Wehrdienstverweigerung sei vor 1933 keine "positive Lehre" der Zeugen Jehovas gewesen
Gegenüber nazistischen Gerichten, wurde seitens der Zeugen Jehovas verlautbart. Wehrdienstverweigerung gehöre nicht zu ihren "positiven Lehren" worauf ein Artikel im "Reichsverwaltungsblatt" mit hinweist.
Eine Aussage der Rubrik "theokratischer Kriegslist" zuzuordnen???
Dagegen spricht, das in der Schweizer Ausgabe der Zeugen Jehovas-Zeitschrift "Das Goldene Zeitalter" aus dem Zeitraum von vor 1933, ähnliche Aussagen belegbar sind.
Auch die Löschung von Wehrdienstgegnerischen Aussagen in dem WTG-Buch "Die Harfe Gottes" die dort in dessen erster Auflage noch vorhanden waren, in späteren Auflagen dann aber klammheimlich entfielen, liegt auf ähnlicher Linie.
Bei dem vom "Reichsverwaltungsblatt" aufgegriffenen Fall, handelte es sich um einen, wo hochrangige WTG-Funktionäre eine "Norddeutsche Bibelforschervereinigung" gründen wollten, in der nur "arische Deutsche Sitz und Stimme haben" sollten, um so das Verbot des Hitlerregimes zu umgehen. Der Bericht des "Reichsverwaltungsblattes" muß auch vermerken, das in jenem Verfahren, jenen WTG-Funktionären deren Behauptung es sei ihre persönliche Praxis und Überzeugung, nicht zu den Wehrdienstgegner zu gehören, nicht wiederlegt werden konnte, jedenfalls nicht anhand der WTG-Literatur, die vor 1933 erschienen war.
Und weiter:
„Das Gericht ist der Auffassung, daß beide
Voraussetzungen, unter denen nach dem Punkt 24 die Freiheit der religiösen
Bekenntnisse eingeschränkt ist, vorliegen, nämlich einmal gefährden die
Bibelforscher durch ihre Lehre und Betätigung den Bestand des Staates und zum
anderen verstoßen sie gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der
germanischen Rasse."
Von diesem Leitsatz ausgehend bestand nun die nächste Schwierigkeit für das
Gericht darin, den Angeklagten „individuelle Schuld" nachzuweisen.
Das erwies sich dann für die Nazi-Richter schwieriger als sie gedacht hatten.
Sie meinten zwar die Bibelforscher/Zeugen Jehovas müssen generell als
„Wehrdienstverweigerer" angesehen werden. Dazu formulierte das Gericht dann
die Sätze:
„Maßgebend ist lediglich, daß die ganz allgemein
von den Bibelforschern vertretene Tendenz gegen das Sittlichkeits- und
Moralgefühl der germanischen Rasse verstößt. Das Gericht ist der Auffassung,
daß eine solche Einstellung der deutschen Ehre, die eine der allerersten
Grundlagen des nationalsozialistischen Denkens ist, kraß zuwiderläuft. Das
germanische Rassegefühl ist untrennbar mit dem Heldischen verbunden, der
Deutsche hat niemals ein Knechtsvolk sein wollen. Gegen diese grundlegenden
Erkenntnisse verstoßen die von den Bibelforschern vertretenen Lehren."
Also die Tendenz war erst mal klar. Die Bibelforscher/Zeugen Jehovas,
werden Gerichtlicherseits in die Schublade der „Wehrdienstverweigerer"
abgelegt. Nur das Handicap für dass Gericht bestand darin, dass die
Angeklagten für sich, diesen Vorhalt als nicht zutreffend bezeichneten.
Dazu dann das Gericht:
„Unerheblich ist, ob jeder einzelne Angeklagte
selbst etwa die deutsche Wehrhaftigkeit untergräbt oder den Kriegsdienst
verweigert."
Wenn das also „Unerheblich" sei, wie sieht es dann mit der sonstigen
Beweislage für genannte Anklagethese aus?
Da kamen die Nazijuristen aber arg ins Schwitzen. Trotz all ihrer Bemühungen
konnten sie keine Belegstelle aus der WTG-Literatur vor 1933 benennen, die
diese ihre These gestützt hätten. Mit dieser mißlichen Lage gibt aber ein
zünftiger Nazijurist sich nicht zufrieden.
Wenn also in der WTG-Literatur von vor 1933 keine geeignete Belegstelle
auftreibbar sei, dann ist damit aber noch nicht „aller Tage abend".
