Re: Vor fünfzig Jahren
geschrieben von: Drahbeck
Datum: 22. September 2009 05:06
Es ist doch wohl eher als "ungewöhnlich" bezeichenbar, wenn ausgerechnet - laut Untertitel - der "Awake!-Korrespondent in Luxemburg", von der "Erwachet!"-Redaktion dazu auserkoren wurde (in "Erwachtet!" vom 22. 9. 1959) einen Artikel zu publizieren über "Wallfahrten zum Heiligen Rock (in Trier)".

Weniger das Jahresdatum (1959), da fand tatsächlich solch ein Spektakel statt, gefolgt von einem im Jahre 1996 und einem für 2012 vorangekündigten, gibt diesen Anlass zur Verwunderung. Die Frage ist lediglich warum man laut Untertitel betont, der Verfasser sei "Erwachet!"-Korrespondent in Luxemburg. Hätte es nicht gereicht, auf diesen Untertitel zu verzichten. Wieso ausgerechnet ein in Luxemburg ansässiger dieses Thema aufnehmen muss, erschließt sich bei der Lektüre seiner Ausführungen, weiterhin nicht.

Nun bedarf es ja wohl keiner besonderen Erwähnung, dass der katholische Reliquienkult, auch in diesem Falle, keinerlei Sympathie von Seiten "Erwachet!" finden wird. Ergo spart man auch nicht mit kritischen Akzenten, bei diesem Thema.
Soweit verständlich, soweit nachvollziehbar.

Dennoch so scheint mir, lässt "Erwachet!" bei aller berechtigten Kritik, einen wesentlichen Aspekt unberücksichtigt.
Um selbigen mit den Worten der Wikipedia zu beschreiben:

"Zur Trierer Wallfahrt von 1844 kamen in den 7 Wochen über eine Million Pilger. Diese Zurschaustellung führte zu heftigen Debatten in der Öffentlichkeit. Sie war Auslöser für Otto von Corvins antiklerikales Buch "Pfaffenspiegel". Der Priester Johannes Ronge schrieb einen Protestbrief an den Bischof von Trier, in dem er den "Götzendienst" anprangerte, der mit der Wallfahrt zu der Reliquie geleistet würde. Das führte in der Folge zu seiner Exkommunikation und zur Gründung der kurzlebigen "Deutschkatholischen Kirche".

Was besagte "Deutschkatholische Kirche" anbelangt, kann die an diesem Ort nicht unbedingt in allen Detail's referiert werden. Immerhin beachtlich (für Zeugen Jehovas-Kreise), im weiteren Verlauf ihrer Entwicklung, lehnten auch sie die konventionelle Dreieinigkeitslehre ab. Zum traditionellem Weihnachtsfest, lassen sich bei ihnen ähnlich kritische Voten orten, wie bei den (späteren) Zeugen Jehovas.
Weiterhin beachtlich, der katholische Konfessionskundler Konrad Algermissen, widmete ihr in seiner "Konfessionskunde" (Auflage 1930), noch ein eigenes, durchaus umfängliches Kapitel. In den späteren Auflagen ließ er diese Ausführungen allerdings wegfallen, was aus seiner Sicht sicherlich dahingehend begründbar ist. Es handelt sich ja um ein extensives Antikatholisches Unternehmen. Das "madig zu reden" hatte er ja 1930 "geschafft"; ergo kann er in späteren Jahren sich anderen, "wichtigeren" Themen zuwenden.

1930 schrieb er zu dieser Strömung noch (S. 183f.)
"Die Deutschkatholische Bewegung stellt den Versuch dar, auf der Grundlage des Nationalismus der Vernunftreligion zum Siege über den katholischen Glauben in Deutschland zu verhelfen. Ihre Wurzeln liegen im Rationalismus, und ihr schließliches Ende war der vollendete Unglaube."

Sicherlich ist auch die politische Gesamtlage zu damaliger Zeit, zu berücksichtigten. Der 1848er Revolution, die auch Deutschland "durchschütteltte" folgte eine Phase der Reaktion. Freiheitliche Bestrebungen sahen sich zusehend eingeengt.
Auch diesem Umstand, ist die schon genannte Kurzlebigkeit zuzuschreiben.
Wenn also Algermissen auch von "vollendetem Unglauben" spricht, hat er sicherlich dergestalt Recht.
Mit Kult und Zeremonien, wie die Catholica, konnte diese Strömung ja nicht aufwarten. Sie entstand ja aus Opposition zu ihr.
Das eigentliche "Dilemma" besteht dabei meiner Meinung nach, in einem anderen Aspekt.

Kult und Zeremonien als Elemente des Dummheitsverkaufs, ermöglichen einer Priesterkaste, welche diese Elemente beherrscht, auch das finanzielle "abschröpfen" der Betörten.
Nun träumte die vorbeschriebene Opposition davon, auch sie könne je weiterhin eine absorbierende Funktionärsschicht (etwas gewandelt) von der blökende Herde der Unbedarften unterhalten lassen.
Genau dieses Kalkül ging aber so nicht auf. Neben den schon genannten politischen Widrigkeiten, stellte sich je länger je mehr die Frage.
Es wird zwar verneint. Der Kult des Katholizismus. Aber wovon will denn die verneinende Funktionärsschicht ihrerseits materiell leben?

Die Leute dahin gebracht zu haben, auch den Kult abzulehnen, beinhaltet nicht zwangsläufig eine neue (akzeptierte) und tragfähige "Melkgrundlage der Unbedarften" im Angebot zu haben.

An dieser Grundsatzfrage, der man in variierter Form, auch noch in der Gegenwart begegnen kann (wenn auch unter anderen, aber doch auch ähnlichen Grundsatzvoraussetzungen) scheiterte letztendlich auch der "Deutschkatholizismus".

Was seine Reste der immer weniger werdenden Unentwegten anbelangt, gingen die dann in den sogenannten "Freireligiösen Gemeinden" auf. Auch deren Lebensdauer und "Akzeptanz" befand (und befindet) sich auf dem absteigenden Ast.

