Re: Ein Fall von Fanatismus und seine Folgen


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 28. August 2005 06:24:00:

Als Antwort auf: Re: Zeugin Jehovas verweigerte Bluttransfusion geschrieben von Drahbeck am 27. August 2005 07:10:14:

Gelesen in „Weggefährte" (Leipzig) 5. Jg. 1984 Nr. 17 (S. 10f.) unter der Überschrift „Ein Fall von Fanatismus und seine Folgen"

(Vorbemerkung: „Weggefährte" war in der DDR eine Art „Schwesterblatt" der „Christlichen Verantwortung". War die „Christliche Verantwortung" ein ausgesprochenes „Zwitterblatt", mit einer nicht selten ungenießbaren Mixtur von „konservativer Bibelauslegung" Made Eigenbau, gemixt mit ausgesprochen politischen Aspekten; aber auch aufgrund - auch - internationaler Verbindungen, im Einzelfall auch Informationen liefernd, die über vorgenanntes hinausgingen.

So wird man eine solche Charakteristik auf „Weggefährte" nicht übertragen können. Sein Redakteur stand beispielsweise im engen Schulterschluß zur „Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde" (Baptisten), was man auch von der CV in keiner Beziehung sagen konnte. Seine Konzeption war die eines strengen Biblizismus (so wie er ihn verstand). Der nachfolgende Artikel „passt" eigentlich nicht so recht in dieses Konzept hinein. Dennoch hat ihn „Weggefährte" veröffentlicht. Es mag Leute geben, die ihre die CV betreffenden Ressentiments auch auf „Weggefährte" übertragen. Die da am lautesten trompeten, sind allerdings nicht selten solche, die den tatsächlichen Inhalt auch von „Weggefährte" überhaupt nicht aus eigener Anschauung kennen.
Ende der Vorbemerkung).

Erich und Hanna Herrlich sind ein Ehepaar seit 12 Jahren. Sie haben einen 10jährigen Sohn, der Uwe heißt. Sohn Uwe stürzt auf einer Baustelle (beim unerlaubten Spielen dort) erleidet schwere Verletzungen, u. a. hohen Blutverlust. …

Hanna Herrlich schnappte nach Luft. Man merkte ihr an, daß sie außer sich war. Der Chefarzt musterte sie beinahe verständnislos und sagte schließlich: „Ist Ihnen nicht gut? Sie können sich doch nicht sosehr aufregen? Noch bestehen ja Aussichten für ein erfolgreiches Bemühen um die Lebenserhaltung ihres Kindes."

„Lassen Sie mich in Ruhe!" schrie sie den Arzt an. „Wer hat ihnen erlaubt, bei unserem Kinde eine Bluttransfusion vorzunehmen?"
„Wie bitte?", so der Arzt.

„Sofort entfernen sie den Bluttropf von meinem Kinde! Sie hatten keine Erlaubnis dazu und werden sie für weitere Experimente auch nicht bekommen!"

„Sie wollen die Mutter dieses in höchster Lebensgefahr schwebenden Kindes sein? Das gibt es doch nicht! Oder habe ich nicht richtig gehört? wenn ich nicht genau wüßte, daß ich mich in meiner Klinik befinde, müßte ich annehmen, in einem Irrenhaus zu sein. Sind sie denn des Teufels?"

„Wer hier des Teufels ist, das können doch nur Sie sein, Herr Chefarzt! Wir sind strenggläubige Christen. Wir leisten dem Gehorsam, denn wir uns verpflichtet fühlen, Jehova Gott. Was wir zu tun und zu lassen haben, entnehmen wir der Bibel, und daran halten wir uns. Bluttransfusionen sind ein Greuel in den Augen Gottes, dem wir dienen!"

„Sie lieben ja noch nicht einmal ihr eigenes Kind, sie Rabenmutter! Sie wollen es bewußt einem Wahnsinnskult opfern."

„Ich liebe mein Kind! Gerade deswegen will ich es vor einer Verunreinigung mit fremden Blut schützen. wenn es stirbt, dann ist es eben Jehovas Wille gewesen", erwiderte sie triumphierend dem Arzt.

Der Chefarzt raufte sich die Haare. Er war fassungslos. Dann wandte er sich an den Vater:
„Sagen Sie, Herr Herrlich; haben Sie eigentlich auch eine Meinung? Oder interessiert Sie der Fall gar nicht? Es soll ja vorkommen, daß auch Väter ihre Kinder lieben. Stimmen Sie in ihrer Ansicht, was das Kind betrifft, mit der Ihrer Frau überein?"

„Was soll ich noch hinzufügen? Eltern sollten, was ihre Kinder angeht, einer Meinung sein. Ich wüßte nicht, wie ich anders argumentieren sollte. Ich bin nicht so bibelfest wie meine Frau."

„Wunderbar! Naiver konnten Sie sich nicht aus der Affäre ziehen. Sie verweigern also auch Ihr Einverständnis zum einzig aussichtsreichen Handeln der Ärzte an ihrem Kinde zu geben?"

„Eltern müssen sich einig sein. Es kann doch nicht der eine hott und der andere hüh sagen."

Als der Chefarzt die Zimmertür geöffnet hatte, geschah etwas, womit der Arzt nicht gerechnet hatte. Hanna Herrlich stürzte blitzschnell ans Krankenbett, riß den Tropf von ihrem Kinde los und kippte die Apparatur um, daß es Scherben gab.
Das Ehepaar Herrlich setzte sich im Flur auf eine Bank, um weitere Bescheide abzuwarten. Erich zitterte am ganzen Leibe. Hanna dagegen blickte triumphierend umher.
Nach längerem Schweigen sagte Erich: „Ich werde das Gefühl nicht los, das ich neben einer Mörderin sitze.

Sie wurden aus ihren Gedanken aufgescheucht, als der Chefarzt und die Oberschwester an sie herantraten und ihnen eröffnete, daß ihr Junge das auf ihn verübte Attentat nicht überstanden habe und vor ein paar Minuten eingeschlafen sei.

„Ich habe Jehova die Treue gehalten und den Weltmenschen getrotzt, was man von Dir nicht sagen kann. Dafür wird dich keine geringe Strafe treffen. In unserer Studiengruppe wird man begeistert sein, wie tapfer ich mich gehalten habe!"

„O, das glaube ich auch! Nur mich wird man dort nicht wieder sehen. Es reicht aus, was sie aus Dir gemacht haben."

„Das darf doch wohl nicht wahr sein! Du willst Jehova verraten und dich dem Schutz in seiner Organisation entziehen? Also hast Du uns allen etwas vorgeheuchelt? Du warst nie mit dem Herzen dabei!"

„Mit dem Herzen schon, aber ich habe mir nicht den Verstand total verkleistern lassen. Ich war aus Liebe zu Gott dabei, ohne das Bedürfnis, ein willenloser Sklave der Gesellschaft sein zu wollen. D a s ist der Unterschied!"

Die Geschichte endete damit, daß Erich Herrlich die Wohnung verließ und auch nicht zurückkehrte. Die Ehe wurde später geschieden. Ein Fall von extremen Fanatismus hatte seinen Tribut gefordert!


ZurIndexseite