Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  . +
Datum: 12. Februar 2011 11:37
 
Im Gespräch mit einem Aussteiger der Zeugen Jehovas, der seine Familie verlor

Von Ulli S.
Sein Leben lang war J. A. K. Gemeindemitglied der Zeugen Jehovas, fünf Jahre lang davon in Straubing.
Dann stieg der heute 44-Jährige aus, verlor dabei seine Familie und sein altes Leben, in das er hineingeboren war.
Ohne Scheu und in wohlüberlegten Worten erzählt er über seine Erlebnisse und wie er mit seiner Internetseite um Aufklärung und seine Sicht der Dinge kämpft.

Bereits seine Großeltern waren Zeugen Jehovas.
Sie traten mit ihren Kindern bei, als sie nach der Vertreibung im II. Weltkrieg keinen Anschluss in der neuen Nachbarschaft fanden - "da war jemand, der sich um sie kümmerte".
K. kannte kein anderes Leben als jenes seiner Großfamilie, die alle in der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas waren.
Seine Mutter wollte mit 70 Jahren nicht mehr missionieren, wäre aber gerne noch Mitglied geblieben.
Das durfte nicht sein.
Auch sie wurde wie er mit sozialer Isolation bestraft.
Alte Freunde, Nachbarn und selbst die eigene Mutter brachen den Kontakt komplett ab.
J. A. K. bewundert seine Mutter für ihren Mut, sie trat aus, und kann den Zwiespalt seiner Großmutter erklären: Sie habe die Wahl, den Kontakt zu einem Kind zu verlieren oder zu allen anderen, die noch Zeuge Jehovas sind.
Die Geschichte seiner Mutter, die ein Buch über ihr Leben schrieb, sendete Bayern 2 in der Reihe "Eins zu eins, der Talk" unter dem Titel "Barbara K., Zeitzeugin und Jehova-Aussteigerin".

Als Kind von der Richtigkeit der Lehre überzeugt

Als Kind war er von der Richtigkeit der Lehre überzeugt.
"Von uns Kindern wurde eine Karriere innerhalb der Wachturmorganisation erwartet." Kein Problem für den Jungen, der mit elf, seine Schwester mit neun die Taufe der Zeugen Jehovas erhielt.
"Völlig arglos vertraute ich dem, was meine Eltern mir vermittelten und befasste mich intensiv und aufrichtig mit den Lehren meiner Religion."
Deutlich macht der Aussteiger, dass es bei Treffen der Zeugen Jehovas nicht nur um Religion geht, sondern auch um Verkaufsschulungen.
Wie bringt man den Wachtturm am besten unter die Leute?
Wie wirbt man neue Gemeindemitglieder?
Quoten waren zu erfüllen.
"Die Erwartungen meines sozialen Umfelds erfüllend, wurde ich Wachtturm-Vollzeit-Neumitglied-Akquisiteur und kam 1986 mit 19 Jahren in die Druckerei der Wachtturmgesellschaft in Selters."
Der junge Mann erwartete eine Art Kloster, "Nähe zu Gott" und gemeinsame Gebete.
Im Rückblick und auch damals schon sei es "Profitgier, Ausbeutung und billiger Materialismus" gewesen.
Die Arbeit in der Druckerei der Zeugen Jehovas sei für ihn "traumatisch desillusionierend" gewesen.
Sein Lichtblick: er lernte dort seine Frau kennen und lieben.
Das musste aber schnell gehen, sonst hätte die Trennung gedroht, wie er erklärt: "Eine Woche arbeiteten wir zusammen.
Nach 14 Tagen machte ich ihr einen Heiratsantrag und nach vier Monaten waren wir verheiratet."

