Pfingst-Montag, 28. Mai 1928

geschrieben von: Drahbeck

Datum: 28. Mai 2008 05:53

Die nachstehende Verteidigungs-Polemik brachte das „Goldene Zeitalter" in seiner Ausgabe vom 1. 6. 1928:

„In England ist von einem gewissen Adam Rutherford - nicht zu verwechseln mit dem bekannten Richter J. F. Rutherford, Brooklyn - eine kleine Schrift herausgegeben worden, in der nicht mehr und nicht weniger behauptet wird, als daß am 28. Mai des Jahres 1928 jenes Ereignis eintreten wird, das in der Bibel mit dem Ausdruck „die Verwandlung der Heiligen" bezeichnet ist, was bedeutet, daß dieser Mann und seine Gefolgschaft an diesem Tage in den Himmel fliegen wollen. Wir werden von der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung, Ländergruppe Schweiz, durch den dortigen Zentralleiter auf diese Tatsache aufmerksam gemacht, mit der gleichzeitigen Bitte, hervorzuheben, daß diese ganze Sache in keinerlei Beziehung zur Internationalen Bibelforscher-Vereinigung steht, die solche unvernünftigen Behauptungen entschieden ablehnt. Aber es ist gut, daß von solchen auf Selbstvertrauen und Stolz gegründeten Behauptungen, die nur entstehen können, wenn Menschen ihre eigenen Meinungen höher als die Bibel stellen, Notiz genommen wird, und der 28. Mai 1928 wird sie deutlich genug in dem oben genannten Sinne kennzeichnen. Es ist offensichtlich, daß solche Rechnereien einer Erkenntnis der Wahrheit der Bibel und der Arbeit der Verkündigung ihres wertvollen Inhalts sehr abträglich sind. Vernünftige Menschen werden durch solche Torheiten nicht berührt werden. Die Internationale Bibelforscher-Vereinigung steht heute entschieden auf dem Standpunkt, daß nicht Zeitpunkte, sondern zeitgemäße biblische Wahrheit das Notwendige ist. Zwar enthält die Bibel Chronologie, aber nirgendwo enthält sie irgend etwas, daß irgendein Recht gibt, dogmatische Termine für dies und das, noch gar für Tage festzusetzen. Manche, die vorgeben, Freunde der Bibel zu sein, erweisen sich leider oft fast als ihre Feinde, weil ihre törichte Anwendung der Bibel von Nichteingeweihten, anstatt den Mißbrauchern, der Mißbrauchten als Manko angerechnet wird."

Nun, es wäre noch anzumerken, dass zeitgenössisch auch schon die Gebrüder Sadlack in ihrem zur WTG in Opposition stehendem Buche, „Die Verwüstung des Heiligtums" auf diesen Adam Rutherford zu sprechen kamen. Die Sadlacks meinten damals über ihn:

„Neben der "Herold"-Bewegung (Einfügung: eine Zeitschrift in Opposition zur WTG. In Englisch bis heute erscheinend. Zeitweise auch einen deutschen Ableger habend) sei aber auch anderer Bewegungen der letzten Jahre gedacht, die zum Nutzen des Volkes Gottes wirken. Unter diesen nennen wir besonders die durch Bruder Adam Rutherford, Glasgow (Schottland) ins Leben gerufene Bewegung. In der von diesem Bruder herausgegebenen Broschüre "Siehe, der Bräutigam!" begegnen wir gesunden und treffenden Gedanken; auch sie sind geeignet, schlafende Kinder Gottes aufzurütteln. Wir verweisen z. B. auf die klaren Beweisführungen Seite 26 der Broschüre. Einige Gedanken, besonders die Voraussagen in der Frage der Zeit (1928), können wir aus den vorhin angegebenen Gründen, freilich nicht teilen. Wir wünschen, daß die kommenden Enttäuschungen die Liebe der Geschwister
zum Herrn nicht mindern mochten...."


