charakter oder Bund?" im Wachtturm vom l. Juni 1926 waren Vorträge und Abhandlungen über Charakterentwicklung sehr geschätzt. Die Mannatexte, die fast ausschließlich davon handeln, wurden bis dahin mit Genuß gelesen, und Ausführungen von dienenden und von Pilgerbrüdern erfreuten besonders, wenn sie von der Charakterbildung in Christo handelten. Als aber der jetzige Präsident der Wachtturm-Gesellschaft gebot:
"Möge das Träumen und das Reden von der Entwicklung eines vollkommenen Charakters aufhören!", da hörte das (günstige) Reden und Schreiben hierüber mit einem Schlage auf - freilich nur bei denen, die blind gehorchen.

Was ein Machtspruch vermag! Wundern wir uns da noch über den blinden Gehorsam der katholischen Welt gegenüber den Aussprüchen und Anordnungen ihres päpstlichen Hauptes?

Der Artikel "Charakter oder Bund?" ist nur darauf gerichtet, die Getreuen des Herrn von ihrer vornehmsten Pflicht, nämlich ihrer Zubereitung für droben abzulenken und ihnen als fragwürdigen Ersatz dafür äußeren Dienst und abermals Dienst und Kolportage zu bieten. Ja, dieser Dienst soll nach der jetzigen Lehre der Gesellschaft sogar der in 2. Kor. 4:7 erwähnte
"Schatz im irdenen Gefäß" sein! ..."
Siehe auch:

Das Thema Charakterentwicklung

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Das trifft auch auf die WTG-Religion zu. Solange marktschreierische Endzeithesen auf dem Markt befindlich, werden selbige durchaus dazu benutzt, möglichst das letzte, sowohl seelisch, im Zeitaufwand und materiell aus den Betörten herauszupressen. Und das es Betörte gibt, darüber kann es wohl kaum einen Zweifel geben.

Ein Beispiel auch jener Leserbrief im "Wachtturm" veröffentlicht (Ausgabe vom Dezember 1931). (S. 367) Da himmelt eine Pionierin namens Myrtle Winkle (USA) ihren Ober-Rattenfänger Rutherford mit den Worten an::
"Lieber Bruder Rutherford!
Heute morgen hörte ich Deinen Vortrag über die Station KNX in Hollywood. Ich war im Hause eines Methodisten, und die ganze Stube war voll, und alle saßen, das Haupt in Ehrfurcht geneigt und angestrengt lauschend, um nicht ein Wort zu verlieren. Nachdem der Vortrag zu Ende war, kamen der Methodist und seine Frau zu mir und kauften die beiden Bücher 'Licht' und die 'Prophezeiung'. Die Dame sagte mit Tränen in ihren Augen: 'Wenn das wahr ist, warum kämpfen wir dann so hart um diese Hypothek abzutragen?'
Ich glaube, sie hat die Bedeutung der Botschaft begriffen."

Der "Zitronen-Auspresser" Rutherford (Die Zitrone wird bis zum letzten Tropfen ausgepresst und dann weggeworfen) trieb es gar noch mit seiner berühmt-berüchtigten Broschüre "Schau den Tatsachen ins Auge" auf die Spitze, wenn er darin tönte.

"Jonadabe, die jetzt ans Heiraten denken, würden, wie es scheinen will, besser tun, einige wenige Jahre zu warten, bis der feurige Sturm Harmagedons vorüber ist."

Diese These formulierte er nicht deshalb, weil er grundsätzlich gegen das Heiraten eingestellt wäre. Wohl aber um seine Anhängerschaft wirklich bis zum letzten auszupressen; was dann auch die nachfolgenden Sätze veranschaulichen:

"Was sollten die Jonadabe jetzt tun? Sie sollten sich gänzlich den Königreichsinteressen Christi widmen und dazu sehen, daß ihre Mittel nun zum Ruhme Gottes und seines Reiches gebraucht werden."

Diese Geisteshaltung des hochgradig auf die Spitze getriebenen Organisations-Egoismus hat sich in dieser Organisation bis auf den heutigen Tage fortgesetzt.

„Nach Tisch" ist dann der Spott fällig. Selber Schuld wer das zu wörtlich nahm. Selber schuld, wer wie etwa in Diktaturstaaten (fünfziger Jahre DDR, beispielsweise, sich lebenslängliche Gerichtsurteile einhandelte). Einer der so Verurteilten auch ein Herr Günter Rosenbaum. Zwar lebenslänglich sass er nicht, aber die reichlichen zehn Jahre dürften wohl auch so „ausgereicht" haben. In einem veröffentlichten Bericht über ihn (aus dem Jahre 1999) findet sich auch der Passus:

„Mit dem Tod von Wilhelm Pieck 1961 hofften viele politische Gefangene auf eine Amnestie. Auch dem inzwischen 36jährigen Günter Rosenbaum wurden von der Anstaltsleitung mehrfach Hoffnungen gemacht, bald entlassen zu werden. Doch jedes Mal kurz vor dem erwarteten Entlassungstermin hieß es dann: „Sie haben die Freiheit nicht verdient!"
Heute glaubt Rosenbaum, daß dieses Vorgehen Methode hatte. „Die Stasi wollte mich psychologisch fertigmachen, und sie hatte Erfolg damit."