"Freiraum" durch Unterbrechung der Gehirnwäsche

Jahre später sei es bei den Zeugen Jehovas in Regensburg "zu einer Intrige innerhalb der Versammlung" gegen ihn gekommen, berichtet K..
Mit Anschuldigungen gegen seine Frau sollte er getroffen werden, betont er.
Man sei nach Straubing gezogen.
"Meine Frau nutzte die Flucht vor der Regens burger Versammlung, indem sie 2002 eine portugiesische Gruppe gründete.
Diese wurde in den Straubinger Königreichssaal gelegt."
Zweifel hatte K. damals schon eine Menge. Die neue Gruppe beschleunigte seinen Ausstieg.
Da er kein Portugiesisch wie seine Frau spricht, wurde "bei mir die Kette der wöchentlichen Indoktrinationen unterbrochen, die in den Vertriebsmeetings der Königreichsäle der Zeugen Jehovas stattfinden".
Auf rund 300 Mitglieder schätzt er die Gemeinde im Königreichsaal in Ittling, die sich in drei Gruppen wöchentlich trifft.
Seinen "neuen Freiraum", der durch die Unterbrechung der bisherigen " fortlaufenden Gehirnwäsche der Wachturmsekte" entstanden war, nutzte er für eine "intensive Auseinandersetzung mit der alten Wachtturmliteratur".
Er verglich ältere, archivierte Veröffentlichungen der Zeugen Jehovas mit neueren: "Ich legte neben jede Lehraussage die Lehrmeinungen in den vorangegangenen Wachtturm-Veröffentlichungen."
Es fiel auf, dass Aussagen und Meinungen sich teilweise widersprachen.
Das konnte eigentlich nicht sein, erklärt der Aussteiger, herrsche doch die Meinung bei den Zeugen Jehovas: "Immerhin haben wir die Wahrheit."

Als Abtrünninger in das soziale Abseits gestellt

Die Folge war, dass K. "plötzlich als Abtrünniger" galt: "Wie konnte ich es wagen zu belegen, dass der treue und verständige Sklave alle zehn Jahre mit seiner Lehrmeinung komplett mal hier hin und mal dorthin schwenkt."
K. begann lästig zu werden, ab 2005 gab er keine Stundenberichte zu Neumitgliederakquisen mehr ab.
Ein Jahr später besuchte er keine Vertriebsmeetings der Zeugen Jehovas mehr. Nur eines belastete ihn schwer: "Leider stand meine Frau weiter unter der Dauergehirnwäsche der Wachturmsekte.
So sehr ich mich von der Sekte löste, distanzierte sich meine Frau von mir."

Für die Zeugen Jehovas sei "ein stilles Gehen und eine glücklich bleibende Familie jedoch eine Provokation", erklärt er und betont: "Sie setzten alles in ihrer Macht Stehende daran, unsere Ehe zu zerstören.
Undenkbar, dass ein Abtrünniger eine glückliche Ehe führt!
Und ich blühte ohne den Sektendruck sichtlich auf."

Am meisten hatte er mit dem "Entzug der Gemeinschaft" zu kämpfen.
Kein anderer Zeuge Jehovas grüßte ihn noch, außerdem war es verboten, sonst irgendwie mit ihm Kontakt zu haben oder gemeinsam zu essen.
Kam Besuch nach Hause, redete dieser nur mit seiner Frau und diese bat ihn, "in den Keller zu gehen", um nicht zu stören.
Der Psychoterror ging soweit, dass er sich nach "16 glücklichen Ehejahren" und ein paar schlimmen sich im April 2010 von seiner Frau trennte.
Beim Scheidungstermin demonstrierten über 20 Mitglieder der Zeugen Jehovas gegen ihn am Amtsgericht.
Seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Frau und seiner Tochter, die gerade erwachsen wurde.
Froh ist er, dass er jahrelang Tagebuch geführt hat.
So kann er "ganz genau" nachvollziehen, "was, wann wie passiert ist".
In Gesprächen sei nämlich versucht worden, ihm andere Erinnerungen einzureden. Momentan lebt der Aussteiger der Zeugen Jehovas in Regensburg ein Leben ohne seine Familie und kämpft mit seiner Homepage, auf der er Artikel und selbst zusammengeschnittene Videos präsentiert, um seine Sicht der Dinge.

Straubinger Tagblatt vom 12.2.2011 Seite 37

Ich reiche noch Faximile der Tageszeitung nach.
Sie liegt schon auf meinem Küchentisch.

