„Amerika ist bekannt als Land der
Prohibition. „Prohibi" heißt nach dem gewöhnlichen englischen Wörterbüchern:
verbieten, verhindern usw. Jedermann weiß heute, daß sich dieses „prohibi" auf
den Genuß von Alkohol jeglicher Art - ausgenommen in medizinischer Form -
bezieht, aber nicht bekannt ist, daß dieses Verbot darum eine einzige große
Heuchelei darstellt, weil es gar nicht durchführbar ist und trotzdem die
Menschheit in dem Glauben gehalten wird, Amerika sei „trocken".
Der Schreiber dieser Zeilen hat es in New York, Chikago und vielen andren
Städten Amerikas viele Male gesehen, daß sich die Menschen in den
Vergnügungsstätten zwar alle nur Mineralwasser bestellten; aber so, wie wir
die Brieftasche aus der hinteren Hosentasche ziehen, zieht der Besucher an
diesem Platz die Whiskyflasche hervor und gibt seinem harmlosen Wasser den
nötigen „Geist".
Und für einen Fremden erst ist es dort gar nicht schwer, an irgendeinen Platz
geführt zu werden, wo er findet, was er wünscht. Mit den Einheimischen ist man
vorsichtig, weil man Denunziation fürchtet.
Ich habe in New York und Chikago in einer seiner zahllosen Geheimwirtschaften,
in denen man oft mehr Gäste findet als in den Selterwasser-Stätten, das
schönste Lagerbier getrunken, ganz abgesehen von der Alkoholfabrikation
innerhalb der Haushaltungen.
Alles dieses ist nur möglich, weil das amerikanische Prohibitions-System eine
gewollte und bewußte Täuschung ist. Man ist sich einerseits völlig bewußt, daß
es nicht nur unausführbar, sondern auch unvereinbar ist mit des Menschen
Freiheit - ihm den Genuß dieses oder jenes Genußmittels einfach zu verbieten,
möchte aber andrerseits doch nicht den zweifelhaften Ruhm missen, eine
scheinbar solidere Bürgerschaft zu besitzen als andere Länder.
Mit Verboten kann man aber den Menschen nicht frei machen. Verbotenes reizt
nur; und manche Ausschweifungen haben nur darum zum Untergang der ihnen
Verfallenen geführt, weil das Verlangen, die verbotenen Genüsse zu kosten, zu
lange gewaltsam unterdrückt wurde und kann - bei der sich bietenden
Gelegenheit - den tollen Rausch alles aufgespeicherten Verlangens nach dem
Unbekannten zu einer Flut werden ließ, die jede Hemmung fortschwemmte.
Der weitere Kommentar dazu:
„Warum solche Verbote aufstellen? Warum nicht
lieber dem Menschen das Unvorteilhafte zeigen und ihn Erfahrungen machen
lassen, welche die Wahrheit der Warnung bestätigen? Gewiß, Mißbrauch des
Alkohols zum Schaden Dritter sollte verboten und strafbar sein, wie es einige
Länder einführten, indem sie den Alkoholverkauf an Betrunkene bestrafen; aber
das Verbot persönlichen Alkoholgebrauchs ist lächerlich und freier Menschen
unwürdig.
Manche Eltern handeln ähnlich mit ihren Kindern, indem sie ihnen alles und
jedes verbieten. Gewiß hat jede Altersgrenze im Leben eines Kindes auch seine
Linie, an der das Erlaubte aufhört. Aber diese Linie sollte nie zu eng gezogen
werden. ...
Das hat der größte Teil des trockenen Amerikas schon lange eingesehen: aber
seine Kirchen fürchten, wenn sie die Prohibition nicht mehr haben, haben sie
gar nichts mehr, worauf sie sich als Ruhm berufen können, und darum besteht in
Amerika ein Gesetz weiter, das eine Schande für freie Menschen ist.
Es ist da wie hier das gleiche. Dort sind es Prohibition usw. hier sind es
jene grausamen Gesetze, welche unglückliche Ehen zu einer nicht mehr zu
beseitigenden lebenslänglichen Qual werden lassen, oder die den Arzt
bestrafen, der ein armes Menschenkind von einer zur Hölle und zur Schmach
werdenden Mutterschaft befreit usw. Und immer sind es - hier wie da - die
großen Kirchen, die für die Beibehaltung rückständiger Gesetze kämpfen.
Ich sah noch nie eine Kirche, die „freiwillig" für Fortschritt eintrat. Wo
diese - aus dem Mittelalter stammenden - Gebilde einmal ihrer die
Menschenbefreiung hindernden Mission entsagten, da nur, weil ihnen das Risiko
einer Verneinung zu groß war, oder weil ihnen andere, gleichwertige Vorteile
geboten wurden. Diese Einrichtungen leben nicht im Fortschritt, sondern von
der Rückständigkeit der Menschen. Je schneller dies allgemein erkannt wird,
desto ungehinderter wird die wirkliche Befreiung der Menschen voranschreiten.
Man lernt allerdings ziemlich langsam. Man treibt „Koalitionspolitik", wie man
das nennt, und sieht nicht, wie der Politiker im Priesterkleid nur auf den
Augenblick wartet, wo er seinen Koalitionsgenossen anspießen und alle Macht
allein an sich reißen kann. ..."
http://de.wikipedia.org/wiki/Prohibition_in_den_Vereinigten_Staaten
Exkurs:
Zitat aus dem 1930 erschienen Buch von Firmin Roz "Geschichte der Vereinigten
Staaten":
"Während die Oststaaten mit ihren Millionen Städten
das (Prohibitions) Gesetz nur widerwillig ertragen, suchen es die
prohibitionsfreundlichen Süd- und Weststaaten durch Sonderbestimmungen noch
mehr auszubauen. So z.B. verbietet Alabama jedes Getränk, das wie Bier
aussieht; ahnden Kansas und Michigan Rückfälle bei Prohibitionsvergehen als
Verbrechen, die bei der dritten Verurteilung mit lebenslänglichem Zuchthaus
bestraft werden müssen.
Kein Wunder, wenn in den Jahren 1920-28 die Verstöße gegen
das Prohibitionsgesetz zu 272.327 Verurteilungen geführt haben!
Alkoholindustrie und Alkoholhandel, früher ehrliche Gewerbe von Steuerzahlern,
sind seit der Prohibition zum Tummelplatz verbrecherischer Elemente geworden,
die ihrerseits den mit der Bewachung betrauten Beamten und Polizisten durch
hohe Bestechungsgelder korrumpieren. Man veranschlagt, daß dreihundert
Millionen Dollar jährlich nötig waren, um das Alkoholverbot wirksam
durchführen zu können."
Treibender Keil dieser Sachlage, die Religionsindustrie, die damit ihre
"moralische Bedeutung" herausstellen wollte.
Die Folgewirkungen hat das Zitat von Roz verdeutlicht!