Geschrieben von Drahbeck am 24. September 2005 07:58:02:
Als Antwort auf: Re: Medizinrecht geschrieben von Drahbeck am
23. September 2005 06:55:20:
Eine medizinische Dissertation von Michael Brock, im Jahre 2003 von der Universität
Münster angenommen, widmet sich dem Thema:
"Kontinuierliche Autotransfusion bei Zeugen Jehovas während herzchirurgischer
Operationen".
Der Autor schätzt ein, "dass mehr als 60% aller Patienten, die herzchirurgischen
Operationen unterzogen werden, im perioperativen Verlauf transfusionsbedürftig
werden".
Das dabei insbesondere Zeugen Jehovas Sorgenkinder darstellen können, liegt auf der
Hand.
Bezüglich ihrer "Krankenhaus-Verbindungskomitees" äußert er:
"Die Mitglieder des Krankenhausverbindungskomitees vertreten generell die offizielle
Meinung der WTG. Es kann davon ausgegangen werden, dass durch das
Krankenhausverbindungskomitee nicht in erster Linie der Wille des Patienten vertreten
wird, wohl aber die offizielle Glaubensdoktrin"
Zur Rechtslage äußert er:
"Im Gegensatz zu anderen europäischen und außereuropäischen Ländern, in welchen
die Rechtslage der Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas juristisch gesichert ist, liegen in
Deutschland noch keine Grundsatzurteile zur Bluttransfusion bei Zeugen Jehovas vor. Ein
Rechtsstreit in dieser Frage wurde vom OLG München (AZ 1 U 4705/98) im Januar 2002 an den
Bundesgerichtshof verwiesen."
Angesichts der vielfältigen Bestrebungen die Kosten für Krankenhausbehandlungen zu
senken, ist es durchaus bedeutsam, wie er sich zu diesen ökonomischen Aspekten äußert:
Er meint:
"Nicht selten ist eine blutlose Alternativbehandlung aufwendiger und
kostenintensiver."
Noch aber wagt es die Zweiklassenmedizin in diesem Lande nicht, auch gegen diese
Brock'sche Aussage "Sturm zu laufen" Noch ....
"Diese Mehrkosten sind durch den Kostenträger zu leisten, der alleine das
wirtschaftliche Risiko trägt, bzw. das wirtschaftliche Risiko über die
Solidargemeinschaft der Versicherten abwickelt. Auf der anderen Seite trägt die
Solidargemeinschaft auch andere Risiken ihrer Versicherten, zu denken ist beispielsweise
an den verbreiteten Nikotinabusus oder an den weithin sozial akzeptierten Alkoholkonsum
mit ihren bekannt negativen Folgen für den Gesundheitszustand des Einzelnen und mit ihren
bekannt hohen Kosten für das Gesundheitssystem. Es lässt sich also argumentieren, dass
eine Versicherung auch den religiösen Bedürfnissen ihrer Mitglieder Rechnung zu tragen
hat. Deshalb wird die blutlose Behandlung gegenwärtig auch als ein Grundrecht des
Patienten angesehen und zu den allgemeinen, durch die Pflegesätze abgegoltenen
Krankenhausleistungen".
Aber für ihn als Arzt sind diese ökonomischen Aspekte sicherlich nicht
vordergründig. Ihn treiben ganz andere Sorgen um; die sich auch in solchen Sätzen
niederschlagen wie:
"Für Ärzte, die sich mit dem Hippokratischen Eid dem Erhalt des körperlichen
irdischen Lebens verpflichtet haben, ergibt sich aus den Überzeugungen der Zeugen Jehovas
zur Bluttransfusion somit ein doppeltes Dilemma: Durch Eid der körperlichen Existenz
verpflichtet, sollen sie Verantwortung für die Seele eines Patienten übernehmen, so das
eine Dilemma, und sie sollen sich gegen ihr gesichertes Wissen verhalten, da die
medizinischen Erwägungen zur Indikation einer Bluttransfusion durch die Ablehnung der
Zeugen Jehovas konterkariert werden, so das andere Dilemma."
Und da konstatiert er, dass sein ärztlicher Spielraum, durch die Zeugen Jehovas eben
empfindlich eingeschränkt ist, zu den übrigen Widrigkeiten hinzukommend.
Sein Kardinalsatz ist dabei vielleicht der:
"Deshalb kommt der intraoperativen Autotransfusion also der maschinellen
Wiederaufbereitung des verlorenen Wundblutes als einziger Maßnahme des
Blutersatzes in diesem Patientenkollektiv eine Schlüsselrolle zu. Aber sogar der
maschinellen Autotransfusion stimmen strenge Zeugen Jehovas nur unter bestimmten
Voraussetzungen zu. Nur wenn eine ununterbrochene Kontinuität zwischen dem
extrakorporalen System zur Aufbereitung des Wundblutes und dem körpereigenen Kreislauf
bestehen bleibt, ist die Retransfusion bei Zeugen Jehovas erlaubt."
Dieser Thematik sucht er nun in Sonderheit in seiner Studie nachzugehen. Die Details
erschließen sich dem Nichtmediziner dabei sicherlich nicht, was auch gar nicht Sinn und
Zweck des Anliegens ist.
