Wenn einer eine Reise macht - Smoking Bob zugeeignet


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 12. August 2006 03:33:10:

Zur Zeit kann man hier unter dem Namen „Smoking Bob“ etwas nervende Texte lesen. Nervend zumindest für jene welchen die Zeugen Jehovas und die WTG-Religion insgesamt kein „Buch mit sieben Siegeln“ ist, dieweil wesentliche Teile des eigenen Lebens durch sie geprägt und das nicht immer zum „vorteilhaftesten“.

Reisende kann und soll man natürlich nicht aufhalten. Nach eigenem Bekunden sei „Smoking Bob“ auch solch ein Reisender, welcher die Zeugen „erst“ kennenlernen will. Lernfähigkeit - bevor man Seichtes von sich gibt - scheint wohl nicht seine besondere Stärke zu sein. Halbverdautes wird von ihm kommentiert, bevor es denn „verdaut“. Ich würde ihm doch empfehlen, erst mal seine „Reisen“ zu einem gewissen Abschluß zu bringen, und sie d a n n zu kommentieren.
Meinetwegen mag er Zeuge werden. In gewisser Hinsicht scheint er ja typisch zu sein, namentlich für die „erste Generation“.

Ein älterer Text eines „anderen Reisenden“ fällt mir da angesichts des auftretens von „Smoking Bob“ wieder ein. Vielleicht wären die Personen (die jeweils „Reisenden“) in gewisser Hinsicht sogar austauschbar.

Wie auch immer. Der Text an den ich da denke, wurde hier noch nicht zitiert. Es sei nachstehend nachgeholt:

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen

Da gab es mal einen, der machte eine „Weltreise". Ganz zum Anfang war das überhaupt noch nicht klar, dass es sich so entwickeln würde. Eines Tages sprachen auch bei ihm die Zeugen Jehovas vor, und beeindruckt auch von ihrem Argument der Wehrdienstverweigerung, meinte er nun am Ziel angelangt zu sein, und keine weitere „Reisevorkehrungen" mehr zu bedürfen.

Allerdings, wie das so manchmal ist, wenn Neues erkundet wird, so auch in diesem Fall, stürmen da allerlei Eindrücke auf einen ein. Eindrücke, von denen man, wo man noch nicht am „Ziel" war, keinen blassen Schimmer einer Ahnung hatte. So erging es auch unserem „Weltreisenden" in spe. Beim „Ziel Zeugen Jehovas" angelangt, glaubte er nun es sich gemütlich machen zu können. Sozusagen das „Paradies" zu genießen. Es dauerte allerdings nicht lange, und unserem „Weltreisenden in spe" wurde da unmissverständlich „verklickert". Nichts da mit auf der „faulen Haut liegen". Harte Arbeit ist angesagt. Da aber nicht nur er, sondern sein gesamter neuer Bekanntenkreis der Zeugen Jehovas von diesem Verdikt betroffen war, so war es ihm möglich, sozusagen im „Strome mitzuschwimmen", und eben auch den Zeugen Anforderungen des Predigtdienste gerecht zu werden.

Von Zeit zu Zeit gab es bei den Zeugen auch mal „Ausflüge". Das war dann die Bearbeitung von Predigtdienstgebieten, die nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft befindlich sind. Also sogenannte Ferngebiete. Tja und bei einem solchen „Ausflug" sollte doch unser „Weltreisender" in spe, tatsächlich seine „Initialzündung" bekommen. Um es etwas zu verkürzen. Durch bestimmte Konstellationen, geriet er nun bei den Zeugen in Ungnade. Da dort seines Bleibens nicht mehr länger sein konnte, suchte er anschließend, das symbolische „Telefonbuch" wälzend, noch bei allerlei anderen Religionsgemeinschaften und Kirchen sein „Glück". Offenbar war aber bei keiner von ihnen längeres Bleibens angesagt. Und wenn er nicht inzwischen gestorben ist, wird er wohl noch heute weiterreisen.

Eine kurzzeitige Unterbrechung bei diesem Reisetripp scheint es aber doch gegeben zu haben. Und in diesem Moment des kurzzeitigen „Bilanzieren" bisheriger „Reisetätigkeit", entschloss er sich, seine bis dato gesammelten Erfahrungen im Jahre 1968, einmal zu Papier zu bringen. Da er sich aber wohl noch immer nicht im klaren darüber war, ob denn nun seine „Reisetätigkeit" wirklich beendet, und um weitere „Reiseziele" beim Nennen seines Namens, nicht schon im voraus vor Angst „zusammenzucken" zu lassen, entschloss er sich seinen „Reisebericht" nur unter einem Pseudonym herauszugeben. Und dieser Pseudeonym-Name lautet schlicht und ergreifend nur „All".