Weiter findet sich in diesem Bericht auch der Satz:
„Auf die ehemalige DDR schaut Günter Rosenbaum ohne Verbitterung oder Rachegefühle zurück, auch wenn er für seine zehn Haftjahre nur eine geringe Entschädigung von einigen tausend Mark erhalten hat und sich mit einer zusätzlichen Opferrente von monatlich 189 Mark begnügen muß."

189 DM (nicht Euro: DM); das lasse man sich mal „auf der Zunge zergehen"
Zehnjähriges Zwangsaussetzen aus dem Berufsleben. Davor war Rosenbaum WTG-Kreisdiener in der illegalen Organisation. Also auch in dieser Zeit kaum irgendwelche regulären Rentenansprüche so erwerbend. Also pauschal. Anderthalb Jahrzehnte für Rentenansprüche „floten gegangen". Von der WTG jedenfalls erhielt und erhält er dafür keine Entschädigung.

Und was die schäbigen 189 DM Opferrente anbelangt, von einem Staat dem nur das Wohlergehen der Leute wie Herr Ackermann und Co von der Deutschen Bank in erster Linie interessiert. ...
Nun dieser schäbige Staat hat da wahrhaftig keinen Grund sich als mit „Ruhm bekleckert" anzusehen.

Das ist dann so ein typischer Fall nach dem Motto: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen.

Was soll eigentlich dieser Herr Rosenbaum einem Journalisten gegenüber eigentlich noch anderes sagen als wie:

„ohne Verbitterung oder gar Rachegefühle zurückzublicken".
Wie glaubwürdig das ist, mag denn jeder für sich beantworten.
Würde er solche Einstellung nicht bekunden, würde er in der Tat seinen Opfergang im Nachhinein noch verdoppeln. Psychologisch also durchaus nachvollziehbar.

Zu nennen wäre auch (als weiteres Beispiel) jener von Rolf Nobel geschilderte Fall, eines gleichfalls in DDR-Gefängnissen Einsitzenden, der dann in seiner anschliessenden "Westzeit" seine Berufstätigkeit auf zwei Tage pro Woche als Taxifahrer reduziert, um die übrige Zeit für die WTG-Interessen zur Verfügung zu haben. Da kann man sich ja dann schon im Vorfeld ausrechnen, was demjenigen für eine "fett"-magere Rente erwartet, wenn es dann soweit ist. Möglicherweise wird dann noch auf Sozialhilfe des Staates spekuliert. Eine in Zeugenkreisen gar nicht so seltene Einstellung. Den Staat "melken" wo immer es geht.

Ein früheres Beispiel solcher nachträglichen WTG-Verhöhnung kann man auch in der „Wachtturm"-Ausgabe vom 1. 2. 1928 nachlesen. Die 1925-Krise war zu dem Zeitpunkt so „halbwegs" überstanden; und die diesbezüglich Betörten werden nun vom WT wie folgt belehrt:

„Bei anderen regt der Feind den Gedanken an, daß alle irdischen Güter vernachlässigt oder fortgegeben werden müssen, um in solcher Weise ein Opferleben zu führen und ergebungsvoll auf die Verherrlichung zu warten. Manche werden so träge und träumerisch, daß sie nicht mehr für die anständigen und ehrbaren Dinge für sich selbst und für die von ihnen Abhängigen arbeiten, sondern nur, wie sie sagen, auf den Herrn warten. Noch andere geraten in so tiefe Armut, daß sie verzweifeln und glauben, daß Gott sie vergessen hat."

Kürzlich gab es die Meldung über einen Tsunami auf den Salomoninseln. Und innerhalb dieser Meldung auch die Angabe, dass unter den wenigen Deutschen dort (die fallweise in Mitleidenschaft gezogen sein können, was aber nicht erwiesen ist). Jedenfalls unter den Deutschen, die sich dort aufhalten, befinden sich auch Zeugen Jehovas, beschäftigt "beim Aufbau eines Zentrums der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas."

Das sind dann die "Linientreuen", die eben nicht nur hierzulande Königreichssäle und Kongresszentren für "Nullover" erstellen, sondern eben auch im Ausland.
Kein regulärer Deutscher Arbeitgeber wird indes ihren Lohn für diese Zeit zahlen. Da muss man schon davon ausgehen. Für die Zeit der dortigen Tätigkeit besteht keinerlei Gehaltsanspruch, von Anwartspunkten für die Rentenversicherung erst recht nicht zu reden.

Nun hat es schon immer Menschen gegeben, welche meinen die "hiesige Enge" nicht ertragen zu können. Solche Abenteurer finden sich selbstredend auch in den Reihen der Zeugen Jehovas. Aus ihrem subjektivem Empfinden mögen sie solche Abenteuer als gewollt betrachten, und demzufolge sich auch nicht beschweren.

Aus der Sicht einer objektiven Wertung indes dürfte man da zu einem anderen Resultat gelangen.

Gebrüder Sadlack


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