Die Reste der "Freireligiösen" landeten schließlich bei den "Freidenkern".
Deren "Kassenschlager" in den 1920/30 Jahren, die Feuerbestattungskasse (jedenfalls billiger als eine Erdbestattung), spielte in der Zeit nach 1945 dann auch keine wesentliche Rolle mehr. Und so dümpelten dann auch diese Kreise so vor sich hin.

Der "Kommissar Zufall" kam ihnen mit dem Ende der DDR zwar dahingehend zur Hilfe, dass ein dadurch mögliche gewisse Mitgliederzuwachspotential das eigene Aussterben verzögert hat.
Indes außer der Klientel etwa der "Lebenskundelehrer" (also einem Spezialzweig der Lehrerschaft) besitzen sie nach wie vor keine tiefergehende Wurzeln.

Ergo, was lehrt das alles?
Aufgabe der Formen religiöser Dummheit, ist nicht zwangsläufig "identisch" mit der Schaffung neuer, prosperierender Funktionärsposten.
Davon träumen zwar einige - ohne Frage.
Die objektiven Gegebenheiten werden dabei allerdings nicht berücksichtigt.
Wer sein "Heil" darin sieht, unbedingt einen Funktionärsposten zu ergattern, der hat nach wie vor in der religiösen Verdummungsindustrie, die weitaus größeren Chancen dazu, als im entgegengesetzten Spektrum.

Was den mit erwähnten Otto von Corvin und sein Buch "Der Pfaffenspiegel" anbelangt, noch der Hinweise. Es ist auch im Internet greifbar.

Corvin äußert sich darin auch kritisch zu dem Gründer Ronge, quasi als Motivationserklärung für sein eigenes Buch. Er bietet dann die klassische Priesterbetrugsthese an Details dargestellt.
Ihm wäre mit Friedrich Engels sinngemäß darauf zu antworten. Wer nur eine Priesterbetrugsthese (sie mag noch so eindrucksvoll sein, zu bieten hat,. indes das grundsätzliche Wesensgefüge der Religion, den Seufzer der bedrängten Kreatur, nicht ausreichend reflektiert), der ist letztendlich auch nicht besser als der von ihm auch kritisierte Ronge.
Corvin ließ seine Ausführungen mit dem Satz ausklingen.
"Wir würden uns sehr täuschen, wenn wir der Meinung wären, daß sich in so kurzer Zeit die Zustände der römisch-katholischen Geistlichkeit geändert hätten. Es ist durchaus kein Grund vorhanden, das anzunehmen; sie sind heutzutage mit geringen Modifikationen wahrscheinlich noch dieselben, welche sie vor Jahrhunderten waren, und werden sich nicht ändern, bis einst dem fluchwürdigen Zölibat und der Ohrenbeichte ein Ende gemacht wird."

Ob das was Corvin als "Änderungsgrundlage" ansieht, tatsächlich das hält, was er sich von ihr versprochen sieht, ist weiterhin sehr die Frage.

http://www.humanist.de/religion/pfaffe.html

Exkurs:
Zitat aus dem "Goldenen Zeitalter" vom 1. 10. 1933

"Der heilige Rock im Dom zu Trier 1933
Urteil eines katholischen Priesters über den heiligen Rock zu Trier

Laurahütte den l. October 1822. [Das vom GZ genannte Datum ist falsch. Nicht "1822" sondern 1844 wäre richtig]
Was eine Zeitlang wie Fabel wie Mährchen an unser Ohr geklungen .dass der Bischof Arnoldi in Trier ein Kleidungsstück genannt der Rock Christi, zur Verehrung und religiösen Schau ausgestellt, Ihr habt es gehört Christen des 19. Jahrhunderts, Ihr wisst es, deutsche Männer und Ihr wisst es deutsche Volks- und Religionslehrer, es ist nicht Fabel und Mähre, es ist Wirklichkeit und Wahrheit

Denn schon sind nach dem letzten Berichte, fünfmalhunderttausend Menschen zu dieser Reliquie gewallfahrtet, und täglich ströhmen mehrere tausende hierbei, zumal, seitdem erwähntes Kleidungsstuck Kranke geheilt, Wunder gewirkt hat Die Kunde davon dringt durch die Lande aller Völker, und in Frankreich (haben) Geistliche behauptet:
Sie hätten den wahren Rock Christi, der zu Trier sei unächt".

Wahrlich hier finden die Worte Anwendung: "Wer über Ereignisse der Art den Verstand nicht verlieren kann, hat keinen zu verlieren".

Fünfmalhundert Tausend Menschen, 500 000 verständige Deutsche sind schon zu einem Kleidungsstück nach Trier geeilt, um dasselbe zu verehren oder zu sehen, die meisten dieser Deutschen sind aus den niederen Volksklassen, ohnehin in grosser Armuth, gedrückt, unwissent, stumpf, abergläubisch, und zum Theil entartet, und nun entschlagen sie sich der Bebauung ihrer Felder, entziehen sich ihrem Gewerbe, der Sorge für ihr Hausswesen, der Erziehung ihrer Kinder, um nach Trier zu reissen zu einem Götsenfeste, zu einem unwürdigen Schauspiele, dass die römische Hierarchie aufführen lässt.

Ja, ein Götsenfest ist es, denn viele Tausende der leichtgläubigen Menge werden verleitet, die Gefühle der Ehrfurcht, die wir nur Gott schuldig sind, einem Kleidungsstücke zu zuwenden, einem Werke, dass Menschenhände gemacht haben.
Und welche nachteiligen Folgen haben diese Wallfahrten?
Tausende dieser Wallfahrer darben sich das Geld ab, für die Reisse und für das Opfer, dass sie den heiligen Rock, d. h. der Geistlichkeit spenden, sie bringen es mit Verlusten zusammen, oder erbetteln es, um nach der Rückkehr zu darben u. zu hungern, oder von den Anstrengungen der Reisse erkranken.

Sind diese äussern Nachtheile schon gross, so sind die moralischen noch weit grösser. Werden nicht manche durch die Reissekosten in Noth geraten, sich auf unrechtmässige Weisse zu entschädigen suchen. Viele Frauen und Jungfrauen verlieren die Reinheit ihres Herzens, die Keuschheit, den guten Ruf, verstöhren dadurch den Frieden, das Glück, den Wohlstand ihrer Familie.