Worunter man denn auch alles oder nichts verstehen kann.
Aus dem Bericht des „All" mit dem programmatischen Titel „Das zerfetzte Gewand", sei nachstehend einmal jener Passus zitiert, wo er sich noch im „Paradies" der Zeugen Jehovas befand:


Kaum mehr als 16 Jahre alt stand ich — was die evangelische Kirche betraf, der ich nach Taufe und Konfirmation angehörte — an einem Punkt, an dem ich mich mit derselben fertig zu sein glaubte. — Zu viele Unbegreiflichkeiten hatte ich bis zu jenem Zeitpunkt schon an und in dieser Kirche gesehen — und innerlich erlitten.
Ich kann an dieser Stelle nicht die Anzahl und den Ablauf aller Vorfälle, durch die es soweit gekommen war, schildern. Vielleicht vertraue ich diese einer separaten Arbeit an, das wird die Zukunft mit sich bringen. Außerdem soll ja dieses Buch auch nur meinen Weg von jenem Zeitpunkt ab zeigen, so, wie er mich durch die Sekten führte. Unter Sekten verstehe ich bei dieser Arbeit alle Strömungen, die abseits der beiden großen Pole wirken: dem Katholizismus und dem Protestantismus.

In meiner Familie jedenfalls stieß ich — bei aller zärtlichen Liebe für mich, in anderen Dingen des Lebens — auf keinerlei Verständnis für mein Suchen nach Gott, oder nach dem Element des Wahren und Richtigen im Christentum. Man beschied mich dahin, daß es viel besser sei, ein Grübeln über diese Dinge - vor allem, da ich noch ein halbes Kind wäre — absolut zu meiden — da sich schon andere, berufenere, daran vergeblich versucht hätten.
Das konnte natürlich kein Trost für mich sein und mich schon gar nicht abbringen von meinem Suchen — sondern es forderte dies nur um so mehr heraus.

In diese Zeit meines ersten, zagen Tastens nach der Wahrheit fiel meine allererste Begegnung mit einer Sekte und zwar waren es die ZEUGEN Jehovas. Eines Tages ging ich auf der Straße an einem jungen Mann vorüber, der dort stand und seine Schriften, den WACHTURM und das ERWACHET, feilbot und Vorübergehende — darum auch mich — ansprach. Alle anderen blieben nicht bei ihm stehen, aber bei mir hatte er Erfolg. — Mein Tasten nach der Wahrheit machte es dem sehr redegewandten Vertreter seiner Sache relativ leicht, mich einzufangen. Obwohl mich vom ersten Wort an der rüde Tonfall störte, in dem er seine Argumente vortrug — zumal jedes zweite Wort, mit dem er herumjonglierte, "Gott" war — so hatte es mir doch der Inhalt dieser Argumente angetan. Es gelang mir, seinen Tonfall völlig zu überhören, zumal ich ja auch in der Kirche, der den Rücken zuzudrehen ich im Begriffe war, oft gesehen hatte, wie Menschen, die in einer Bank miteinander beteten, sich danach draußen buchstäblich und sinnbildlich die Köpfe einschlugen.

Der Inhalt seiner Botschaft, vor allem, was er über das Kriegsdienstproblem vorbrachte, sprach mir zu. Mich hatte es schon immer befremdet, daß es möglich sein konnte, daß Menschen, selbst solche, die sich "wahre" Christen nannten, gegeneinander in den Krieg zogen und — für den eigenen Sieg — jeder auf seiner Seite, ihre gemeinsame Gottheit anflehten. Wie konnten sie wähnen, daß Gott, paradoxerweise den einen bevorzugen und den anderen preisgeben würde — wenn er Gott war? Oder, wie paßte eine kriegerische Haltung von Christen zu dem Vorfall bei der Festnahme Jesu, wo dieser dem Maldius das abgeschlagene Ohr wieder anfügte?

