Frau Nürpel-Teiler in Benken (Zürich) "wollte es wissen"
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 10. Februar 2014 00:15
Im Zeitspiegel
Die „Basler Nachrichten" berichteten in ihrer Ausgabe vom 25. 7. 1924 über einen Prozess, welcher von den Bibelforschern, vor dem Schweizerischen Bundesgericht angestrengt wurde.
Zur Vorgeschichte gehörte; am 12. 2. 1924 wurde im Schweizerischen Kanton St. Gallen eine bereits bestehende Gewerbeordnungsbestimmung verschärft. Gemäß dieser Bestimmung sei grundsätzlich die kostenpflichtige Lösung eines „Patentes" vonnöten, will jemand sich als Hausierer betätigen. Die Behörden hätten aber auch die Möglichkeit, bestimmte Antragsteller abzuweisen.

„Es wird kein Patent erteilt, wenn mit der Ausübung des Gewerbes
c) eine Belästigung des Publikums verbunden ist, wie bei Orgelspielen, Bänkelsängern, Bärenführern usw."

Aufgrund vorangegangener Beschwerden über die Bibelforscher, entschieden nun die örtlichen Behörden:
„Die zuständigen Stellen seien angewiesen für den Vertrieb der Publikationen der „Vereinigung ernster Bibelforscher" keine Hausierpatente mehr zu verabfolgen.
2. Die für solchen Vertrieb bereits erteilten und noch laufenden Patente seien, unter Rückvergütung der gekürzten Gültigkeitsdauer entsprechenden Patenttaxe, auf den 18. Februar 1924 als ungültig erklärt."

Offenbar insgesamt fünf Personen aus dem Bibelforscherbereich, waren nun in St. Gallen von dieser Behörden-Entscheidung betroffen.
Seitens der WTG wurde daraufhin Klage beim Schweizerischen Bundesgericht dagegen eingereicht, an die sich als eine der Betroffenen auch besagte Frau Nürpel-Teiler in Benken (Zürich) mit beteiligte. Die anderen vier hingegen ließen es ihr bewenden haben. Jedenfalls klagten sie ihrerseits analog der Frau Nürpel-Teiler nicht auf der juristischen Schiene mit.
Seitens der juristischen Vertretung der Bibelforscher wurde dem Gericht gegenüber ausgeführt:
„Es wurde bestritten, daß das Publikum durch die Missionare der Vereinigung belästigt worden sei und darauf hingewiesen, daß bis dahin noch keine einzige Polizeibuße aus diesem Grunde verhängt worden wäre. Sollte sich jemand tatsächlich eine Belästigung zuschulden kommen lassen, so mögen die Behörden gegen ihn einschreiten; ein derart allgemeines Verbot lasse sich aber auf Grund des Hausiergesetzes nicht rechtfertigen."

Die Gegenseite in diesem Streit, also die jene Verordnung erlassen habende Behörde hingegen führte aus:
„das aufdringliche rücksichtslose und herausfordernde Vorgehen, das ziemlich allgemein bei diesen Hausbesuchen durch die Missionare befolgt werde, (sei) eine dem Publikum nicht zuzumutende Belästigung ... daß gelegentlich auch das religiöse Bekenntnis der zu Belehrenden heruntergesetzt werde.
Andererseits handle es sich hier um eine gewerbepolizeiliche Verfügung, gegenüber der die Preßfreiheit nicht angerufen werden könne."

Da die WTG sich schon vorher mit dieser Hausierergesetzgebung auseinandersetzt hatte, und dazu in ihrem internen Schrifttum auch entsprechende Verhaltensregeln formuliert hatte, wurden nun aus diesem die nachfolgenden Passagen zitiert:
„frisch aufzutreten, langsam und freundlich zu reden".Nur wenn jemand die gebotene Schrift "absolut nicht will", soll eine andere offeriert werden, indem man die Erwartung ausdrücke, daß aber diese "bestimmt gekauft werde."
Wo kein Patent erteilt wird, sollen die Schriften nach dieser Instruktion geschenkt werden, mit dem Beifügen:
"Wenn Sie aber sonst gerne eine Kleinigkeit für dieses Werk geben möchten, so haben Sie die Freiheit."
In diesen Fällen darf kein Preis genannt werden, um nicht das Hausiergesetz zu übertreten."

Das Berufungsgericht war ob dieser Sachlage, „ganz hin und hergerissen" und fällte eine knappe Entscheidung. Obwohl besagter Frau Nürpel-Teiler nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie persönlich in unzulässig aggressiver Form, ihre Hausierertätigkeit praktiziert hätte, hielt letztendlich das Schweizerisches Bundesgericht, die vorangegangenen Entscheidungen, zu ungunsten der WTG-Propaganda-Ambitionen weiter aufrecht.
Das einzigste was passierte waren ellenlange Ausführungen darüber, welche gesetzliche Grundlage für dieses der WTG in die Quere treten, zulässig seien. Da war sich dann auch das Bundesgericht keinesfalls einig. Die letztendliche Entscheidung mit einem Stimmenverhältnis von vier zu drei spiegeln diese Uneinigkeit wieder.
Die einen meinten, die vorhandene Gesetzgebung in Sachen Hausierertätigkeit, reiche für solch eine solche Versagungsentscheidung völlig aus.
Da nun aber die WTG dagegen klagte, meinten die anderen, so einfach könne aber die Begründung nicht ausfallen.
Sie zogen es vor ihre Versagung der WTG gefällig zu sein in die Worte zu kleiden:
„Es ist ein vom Standpunkt der Bundesverfassung aus absolut unzulässiger Eingriff in die eigene Glaubenssphäre, wenn ein Agent einer religiösen Gemeinschaft einen Andersgläubigen in die Wohnung eindringt und ihn dort in einer Art und Weise bearbeiten will, wie dies den Missionaren der Bibelforscher in ihrer Instruktion vorgeschrieben ist. Eine derartige Belästigung mit religiöser Propaganda und Zudringlichkeit soll an sich verboten sein. Dafür gibt die Bundesverfassung die notwendige Handhabe."