Endlich wird durch dieses ganz unchristliche Schauspiel dem Aberglauben, der Werkheiligkeit, dem Fanatismuss, und was damit verbunden tat, der Lasterhaftigkeit Thor und Angel geöfnet, dies der Segen, den die Ausstellung des heil. Rockes verbreitet, von dem es im übrigen ganz gleich ist, ob er recht oder Unrecht ist.

Und der Mann, der dieses Kleidungsstück, ein Werk, das Menschenhände gemacht, zur Verehrung und Schau öffentlich ausgestellt hat, der die religiösen Gefühle der Leichtgläubigen und unwissenden Menge irre leitet; der den Aberglauben, der Lasterhaftigkeit dadurch Vorschub leistet, der dem armen hungernden Volke Gut und Geld entlockt, der die deutsche Nation dem Spott der übrigen Nationen Preis gibt und der die Wetterwolken, die ohnehin schon schwer und düster Über unserm Haupte schweben noch stärker zusammen zieht. Dieser Mann ist ein Bischof, ein deutscher Bischof, es ist der Bischof Arnoldi von Trier.

Bischof Arnoldi von Trier ich wende mich daher an Sie und fordere Sie Kraft meines Amtes und Berufes als Priester als deutscher Volkslehrer und im Namen der Christenheit, im Namen der deutschen Nation, im Namen der Volkslehrer auf, das unchristliche Schauspiel der Ausstellung des heil. Rockes aufzuheben, das erwähnte Kleidungsstück der Öffentlichkeit zu entziehen, um das Ärgerniss nicht noch grösser zu machen als es schon ist.

- Denn wissen Sie nicht - als Bischof müssten Sie es wissen - dass der Stifter der christlichen Religion seinen Jüngern und Nachfolgern nicht seinen Rock, sondern seinen Geist hinterliess.
Sein Rock, Bischof Amoldi, gehörte seinen Henkern, wissen Sie nicht, - als Bischof müssten Sie es wissen - dass Christus gelehret: Gott ist ein Geist und wer ihn anbetet, soll ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten" und überall kann er verehret werden, nicht etwa blos zu Jerusalem im Tempel, auf dem Berge Calvarien oder zu Trier beim heil. Rock.

Wissen Sie nicht, - als Bischof müssen Sie es wissen - dass das Evangelium die Anbetung jedes Bildnisses jeder Reliquie ausdrücklich verbietet, dass die Christen der Apostelzeit und der ersten 3 Jahrhunderte weder ein Bild, noch eine Reliquie (sie konnten darum doch viele haben) in ihren Kirchen duldeten? - Dass die Verehrung der Bilder Reliquien heidnisch ist, und dass die Väter der ersten 3 Jahrhunderte die Heiden deshalb verspotteten?

Z.B. heisst es: die Bildnisse sollten doch eher, wenn sie Leben hätten, die Menschen verehren von denen sie gemacht sind, nicht umgekehrt.
- Endlich wissen Sie nicht - als Bischof müssten Sie auch dieses wissen - dass der gesunde kräftige Geist der deutschen Völker, sich erst im 13 und 14 Jahrhundert durch Kreuzzüge zur Reliquien-Verehrung erniedrigen liess, nachdem man in ihr die hohe Idee, welche die christliche Religion von der Gottheit gelebt, durch allerlei Fabeln und Wundergeschichten aus dem Morgenlande gebracht, verdunkelt hatte?


Sehen Sie Bischof Arnoldi von Trier dies wissen Sie und wahrscheinlich besser als ich es Ihnen sagen kann. Sie kennen auch die Folgen, welche die götzenhafte Verehrung der Reliquie und der Aberglaube überhaupt für uns gehabt hat, nämlich Deutschlands geistige und äussere Knechtschaft, und dennoch stellen Sie Ihre Reliquie zur öffentlichen Verehrung aus!

Doch wenn Sie vielleicht dies alles nicht wüssten, wenn Sie nur das Heil der Christenheit durch die Ausstellung der Trierschen Reliquien erziehlten, so haben Sie doch dabei eine doppelte Schuld auf Ihr Gewissen geladen, von der Sie sich nicht reinigen können.
Einmal ist es unverzeihlich von Ihnen, dass Sie, wenn dem bewussten Kleidungsstücke wirklich eine Hellkraft beiwohnet, die leidende Menschheit dieselbe bis zum Jahre 1822 vorenthalten haben, und zum andern ist es unverzeihlich dass Sie Opfergeld von den hunderttausenden der Pilger nahmen ? oder ist es nicht unverzeihlich, dass Sie Geld von der hungernden Armuth unsers Volkes annahmen, zumal da Sie erst vor einigen Wochen gesehen haben, dass die Noth hunderte zum Aufruhr und zum verzweifelten Tode getrieben hat? -

Lassen Sie sich im Uebrigen nicht täuschen durch den Zulauf von Hunderttausenden und glauben Sie mir, dass während hunderttausende der Deutschen voll Inbrunst nach Trier eilen, Millionen gleich mir von tiefem Grauen und bittrer Entrüstung ergriffen, findet sich nicht etwa blos, bei einem oder dem andern Stande, bei dieser oder jener Parthei, sondern bei allen Ständen, ja selbst bei dem katholischen Priesterstande, daher wird Sie das Gericht eher ereilen, als Sie vermuthen.

Schon ergreift der Geschichtsschreiber den Griffel und übergiebt Ihren Namen Arnoldi, der Verachtung bei Mit- und Nachwelt und bezeichnet Sie als Tetzel des 19. Jahrhunderts.


Sie aber meine deutschen Mitbürger, ob sie nah oder ferne von Trier wohnen, wenden Sie alles an, dass dem deutschen Name nicht länger eine solche Schmach angethan werde.
Sie haben Stadtverordnete, Kreis und Landstände! wohlan! wirken Sie durch dieselben, suchen Sie ein jeder nach Kräften, um endlich einmal entschieden der tyrannischen Macht der römischen Hierarchie zu begegnen und Einhalt zu thun.


