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Geschrieben von Drahbeck am 07. August 2006 13:30:47: Als Antwort auf: Brigitta Hack - Einleitung geschrieben von Drahbeck am 07. August 2006 13:13:14: Siehe auch: Im vorigen Link gehörtes Tondokument veranschaulicht in exemplarischer Weise jene
Geisteshaltung, welche das NS-Regime beseelte. Man sagt den Zeugen Jehovas nach, sie seien partiell "freiwillige" Gefangene
in den KZ des Naziregimes gewesen. Dergestalt, dass sie sich ihre Freiheit mittels einer
Unterschrift unter eine dubiose Abschwörungserklärung hätten erkaufen können. Nur eine
äußerst bescheidene Minderheit nutzte diese Option. Was der NS-Staat da faktisch
verlangte, war eine erzwungene "Liebeserklärung". Erzwungen von Opfern die in
ihrem Inneren - und vielfach auch äußeren - nur Hass und Verachtung für das Naziregime
übrig hatten. Die Menschen, die da nur Hass und Verachtung für das Naziregime übrig hatten, waren
hochmotiviert. Endzeit-Motiviert. Nicht wenige von ihnen hatten schon dem
"Endzeitjahr 1925" zugefiebert. Jenes Jahr verging. Die Endzeit-Fieberhaltung
indes nicht. Deren Verteiler verstanden den Begriff durchaus wörtlich. Die herbeigekommene Krise als Endzeit-Zeichen. Herbeigekommen indes war das Naziregime. Nach Jahren von Inflation, Massenarbeitslosigkeit und Weimarer Republik-Selbstzerfleischung, wähnte man sich als "Aufbruch zu neuen Ufern". Und ihren "Führer" als neue "Lichtgestalt". Und da waren sie nun die Endzeit-Sektierer mit ihrer Krisen-Botschaft. "Vertrauet nicht auf Fürsten, auf einen Menschensohn, bei welchem keine Rettung ist!" Genau dieses Vertrauen aber, wollte das Naziregime im Übermaß einfordern. Jene Fieberkranken nahmen es auch in Kauf; dieweil Quacksalber ihre "Ärzte" unter allerlei Umweltbedingungen noch jene für sich auszuwählen, welche ihre Fieberkurve noch zusätzlich ansteigen ließen. Herr Wrobel zitierte auf einer der "Standhaft"-Veranstaltungen, jener vom 18. 4. 2000 in Karlsruhe, einmal einen Brief von Rutherford an Zeugen Jehovas in Hamburg (ganz offensichtlich an den dortigen "englischen Korrespopndenten" Hero von Ahlften adressiert). In der Sache drehte es sich darum, wie dem Ansinnen des Naziregimes in Sachen Hitlergruß zu begegnen sei. An dem Brief ist eines vor allem anderen interessant. Das Datum. Laut Wrobel von Rutherford am 20. September 1933 verfasst. Also zu einem Zeitpunkt, wo die WTG nachweisbar, noch ernsthaft glaubte mit den Nazis doch noch zu einem Arrangement kommen zu können. Diese Blütenträume zerstäubten dann zwar. Im September 1933 indes war es noch nicht so weit. Nun soll es nach Wrobel auch in der Hitlergruß-Frage in späteren Jahren noch
Verschärfungen gegeben haben. Indes ist der Text jener Rutherford-Antwort trotz eben
genannten Umstandes, dennoch beachtlich zu nennen. "Die dem Herrn ergeben sind, haben keinen Streit mit den Regierungen, obschon sie von Regierungsbeamten mißverstanden und falsch dargestellt werden. Wenn jemand bei der Finanzbehörde des Deutschen Staates angestellt ist, und von ihm verlangt wird, dass er beim Eintritt in das Büro grüßt, dann sollte er dies entweder tun oder seine Stelle aufgeben. Und wofür er sich entscheidet, muss er für sich selbst festlegen." Also damals wollte Rutherford höchstpersönlich, die sich anbahnenden Konflikte
noch nicht auf die Spitze treiben. Es wäre durchaus machbar gewesen diese
"geschmeidige Politik" beizubehalten. Manches Leid hätte abgemildert werden
