Re: 8. 2. 1957 (Vor fünfzig Jahren)

Rund ums Thema Zeugen Jehovas

 

Geschrieben von Drahbeck am 08. Februar 2007 07:06:41:

Als Antwort auf: Re: 1. 2. 1957 (Vor fünfzig Jahren) geschrieben von Drahbeck am 01. Februar 2007 06:48:32:

Für ein bewusst politisches Nachrichtenmedium, etwa von der Art „Der Spiegel" oder vergleichbares, sind sicherlich jene Meldungen, die man auch in „Erwachet!" der Zeugen Jehovas (Ausgabe vom 8. 2. 1957) lesen kann, der Registrierung und Kommentierung wert. Darüber kann es keinen Zweifel geben.

Die Frage die sich allenfalls stellt ist die. Ist es Aufgabe einer Religionsgemeinschaft, sich im gleichem Umfange „aus dem Fenster zu hängen"?
Das Problem dabei ist dann doch wohl jenes, wie es nur wenige Jahre später der evangelische Bischof Lillje, anlässlich des Mauerbaues des Kommunisten, in einem Fernseh-Interview auf den Punkt brachte.

Befragt was er denn nun zu diesem sicherlich schockierenden Ereignis zu sagen hätte, gab er sinngemäß zu Protokoll.

Er wolle zwar nicht direkt dazu aufrufen, die Flinten zu ergreifen, denken aber tue er es schon.

Was der Privatmann denkt, ist sicherlich das eine. Was er als Person der Öffentlichkeit hingegen sagt, ist das andere. Und dann vergesse man nicht.
Selbst ein Herr Adenauer verkroch sich unmittelbar nach dem 13. August 1961 in sein „Mauseloch" und verschwand für einige Zeit auf „Tauchstation". Und selbst amerikanische Panzer in Westberlin, fuhren zwar an die Sektorengrenze heran; genau dort aber machten sie Stopp!
Warum fuhren sie nicht im Sinne eines Herrn Lillje einfach weiter?

Nun wohl nicht zuletzt deshalb, weil ihre politischen Befehlshaber die Konsequenzen scheuten, die eine unbedachte Eskalation mit sich bringen würden.

Fazit. Man kann als Privatmann vielerlei Meinungen haben. In dem Moment wo die als Personen der Öffentlichkeit, Medienwirksam zu Protokoll gegeben werden, sind es keineswegs mehr nur „Privatmeinungen". Dann wird mit solchen Meinungen Politik betrieben, handfeste Politik.

Nun kann man zwar Politik betreiben, muss sich aber zugleich auch über deren möglichen Konsequenzen, Weiterungen im klaren sein.

Der genannte Herr Lillje wird auch von den Zeugen Jehovas - als symbolischer „babylonischer Hurer" verurteilt. Das indes ist pure Heuchelei. Genau ähnliches sagte schon das keineswegs als „Privatmann" einzustufende Zeugen Jehovas-Organ „Erwachet!" in der genannten Ausgabe.

Wie gesagt, für einen „Spiegel" und Co gäbe es über den Inhalt der Aussage nicht viel zu sagen. Die verstehen sich als bewusst politische Organe, und schätzen in der Regel, im Vorfeld auch die Konsequenzen ihrer Aussagen ab.

Nun aber die theoretisch doch wohl „politisch neutral" sein wollende Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas. Das sie in der Praxis eben nicht politisch „neutral" ist, pfeifen die „Spatzen von den Dächern". Ein Beleg eben auch die „Erwachet!"-Ausgabe vom 8. 2. 1957.

Im Stile des Lillje'schen „Flinten-Interviews" konnte man darin unter anderem lesen:

„Es gärt unter der Sowjetjugend ...
... Und in Ostdeutschland
Chemiestudenten der Technischen Hochschule Dresden sollen eine Schweigeminute zu Ehren der Ungarischen Freiheitskämpfer veranstaltet haben, während an der Humboldt-Universität (Ost-Berlin) in einer stürmischen Diskussion die Abschaffung der obligatorischen Kurse in Marxismus-Leninismus und des russischen Sprachunterrichts gefordert wurde. An den Hochschulen Mitteldeutschlands regte sich ebenfalls der Widerstand gegen das 'Ulbricht-System'. An der Martin-Luther-Universität in Halle waren Unruhen ausgebrochen, von denen die SED-Zeitung 'Freiheit' berichtete, es sei versucht worden, 'offene Provokationen an der Universität zu inszenieren'. Studenten, die nach West-Berlin flüchteten, berichteten, daß die ostdeutschen Universitäten von allen für die Regierung 'unzuverlässigen Elementen' gesäubert würden. Der Chef des Staatssicherheitsdienstes in Ostdeutschland drohte, daß jegliche oppositionelle Strömung erbarmungslos bekämpft werde. Er erklärte, es sei selbstverständlich, daß in der DDR keine sogenannte freie Diskussion geduldet werden könne und dürfe ..."