Denn nicht blos zu Trier wird der niedre Ablasskram getrieben. Sie wissen ja in Ost und West, in Nord und Süd, werden Rosenkranz- Mess- Ablass- und Begräbnissgelder und dergleichen eingehen und die Geisternacht nimmt immermehr Uberhand.
Gehen Sie alle, ob Katholik oder Protestant ans Werk, es gilt unsere Ehre, unsere Freiheit, unser Glück; erzürnen Sie nicht die Namen Ihrer Väter, welche das Capitol gebrochen, Indem Sie die Engelsburg in Deutschland duldeten. Lassen Sie nicht die Lorbeerkränze eines Huss, Hutten und Lutter pp. beschimpfen. Leihen Sie Ihren Gedanken Worte und machen Sie Ihren Willen zur Thate. Endlich Sie meine Amtsgenossen, die Sie das Wohl Ihrer Gemeinde, die Ehre und das Glück Ihrer Nation wollen und erstreben, schweigen Sie nicht länger denn Sie versündigen sich an der Religion an dem Vaterlande, an Ihrem Beruf, wenn Sie länger schweigen und wenn Sie länger zögern, Ihre bessere Ueberzeugung zu betäthigen, schon habe ich ein ähnliches Wort an Sie gerichtet, darum für jetzt nur diese wenigen Zeilen. Zeigen Sie sich als wahre Jünger dessen, der alles für die Menschheit, das Licht und der Freiheit geopfert, zeigen Sie, dass Sie seinen Geist und nicht seinen Rock geerbt haben.
Johannes Ronge
katholischer Priester
(Abschrift des Original-Briefes)

Davor gab es schon im "Goldenen Zeitalter" vom 1. 6. 1927 nachfolgende thematische Notiz:

Das „Goldene Zeitalter" (Ausgabe vom 1. 6. 1927) informiert, diesmal über den „Heiligen Rock zu Trier". Der kritischen Tendenz dieses Berichtes mag man sich ja durchaus anzuschließen. Indes ob ausgerechnet die WTG-Religion dabei der geeignete Ankläger ist, erscheint doch mehr als zweifelhaft. Das gleiche Geschäft mit der menschlichen Dummheit (wenn auch auf variierten anderen Ebenen) wird doch auch von ihr betrieben und das massivst.

In genannten Beitrag konnte man lesen:

„Im Jahre 1844 fand eine Ausstellung des heiligen Rocks zu Trier statt. Ein Sturm der Entrüstung ging damals durch die gebildetere katholische Welt Deutschlands. Über eine halbe Million Katholiken traten aus der römischen Kirche aus (F. Jaskowski), 60.000 davon bildeten unter Führung des kath. Pfarrers Ronge die Deutsch-Katholiken. Eine im amtlichen Auftrage geführte Untersuchung durch die Prof. Sybel und Gildemeister ergab die Unechtheit des Rockes, also Betrug. Letzterer geht schon daraus hervor, daß außer in Trier noch vier Exemplare, alle mit der päpstlichen Bulle der Echtheit versehen, vorhanden sind: in Argenteuil, St. Jago, Rom, Friaul!

1891 fand wiederum die Ausstellung statt. Da legte der kath. Geistliche F. Jaskowski im Bezirk Trier seine Entrüstung in einer Schrift nieder: Verlauf und Fiasko des Trierer Schauspiels, H. Klingebeil, 1891. Er bezeichnete sich als ultramontanen Geistlichen und übt eine vernichtende Kritik aus. Er schreibt im Auszug:

Bischof Korum ließ noch einmal durch zwei zur Verschwiegenheit verpflichte Geistliche, davon einer ein Jesuit, den Rock untersuchen und machte die Protokolle bekannt. Danach wurden ein Ober- und Untergewand, dazwischen ein völlig zerrissener Lappen, der angebliche hl. Rock, völlig vom Schimmel bedeckt, dem Gewölbe entnommen, gereinigt und genäht. 1876 hatte der Domherr v. Wilmowski den angeblichen Rock für Futter des Obergewandes erklärt. Der Papst hatte einen vollkommenen Ablaß gewährt unter gewissen Bedingungen. Außer einem einladenden Hirtenbrief hatte der Bischof in einem anderen um Geldopfer für den Dom und für den Papst gebeten. J. bemerkt, der Dom habe Millionen ausgeliehen, und der Jesuit Margotti habe den Papst für den reichsten Souverän erklärt. Während der Vorbereitungen wurde auch der hl. Rock in Argenteuil ausgestellt. Beide Bischöfe versicherten sich, daß jeder den echten Rock habe! Bei der Eröffnungsfeier im Dom war kein katholischer Fürst zugegen, kein höherer katholischer Beamter, keiner der 50 deutschen Bischöfe, nur zwei Ausländer.

So kam viel Volk aus den niedrigsten Ständen. Landleute, Arbeiter, Dienstboten, andere waren nur vereinzelt zu sehen. Die Pilger stammten zum größten Teil aus dem Bezirk Trier und dessen Nachbarschaft, im ganzen in 45 Tagen 1.000.000. Trotz der Eisenbahnen dieselbe Zahl wie 1844. Der Rock mit den anderen Gewändern war in einem Glasschrank hinter dem Altar in einem Bündel aufgehängt, der Schrank hatte an beiden Seiten eine Öffnung, durch welche je ein Geistlicher, Rosenkränze, Bilder usw. der Pilger einen Augenblick an das Bündel hielt. Die Pilger schritten zu zweien zunächst an zwei mächtigen Opferkästen, dann an dem Schrank vorbei, vor dem ihr für den einzelnen nur etwas mehr als eine Sekunde Aufenthalt gelassen war, jeder konnte nur einen Blick auf das Bündel werfen, beim Abgang mußten sie noch einmal an einem Opferkasten vorbei. (1844 saßen am Ausgang zwei Geistliche am Kassentisch; Beschreibung eines ehemaligen Jesuitenzöglings). Die Pilger waren fast durchweg arme Leute, die Trier verließen, ohne für einen Pfennig verzehrt zu haben; sie brachten sich kärglichste Lebensmittel mit und tranken Brunnenwasser, reisten nach ein paar Stunden wieder ab. Die Geschäftsleute hatten alle Preise hochgetrieben, sahen sich getäuscht, für viele wurde die Spekulation zum Ruin.