Die Sadlacks ordnen also auch ihm dem Umfeld der WTG zu. Noch in den 1950er Jahren wurde - auch in Deutsch - von diesem Adam Rutherford einschlägiges Schrifttum verbreitet. Inhaltlich zeigt sich, dass es ihm besonders die Pyramiden-Thesen angetan hatten. Ob dabei allerdings, die Russell-Organisation ihre „Hände in Unschuld waschen kann", erscheint wohl mehr als fraglich! Und solange, lag doch wohl die eigene 1925-Verkündigung noch nicht zurück. Sicher, konkrete „Tage" nannte sie nicht (jedenfalls nicht direkt). Indirekt aber spielte man auf demselben „Klavier" Ob nun einer nebulös den „Frühherbst" benennt, oder ein anderer gar konkrete Daten, erweist sich wohl als ein gradueller, aber nicht als prinzipieller Unterschied

Weiterer Exkurs.
Das dieser Adam Rutherford sehr wohl dem Bibelforscher-Umfeld zuzuordnen ist. Wobei man eben zwischen alten Russell-Jüngern und neueren WTG-Hörigen differenzieren muss, macht auch eine Notiz in der Oktober-Ausgabe 1927, der Zeitschrift „Die Aussicht. Monatsschrift für Verkündigung des nahenden Königreiches Christi" deutlich.

Bemerkenswert. Aus einer kirchlichen Zeitschrift („Auf der Warte"), wird deren Bericht über Rutherford's Auftritt im Berliner Sportpalast im Jahre 1927 zitiert. Und dieser kirchliche Bericht klingt eben aus, mit einer Warnung vor den Bibelforschern. Und diesen Aspekt aufnehmend, äussert dann genannte Ausgabe der „Aussicht":


„Das erwähnte Blatt schließt diesen Bericht mit einer Warnung, der wir uns natürlich nicht anschließen können. Im Gegenteil empfehlen wir jedem Christen sich Band I der Schriftstudien, der von den Kolporteuren der Vereinigung dargeboten wird, zu kaufen und ihn zu lesen. Er wird reichen Segen darin finden."

Derart eingestimmt, liest man unter der Überschrift „Der Mitternachtsruf" eine weitere Notiz. Und die bezieht sich ganz offensichtlich auf den Adam Rutherford, im bejubelndem Sinne. Allerdings, wer nun erwarten würde, es würde zu diesem Adam Rutherford, auch im Detail Stellung bezogen, der sieht sich getäuscht. Undifferenziert, wird lediglich ein „Jubelgesang" zu Papier gebracht.

Im einzelnen schrieb diese Ausgabe der „Aussicht":

„Der Verfasser dieser vielen Lesern bekannten Broschüre, war im September dieses Jahres in Deutschland und in der Schweiz, sowie in Finnland auf einer Vortragsreise. Die Geschwister, welche Gelegenheit hatten, Br. Rutherford zu hören und mit ihm umzugehen, sind äußerst erfreut über die Art und Weise, sowie über den Inhalt der Botschaft, die er verkündigte. Wir freuen uns von Herzen, daß es in unserer Zeit der Lauheit noch solche ernsten Brüder gibt, die wachend und wartend dastehen vor dem Wiedergekommenen König, schauend auf Sein Werk, auf die Zeichen der Zeit und wartend vor allem auf den gesegneten Augenblick, da Er sie heimruft jenseits des Vorhangs. Wir wünschen dem Verfasser des Buches „Der Mitternachtsruf" viel Segen für seine Tätigkeit, die sich mit unserer bescheidenen Arbeit deckt."

Sicherlich kann man den Kreis um die „Aussicht" nicht mit der WTG-Religion dergestalt vergleichen, dass es dort nur „eine" vorherrschende Meinung gab. Aber die Vertreter der Minderheiten-Position hatten es auch dort schwer. Ein seltenes Zeugnis, dass vom allgemeinen Mainstream der Endzeitgläubigen abwich konnte man der Ausgabe der „Aussicht" vom August/September 1931 entnehmen. Da war ein Votum abgedruckt, welches durchaus nicht mit der Meinung des Redakteurs der „Aussicht" (F. Kunkel) übereinstimmte.

Ich stütze mich bezüglich dieses Votums auf frühere Bibliotheks-Studien dieser Zeitschrift. Ich kann allerdings jetzt keine näheren Einzelheiten mitteilen, wer denn dieses Votum schrieb. Jedenfalls steht es durchaus konträr zur Auffassung des Redakteurs dieses Blattes.
Der jetzt nicht namentlich zu benennende Einsender wird da mit folgenden Worten dokumentiert:


„Falsche Propheten waren auch die beiden Rutherfords. Richter Josef Rutherford-Brooklyn und Adam Rutherford-Schottland.
Richter Josef Rutherford prophezeite in einem Vortrage in Berlin im Jahre 1920 oder 1921, daß den Menschen von dem vielbesungenen Jahre 1925 ab die Haare und die Zähne wachsen würden. Schade, daß diese Prophezeiung nicht in Erfüllung gegangen ist. Es wäre so schon gewesen, es hat nicht sollen sein.
Adam Rutherford prophezeite, daß im Mai 1928 die Herauswahl erhöht und danach die große Drangsal mit Macht einsetzen würde. Als das nicht eintraf, verlegte er schnell diesen Zeitpunkt auf Oktober 1928, denn andernfalls hätte er ja nicht zur Herauswahl gehört.