Und nun stand da dieser Zeuge, der mit diesen und anderen Argumenten, sehr richtig, gegen den Kriegsdienst wetterte. Damals konnte ich natürlich nicht wissen, daß die Zeugen ihrerseits aber auch eine sehr kriegerische Sekte sind und auf manchen Gebieten sehr aggressiv werden können. Immerhin verabredete ich mich mit diesem jungen Mann. Wir wollten uns zu weiteren Aussprachen zusammenfinden. Er übergab mir dann noch einige seiner Schriften, einige gratis, andere gegen Bezahlung — die ich, einem Verschwörer ähnlich, heim in mein Zimmer trug und dort wieder und wieder las.

Bald darauf wurde ich von dem beflissenen Zeugen auch eingeladen, an einer großen Versammlung, einer BEZIRKSVERSAMMLUNG, teilzunehmen, die in meiner Heimatstadt vor sich gehen sollte. Außergewöhnliches würde ich dort zu hören bekommen, prophezeite er mir stolz, denn es würden anwesend sein — neben Tausenden von Männlein und Weiblein, die aufmarschieren sollten, um für ihren Glauben zu demonstrieren — einige Herren vom "Überrest", um große Wahrheiten bekanntzumachen. Der Überrest ist eine Gruppe von Menschen, die — nach den Lehren der Zeugen — "noch" auf Erden weilt, anstatt im Himmel, um hier bestimmte Aufgaben auszuführen. Es ist der Überrest, oder die Rest- bzw. FUSSGLIEDER des mystischen LEIBES CHRISTI, die — indem sie eine bevorzugte Schar von Menschen sind — eines Tages mit dem gesamten Leib in himmlischen Örtern mit Jesus, als dem Haupt, vereint sein und herrschen sollen. Sie befinden sich nur noch darum auf der schnöden Erde, so sagen die Zeugen, weil es ihre Aufgabe ist, die alten Patriarchen, die mit jedem Tag wieder auferstehen können, in ihr Amt als ewige Erdenherrscher einzuführen und vor allem zuvor noch — mit all denen die überleben sollen — durch die Weltendskatastrophe von HARMAGEDON (die eine der Hauptdoktrinen der Zeugen ist) hindurch zu geleiten. Dieser Überrest wird dann von der Erde hinweggenommen und im Himmel, den die Zeugen sich nebenbei sehr lokalisiert vorstellen, etwa als im Plejaden-Komplex, wo auch Jehova selbst thronen soll, mit Jesus Christus, dem Haupte, wie gesagt, vereint. Die anderen Menschen dagegen haben auf der Erde zu verbleiben, die nach der Allreinigung von Harmagedon zu einem Paradies umgestaltet werden wird — ein Paradies, wie sich die Zeugen ein solches vorstellen.

Leider befriedigten mich die endlosen Tiraden, die diese Prominenten, die letzten Herren vom REST, über die Versammelten hinströmen ließen, in keiner Weise. Es war entweder ganz einfache biblische Stimmungsmache, der nur noch am Schluß der Aufruf zu einem totalen, religiösen Krieg fehlte, um an andere Versammlungen unseligen Angedenkens zu erinnern. Oder es war ein Breittreten selbst mir längst bekannter biblischer Binsenwahrheiten, untermengt vielleicht wohl von einigen chronologischen Eröffnungen, die neu sein mochten, zumindest mir noch unbekannt waren, Spielereien mit der Datenauffächerung der Pyramide von Gizeh, eigene Erfindungen der Zeugen, Hinweise auf aktuelle Parallelen zwischen den Verkündungen der Bibel für die Endzeit und dem Tagesgeschehen - und sehr wenig Tröstliches oder Erhebendes.

Wenn ich dies heute niederschreibe, so liegen bereits 18 Jahre dazwischen und ich kann nur sagen, daß bisher weder die alten Vorväter auferstanden sind, noch auch die Herren vom Rest in den Himmel hinein transformiert wurden, noch auch sonst eines ihrer Worte sich als wahr erwiesen hat, bis auf das, was sie an allgemeinen Wahrheiten aus der Bibel adaptiert haben, die natürlich eben immer wahr sind. Ich habe mir damals, als ich an jener Versammlung teilnahm, erlaubt, danach zu fragen, ob meine eigenen Hoffnungen auf ein himmlisches Leben berechtigt sein könnten. Ganz entschieden wurde mir das versagt.