J. schließt mit den Worten:

„Nur einen Erfolg scheint das Trierer Schauspiel zu haben. Die Schatullen für den reichen Dom und für den armen Heiligen Vater sind gefüllt; allein, da dieses Opfergeld zum großen Teil vor Armen und Notleidenden gespendet, so ist dieser pekuniäre Gewinn kein Erfolg, sondern eine Niederlage in moralischer Hinsicht!"

Ein braver Christ. Mir ist unbegreiflich, daß die Staatsanwaltschaft nicht eingeschritten ist; sie tut es doch sonst bei solcher Massenausbeutung. Kirchenprivilegien hören doch auch auf, sobald sie mit der christlichen Moral in Konflikt kommen! Der Reliqienhandel ist von Gregor I. (600 n. Chr.), dem Erfinder des Fegefeuers, eingeführt worden."

Exkurs Nummer zwei:

In der 1921 erschienenen Schrift von Adolf Harndt "75 Jahre. Geschichte der Freireligiösen Gemeinde Berlin. 1845 - 1920", in welcher auch der bereits zitierte Brief Ronge's mit abgedruckt ist (S. 7 - 10). Besagte Schrift lässt der Verfasser mit dem Klagesatz ausklingen (S. 41):

"Auf keinem Gebiete macht sich aber die Rückständigkeit und geistige Schwerfälligkeit der Bevölkerung so bemerkbar, wie auf religiösem. Die Hoffnungen, mit welchen die Altvorderen 1845 und 46 in den Kampf gezogen sind, haben sich nicht verwirklicht. Das müssen wir zugestehen."

An anderer Stelle schreibt derselbe Verfasser (S. 27f.)
"Wenn es der Berliner Gemeinde in den Jahren von 1850 bis 1860 schlecht ging, so schnitten andere Gemeinden noch schlechter ab.
Zu Ende 1859 waren von den ungefähr 300 Gemeinden des Jahres 1850 noch gegen 50 deutschkatholische und 10 freiprotestantische Gemeinden vorhanden und von den 150.000 Anhängern hatte sich ein noch viel größerer Prozentsatz verflüchtigt."


Wer es noch nicht wusste, der DDR-Politiker Walter Ulbricht, persönlich zwar unreligiös, aber zumindest in den Kindertagen in diesen Kreisen hineingeboren. Diesem Umstand ist es vielleicht auch zuzuschreiben, dass die eher rigide Kirchenpolitik Ostdeutschlands nach 1945, die beispielsweise auch die marginalen Absplitterungsgruppen von der WTG, in Nazikontinuität ebenfalls mit dem Rasenmäher behandelte.

Das heißt, sind die Zeugen nicht mehr geduldet, diese Gruppen dann auch nicht. Nicht aus sachlichen Gründen; wohl aber aus Gründen geistiger Trägheit und Gründen des bequemen Adminstrierens. Das ersparte dann den kommunistischen Apparatschicks die Mühe, sich in Details zu vertiefen.

Ende der 1950er Jahre dann diese Lethargie aufgebend, dabei allerdings den späteren Gorbatschow-Spruch kennenlernend:
"Wer zu spät kommt - den bestraft das Leben".

Gemessen an der kommunistischen Kirchenpolitik in Gesamtheit, zu der ich alles andere als eine "gute" Meinung habe, war es eine Ausnahme von der Regel, dass die Freireligiösen Kreisen, in welche die Rongerianer ja mit aufgegangen waren, etwa im Raum Leipzig, ungewöhnliche Freiheiten genossen (nicht gemessen an westlichen Maßstäben wohl aber an den östlichen).

Eine Dissertation von Günter Kolbe (Leipzig 1964) thematisierte das mal mit.
Seiner Arbeit gab Kolbe den Titel:
"Demokratische Opposition in religiösem Gewande und antikirchliche Bewegung im Königreich Sachsen. Zur Geschichte der deutschkatholischen und freien Gemeinden sowie freireligiösen Vereinigungen von den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts ..."
Nun darf man sich von solchen Bandwurmtiteln (bei Dissertationen so selten ja nicht) nicht abschrecken lassen (der zudem noch nicht mal vollständig zitiert wurde. Der "Bandwurm" hat also noch nicht sein Ende erreicht).

Der Verfasser rekapituliert unter anderem (S. 15):
"Im Mutterland des Deutschkatholizismus, im Textil- und Bergbaugebiet Schlesien, fanden wenige Monate bevor die deutschkatholische Bewegung ins Leben trat, im Juni 1844 Erhebungen der Weber statt.
Der Aufstand der Schlesischen Weber gab gleichsam das Signal für das Aufflammen weiterer Arbeiterunruhen."

Namentlich Sachsen, neben dem schon genannten Schlesien, kristallisierte sich dann als zeitweilige Hochburg der Deutschkatholiken (und verwandter Kreise) heraus.

Aber schon 1846 war der Höhepunkt dieser Kreise erreicht. Danach ging es eher - allmählich - abwärts.
Dazu Kolbe unter anderem mit dem Satz (S. 44):
"Es ist nicht zu leugnen, daß Ronge keine Persönlichkeit von überragendem Format war. Trotzdem würde es verfehlt sein, die durch die übermäßigen Ehrungen geweckte Eitelkeit und Selbstgefälligkeit sowie andere charakterliche Mängel des Reformators über Gebühr zu bewerten ... Vgl. die wenig schmeichelhafte Einschätzung Ronges durch Georg Herwegh ..."
Nun mögen diese zeitgenössischen Voten, etwa von Herwegh, an diesem Ort übersprungen werden.

Erwähnt sei aber noch der Fall Ulbricht. Dessen Vater Ernst August Ulbricht sei, so Kolbe (S. 209) im Jahre 1899 der Deutschkatholischen Gemeinde in Leipzig beigetreten. Dies wiederum hatte zur Folge, dass er es durchsetzen konnte, dass sein Sohn Walter nicht den kirchlichen Religionsunterricht (ansonsten Usus) absolvieren musste. Dafür nahm er eben ersatzweise an dem von den Deutschkatholiken angebotenen "Religionsunterricht" teil.