Meine erste Reaktion ist das ich überracht war wie gut der Artikel ist - respekt
 
Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  . +
Datum: 12. Februar 2011 13:59
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Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  Conorr
Datum: 14. Februar 2011 11:57
Hallo +,

Gratulation ! Der Artikel ist absolut spitze.
Ich denke, eine große Hilfe für viele Betroffene.
Vorallem auch dass es doch möglich ist, solch eine öffentliche
Plattform zu schaffen, und Begebenheiten darzustellen, die der Öffentlichkeit ja nun
in den seltensten Fällen bekannt sind.
Das wird wie immer der WTG nicht gefallen.

Heisst es doch im Slogan einer gewissen Partei im Wahlkampf :
-Auch ein kleiner Reißnagel kann einen großen Hintern bewegen-.

Hoffentlich.

Beste Grüße, und weiterhin Erfolg bei Deiner Aufklärungsarbeit.

Conorr
Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  . +
Datum: 14. Februar 2011 16:31
Der Artikel ist in Gäuboden Aktuell nun frei Online erreichbar und mit Komentarfunktion.

Der erste Zeuge Jehova hat hier auch schon seinen Kommentar verewigt.
 

http://www.idowa.de/aktuells/gaeuboden/container/container/con/831792.html
Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  . +
Datum: 15. Februar 2011 15:51
Einen Kommentar den ich zu dem Zeitungsarikel abschickte:

Andreas W. (mein Cousin) aus Regensburg entschloss sich mit 18 Jahren Medizin zu studieren.
Er wurde deswegen von den Zeugen Jehovas in Regensburg ausgeschlossen (sie unterstellten ihm damit ein Verstoß gegen die Blut-Ideologie der Wachtturmgesellschaft).
Seine Eltern Katharina und Manfred brachen daraufhin weisungsgemäß den Kontakt zu ihrem gerade Volljährig gewordenen Sohn ab.
Mit den Jahren Heiratete Andreas und es kamen Kinder.
Seine Frau (eine Weltliche) weigert sich bis heute die Zeugen Jehovas (ihre Schwiegereltern) zu treffen weil sie voller Abscheu die Praktiken der Sekte live miterlebt hat.
Andreas wurde Vater und die Eltern sehnten sich danach ihre Enkeln zu sehen.
Heimlich – unter ständiger Gefahr von den Zeugen Jehovas in Regensburg denunziert zu werden – entschlossen sich Katharina und Manfred ihren Sohn und vor allem die Enkeln zu treffen.
Manfred erblindete eines Tages aufgrund einer Herzuntersuchung.
Wie man sich sicher vorstellen kann war dies für Katharina und Manfred (meinem Onkel) ein schwerer Schicksalsschlag.
Aufgrund der Wachtturmsektengesetze hatte Manfred keinen Sohn mehr der ihn jetzt unter die Arme griff.
Wenn es zu Kontakten kam wurde dies vor den Sektenmitgliedern verheimlicht.
Ich ging damals in Regensburg in die Dienstelle des Blindenvereins Regensburg und kaufte alles was es dort in der Glasvitrine an Hilfsmittel für Blinde zu kaufen gab.
Eine Armbanduhr die per Knopfdruck die Zeit ansagte. Ein Radiowecker der auch per Knopfdruck die Zeit ansagte. Ein Münzensammler der die Geldmünzen sortiert in der Tasche hält. Ein Lehrbuch für Blindenschrift. Es waren noch ein paar Sachen – ich erinnere mich nicht mehr an alles.
Wie Stolz war Manfred das er jetzt wieder wusste ob es Tag oder Nacht ist.
Immer wieder hielt er seine Armbanduhr hoch und führte den Brüdern in der Versammlung vor das er jetzt wieder weiß wie viel Uhr es ist.
Man sagte das ich ein bisschen der Sohnersatz für Manfred war.
Einen Sohn der aktiver Zeuge Jehovas ist so wie er es sich immer gewünscht hatte.
Wie aus dem Artikel des Straubinger Tagblattes hervorgeht verließ ich die Zeugen Jehovas weil ich ihre Lügen nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren konnte.
Heute gehört diese Katharina W. – die Schwester meiner Mutter – zu den Zeugen Jehovas die im Flur im Amtsgericht in Straubing mich demonstrativ nicht grüßen.
Und das obwohl Katharina und Manfred mit mir nie geredet haben warum ich die Wachtturmgesellschaft und schlussendlich meine Familie verlassen musste.
Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  www.gimpelfang.de
Datum: 16. Februar 2011 09:23
Ich konnte keinen Kommentar sehen 