Für mich, so lautete der Beschluß, kam nur ein ewiges Leben auf Erden in Frage, zusammen mit anderen MILLIONEN JETZT LEBENDER, DIE NIE MEHR STERBEN müssen — vorausgesetzt allerdings, daß sie die "Frohbotschaft" der WATCH TOWER BIBLE & TRAGT SOCIETY als die einzig richtige Wahrheit annehmen wollen. In diesem Falle werden sie der Weltendskatastrophe entrinnen. Sie werden in ein Paradies eingehen, wie es den Zeugen vorschwebt und, das ich nur einen wahren Alptraum nennen kann, so technisch perfekt ist dort der Ablauf des Lebens und alles Geistige ist dann im Animalischen "erlöst", weil die Zeugen ja ohnedies nicht an eine, den Menschen innewohnende, immaterielle Seele
glauben, sondern sagen, der Mensch in seiner Ganzheit, und da meinen sie den vollkommenen Körper — i s t eine lebendige Seele.

An Ausmalungen des Paradieses, das möchte ich nicht versäumen zu erwähnen, schließen sich zu allermeist prompt ebenso eingehende Schilderungen der Vernichtungen an, die alle jene unausweichlich treffen müssen, die sich dem Rahmen der von der Watch Tower Society — die ja die ordinierte Vertreterin Gottes auf Erden zu sein beansprucht — gezeichneten Lehren nicht einfügen. Die Vernichtungsandrohungen, die die Zeugen vom Stapel lassen, sind in nichts besser als die Höllendarstellungen des Mittelalters, wie diese, nach Aussagen der Zeugen noch heute von den beiden großen Kirchen kolportiert werden - die aber doch von den Zeugen empört zurückgewiesen werden — wo ist da die Logik der Ereignisse, könnte man fragen, wenn man diese nicht geradezu auf der Hand liegen sähe. Glaubt man den Aussagen der Zeugen über Jehova, dann ist dieser einmal ein liebend-betulicher Vater, der wie eine Henne um ihre Küchlein kluckt — und schon im nächsten Augenblick ein blutrünstiger Drache, der auf Unheil gegen alle jene brütet, die der von ihm begünstigten Watch Tower Society widerstehen.

Von jenem Gott, der, wie der Vater des verlorenen Sohnes, seiner Schöpfung nachgeht, geduldig Ihrer Rückkehr harrt, um nicht in ihre Freiheit einzugreifen und der den Rückkehrenden "entgegenläuft, um den Hals fällt und sie herzt und küßt", wenn man dieses Bild gebrauchen will. Der Jehova der Zeugen läßt den Menschen nur wenig Spielraum und ist ihnen nur gut, wenn sie ihm gut sind. Er ist ein Gott, der den Menschen zu sündigen, ja, fähig machte, sie hinterher aber vernichtet und bedroht — weil sie von ihrer Freiheit Gebrauch gemacht hatten. Die Faust dieses Gottes spürte ich nun im Nacken und ich habe mich dieser
Faust seinerzeit auch gebeugt. Allerdings habe ich mich doch, hochverräterisch genug, schon in jener Zeit gefragt, ob das nun der Gott sei, den ich so sehnlich suchte, und, nach der meine Seele lechzte wie ein Durstiger nach frischem Wasser. —


Ich bin dann eine längere Strecke meines Lebensweges mit den Zeugen zusammen gegangen — oder sogar marschiert, wie es mich zu sagen reizt, denn an dieser antimilitaristischen Sekte ist so vieles — militant. Jedenfalls nahm ich nun teil an dem Arbeitsprogramm der Zeugen, denn, wenn ich mir Jehova gut gesonnen erhalten wollte, dann mußte auch ich — zusammen mit den anderen Getreuen — das Evangelium der Watch Tower Society verbreiten, denn ich kann heute nicht gut sagen, das Evangelium des Herrn.

Jede erreichbare Tür, jede Bodenluke und jedes Kellerloch mußte abgeklappert werden, um allen Menschen die Botschaft vom Ende der Welt zu künden. Es war natürlich von vorne herein klar und ausgemacht, daß nicht ein jeder uns mit offenen Armen empfangen würde, weswegen wir uns alle dem THEOKRATISCHEN KURS, einer internen Verkündigerschulung zu unterziehen hatten, wo wir in Mimik, Gestik und Rhetorik eingewiesen wurden und auch in manche — ich gebe zu inoffizielle — Verkündigungspraktiken
.
Eine der letzteren war die, bei Unwilligen schnell den Fuß zwischen Tür und Füllung zu stellen, damit die Türe, im Zorn vielleicht, nicht geschlossen werden konnte - weil es doch darum ging, jedem, und auch im besonderen den Widerstrebenden, unsere Frohbotschaft bekanntzumachen - damit sie am Tage des Gerichtes keine Entschuldigungen vorbringen konnten, "es" nicht gewußt zu haben. Nur dann konnte Jehova sie — gerechtfertigt vor seiner aufmerksamen Kreatur — genußvoll um die Ecke bringen. Denn - so gerecht war Jehova nun wieder doch, ja, ja, das wollte er sich nicht nachsagen lassen, daß er jemanden umbrachte, ohne ihn vorher gewarnt zu haben.