Ein jüngeres Beispiel auch die KdöR-Angelegenheit der Zeugen Jehovas. Indem Bemühen, selbige juristisch "wasserfest" auch auf andere deutsche Bundesländer zu übertragen, wird auf der Webseite der Zeugen Jehovas auch der Begriff "NS-Zeit" und "DDR-Unrechtssystem" verwandt.

War gemäß dieser Terminologie der "Nazi-Staat" vielleicht noch ein paar Nummern "milder"?
Warum wenn man schon wertende (Nicht-Neutrale) Vokabeln verwendet, wird dann nicht die "NS-Zeit" im gleichem Atemzug als "SS-Staat" bezeichnet? Das wäre zudem keine eigene "Erfindung". Man könnte sich als Reputation für diesen Begriff beispielsweise auf Eugen Kogon berufen, der ihn schon weitaus früher in den Diskurs eingeführt hatte. (Oder auch auf Kühnrich verweisen der ähnlich titelte "KZ-Staat")

Vom Hitlerregime "neutral" als "NS-Zeit" zu reden, das Ostdeutsche Regime hingegen ausdrücklich als "Unrechtssystem" (war das Hitlerregime solches also nicht?) zu brandmarken, offenbart eine bemerkenswerte politische Parteilichkeit.

Der Grund ist offenkundig. Buhlen um die Gunst politischer Mandatsträger. Heutige politische Mandatsträger haben in der Regel keinerlei direkt-persönlichen Bezug zum Naziregime mehr (allenfalls über die Schiene ihrer Eltern usw.). Mit dem Ostdeutschen Regime hingegen vermögen etliche sehr wohl auch politisch-persönliche Emotionen zu verknüpfen.

So wird Politik gemacht. Und die hochpolitische WTG mittendrin!

Bei solcher Art von WTG-Diktion fehlt nur noch eines. Die Neuauflage eines Buches; etwa jenes 1908 in Stuttgart erschienene von Reinhold Kücklich, mit dem programmatischen Titel: "Was haben die deutschen Freikirchen dem Vaterlande genutzt?"
Wer es denn mal gelesen haben sollte (die WTG-Fürsten wohl eher nicht. Ich zumindest habe es einmal gelesen), findet darin bemerkenswerte Aussagen.

Schon einleitend klagt Kücklich:
"Alle freikirchlichen Körperschaften Deutschlands leiden gemeinsam darunter, daß ihre treue Mitarbeit am wahren Wohl und Glück unseres Vaterlandes nicht in dem Maße gewürdigt wird, als es recht und billig wäre."

Und desweiteren lobt er dann seine Religionsgemeinschaft (selbst) mit den Worten:
"Sie haben nicht im entfernteasten dieselbe Tendenz, wie die jedes geordnete Kirchenwesen verwerfenden Darbysten, sie haben nicht das Mindeste zu tun mit den den Eid und den Kriegsdienst verbietenden Adventisten, noch mit dem chiliastischen Irrtümern huligenden Irvingianern verschiedenster Observanz oder gar mit dem heillosen und gesetzeswidrigen Treiben der Mormonen und Konsorten". (S. 7)

Und als besonderem "Höhepunkt" seiner wahrlich bedenkenswerten Ausführungen darf man wohl jene auf Seite 45, 48 ansehen. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wenn auch die WTG-Religion dort angekommen sein wird:

Zitat:
"Sollte, was Gott verhüten möge, unser Vaterland in einem Krieg verwickelt werden, dann werden auch die freikirchlichen Mutterhäuser einen Teil ihrer Schwesternschaft unzter der Fahne des Roten Kreuzes hinaussenden, damit sie auf Schlachtfeldern und in Feldlazaretten verwundeten Kriegern und zugleich dem Vaterlande dienen. ...
Es darf mit gutem Gewissen gesagt werden, daß unter den freikirchlichen Gemeinschaften sich sozialdemokratische Vaterlandslosigkeit nicht zeigen darf. Diesen Schandfleck dulden sie nicht auf ihrem Ehrenschilde!"..." 

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