Wenn auf die Brock'sche Studie hier besonders hingewiesen wird, so aus einem eher formalen
Grunde. Neben einer Buchausgabe selbiger gibt es auch, auf dem Depositserver der Deutschen
Bibliothek, eine im Internet herunterladbare Variante davon.
Theoretisch haben Doktoranden schon einige Zeit die Möglichkeit, ihre Dissertationen als
Online-Variante dort zu deponieren. Praktisch machen (auch im Bereich Medizin) immer noch,
nur eine Minderheit davon Gebrauch. Dazu gehört eben auch Herr Brock, und deshalb sei
auch auf die diesbezügliche URL hingewiesen::
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=968071546
Auf eine weitere medizinische Dissertation, wieder von der Universität Münster (im
Jahre 2005 angenommen), die sie auch auf dem Depositserver der Deutschen Bibliothek
befindet
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=975446223
sei noch hingewiesen. Die Arbeit von Abdul-Rahman Dakkak
"Herzchirurgie bei Zeugen Jehovas" berichtet von 42 Zeugen Jehovas-Fällen, die
am Universitätsklinikum Münster in den Jahre 1999 - 2003 operiert wurden. Ihnen allen
gemeinsam. Sie alle (ohne Ausnahme) wurden unter Zuhilfenahme einer Herz-Lungen-Maschine
operiert. Wie man aber aus der zuvor zitierten Arbeit von Brock entnehmen kann, ist die
Sicherheit, dass Zeugen Jehovas-Patienten dem zustimmen, durchaus nicht immer prinzipiell
gegeben. Es mag im Einzelfall auch noch einiger Überredungskünste dafür bedürfen.
Dakkak zitiert in seinen Ausführungen auch noch zwei einschlägige Fälle vom
nordamerikanischen Kontinent:
"Von einem Patienten verklagt zu werden, weil man sein Leben gerettet hat, zählt
auch in den USA nicht zu den gewöhnlichen Kunstfehlerrisiken eines Arztes]. Aber ein
Patient aus South Carolina glaubte, keine Wahl zu haben, als er aus der Narkose erwachte
und zu seinem Entsetzen erfuhr, dass ihn sein Chirurg während der Operation mit einer
Bluttransfusion vor einem drohenden Herzinfarkt bewahrt hatte. Der Arzt habe sich an ihm
der "medizinischen Körperverletzung" schuldig gemacht, sagte Harvey vor Gericht
aus, und er habe sich zum Zensor seiner Religionsfreiheit aufgeschwungen. "Die
Entscheidung stand ihm nicht zu. Diese Entscheidung gebührt Jehova, allein - ein Leben
gehört ihm." Der Arzt verteidigte sich mit seinem hippokratischen Eid; darüber
hinaus habe er die Mutter des ins Koma gefallenen Patienten um ihr Einverständnis für
eine Bluttransfusion gebeten und sie erhalten. Er habe das Leben seines Patienten, der
zuvor einen Schlaganfall erlitten hatte, retten müssen. Zu richten sei über seine
Verletzung des Staatsgesetzes über das Verhältnis von Ärzten zu mündigen Patienten,
"nicht über die theologische Schlüssigkeit der Haltung von Zeugen Jehovas zu
Blut". Harvey bestritt seiner Mutter das Recht, sich über sein schriftliches Verbot
von Transfusionen hinwegzusetzen. Ein Bezirksgericht entschied im Jahr 2000 für den Arzt.
Der Patient gab nicht auf und ging in die Berufung
Kanada:
Der Fall eines 16-jährigen Mädchens im kanadischen Calgary wurde bekannt, das als Zeugin
Jehovas die Behandlung ihrer Leukämie durch Blutpräparate verweigerte. Die Eltern
kämpften dafür, sie in die USA zu bringen, wo sie sich mehr Respekt für ihren Glauben
erhofften. 1995 brachte Erwachet" den Fall des 15-jährigen Joshua, der
myeloische Leukämie hatte. Ein Berufungsgericht im kanadischen Neubraunschweig erklärte
ihn zu einem 'reifen Minderjährigen' und unterstützte seine Weigerung, sich
Bluttransfusionen geben zu lassen.
Zu den von Dakkak gebrachten Zitaten gehört auch eines, dass den willkommenen
"Versuchskaninchen-Charakter" der Zeugen Jehovas Patienten herausstellt:
"Professor Stein A. Evensen vom Norwegischen Nationalen Krankenhaus schrieb:
Zeugen Jehovas, die eine Operation benötigten, haben den Weg gewiesen und
für den nötigen Druck gesorgt, auf einem wichtigen Sektor des norwegischen
Gesundheitswesens Verbesserungen zu erzielen."
Ja, so mag das sein. "Vom Blut der Märtyrer" lebt die Kirche,
weiß eine kirchengeschichtliche Einsicht zu berichten. Nachdem die Märtyrersituationen
Hitlerdeutschland und Ostdeutschland ihren Schrecken weitgehend verloren haben, ist noch
ein Ersatzschlachtfeld übrig geblieben. Wohl dem, der es im Fall der Fälle auch
überlebt.
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