Um nun meinerseits zu versuchen, allem gerecht zu werden, möchte ich an dieser Stelle bemerken, daß ich klar weiß, daß der Begriff von Jehova, wie ihn die Zeugen malen, ein völlig verzerrter ist. Wiederum aber auch ist das zu sagen, daß nicht alle Zeugen von ein und derselben Art sind und, daß es in ihrer Mitte viele Menschen mit wirklich gutem Willen gibt — obwohl sie alle, wenn sie Zeugen bleiben, mehr oder weniger fanatisiert werden. Ein weiteres ist die Tatsache, daß das Schriftenangebot für den Neuling ein so komplexes ist, daß er schon eine gute Zeit braucht und daran zu tun hat, um sich hindurchzuarbeiten und dann, wenn er nicht bereits damit eingewickelt wurde, zu konstatieren, daß vieles eben doch nur Wiederholungen sind, in immer neuen Worten plattgewalzt und, daß der Rest von Neuem, das die Zeugen zu besitzen meinen, sich auch wiederum aufteilt in Seemannsgarn und in leere Phrasen und, daß das, was am Schluß noch bleibt — verloren geht vor der inneren Haltung der Zeugen.

Die Zeugen tun sich auch viel darauf zugute, daß sie in der Hitlerzeit einige hundert Märtyrer ihres Glaubens verloren haben. Dieser Umstand ist natürlich aller Ehre wert — aber es spricht nicht für die Wahrheit ihrer Lehren, denn jede Sache und ihre Gegensache hat ihre Märtyrer. Oder sind nicht auch schon gute Sozialdemokraten oder Kommunisten oder Christen anderer Schattierungen, aber auch "Helden" unter dem Schwert von Christen — für ihre Sache mit dem Leben eingestanden? Das wird niemand leugnen können. Immerhin knüpfen die Zeugen ihre Werbetiraden sehr gerne an dem Opfer ihrer Märtyrer an.

Sie beklagen es auch, daß ihnen — als dem einzig erwählten Volke Gottes — nicht in jedem Volke und nicht in jeder Zone die gebührende Redefreiheit zugebilligt wird — um endlos zu schnattern, zu schnattern und nochmals zu schnattern — wie ich befürchte. Die Zeugen ihrerseits sind aber gegen jene, die in ihrer Hand sind, in keiner Weise tolerant und reiten auf einem Unfehlbarkeitsanspruch ihrer Lehre herum, der noch schlimmer ist als der Infallibilitätsanspruch des Papstes, der ihn schließlich nur ex cathedra hat. Ich persönlich denke es mir sehr peinlich und bedrohlich, in einem Lande leben zu müssen, in dem die Zeugen die Regierung in Händen hätten — ich meine jetzt, was dann meine Redefreiheit beträfe!

Dennoch war ich nicht reif in jener Zeit, irgend etwas zu unternehmen, um mich von den Zeugen zu lösen, noch hätte ich in jenen Tagen alle die Argumente schon — einem Rosenkranz gleich - aneinanderreihen können, die ich heute gegen die Ansprüche der Zeugen zur Hand habe. So war ich denn damit befaßt, eifrig der Watch Tower Society neue Kandidaten zuzuführen und ich hatte damit schreckliches — Glück! Es gibt nämlich noch heute Leute, die überzeugte Zeugen sind, von mir dazu überredet, anders kann ich es nicht nennen, während ich schon ein paar Stufen weiter habe gehen dürfen.

