Re: Kulturchristen


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 04. November 2004 12:29:11:

Als Antwort auf: Re: Kulturchristen geschrieben von Willi W... am 04. November 2004 11:28:59:

„Und: ich sehe keine Alternative. Schau doch mal, was anderswo verzapft wird."
Das dürfte wohl das Standardargument auch so etlicher anderer Zeugen sein. „Der Mensch ist ein Gewohnheitstier" um mal salopp zu reden.
Tradition und soziales Umfeld spielen eine große, sehr große Rolle.

Um ein Beispiel zu nennen. Vor dem ersten Weltkrieg, waren die „Großkirchen" zugleich auch offizielle Staatskirchen. Religionskritische Strömungen gab es zwar auch damals schon. Aber wer sich nicht speziell damit beschäftigte, der musste sie schon mit der Lupe suchen.
Da hatte beispielsweise ein katholischer Bischof in den 1840er Jahren einen „heiligen Rock" im Dom zu Trier ausgestellt. Und die blökende Hammlherde wallfahrte anbetend dorthin. Damit demonstrierte die Catholica wieder einmal vor aller Welt, welche tatsächliche Macht sie noch auszuüben vermochte, denn es waren gewaltige Besuchermengen, die da in der Praxis mobilisiert wurden.

Allerdings nicht jeder konnte seine Ratio in der Sache total unterdrücken. Und so artikulierte sich auch Protest. Zahlenmäßig mit Sicherheit der Catholica unterlegen. Aber immerhin Protest. Eine seiner Folgen Abspaltungen von der Catholica. Die konnte zwar nur darüber lächeln; denn die Abspalteten fielen numerisch kaum ins Gewicht.
Auch auf protestantischer Seite gab es ähnliches. Der offizielle Protestantismus jener Zeit war dogmatisch versteinert bis zum geht nicht mehr und das dann noch in Personalunion als Staatskirche. Somit war auch dort ein gewisser Nährboden für den Protest vorhanden. Auch hier wieder die gleiche Feststellung. Numerisch waren die Protestler im Vergleich zur Staatskirche, völlig unbedeutend. Allerdings kann man dieses Unbedeutend nicht auch auf den öffentlichen Diskurs übertragen, den sie sehr wohl anzuregen vermochten.

Und die Folge davon, es gab sogar organisatorische Verfestigungen dieses Protestes. Als „Lichtfreunde"; später aufgegangen in die „Freireligiöse" Bewegung. Dann kam das Jahr 1848. Ein Revolutionsjahr in Europa. Und wichtig sein trauriges Ergebnis. Die Reaktion siegte. „Erschossen wie Robert Blum". Dieser Bonmot ist sehr wohl wörtlich zu verstehen. Blum entstammte auch der vorbenannten Oppositionszene. Andere frühe Protagonisten sahen nur noch den Ausweg in die USA auszuwandern, nachdem im gesamteuropäischen Rahmen die Reaktion auf breiter Front gesiegt hatte.

Die ins Politische gehenden Forderungen der Oppositionszene, waren nach 1848 „tot". Es gab nur noch die „Überlebenschance" als „Freireligiöse" mit Betonung auf „Religiöse". Und damit war das unaufhaltsame Siechtum jener Oppositionszene aus den frühen 40er Jahren vorprogrammiert. Jahrzehnte später, war das poiltische Rahmenklima zwar wieder etwas entspannter. Eine Folge davon. Die verbliebenen „Freireligiösen" spalteten sich auf. Es gab eben Kreise in ihnen, welche die Dominanz des Religiösen nicht als der „Weisheit letzter Schluss" ansahen. Aber auch diese nunmehr sich „Freidenker" nennenden, wurden im öffentlichen Diskurs kaum wahrgenommen. Das sollte sich vor dem ersten Weltkrieg auch nicht mehr ändern.

Erst der verpatzte „Siegfrieden" der gemäß den dominierenden Alldeutschen nur möglich sei, schuf neue Verhältnisse. Nach Ende des Weltkrieges, traten - zumindest zeitweise - revolutionäre Bedingungen in Deutschland ein. Eine seiner Folgen. Die vormaligen Staatskirchen standen nun faktisch mit dem Rücken zur Wand.

Weitere Folge, dass Freidenkertum wurde - zumindest zeitweise - zu einer Massenbewegung. Allerdings, nicht alle die mit den Staatskirchen „fertig" wahren vermöchte es zu integrieren. Da gab es nämlich welche, die weiterhin meinten, Gott müsse sein. Ein Auffangbecken für die unter anderem die Bibelforscher, die in den zwanziger Jahren, gleichfalls ihre ersten „fetten" Jahre in Deutschland erlebten. Und noch etwas stellten die erbosten vormaligen Staatskirchen fest.

Mögen auch zwischen Freidenkern und Bibelforschern ideologisch Lichtjahre liegen. Eine These vertreten beide gemeinsam. Die nämlich, die Staatskirchen hätten die Jugend in die Schützengraben des ersten Weltkrieges hineingepredigt. Das hörte man zwar nicht gern. Gleichwohl musste man es sich von beiden genannten Seiten der recht unterschiedlichen Brüder anhören.
Ihr „Heil" sahen dann die vormaligen Staatskirchen auch in dem Branauer, der bekanntlich versprach, mit dem als „Spuk" empfundenen, Schluss zu machen.

Was lehrt das. Es sind gewisse Rahmenbedingungen vonnöten. Und lehren tut es auch. Kritik an den Etablierten, wird sicherlich zuerst immer nur von einer Minderheit ausgesprochen. Ob die dann größeres bewirken kann oder nicht, hängt wiederum von den Rahmenbedingungen ab. Lehren tut es aber auch. Selbst wenn die Rahmenbedingungen noch so ungünstig sind. Die Kritik an erstarrten Religionsformen wird früher oder später sich doch wieder ein neues oder altes Ventil suchen. Vielleicht gelingt es, dass Ventil auf kleine Flamme zu halten oder es gar zu ersticken. Andererseits kann es in einer revolutionären Umwelt auch schon mal zu einer großen Stichflamme werden, die einiges zu versengen vermag.


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