Liebe idowa-User,

wir beenden an dieser Stelle die Diskussion. Aus unserer Sicht sind alle relevanten Argumente ausgetauscht.

Herzlichen Dank für Ihr Engagement!
Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 16. Februar 2011 09:34
Zitat:
www.gimpelfang.de
Ich konnte keinen Komentar sehen 

Das war ohnehin (in diesen Kommentaren) eine Neuauflage der ZJ-"theokratischen Kriegslist".
O wie gut, dass niemad weiß daß ich Zeuge Jehovas heiß (pardon Rumpelstilzchen).
Und wenn eine "Platte" sich x-mal wiederholt, ohne das wirklich "neues" mitgeteilt wurde, dann ist es wohl legitim, wenn die dortigen Verantwortlichen, mal einen Schlusstrich ziehen. Selbstverständlich in höflichen Worten, schließlich will man sich dort ja die Leser nicht vergraulen.

 
Re: Profitgier und Ausbeutung statt Nähe zu Gott
geschrieben von:  . +
Datum: 16. Februar 2011 10:00
 
Wer zu spät kommt den bestraft das Leben...
Lächel

Hallo Bauer,

ich bin froh das sie die Kommentarfunktion abgeschaltet haben.
Das Straubinger Tagblatt hat schon eine gewisse Übung in Sachen „heiliger Wachtturmkrieg“.
Es ist nicht das erste Mal das sie offen über die Zeugen Jehovas berichtet haben.

Ich bin insoweit froh das sie die Kommentarfunktion abgeschaltet haben weil ich mich nicht wegen der Empörung über das Drumherum meines Sektenausstieges bei der Zeitung gemeldet habe sondern wegen der Steuerbetrugsaffäre der Zeugen Jehovas in Straubing.
Da sind wir ja noch mitten drin.
Diese harten Gesetzesvergehen sind mir viel wichtiger als das weiche weinerliche Sektenausstiegsgedöns.
Der Artikel ist ja ganz nett aber viel wichtiger ist mir eine Antwort auf den Wachtturmartikel: „Zeugen Jehovas sind treue Steuerzahler“

Und was meine Freunde und Brüder aus Straubing angeht schickte ich ihnen bei Infolink schon einen Gruß den ich hier gerne Wiederhole:

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....und dreimal krähte ein Hahn...

Ich schreibe schon seit viele Jahren zu diesem Thema im Internet und habe schon zu tausenden erlebt, wie Zeugen Jehovas zu den verschiedenen Anlässen öffentlich und schriftlich bekunden keine Zeugen Jehovas zu sein.

Mag sein das die Straubinger Zeugen Jehovas vor Menschen zu verhehlen versuchen wer sie wirklich sind; vor Jehova können sie das nicht.

Erstaunlich wie leichtfertig sie so ihr Erstgeburtsrecht für weniger als ein Linsengericht verleugnen.

Wie viel zur Schau gestellte Glaubensbekenntnisse wiegen ein im verborgen niedergeschriebenes Zugehörigkeitsbekenntnis wieder auf?
Wenn sie in der Fußgängerzone, von Haus zu Haus oder in ihren Anbetungsstätten bigottisch ihren angeblichen Glauben vor Menschen zur Schau stellen und dann diese Leistungen noch Berichten
Um von den Menschen gesehen und bewundert zu werden.

Wie viel ist dieses Zuschaustellen wert, wenn man zuhause – ohne das man von Menschen gesehen wird schreibt „ich bin kein Zeuge Jehovas“?

Siehe auch:

Mysnip.14474

 

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