Als auch das mißglückte, verschob er die ganze Sache auf das Jahr 1936. Vielleicht stimmt das besser. Der „Wahrheitsfreund" der vorher die Bibelforscher wegen ihrer verunglückten Prophezeiung als Idioten bezeichnet hat, prophezeite seinerseits, daß vom 19. Oktober 1926 ab der adamitische Tod aufhören würde.
Zugegeben, daß alle diese Prophezeiungen in gutem Glauben gegeben, so berührte es doch unangenehm, daß die Geschwister, die beizeiten davon abrückten, von ihren daran glaubenden Mitgeschwistern gar nicht mehr als rechte Geschwister angesehen wurden."


Aber in Gesamtheit muss man doch sagen, dass eben vorzitiertes Votum, im Gesamtkontext dieses Blattes, ein „einsamer Rufer in der Wüste war und ist".

Aber es gibt noch ein paar mehr Spekulationszahlen in dieser Zeitschrift. Zwar von unterschiedlichen Verfassern, und in unterschiedlichen Heften der „Aussicht". Gleichwohl eine die andere an Absurdität überbietend.

So die Daten 1933, 1939. 1951 und 1954.
Jeweils immer im Vorfeld prophezeit.
Rückblickend – nach diesen Zahlen – erschliesst sich diese Kaffesatz-Leserei im besonderen. Lediglich das man meinte, der Kaffeesatz höre auf den Namen „Bibel"!

Beispielsweise nachfolgendes Statement des „Aussicht"-Mitarbeiters Pillichody in der Nummer 2/1934 der „Aussicht"
(Wenn auch mit Blessuren, und unter prinzipieller Vermeidung potentieller Reizthemen, konnte die „Aussicht"noch bis ins Jahr 1940 hinein erscheinen.) Der genannte Pillichody gehörte dabei mit zu ihrem „Urgestein". Einer ihrer Gründungsväter, seinerzeit in der Schweiz. Pillichody gehörte vor 1914 - im Gefolge Russells - auch zu den aktiven Einpeitschern des 1914-Datums.

Und nun gab besagter Pillichody in Heft 2/1934 der „Aussicht" nachfolgendes bagatellisierendes Statement zu Protokoll:


„Der l. Leser weiß, daß ich (Pillichody) mir von dem Jahr der 19. Jahrhundertfeier der Großtat von Golgatha die endliche Verwirklichung der herrlichen Reichsgottesverheißung versprochen hatte. ... Und nun ist das Jahr 1933 ohne diese Verwirklichung verstrichen ist, loben wir Gott, daß er seines Sohnes Vorhersagung, daß die Zeit der Aufrichtung des Reiches Gottes das Geheimnis des Vaters sei, wieder einmal wahrgemacht hat. Die Glaubenden sollten wohl auf das Herannahen des Tages der Rache wahrnehmen, nicht aber den Zeitpunkt, da der Herr sein Segensreich auf Erden aufrichten wird...."

Einen qualitativen Unterschied dabei gilt es aber doch noch zu benennen.
Die WTG hat ihre Endzeitdaten (direkter oder indirekter Art) immer zugleich als Aufpulverungsmittel genutzt, um möglichst das letzte, das allerletzte, aus ihrer Anhängerschaft herauszupressen. Gemäß dem Grundsatz: Die Zitrone wird ausgepresst bis zum letzten, allerletzten Tropfen, und dann weggeworfen.

Diesen Aspekt kann man allerdings, diesen von den WTG unabhängigen Bibelforscherkreisen, so nicht unterstellen. Dort beschränkt sich das ganze auf reines Narrentum – was aber auch an sich, schon schlimm genug ist.

