Re: Im "Goldenen Zeitalter" gelesen - Eine Zeitreise
geschrieben von:  Drahbeck 
Datum: 13. September 2010 00:59
Gemessen an späteren Praktiken, mutet die im "Goldenen Zeitalter" (Schweizer Ausgabe vom 1. 9. 1925) abgedruckte Fragenbeantwortung, relativ moderat an. Nun kannte man 1925 noch nicht die zukünftigen Staaten Hitler-Deutschland und DDR, und insbesondere deren Praktiken. Da mag man nur sagen. In einer Demokratie (die 1925 sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland) die Gegebenheit war, "lässt es sich leicht schwätzen".

In genannter GZ-Ausgabe wurde angefragt:
 
Zitat
"Darf ein Anhänger der von Ihnen vertretenen Sache einem politischen Verein oder einer Gewerkschaft angehören, welche Organisationen darauf ausgehen, die Existenzbedingungen zu verbessern? Darf er ferner die Bürger-, d. h. Stimmpflicht erfüllen?

Als Antwort darauf wurde ausgeführt:

Zitat
Wir sind mit Pastor Russell (vergl. Schriftstudien Bd. VI, S. 539) der Ansicht, daß ein geweihter Nachfolger Christi solchen Vereinen, welche bloß die Erleichterung der wirtschaftlichen Existenz ihres Mitgliedes im Auge haben, wohl angehören dürfe. Sie bezwecken ja keine Verletzung göttlicher und menschlicher Gesetze. Anders verhält es sich mit politischen Parteien und Kampforganisationen. Wenn wir auch mit ihrem großen Zweck, wofern sie nämlich gegen die übergroße Anhäufung von Reichtum im Besitze Einzelner ankämpfen, herzlich sympathisieren, so möchten wir doch für ihr Vorgehen nicht in allen Stücken die Verantwortung mit übernehmen. 

Nun wissen wir freilich, welch einen Kampf es gekostet hat, bis die Arbeiterverbände sich Anerkennung verschafft hatten und daß es ohne sie mit den Löhnen, Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Arbeiter bedeutend schlimmer stehen würde. Darum erachten wir, daß wahre Christen, welche in Ortschaften wohnen, wo Arbeiterorganisationen Einfluß haben und die Löhne hoch erhalten, denselben einen Mitgliederbeitrag regelmäßig und freiwillig bezahlen, jedoch den von dort ausgehenden Befehlen nur insofern nachkommen, als sie nicht gegen ihr Gewissen verstoßen. Sie bekunden damit, daß sie nicht von den Früchten der Arbeiterbewegung genießen wollen, ohne zu den Kosten und Opfern derselben das Ihrige beizutragen. Im ganzen sollten sie ihre Mitwirkung auf solche Gelegenheiten beschränken, wo sie ein gutes Wort zur Erhaltung von Frieden, Eintracht und Gerechtigkeit einlegen können.

Weiter das GZ
 

Zitat
Wird eine Arbeitseinstellung angeordnet, so mögen sie mitmachen, aber an nichts teilnehmen, was die öffentliche Ordnung und die Freiheit anderer beeinträchtigen könnte. Daß sie hierfür nicht zu haben sind, sollten sie den Vereinsbehörden mitteilen, damit sie nicht zu solchen, ihrem Gewissen zuwiderlaufenden Diensten beordert werden.

Da der geweihte Christ nicht die geringste Hoffnung auf eine Beeinflussung der Zustände dieser Welt setzt, so wird er naturgemäß kein großes Interesse an Wahlen und Abstimmungen nehmen können; ja ein leidenschaftliches Interesse für solche Dinge würde seiner himmlischen Bestimmung verderblich werden. Er wird sich daher in der Regel an Wahlen oder Abstimmungen gar nicht beteiligen.

Wo aber der Stimmzwang besteht oder sein Fernbleiben von der Urne Mißverständnis und Anstoß erwecken würde, füge er sich der bürgerlichen Ordnung und stimme nach Gutfinden oder lege seinen Zettel leer ein."

Man vergleiche dazu mal - als Fallbeispiel - den Fall Gerhard Peters, wo die Zeugen Jehovas-Organisation sehr wohl auf ein demonstratives Verhalten (de facto) bestand. Das selbiges für den das dann so Ausübenden, nicht folgenlos blieb, konnte man schon im voraus wissen. Es wurde also unter dem Einfluss der Zeugenorganisation, dem Betreffenden zusätzlicher Schaden zugefügt, ja billigend in Kauf genommen. 
Solche ZJ-Hardliner wie ein Konrad Franke, oder ein Willi Pohl, haben diesbezüglich vor der Geschichte, ein gerütteltes Maß an Schuld auf sich geladen!
Fallbeispiel Gerhard Peters

Namentlich die Einlassung, wenn der äußere Druck zu groß ist, an sogenannten Wahlen teilnehmen zu können, steht dann wohl kontrastierend zum tatsächlichen Verhalten in der Nazizeit. In Sonderheit die Nichtbeteiligung an den Novemberwahlen 1933 wurde dann ja von jenem Regime als Affront bewertet und auch entsprechend "beantwortet".
Die Eskalation im Naziregime ist nachweisbar, zum hohen Anteile auch dem Nichtwählen zuortbar. Da wurde letztendlich "demonstriert". Jenes Regime war indes nicht von der Art, sich solcherlei Demonstrationen auch Resonanzlos gefallen zu lassen. Das indes konnte man schon früh genug wissen. Es sei denn man war ein verblendeter religiöser Narr. Narren pflegen ja nicht selten "auf die Fresse zu fallen". Das hatte sich dann auch bestätigt.