Zitat bei Kolbe:
"Als Christenlehre konnte man diesen Unterricht nicht mehr bezeichnen, da den Kindern vornehmlich populärwissenschaftliche Grundkenntnisse vermittelt und in ihm die Werke deutscher Dichter, wie Schiller, Heine und Freiligrath behandelt wurden."

Erwähnenswert noch. Zwar hatten die Deutschkatholiken (in Sachsen) im Laufe der Zeit so etwas ähnliches wie den heutigen KdöR-Status für sich erstritten, wofür ja auch der bereits erwähnte Umstand eigenen "Religionsunterrichtes" an den Schulen spricht. Es war dann den Nazis vorbehalten, per Gesetz vom 26. 6. 1935, dieses Privilegienbündel zu kippen.
Quasi eine Art "Wiedergutmachung" erlebten diese Kreise nach 1945 durch ihre bevorzugte Behandlung (bevorzugt aber nur unter dem Gesichtspunkt der östlichen Gesamtrahmenbedingungen).
Wie erwähnt erschien die Diss von Kolbe im Jahre 1964.

Und in ihr nennt er auch Zahlen.
Danach waren in Sachsen im Jahre 1958 5.396 Personen Mitglieder. Bis 1961 sank diese Zahl dann auf 3.710.
Es ist offenkundig das damit das Ende der Fahnenstange in Richtung Abwärts, noch nicht erreicht war.

Vielleicht, als Hintergrund-Info, noch einige Zitate aus der 1908 erschienenen Schrift von Gustav Tschirn: "Johannes Ronges Brief an Bischof Arnolde von Trier".

"Auch er hat mit Abfassung jenes Briefes an Arnoldi nicht "Geschichte machen" wollen; sie geschah impulsiv, weil ihn die unerwartete Nachricht erregte, daß schon 500.000 Pilger nach Trier gezogen seien. "In dem Augenblick, als ich schrieb, habe ich nichts berechnet, ich war nur entrüstet", erklärte er später. ...
Der offene Brief vom 1. Oktober 1844 datiert, erschien am 15. Oktober in den "Sächs. Vaterlandsblättern", an denen Robert Blum bald begeisterter Anhänger Ronges, Hauptmitarbeiter war. ...
In Breslau bildete sich faktisch die erste deutschkatholische Gemeinde, welche die andern folgten. ...
Überhaupt entstand ein ungeklärtes Nebeneinander von verschiedenen Richtungen. ...
Das Jahr nach jenem Brief an Arnoldi, das Jahr 1845, mit den vielen Triumph-Reisen, war der Höhepunkt von Ronges Leben und Wirken. Weiterhin hatte er als "Reformator" eigentlich nichts mehr zu geben, zu schaffen und zu weisen.

Ronge selbst hat durch die politischen Interessen sich seinen religiösen entziehen lassen.
Nach der Ablehnung der deutschen Kaiserwürde durch Friedrich Wilhelm IV. richtete er an den preußischen König einen offenen Brief, auf Grund dessen er fliehen mußte.
Auch Metternich verfolgte ihn mit einem Steckbrief. So ging er nach England, wo er 12 Jahre, bis 1861, in der Verbannung blieb, fern von den durch ihn mitbegründeten freien Gemeinden Deutschlands.
Der Rest der deutschkatholischen und den aus dem Protestantismus gekommenen freien Gemeinden vereinigte sich 1859 zu den ..."Bunde freier religiöser Gemeinden Deutschlands."

Exkurs
Zur zeitlichen Aufgabe des Brauchtums das Weihnachtsfest zu feiern, wäre vielleicht noch mit anzumerken.
Schon in den sogenannt "Deutschkatholischen Kreisen", welche sich zwar nicht dauerhaft am "Weltanschauungsmarkt" etablieren konnten. Gleichwohl zeitgenössisch einiges Aufsehen erregten. Etwa in der Form, das Ronge
(einer ihrer Inspiratoren) gegen einen von der katholischen Kirche als Reliquie ausgestellten sogenannten "heiligen Rock", massiv protestierte.

Schon in diesen Kreisen begegnete man der Tendenz, auch das Weihnachtsfest mit abzulehnen.

Die sogenannten "Deutschkatholiken" gingen dann in sogenannt "Freireligiöse" Kreise auf.
Die wiederum atomisierten sich dann zusehends in der Richtung hin auf die "Freidenker".
Letztere dann nach 1945, nach vorheriger massiver Begünstigung der "Religionsindustrie" durch die amerikanische Militärregierung, nicht sonderlich vom "Glück" verfolgt.
Immerhin hatten die "Freireligiösen" beispielsweise in Berlin, ein eigenes Friedhofsgelände
(in den 1920er Jahren).
Das wiederum machte dergestalt Sinn, das andere Friedhofsgelände sich vielfach in kirchlicher Trägerschaft befanden
(teilweise noch befinden). Und kirchliche Kreise entblödeten sich gar dazu, auf ihrem Gelände niemand die "letzte Ruhe" zu gewähren, der nicht zu Lebzeiten, bis zuletzt für sie auch finanziell mit aufgekommen war.
Man vergleiche als einem Beispiel aus der neueren Zeit dazu auch:
Parsimony.19357
Ein anderer Aspekt der Gegnerschaft gegen das Weihnachtsfest-Brauchtum wäre noch zu benennen.
Und zwar, das in der seinerzeitigen Sowjetunion auch massiv dagegen agitiert wurde.
Einer Reflektion diesbezüglich kann man auch in der "Freiburger Zeitung" vom 18. 12. 1929 begegnen, wo unter der Überschrift
:
"Kein Weihnachtsfest in der Sowjetunion" unter anderem zu lesen war:

"In Moskau, Leningrad und sieben anderen Städten hat eine Antiweihnachtskampagne eingesetzt. ... Die Belegschaften derjenigen Betriebe, welche die ununterbrochene fünftägige Arbeitswoche noch nicht eingeführt haben, "beschlossen" (Anführungsstriche nicht im Originaltext), am 25. Dezember ihrer Arbeit nachzugehen ..."