Allerdings, daß sie noch dabei sind, liegt nur daran, daß sie sich meinen heutigen Argumenten gegenüber sperren, weil sie — mag es an ihrer religiösen Kapazität liegen — nicht einzusehen vermögen, daß es ein "Weiter", ein "Höher" und ein "Mehr" geben kann, nachdem für sie schon der Sprung von ihrer Kirche weg hin zu den Zeugen etwas Unerhörtes war. Diese meine Freunde ruhen aber in meinem Gebet und sind auch — wenn ich mir dies zu sagen erlauben darf — in meiner Freundesliebe eingeschlossen. Ob es umgekehrt ist, kann ich nicht sagen. —

Gemeinsam mit der Zeugengruppe, in der ich mich befand, habe ich dann die verschiedenen Verkündigungsschlachten geschlagen und bin mit ihr durch Stadt und Land gezogen. Einmal, so erinnere ich mich, hatten wir ein Dorf "durchkämmt" und trafen uns am Schluß am Ende des Dorfes, um uns von unseren Siegen vorzusingen. Wir standen vor einem entzückenden kleinen Haus, das in Blumen geradezu eingebettet war und ich schaute interessiert auf diese Blumenpracht. Da bemerkte ich, daß meine Brüder und Schwestern mich wegzuziehen begannen, so, als täte ich etwas ungebührliches. Ich ging — nolens volens — mit weg und hörte unterwegs, daß gerade in diesem, von mir derart bestaunten Häuschen, "Abgefallene" wohnten. Leute also, die es gewagt hatten — dem Jehova der Zeugen den Rücken zu kehren.

Als ich mich — erstaunt, ja, innerlich triumphierend darüber, daß es so etwas also wirklich geben sollte — ganz einfältig nach dem "wie" der Möglichkeit, abfallen zu können, erkundigte — bekam ich ekstatische Schimpfkanonaden zu hören. Diese biederen Dorfleute waren Anhänger F. L. A. Freytags, eines Mannes mit einem Lehrprogramm ähnlich dem der Zeugen — nur eben nicht dem der Zeugen. Man kann also sagen, einer Abzweigung von den Zeugen, oder, noch präzisierter, einer Parallelströmung zu den Zeugen, denn es hat eine Zeit gegeben, da Herr Freytag und Herr C. T. Russell, der Gründer der Zeugen — die ja zuerst nur Bibelforscher (Bible Students) hießen — zusammenwirkten.

Sie konnten aber nicht zusammen weitergehen, da sie beide von sich behaupteten, der getreue und gute Knecht zu sein — und wohl auch beide nichts von ihrer Macht und ihrem Einfluß an den anderen abtreten wollten, nehme ich an — weswegen sich ihre Wege trennten und sie sich dann später, quasi, mit Bannbullen beschleuderten. Bibelforscher — und Altruisten, Menschenfreunde (so nennen sich die Freytag-Anhänger) — auch hier also schon wieder eine Unterteilung im großen und verwirrenden Gewebe der christlichen Denominationen. Jedenfalls hätte mir in der Stunde vor dem Häuschen dieser Altruisten Schlimmes widerfahren können — wenn mich meine Zeugen-Geschwister nicht entschieden aus meiner Blumenversunkenheit herausgerissen und fortgeführt hätten, denn die Altruisten würden, hätten sie mich nur erspäht, nichts eiligeres zu tun gehabt, als mich in ihr Hexenhaus zu locken und auch zum Abfall zu verführen.

Erst, als ich weit weg war von dem verwunschenen Häuschen, bedauerte ich meine eigene Zaghaftigkeit, doch es war zu spät zur Umkehr, zu spät, um von diesen Abtrünnigen selber zu hören, was sie zur Rechtfertigung ihres Soseins zu sagen hatten. Meine Betreuer- und Betörertruppe hatte mich entführt und, in Wirklichkeit, auch verführt. Erst viel später bin ich in einer anderen Stadt und zu einer ganz anderen Gelegenheit, wieder mit den Anhängern F. L. A. Freytags in Berührung gekommen. Wegen dieses Vorfalles kam ich aber erst auf andere Gedanken, in denen ich zurückging an den Ursprung der Bibelforscher. Nun erst wurde mir alles wichtig, was der Begründer der Zeugen, Herr CHARLES TAZE RUSSELL geschrieben hatte und von dem mir erst jetzt auffiel, daß ich es in den Versammlungen der Zeugen so gut wie nie zu sehen bekam.