Eine Lese-Kostprobe aus der „Aussicht" Ausgabe Oktober/November 1931:


„Da aber Christus im Jahre 1914 seine Regierung antrat, und das Zerbröckeln dieser Reiche begann, Offb. 11, 15-18; Hesek. 21,32, Dan. 2,44; haben wir Grund, den Anfang des 1. Monats in seiner symbolischen Zeit (30 Jahre) auf das Jahr 1914 zu setzen, die im Jahre 1944 zu Ende gehen werden. Dies bedeutet daher, daß die alte Weltordnung durch eine Art bolschewistische Regierungsform ersetzt würde, und diese, wie wir bezüglich der göttlich irdischen Nationenherrschaft gesehen haben, bis 1951 in Macht sein wird, von da an wird Anarchie einsetzen bis 1954, wie uns die 40jährige Verwüstung Ägyptens gezeigt hat, mit welcher Jakobs Drangsal zu Ende kommen wird. Dabei sei noch hingewiesen auf die 40jährige Vergessenheit Tyrus (Jes. 23,17), die richtigerweise von Bruder Adam Rutherford auf das Jahr 1873, resp. 1874 festgesetzt wurde und daher im Jahre 1943, resp. 1944 zu Ende kommt ..."


Die heutige WTG – sofern sie denn überhaupt auf diese Gruppen noch zu sprechen kommt – sucht es vorrangig so darzustellen, als seien das „Personenkultvereine" um Russell, vormaligen Angedenkens. Zwar ist etwas dran an diesem Vorhalt. Dennoch trifft er keineswegs den Kern.

Der Kern kommt vielleicht in einem anderen Zitat aus der „Aussicht" zum Ausdruck, und zwar entnommen aus deren Ausgabe Dezember 1931/Januar 1932
(das Erscheinen als Doppelnummer war in diesem Blatt, aus wirtschaftlichen Zwängen, Usus). In genannter Ausgabe liest man den durchaus charakteristischen Satz:

„Wie sehr ist doch das von Br. Russell betreute, geistige Volk, seinerseits zusammengefaßt in der Vereinigung Ernster Bibelforscher, in das direkte Gegenteil verfallen, - leider! -
Falsche Führer und blinde Leiter, ungetreue Hirten sorgten systematisch dafür, daß die Charakterentwicklung immer mehr außer Kurs gesetzt, für unmodern erklärt und schließlich sogar lächerlich gemacht wurde, - jene gerade so bitter nötige Arbeit an uns selber, deren Aufgaben eine direkte Preisgabe wertvoller Veredelungsarbeit bedeutet. Als Betäubungsmittel empfahl man den willigen Schafen den Bücherverkauf (lies Kolportagewerk)."



Man vergleiche zum Thema auch:
Adam Rutherford

Parsimony.7379

Pyramide

Eine direkte Verbindungslinie zu dem Fall einer russischen Endzeitsekte besteht wohl nicht.
Immerhin wurde von beiden ein „28. Mai" propagiert. Das dazwischen 8 Jahrzehnte liegen, hat wohl solche Endzeitdaten-Zirkuskunstjongleure noch nie sonderlich beeindruckt. Und wenn es eben nicht der 80. „28. Mai" sei, dann halt der „81" oder „82". Der Fantasie sind da wohl keine Grenzen gesetzt.

An anderer Stelle schreibt besagte „Aussicht", dass sie sich schockiert fühle, dass die WTG inzwischen die Pyramidenthorie aufgegeben habe. Auch da will mann nicht mitziehen, und hält die Pyramidenthorie und verwandtes, unverdrossen weiter hoch.

Auf Basis jener Pyramidenthorie, die auch für den Adam Rutherford die Basis darstellte, meinte just jene „Aussicht" im Jahre 1928, dann als nächstes Spekulationsdatum, das Jahr 1943-44 auf den Ententeich setzen zu können.
Manche lernen halt nie, bzw. wollen nicht lernen.
Wer da die größeren Spinner sind. Die WTG, oder ihre frühen schismatischen Gruppen. Bei der Beantwortung der Frage, bin ich in der Tat ganz „hin- und hergerissen".

Und wenn sie denn nicht gestorben sind, werden sie auch morgen weiter fantasieren ...
Beachtlich ist dabei nur, wie die Stammväter solcher Thesen, in gespielter Entrüstung, sich selber ihre dreckig-verfaulten Hände, dabei „rein" zu waschen suchen!


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Mysnip.641

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