Tarantel


Rund ums Thema Zeugen Jehovas

Geschrieben von Drahbeck am 13. Juli 2002 22:33:45:

Kalter Krieg in Deutschland. Man schreibt das Jahr 1950. In Westberlin wird eine satirische Zeitschrift gegründet mit dem Titel "Tarantel". Ihre Besonderheit? Sie ist nicht käuflich erwerblich. Sie wird in hoher Auflage gedruckt und diese wiederum zum allergrößten Teil in den Osten eingeschleust. Ihre inhaltliche Aufmachung. Das lächerlich machen des kommunistischen Systems mit den Mitteln der Karikatur. Bis 1962 noch sollte dieses Blatt erscheinen. Dann verschwand sie vom Markt. Der Osten hatte sich bekanntlich 1961 mit seiner "Mauer" abgeschottet und da klappte es nicht mehr so recht mit dem "Einschleusen in den Osten". Das sahen wohl auch ihre Geldgeber so und drehten just zu diesem Zeitpunkt den Geldhahn ab.

Noch bis 1968 existierte, oder besser vegetierte, der herausgebende Verlag. Dann musste auch der letzte der dortigen kalten Krieger konsterniert zur Kenntnis nehmen: Es geht wirklich nicht mehr weiter!

Nach dem Mauerfall konnte ein Teil der ostdeutschen Stasi, die sogenannte HVA (Spionage unter dem Markus Wolf) ihre eigenen Archiven noch gezielt vernichten, so dass davon nur noch Rudimente existieren, die bezeichnenderweise die US-Amerikaner "an Land zogen". Man weiß, dass großen Teilen der übrigen Stasi das vernichten ihrer Unterlagen nicht im gleichem Maße gelang. Die "Gauckbehörde" lebt heute noch davon. Die verantwortlichen Macher der "Tarantel" rühmen sich noch heute, dass sie analog der Stasi-HVA ihr Archiv gleichfalls selbst systematisch vernichtet haben. Lediglich dem Umstand, dass die "Tarantel" sich auch im Fadenkreuz der Stasi befand und in der Gauckbehörde etliche Unterlagen auch über sie ermittelt werden konnte, verdankte deren stellvertretender Chefredakteur es, dass er noch 1997 ein Buch darüber schreiben konnte.

In Zeiten ihrer Existenz, agierten ihre Macher in Geheimdientmanier nur prinzipiell unter Decknamen. So auch Blattgründer Wenzel alias "Heinrich Bär". Das ein echter Heinrich Bär sich damit auf den ostdeutschen Fahndungslisten befand und beispielsweise große Schwierigkeiten bei Reisen zwischen Westberlin und der Bundesrepublik hatte, interessierte westdeutsche Behörden nicht sonderlich. Angeblich wüssten sie nicht, wer der vorgebliche "Heinrich Bär" von der "Tarantel" sei. Letzterer segnete dann 1971 das zeitliche und sei Stellvertreter lässt durchblicken, dass er sich "tot gesoffen" hat.

Das agieren der östlichen Stasi gegen die "Tarantel" kann man generell als glücklos bezeichnen. Genüsslich zitiert Schulz-Heidorf (S. 147):
"Wer mag dem SSD nur diesen 'Bären' aufgebunden haben? Doch die Verlockung, Bär post festum noch in die NSDAP hineinzufantasieren, muß wohl groß gewesen sein. Nicht nur beim Stasi. Dafür spricht ein inniger Kontakt der westberliner Linken in der Zeit der beginnenden Studentenunruhen. Die 'Betreuungsarbeit' des ostberliner Verbands der Journalisten (VDJ) 'galt Ende der sechziger Jahre auch dem westberliner Extradienst', berichten Günter Bohnsack und Herbert Brehmer in ihrem Buch 'Auftrag Irreführung' (Verlag Carlsen, Hamburg 1992). Die beiden Ex-Oberstleutnants berichten: 'Der damalige Chefredakteur Carl Guggomos genoß jede Hilfe, ohne daß der Geheimdienst sichtbar in Erscheinung getreten wäre'. Woher sonst kann der Berliner Extradienst erfahren, was doch nur noch im Geheimpapier der MfS-Hauptverwaltung V steht, und 1967 sein Redakteur Hannes Schwenger den Westberlinern in einem Artikel über die Tarantel mitteilt: "stand fest, daß Bär-Wenzel im Dritten Reich bereits journalistisch tätig war (nach eigener Angabe als Karikaturenzeichner) und dabei bereits mit antikommunistischer Propaganda vertraut war. Doch erst jetzt erfährt man aus Ostberlin, daß Wenzel Chefredakteur einer Zeitung 'Australischer Beobachter' war."