Re: Meinung
geschrieben von: Drahbeck
Datum: 14. März 2010 09:02
Nun habe ich es endlich doch noch geschafft, ein bei mir "ewig und drei Tage" herumliegendes ungelesenes Buch (im Jahre 2000 erschienen), mal zu sichten. Da war immer aus Zeitgründen etwas anderes wichtiger.
Sein Titel: "Was glauben sie eigentlich?
Die deutschen Unitarier - eine freie Religionsgemeinschaft"

Das ist sicherlich kein Thema, das vom Prinzip her, an diesem Ort besonderen Referierungsanspruch hätte. Sicherlich nicht.
Allenfalls könnte man anführen, jene Gruppierung steht auch in der Tradition jener, welche die "groß"kirchliche Dreieinigkeitslehre ablehnen.

Namentlich die Catholica der Zeit vor deren II. Vatikanischen Konzil, kann sich ja vor Häme kaum halten, registrierte sie andernorts Gruppierungen, die eben nicht so autoritär-zentralistisch wie sie selbst orientiert sind.
Denen allen bescheinigt sie den "Keim der Zersetzung" in sich zu tragen.
Und denkt man etwa an geschichtliche Gruppen (etwa den von Johannes Ronge mit initiierten "Deutschkatholizismus", selbiger nach einigen Metamorphosen dann aufgegangen in die "Freireligiösen", kommt man nicht umhin zu konstatieren, da hat die Catholica wohl einen scharfen Blick.

Gruppierungen ohne straffe Priesterkaste, werden es schwer haben, sich auf Dauer zu behaupten. Die Betonung liegt auf "Dauer".
Man kann ja solch ein Musterbeispiel derzeit gerade mal wieder mal bewundern, was selbst den als Zyniker bekannten "Dr. Sartori" wieder einmal zu einem seiner Zynismus-Zynismus-Kommentare seiner Machart veranlasste.

Der Preis der autoritären Gruppen, ist die Ausschaltung des freien Denkens, fallweise auch des Gewissens.
Auch vorgenannte "Unitarier", so sie denn je davon geträumt haben sollten, eine "starke" Organisation zu werden, haben und müssen jenen Aspekt der "Stärke" vergessen.

Auch die Unitarier heutiger Prägung, sind im weiteren Sinne den Freireligiösen zuzuordnen; lediglich mit dem Unterschied, dass "Freireligiöse" und "Unitarier" jeweils unterschiedliche geschichtliche Wurzeln haben.

Denke ich an die Geschichte der sogenannten "Christlichen Verantwortung", aus der DDR, von der ich in den Anfangstagen ja einiges selbst mitbekam, die späteren "Tage" jener Bewegung aus der Literatur recherchieren kann.
Kann ich nur sagen:
Geschichte wiederholt sich!
Und der Zyniker "Dr. Sartori" hat bereits einen Kommentar dazu geschrieben, der sich fallweise auch noch zum "Grabgesang" ausweiten könnte.

Auch die Unitarier betonen, Laienbewegung zu sein, mit einer besoldeten Priesterkaste und ihrer Forderung nach Ausschaltung selbstständigen Denkens und Gewissens, nichts zu tun haben zu wollen.
Es ist das alte Lied. Da träumen einige von der Quadratur des Kreises, und müssen trotzdem erfahren. Trotz all ihrer Träumerei; es wird nichts aus der Quadratur des Kreises.

Das Leben wird nicht von Wunschdenken, sondern von anderen Realitäten bestimmt.

Aber ich wollte ja eigentlich etwas zum Thema Unitarier noch sagen.
Deren Geschichte verlief sicherlich nicht "bruchlos". Und den Aspekt der Nazizeit, konnte auch diese Gruppierung nicht entgehen.
"Schwach" war sie schon damals. Im Zeichen der Schwäche wurden Koalitionen eingegangen.
Diese damaligen Koalitionen hatten nur den "Nebeneffekt", das sie sich für den Unitariern nicht wohlgesonnene Kreise nach 1945, als billiges Propagandageschütz erwiesen.
Nun wollen sich auch die Unitarier nicht (nach 1945) in die Naziecke stellen lassen, was ja durchaus nachvollziehbar ist.

Aber ihre Gegner sahen des halt etwas anders.
Was bei solcher Gemengelage zu befürchten war, trat ein.
Die Justizmaschine (sicherlich nicht unter Arbeits"mangel" klagend), bekam eben weitere Arbeit zugeschanzt. Diesmal von den Unitariern versus ihre Gegner.
Wie das so mit der "Justizmaschine" nicht selten zu sein pflegt. Das "dauert und dauert", eben auch in diesem Fall.
Irgendwann aber, war dann wohl auch mal diese "Durststrecke" durchstanden. Und in rückblickender Sicht, gibt es da auch in genanntem Buch eine Wertung dazu.
Und mit der kommentarlosen Zitierung jener Wertung, möchte ich dann meinerseits diese Replik beenden.

"Es ist gleichsam Ironie der Geschichte, daß trotz der hier geschilderten Entwicklung der Unitarier zu einem demokratischen Verständnis aus religiöser Verantwortung, linke, zumeist "antifaschistische" Gruppierungen glaubten, in den Deutschen Unitariern einen "Hort des Faschismus" und die "Nazi-Sekte" schlechthin ausgemacht zu haben. Sie verbreiteten diese Meinung in den 90er Jahren in Publikationen, Presseerklärungen und auf Demonstrationen. Dabei ist anzumerken, daß nach Einschätzung des Verfassungsschutzes Hamburg der positive Kampf gegen den Faschismus von orthodox-kommunistischen Gruppen auf alle ausgeweitet wurde, die ihr Ziel, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten, nicht teilen, das heißt auch auf Demokraten verschiedener politischer Richtungen.
Interessanterweise kam es gleichzeitig auch zu Angriffen rechtsextremer Kreise gegen die Hilfe der Deutschen Unitarier für Ausländer und Asylsuchende.