können. Wenn die vielfältigen Opfer in der Nazizeit beklagt werden, dann hat auch der Herr aus San Diego, Wohnadresse "Beth Sarim" (Haus der Fürsten) seinen Anteil daran! Das diese Konflikte (auch) auf den Rücken von Kindern und Jugendlichen ausgetragen wurden, wusste man bereits früher. In einer mehrbändigen Dissertation aus dem Jahre 2004 mit dem Titel "Die Kinder von Zeugen Jehovas unter dem Dritten Reich. Verfolgung von Kindern und Jugendlichen in Europa" schreibt deren Autorin - Carlen Beaurain - in einem Selbstreferat (auszugsweise): " ... Hitler versprach sogar diese Brut aus Deutschland auszurotten! Was
konnte den Fuehrer bei dieser kleinen Gemeinschaft so stoeren ? Vor allem die zahlreichen
religioes begruendeten Verweigerungen, wie beispielsweise ihre Weigerung den Hitlergruss
zu leisten, nazistische Lieder zu singen, nazistischen Parteien und Organisationen
beizutreten, den Kriegsdienst zu leisten oder in irgend einer Form den Krieg zu
unterstuetzen. Die Kinder der Zeugen Jehovas waren in ihrer Verweigerung genau so
kategorisch. Was waren die Folgen ? Für die Erwachsenen: Verfolgung, Gefangenhaltung,
Brutalitaeten, Hinrichtungen, Lagerhaft, Experimente. Eben genannte Dissertation ist zwar in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien vorhanden. Andernorts indes ist ihre Greifbarkeit" mehr als schwierig. Da sieht es mit einer anderen Arbeit zum Thema (auch eine Dissertation) schon erheblich
besser aus. Die Rede soll jetzt sein von Brigitta Hack Bibelforscher-Kinder.
Jehovas Zeugen in der NS-Zeit im Spiegel erzählter Kindheits- und
Jugenderinnerungen." Unter Bezugnahme auf WTG-Quellen beziffert die Autorin die Zahl der Sorgerechtsfälle
im NS-Regime mit Zeugen Jehovas-Bezug auf 860 bekanntgewordene Fälle. Eventuell auch eine
vermutete höhere Zahl. "Wie stark müssen die Ängste und Nöte der Bibelforscher-Kinder gewesen sein,
wenn die Betroffenheit derjenigen, die glimpflich davon gekommen waren, noch nach
Jahrzehnten zu spüren war." (S. 3) "Zudem stellt sich die Frage, ob die Qualen, Verluste Ihre selbstgestellte Zielstellumg, eingebettet in einer Volkskundlichen
Untersuchung, besteht einerseits darin, die WTG-Prämissen zum Thema entweder zu
bestätigen, oder partiell davon abzuweichen. Dabei muss sie konstatieren: Vereinfacht formuliert. Die WTG-Quellen bieten in der Regel das Bild einer "Heldensaga". Inwieweit die Wirklichkeitsadäquat ist, müsse auch ein Untersuchungsgegenstand sein.
Angesichts der verhältnismäßig dünn gesäten veröffentlichten Studien und Erlebnisberichte über das Schicksal von Bibelforscher-Kinder im NS-Regime, entschloß sich die Autorin in Kooperation mit der WTG und unter ausdrücklicher Nutzung ihrer Ressourcen, "Fragebogen" zu verschicken. Man vernimmt, dass die WTG es nicht versäumte dabei auch "gestaltend" mit zu wirken (S. 20f.) Zwar habe die WTG alle gewünschten Fragen der Autorin weitergeleitet. Aber man kann sich unschwer vorstellen, dass die Rückantworten, die über die WTG-Kanäle weitergeleitet, wohl kaum Akzente aufwiesen, die vielleicht bei einer Direktbefragung ohne WTG-Beteiligung "herauskristallisierbar" gewesen wären. Charakteristisch auch ein Satz wie der (S. 190): Von den eingangs genannten 860 Fällen muss unsere Autorin dann zur Kenntnis nehmen. Diese Zahl stammt im wesentlichen aus statistischen Erhebungen, unmittelbar nach 1945. Eine Untermauerung durch umfängliche Detailberichte, die über den Rahmen einer Fragebogenbeantwortung hinausgingen, erfolgte damals, und auch weitere Jahrzehnte danach nicht. Als die Autorin sich ab etwa 1998 mit diesem Thema zu beschäftigen begann, kann sie somit keineswegs aus einem bereits vorhandenen umfänglichen "Fundus" schöpfen. Damit ist zugleich schon das Urteil gesprochen, welchen "Stellenwert" die