Schulz-Heidorf ergießt sich in Spott darüber, dass ihm bis heute kein "Australischer Beobachter" bekannt sei. Dem mag so sein, oder auch nicht so sein. Am Rande vermerkt. Im Falle der Zeugen Jehovas ist sehr wohl bekannt, dass es in der Nazizeit einen Presseartikel über sie gab, der in einem Blatt namens "Ostasiatischer Beobachter" erschien. Und selbiger ist sehr wohl nachweisbar: In der Deutschen Bücherei zu Leipzig.

Ein spezieller Punkt sei noch aus den Ausführungen von Schulz-Heidorf zitiert. Er schreibt:
"Druckauflagen, Gehälter der zwei Dutzend Festangestellten die Honorare der freien Mitarbeiter des Verlags lassen ahnen, welche Millionenbeiträge der 'Tarantel' … von ihrem anonymen Geldgeber in den 18 Jahren der Kooperation zugeflossen sind. … Die einzigen Partner in der Geschäftsführung, die darüber wohl verbindlich Auskunft geben konnten, haben das ihnen auferlegte Schweigelübde gewahrt.
Eine Panne, die dieses Dunkel nicht erhellt, wohl aber die Großzügigkeit der Geldgeber unterstreicht, ereignet sich Anfang März 1951. In der Bär'schen Wohnung … wird während ihrer Abwesenheit eingebrochen. Die Täter erbeuten rund zehntausend Mark, die für die Druckereikosten bereitliegen. Das Polizeiprotokoll genügt: der Betrag wird umgehend ersetzt. …
Mir, und sicher ebenso den meisten unserer Mitarbeiter, ist es zunächst völlig egal, wer das Unternehmen finanziert. Schon deshalb, weil rasch erkennbar ist, daß offenkundig weder geheimdienstliche Projekte noch andere unjournalistische Aufträge auf dem Programm der Geldgeber stehen. Satire, und darum ging es ja bei der "Tarantel", böte sich für geheimdienstliche Aufgaben auch kaum als geeignetes Agentenmedium an. … Natürlich begreifen wir anderen bald, daß unsere Subventionen aus den USA kommen: für uns so akzeptabel wie ein Marshallplan … " (S. 90-92).

Zusammenfassender Kommentar. Auch Schulz-Heidorf bricht in der Finanzierungsfrage, letztendlich nicht das "auferlegte Schweigegelübde". Es wird daher wohl auch erst gebrochen werden können, wenn die Akten der CIA und ähnlicher "Dienste" dereinst auch einmal via einer "Gauckbehörde" auf dem offenen Markt gelangen. Die politische Konstellation ist so, um diese Forderung als in den Bereich des Utopischen anzusehen.

Die Selbstvernichtung ihres Archivs spricht zudem eine beredte Sprache. Wäre alles mit "rechten Dingen" zugegangen, wäre es normalerweise eine Pflichtaufgabe gewesen, bei Verlagsauflösung das "Tarantel"archiv dem Bundesarchiv oder ähnlichem zu übereignen. Das ist bewusst nicht geschehen. Schulz-Heidorf lokalisiert die Geldgeber in den USA. Im Klartext. Auch die "Tarantel" war eine USA-gesteuerte Zersetzungsmaßnahme gegen den verhassten Osten. Solche verdeckte Maßnahmen unter USA-Ägide gab es noch ein paar mehr.

Heute haben einige einen "Starrkrampf" beim erheben des erhobenen Zeigefingers. Sie verweisen darauf, dass auf östlicher Seite beispielsweise die "Christliche Verantwortung" auch solch eine verdeckte Maßnahme war. Sie sollten nicht vergessen, wenn sich der Krampf in ihrem erhobenen Zeigefinger mal etwas lockert, selbigen auch auf sich selbst zu richten!


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