Ich befragte dieserhalb eine ältere Schwester, die mir sehr gewogen war und bekam von ihr, nach und nach, alle Bücher Russell's geliehen. Sie selbst beging damit gewissermaßen Hochverrat, denn es war verpönt, zumindest sehr ungern gesehen, wenn die Novizen noch in Berührung gebracht wurden mit dieser Literatur. Die Bücher Russells, so sagen die undankbaren Zeugen, enthalten "alte" Wahrheit und machen überdies auch noch zuviele Konzessionen an die Religionen, während doch die Zeugen der neuen Schule der "neuen" Wahrheit, deren Präsident Herr RUTHERFORD, ein Nachfolger Russell's zu sein beansprucht, folgen und huldigen. Und, vor allem, "religiös" zu sein verabscheuen die Zeugen wie kaum sonst etwas.

So legen die Zeugen nicht nur eine horrende Undankbarkeit ihrem Gründer gegenüber an den Tag, sondern demonstrieren auch noch einen seltsamen Begriff von Wahrheit, von welcher beispielsweise die Christliche Wissenschaft, von welcher später zu reden sein wird, als ganz gegenteilig behauptet, daß sie — die Wahrheit — Gott selber sei! Deshalb empfand ich seinerzeit diese Einstellung Herrn Russell gegenüber zumindest als ungehörig und es machte mich nur um so gespannter, jetzt dessen Bücher zu lesen und innerlich zu verarbeiten. Ich habe dann auch fast alle dieser Bücher gelesen und muß sagen, daß sie mich geradezu fesselten, dies wohl besonders unter dem Vorzeichen, sie halb verboten zu studieren.

Bald war ich in der Gruppe über das Gelesene des Lobes voll — und hatte die Zeugen schnell gegen mich. Zuerst wurde die betreffende, ältere Dame, die mich mit den Büchern Russells so freundlich versorgt hatte, strengen Gesprächen und Verweisen unterzogen und nur darum, weil sie eine so langjährige, finanziell auch sehr spendable, stets ehrenamtliche Verbreiterin der Zeitschriften der Society war — ließ man bei ihr Gnade vor Recht ergehen. Ich aber "kam dran" und man machte nur schwache und nicht sehr liebevolle Versuche, mich, der ich auch ohnedies oft Randglossen gemacht hatte, die keinem recht behagen wollten, noch zu retten. Und ich meinerseits dachte nicht daran, etwas zu beschönigen, sondern wusch dem sauberen Kollegium, das mich in die Zange nahm, gehörig den Kopf.

Darum waren dann die ersten Drohungen und Bannflüche schnell bei der Hand, denn der Fluch, sei er auch nur als von Jehova kommend, aber von den Zeugen gekonnt interpretiert und prononziert, sitzt ihnen so locker wie dem Cowboy der Colt. Ob so oder so — plötzlich sah ich mich in das Lager des Widersachers hineingeredet und hörte, daß nun auch ich ein Verstoßener Jehovas der Vernichtung entgegentaumele und "mußte", sollte ich nicht doch noch reumütig zu Kreuze kriechen, die hehren Reihen der Berufenen und Auserwählten Jehovas verlassen. Wenn sie nur geahnt hätten, wie glücklich mich das machte, sie hätten mich womöglich bei sich behalten, um mich dadurch unglücklich zu machen — aber selbstredend ging ich.

Ich ging heraus aus diesem Ofen, ohne, daß man dessen Brand an mir gerochen hätte und, auch wenn ich nicht wußte, wohin ich nun gehen mußte, sollte es gottwärts sein, ich war jedenfalls frei. Frei konnte ich mich fühlen von einem Jehova, der — wenn ihn die Zeugen
seiner Wahl richtig interpretierten — ein Ungeheuer war, oder der — wenn sie es nicht taten — der Gott war, den es noch zu finden galt.

Kontrastierend dazu auch die Erfahrung die Eckhard v. Süsskind in seinem Buche berichtet:

"Der Verfasser wurde 1971 während seiner Gilead-Schulung in der Hauptzentrale der ZJ in Brooklyn/New York Zeuge eines solchen Falles. Der damalige Präsident Knorr verkündete über den Monitor allen Mitarbeitern in Bethel, daß ein Mitarbeiter ausgewiesen werde, der in den Schriften Russells gelesen und über deren Inhalt mit seinen Zimmerkollegen diskutiert hatte. Ein Ausschluß unterblieb nur deshalb, weil der Mitarbeiter Reue über sein Tun zeigte. Er wurde jedoch öffentlich zurechtgewiesen, unter eine Bewährungsfrist gestellt und mußte das Bethel umgehend verlassen."

„Zeugen Jehovas. Anspruch und Wirklichkeit der Wachtturmgesellschaft" (S. 92)




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