Untersuchung von Frau Hack in einer Geschichtssicht haben kann, die sich eben nicht der
WTG-Heldensaga verpflichtet weis. Im Gegensatz etwa zu einem Detlef Garbe würde ich Frau Hack bescheinigen, dass sie durchaus im Sinne des Roman-Sujets von Stefan Heym ("Der König David-Bericht" mit seiner Parabel, dass ein Historiker in einem Geschichtsbericht, der eigentlich "allen Zweifeln ein Ende bereiten sollte", der aber für die Herrschenden weitgehend wertlos wurde, dieweil sich in ihm verstreut auch "unerlaubte Gedanken" vorfinden). Also einem Detlef Garbe würde ich die Kunst das zu beherrschen, eher n i c h t bescheinigen. Anders schon Frau Hack. Garbe weiß "bestenfalls" von "Glaubensgehorsam" zu faseln (eine seiner Wortkreationen, auch dort wo er konkreter werden müsste, es aber nicht wird). Ihre bereits genannte Abhängigkeit von den WTG-Apparatschicks, hat Frau Hack doch nicht daran gehindert, "hier und da" so ein paar solcher für die Herrschenden (sprich die WTG) unerlaubte Gedanken in ihre Geschichte mit einzustreuen, die doch eigentlich "allen Zweifeln ein Ende bereiten sollte". Als ein Beispiel dazu mag auch ihr Zitat auf Seite 86 dienen: Interessant auch ihr Satz: Noch so ein bezeichnender Satz: Böse Zungen würden dazu nur noch als Kommentar hinzufügen. Neben der Fragebogenaktion führte die Autorin auch diverse mündliche Interviews durch. Da hatte sie ja meiner Meinung nach eine Option, um etwas unabhängiger agieren zu können. Wie Schnellebig der Verfallswert mancher Sachen ist, welche nun gedruckt im Buch von Frau Hack vorliegen, mag der Hinweis auf den Zeugen Jehovas-Webring unter der Ägide des Roland Frisch verdeutlichen. Würde Frau Hack Herrn Frisch, heute, wo ihr Buch gedruckt vorliegt, zu diesem Aspekt nochmal befragen, könnte sie sich ein eigenes Bild von gewissen "Wandlungen" verschaffen. Dazu gehört dann auch (was Frau Hack keinesfalls anzulasten ist), dass die genannten Infolink-URL ebenfalls nicht mehr zutreffend sind. Man kommt bei einer Einschätzung der Tragödien im Naziregime nicht umhin, auch den Herrn Rutherford im besonderen zu bewerten. Da hat Frau Hack durchaus einen wesentlichen Aspekt erfasst, wenn sie etwa auf Seite 37 ihrer Studie schreibt: "Die Aussage, dass Regierungen "unter der Oberaufsicht eines unsichtbaren
Oberherren, Satans des Teufels," ihre Macht ausüben, und die Fragestellung Zustimmbar ist auch der von der Autorin herausgearbeitete Aspekt, dass die allermeisten der deutschen Zeugen Jehovas der 30er Jahre noch nicht zu den in diesen Glauben "Hineingeborenen" gehörten. (S. 134) Da ist wohl die heutige soziologische Struktur dergleichen Religionsgemeinschaft anders zu bewerten. Eben der hohe Prozentsatz der "ersten Generation" zu damaliger Zeit, impliziert auch den geringeren Anteil an "Mitläufern". Im Umkehrschluss aber auch den größeren Anteil der Fanatischen, besonders auf den relevanten Konfliktfeldern. In ihren Gesprächen mit "Nachgeborenen" Zeugen Jehovas, also jenen welche
das Naziregime nicht persönlich erlebten, begegnet Frau Hack nicht selten im Einklang mit
der WTG der "Heldensaga"-Tendenz. Meine Meinung zum Buch noch. Dissertationen (und um die Buchform einer solchen
handelt es sich) sind in den allerseltensten Fällen ein "Publikumsrenner".