In der Ausgabe des "Goldenen Zeitalters" vom 15. 1. 1936 gab es erneut eine Verlautbarung in der Gewerkschaftsfrage. Sie war wiederum so ausformuliert, dass jeder das herauslesen konnte, was er denn wollte; wenn nicht gar die ablehnenden Aspekte dominierten.
Und bezüglich letzterer muss man dann doch wohl nach den "Ausführungsbestimmungen" fragen. Jedenfalls wurde in der genannten GZ-Ausgabe zu der Frage 

Zitat
"Ist es nötig, daß wir als Arbeiter aus unserer Arbeiterorganisation austreten, um nicht von der Welt befleckt zu sein?"

ausgeführt:

Zitat
"Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert. Es ist bekannt, daß die Großen und Gewalttatigen dieser Welt den Lohn der Arbeiter vorenthalten. ...Um nicht allzusehr unter diesem Unrecht zu leiden, haben sich oft die Unterdrückten zusammengetan, um gemeinsam für ihr gutes Recht einzustehen. Wenn sie dabei nicht selbst wieder Unrecht oder Gewalt geübt haben, so ist darin an sich noch nicht Verwerfliches zu sehen. Jeder darf für sein gutes Recht einstehen, aber niemand soll seinen Vorteil durch Unrecht und Gewaltat erzwingen!
Wenn Arbeiterorganisationen durch verwerfliche Mittel ihre Ziele zu erreichen suchen (Man denke etwa an Rußland!) und dabei vor Gewalttätigkeit nicht zurückschrecken, so beweisen sie damit, daß auch sie nur ihren eigenen Vorteil suchen, ohne Rücksicht auf Gerechtigkeit. Daran nehme kein Gutgesinnter teil! Wenn aber die Organisation nur ihr gutes Recht mit billig anzuerkennenden Mitteln des öffentlichen Rechts zu verteidigen sucht, ohne andern böswillig zu schaden durch Gewalttätigkeit, so steht es jedem frei, mitzumachen oder fernzubleiben, was das Gewissen vor Gott betriftt.

Nicht jeder Zusammenschluß von bedrückten Menschen, um sich zu wehren vor Ausbeutung ist "weltlich" im hohen Sinn. Linderung vermag eine solche Zusammenarbeit vielleicht zu erwirken. Doch sei man sich klar, daß das Streben nicht darauf hinzielen sollte, die Welt von Grund auf zu reorganisieren. 
"Habet nun Geduld, Brüder, bis zur Gegenwart des Herrn", ermahnt Jakobus. 
Niemand außer dem Herrn kann dauernde Abhilfe schaffen. Und dazu wird große Macht oder Gewalt (welche dann aber unbedingt im Dienst der göttlichen Gerechtigkeit steht) notwendig sein. Wenn Menschenorganisationen sich diese Gewalt anmaßen, so ist dies verwerflich und jeder Gutgesinnte halte sich davon fern. 

Dagegen kann billigerweise nicht verlangt werden, daß die Arbeiter auch auf die möglichen gerechten Mittel verzichten, sich zu wehren vor grobem Unrecht""

Und was die angefragten "Ausführungsbestimmungen anbelangt.
Die WTG-Funktionäre, wie zum Beispiel der Herr Rudtke (geübt im "Kreidefressen" und das "Zenterweise" wenn es gilt der säkularen Presse gegenüber "wohllautende Statements" abzugeben), gaben ja einmal in einem solchen Interview zu Protokoll:

Zitat
"Rudtke:
"Wir machen hierzu darauf aufmerksam, daß es eine rein persönliche Entscheidung ist, ob der einzelne Zeuge Jehovas Mitglied in einer Gewerkschaft, einem Verband oder einem Verein sein möchte, ohne daß es hier Reglementierungen durch die Religionsgemeinschaft gibt."

Außerhalb der Rudtke'schen "Sonntagsreden" (an anderer Stelle) liest sich das etwas anders. So zum Beispiel in einem von Horst Knaut geführten Interview mit seinem Gesprächspartner "Reinhold Aigner" (veränderter Name), den er wie folgt zitiert: 

Zitat
"Auch mit dieser (beruflichen) Umschulung wurden in Reinhold Aigner neue Konflikte aufgewühlt, die ihn in einen Zwiespalt mit den Lehren von Brooklyn brachten. Auch darüber sprach er jetzt mit dem Kreisdiener:
'Jahraus, jahrein habe ich auch gepredigt, daß die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ein Dienst an der Hure sei. Was war das für ein Unsinn!' sagte er.
'Nein, Bruder Reinhold, das war kein Unsinn', konterte der Kreisdiener, 'du weißt genau, daß die Gewerkschaften den freiheitlichen Rechtsstaat bejahen. Das steht sogar in ihren Programmen. Als ein Mitglied der Gewerkschaft mußt du also zwangsläufig diesen Staat für gut erklären. Und das ist für uns, die wir die Wahrheit kennen, doch ein unmögliches Verlangen. Wir haben politisch neutral zu sein, denn alle Systeme auf der Welt sind mit der großen Hure verflochten ...'

Für die tatsächliche WTG-Praxis vorstehend beschriebene Sachverhalte betreffend, gibt es nur ein Wort der Charakterisierung:
Doppelzüngig!

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