Es gäbe ja auch noch die ausländische Zeitschriftenliteratur der Zeugen
Jehovas, aus der Zeit nach 1933.
Und aus der meinte man durchaus eine Wehrdienstgegnerische Einstellung
herauslesen zu können.
Daraufhin konterten die Angeklagten, gestützt von ihren Rechtsanwälten:
„Übrigens könne auch nicht das, was in den
ausländischen Zeitschriften stehe, ihnen zur Last gelegt werden. Es sei nicht
positive Lehre der Bibelforscher, den Kriegsdienst zu verweigern.
Das Gericht ist aber demgegenüber der Auffassung, daß gerade diese
Zeitschriften zur Grundlage der Beurteilung der Bibelforscherlehren genommen
werden müssen."
Ergo die Angeklagten sahen sich als „unschuldig". Indes das Gericht erklärt
sie auf der Grundlage der ausländischen WTG-Zeitschriften als „schuldig".
Da stehen nun zwei unversöhnbare Positionen gegenüber, die unter anderen
Verhältnisse vielleicht zu dem Status „Freispruch mangels Beweisen" geführt
hätten.
Nichts da mit „Freispruch" befand das urteilende Gericht. Die Angeklagten
müssen auch in Gesamtheit bewertet werden.
Und dann wird den Angeklagten in der Folge auch noch dieses vorgehalten:
„Der Preuß. Minister des Innern hatte das Verbot
damit begründet, daß unter dem Deckmantel angeblich wissenschaftlicher
Bibelforschung eine Hetze gegen die staatlichen und kirchlichen Einrichtungen
betrieben würde, die beide als Organe des Satans bezeichnet würden. Die
Anhänger der Vereinigung betrieben eine Kulturbolschewistische
Zersetzungsarbeit, ihre Tendenzen standen im Gegensatz zum heutigen Staat und
seiner kulturellen und sittlichen Struktur. Der jetzige Staat sei
verschiedentlich in Wort und Schrift von den Funktionären der Vereinigung
gehässig angegriffen worden."
In seiner weiteren Argumentation schrieb dann das Gericht den Angeklagten
noch mit ins Stammbuch:
„Es kommt aber noch hinzu, daß die Anschauungen
dieser Religionsgesellschaften auch den Bestand des Staates gefährden. Das
Gericht hat von den Angeklagten zwar den Eindruck gewonnen, daß es sich bei
ihnen nicht etwa um getarnte Marxisten oder Kommunisten handelt.
...Was in den Zeitschriften steht, verstößt jedenfalls ganz gröblich gegen die
Wehrauffassung des deutschen Volkes.
Indessen ergeben die Proben aus den Zeitschriften zur Genüge, daß die Anhänger
dieser Lehren dem Staat und ganz besonders dem nationalsozialistischen Staat
feindlich gegenüberstehen. Sie betätigen und bestärken diese Feindschaft vor
allem dadurch, daß sie sich den staatlichen Gesetzen nicht fügen, sondern auf
Grund des Befehls eines Amerikaners, den sie als ihr Haupt ansehen, in kleinen
Zirkeln zusammenkommen, Druckschriften mit hetzerischem Inhalt aus dem Ausland
beziehen und in ihren Kreisen zum Gegenstand von Studien machen. Die
Bibelforscher verwerfen den Staat überhaupt und bezeichnen ihn sogar als
Teufelswerk."
Weiter im Gerichtsurteil:
„Die feindselige Einstellung zum heutigen Staat,
die nicht nur aus den Zeitschriften spricht, sondern mehr oder minder deutlich
auch aus den Erklärungen, die die Angeklagten vor Gericht abgegeben haben, ist
nicht wegzuleugnen. Besonders bedenklich ist auch, daß die Angeklagten
fanatisch eingestellt sind und daß sie sich noch einbilden, Märtyrer für ihren
Glauben zu sein. Nicht nur Kommunisten können der neuen Volksgemeinschaft
gefährlich werden, sondern auch Leute wie die Angeklagten, die fanatische
Anhänger einer für normale Begriffe abwegigen Glaubensrichtung sind."
Besagtes „Reichsverwaltungsblatt" sah nun das vorstehend referierte Gerichtsverfahren als eine Art Präzedenzfall in Sachen Zeugen Jehovas an, der auch für weitere, ähnliche Gerichtsverfahren Bedeutung hätte. Daher seine Entscheidung zur Publizierung jenes Falles, auf das andere Gerichte zu Nazizeiten, sich fallweise auf diesen Fall berufen könnten.