Die Unitarier versuchten, die Vorwürfe und deren Verbreitung in mehreren Prozessen gerichtlich klären und unterbinden zu lassen. Von den Gerichten wurden die Vorwürfe "aufgrund der Substanzarmut in tatsächlicher Hinsicht" nicht als Tatsachen, sondern als Meinungsäußerungen beurteilt.
Im Hinblick auf den hohen Wert des "Verfassungsgutes Meinungsfreiheit" wurden die Äußerungen dieser Meinung nicht verboten, "falsche Tatsachenbehauptungen" dagegen unter Androhung hoher Geldstrafen untersagt.

Die Deutschen Unitarier haben aus diesen Auseinandersetzungen, die sie viel Zeit und Kraft kosteten, gelernt ..."

Hervorhebung redaktionell (nicht im Original).

Nun sind in vorstehendem Text bereits einige Exkurse enthalten. Dann kommt es auf einen weiteren wohl auch nicht mehr an. Also noch dieser Exkurs:

Freireligiöse Gemeinde Offenbach
Vor fünfzig Jahren
Wer hätte diese Notiz in „Erwachet!" vom 8. 2. 1963 erwartet?
Die Frage mag offen bleiben, also weder bejaht noch verneint werden.
Die Rede ist davon dass gemäß eines Erlasses des deutschen Bundesminister für Verkehr die Erlaubnis erteilt werden kann, dass auf öffentlichen Straßen Hinweisschilder auf Gottesdienste aufgestellt werden könnten.
In diesem Kontext notiert „Erwachet!" nun:

„Zu einem kleinen Kulturkampf kam es jetzt in Offenbach, wo der Freireligiösen Gemeinde das Aufstellen von solchen Hinweisschildern untersagt wurde. Es wäre nicht auszudenken, so ist man sich auf beiden Seiten klar, wie die Ortseingänge aussehen würden, wenn alle der 1400 in der Bundesrepublik bestehenden Glaubensgemeinschaften darauf bestehen würden, Hinweisschilder an den öffentlichen Einfahrtstraßen aufzustellen."

Und weiter im „Erwachet!"-Bericht:

„Das Problem konnte bis Ende 1962 in Offenbach noch nicht gelöst werden."

Einige Städte, unter ihnen Hamburg, halten indes nichts von solchen Gefälligkeiten gegenüber der Religionsindustrie, und untersagen daher die Aufstellung solcher Schilder, wird weiter berichtet. Wobei dies dann wohl die sinnvollste Variante wäre.
Sicherlich wurde diese Notiz WTG-seitig nicht ohne Hintersinn aufgenommen. Käme es zu einem Präzedenzfall, konnte man wohl darauf warten, dass auch die WTG analoge Ansprüche anmeldet.
Wie es aber aussieht, sind wohl auch bei diesem Thema, weiterhin nur die vermeintlichen Großkirchen privilegiert.

Offenbach ist dann wohl als eine Ausnahme von der Regel ansprechbar. Laut Wikipedia eine der n o c h bestehenden größten Freireligiösen Gemeinden.

http://de.wikipedia.org/wiki/Frei-religiöse_Gemeinde_Offenbach

Dieser Satz erschließt sich dann wohl näher, sieht man sich beispielsweise die Internetpräzenz selbiger, für den Bereich Berlin an.
http://www.freigeistig-berlin.de/index.php/berlinergemeinde

Darin vorfindlich auch der Satz

„Zwei Diktaturen haben die freireligiöse Tradition in Berlin und im Osten Deutschlands existentiell beschädigt."
 

Dies trotz des Umstandes, dass es auch in der DDR eine Freireligiöse Gemeinde gab. Die aber war regional auf die Region Leipzig begrenzt. Vielleicht trug zu diesem Sonderstatus mit bei, das der Ostdeutsche Politiker Walter Ulbricht, dereinst in seinen Jugendtagen, auch in diesem Milieu aufwuchs.

Müntz/Wachowitz notierten in ihrem Handbuch "Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR"
DDR-bezogen über selbige:

1946 wurde in der damaligen sowjetischen Besatzungszone der Bund freireligiöser Gemeinden wieder zugelassen. ... Der zunehmende Mangel an echten sozialen Grundlagen für eine eigenständige Profilierung des Bundes sowie das Fehlen einer verhaltensnormierenden Lehre bildeten Grundlagen für einen unaufhaltsamen Rückgang der Gemeinschaft. ... Führende Vertreter versuchten noch bis zu Beginn der 70er Jahre unter dem Hinweis, daß die freigeistige Gemeinschaft bei Ihren Erfahrungen noch immer spezifische Aufgaben in der Vielfalt des kulturellen Lebens der DDR sehe, die Arbeit des Bundes zu aktivieren, konnten aber einen weiteren Mitgliederrückgang und schließlich die Auflösung als arbeitsfähige Organisation nicht aufhalten.
Der Bund Freireligiöser Gemeinden in der DDR hat heute nur noch wenige
ältere Mitglieder. Für sie existiert in Magdeburg noch eine
Geschäftsstelle, deren Sprecher auf Wunsch die Trauerrede für verstorbene
Mitglieder übernimmt."

Günther Kolbe notierte in seiner 1964 publizierten Dissertation:

m Vergleich zu den 20er Jahren waren jedoch Einfluß und Mitgliederzahl weiter
zurückgegangen.
1947 gehörten den in Sachsen bestehenden sechs Gemeinden ca. 4000 Personen an; davon entfielen 3500 allein auf Leipzig. Gegenwärtig existieren im Gebiet des ehemaligen Sachsen einige kleine Gemeinden, deren Wirksamkeit im gesellschaftlichen Leben der DDR kaum spürbar ist. Lediglich die Leipziger Gemeinde, die auf Grund ihrer Traditionen eine Art hegemonialer Stellung innehat, bildet eine gewisse Ausnahme. Doch auch in Leipzig als Vorort der freireligiösen Vereinigungen in der DDR sank die Mitgliederzahl auf ca. 3000 ab, die im allgemeinen sinkende Tendenz aufweist.
In der Öffentlichkeit des öfteren abgehaltene Veranstaltungen, Feierstunden und Vorträge vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, daß auch in Leipzig der sektenartigen Bewegung keinerlei Aufschwung beschieden ist.

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