Einmal weil sie nicht selten langatmig, zum anderen geht es ihren Autoren in erster Linie
um den Erwerb des erstrebten akademischen Grades. Auch im vorliegenden Fall wird man das
so registrieren. Vorgestellte Details aus den Interviews erfolgen grundsätzlich anonymisiert. Auch in den Fällen (man denke beispielsweise nur an die umfänglich dokumentierten Fälle der Familie Kusserow) wo solche Berichte bereits andernorts als "Parallelbericht" vorliegen. Insoweit hält sich der Neuigkeitscharakter innerhalb der wiedergegebenen Interviews in engen Grenzen. Das konnte man zwar schon im voraus wissen. Sieht man es nun bestätigt, braucht man dieserhalb dann auch nicht enttäuscht zu sein. Ein paar charakteristische Detailsätze vielleicht doch noch aus diesen Berichten: "Herrn Brenners Ausführung gleicht einer Rechtfertigung. Er machte in seinem Bericht deutlich, dass er nicht zu der Gruppe der Zeugen Jehovas gehören konnte, die - wie in der Wachtturm-Literatur beschrieben - "standhaft" ihren Glauben verteidigten. Als wolle er sich dafür entschuldigen, dass er zur Zeit seiner Pflegschaft noch keine Kenntnisse der Bibelforscher-Lehre hatte, bittet er gleichzeitig um Verständnis, dass er in seiner Jugend nicht nach dem rechten Glauben lebte und handelte." "Dieses ständige Hin-und-her-gerissen-Sein zwischen dem, was die Mutter aus der Bibel lehrte, dem, was den Jungen faszinierte, und dem, was von ihm als "deutscher Junge" verlangt wurde, durchzieht das Leben des Josef Jäger während seiner Kinder- und Jugendzeit. Das schlechte Gewissen, vielleicht doch gegen Jehovas Gesetze verstoßen zu haben, tauchte immer wieder auf." "Mein Vater starb dann 1940 im Lazarett in der Haftanstalt an Entkräftung." Ottilie Ortmann und ihr Bruder verbrachten etwa neun Monate bei ihrer Tante, die keine Zeugin Jehovas war, auf dem Bauernhof. Nachdem ihre Mutter durch eine Amnestie aus der Haft entlassen wurde, durften die Kinder wieder nach Hause zurückkehren. Ihre Mutter distanzierte sich danach von den Zeugen Jehovas, weil sie sich und ihre Kinder nicht der Gefahr einer erneuten Verhaftung aussetzen wollte. Die Mutter musste, seit ihr Ehemann in Haft saß, den Lebensunterhalt allein bestreiten. Die 11-jährige Ottilie hatte ihre Mutter bei den Arbeiten in den Privathaushalten zu unterstützen." Vielerlei Mobbing-Situationen, mit oftmals bitteren Konsequenzen waren ohne Zweifel
auch die Kinder der Bibelforscher ausgesetzt. Beachtlich auch die Aussage: Noch ein Aspekt sei angesprochen. Ein Veranschaulichungsbeispiel. Auch bei Frau Hack liest man Beispiele, von "Fanmilienzusammenführungen" nach 1945, wo es keineswegs so wie "früher" war. Auch hier zeitigten die Trennungsjahre Wirkungen. Nachhaltige Wirkungen. In diesem Kontext gehört auch der Satz von Frau Hack: "Die meisten Interviewten gaben an, nach der Verfolgungszeit nicht über ihre Erlebnisse aus der NS-Zeit geredet zu haben. Gründe dafür waren zum einen das Desinteresse des Bekanntenkreises, zum anderen die Unfähigkeit, sich mitzuteilen. Nur wenige fanden während oder direkt nach der NS-Herrschaft eine interessierte Zuhörerschaft." (S. 483) "Die meisten Befragten gaben an, bis zu dem Gespräch mit mir nicht detailliert über ihre Erlebnisse geredet zu haben. Höchstens seien Randbemerkungen bei den Ausstellungen oder bei Glaubensgeschwistern und in den Familien gefallen." (S. 484) Skurriltät am Rande: Offenbar aber nicht den "Bildzeitungs-Gebildeten" (und ädaquaten Gruppen). Die haben dann noch, wenn es für sie schon zu spät ist reichlich Zeit ihre Bildungslücken aufzufüllen. Und sind sie dazu selbst nicht mehr in der Lage, werden "andere" ihnen auf sehr handgreifliche Art, diese Arbeit dann noch abnehmen. Lassen wir diesen Bericht noch mit einem zustimmbaren Zitat von Frau Hack
ausklingen, welches in der Tat den "Grundnerv" trifft. Auf Seite 508 schreibt
sie: |