Genau das aber wollte die WTG anders gesehen haben, hat dazu dieses Gerichtsverfahren angestrengt, und ist letztendlich mit ihrem Ansinnen gescheitert.
Noch ein bemerkenswerter Satz aus dem Pressebericht über dieses Gerichtsverfahren:
„Wenn auch jedes religiöse Bekenntnis im allgemeinen das Recht hat, seine Lehren bekanntzumachen, um neue Anhänger für sie zu gewinnen, so kann andererseits der einzelne verlangen, daß er innerhalb seiner eigenen vier Wände von unaufgeforderter religiöser Werbetätigkeit verschont bleibe.
Dies muß hier umsomehr verlangt werden, als es sich bei den Ernsten Bibelforschern um eine Lehre handelt, die geeignet ist bei einfachen Gemütern Beunruhigung hervorzurufen."

Einen weiteren Artikel zum Thema gab es auch in der „Neuen Zürcher Zeitung" vom 31. 7. 1924 (Nr. 1135).
Was den Verfasser des Berichtes in der "Neuen Zürcher Zeitung" anbelangt, scheint der wohl zu der Kategorie der juristischen Erbsenzähler zu gehören.
Wer auf der Suche nach einer prägnanten Information ist, um die Frage beantwortet zu bekommen, welches Urteil hat denn nun das Schweizerische Bundesgericht in der Sache gefällt, der ist allerdings mit dem Artikel der NZZ schlecht bedient.
Statt dessen lamentiert er ellenlang solche Details wie. Die Verweigerung der Ausstellung neuer Hausiererpatente, und die Rücknahme bereits ausgestellter Hausiererpatente, durch die Behörden, seien zwei unterschiedlich justiziabel zu bewertende Sachen.
Seine "Kunst" die Berichterstattung bis zur Unverständlichkeit zu profilieren, mag denn stellvertretend seine Ausführung zu der Frage verdeutlichen, wie die Rücknahme bereits erteilter Hausiererpatente zu bewerten sei. Da meint er also das Zeitungspublikum wie folgt belehren zu sollen:
"Da Sittlichkeit und öffentliche Ordnung bundesrechtliche Begriffe sind, an die sich die kantonalen Behörden bei allfälligen Einschränkungen der Glaubens- und Kultusfreiheit zu halten haben, so hat des Bundesgericht nicht bloß vom Willkürstandpunkte aus, sondern frei zu überprüfen, ob die von einem Kanton im Interesse der Sitte und öffentlichen Ordnung durchgeführte Einschränkung der Artikel 49 und 50 B(undes)V(erfassung) nicht allzu weit gehen."

Wer sich denn durch den Wust der Ausführungen der NZZ mühsam durchgehangelt hat, der hat das ungute Gefühl immer noch nicht so recht zu wissen, welches Ergebnis erbrachte denn nun jene Gerichtsverhandlung.
Noch eine Leseprobe aus dem letzt genannten Artikel:
"Daß die bei Hausieren ja unvermeidliche Anpreisung der Ware, wo es sich um Schriften religiösen Inhalts handelt nicht als Vorwand für eigentlich religiöse Werbetätigkeit diene. Bei der Vereinigung ernster Bibelforscher muß diese Forderung um so mehr betont werden als ihre Lehre zu derjenigen der Landeskirchen, namentlich zum katholischen Glauben, in scharfen Gegensatz steht...."

Einer schwammig formulierten Notiz dazu, gab es auch in der in Freiburg (Schweiz) erscheinenden Zeitschrift „Ecclesiastica" Nr. 33/1924.
Letztere formulierte das die Bibelforscher das Schweizerische Bundesgericht angerufen hätten, nach vorangegangenen Negativ-Entscheidungen für die Bibelforscher, welche von regionalen Kantonsregierungen verfügt worden waren. Und dann gibt es in der „Ecclesiastica" dazu den nebulösen Satz:
„Das Bundesgericht hat diesen Entscheid einstimmig abgewiesen."

Keinerlei Details indes werden dazu mitgeteilt. Von einer „einstimmigen" Entscheidung war nicht die Rede, wie schon der Bericht der „Basler Nachrichten" verdeutlichte.

Es gab zur gleichen Zeit, noch einen ähnlich gelagerten Streit, in dem Schweizer Kanton Nidwalden, welcher in der Verhandlung des Schweizerischen Bundesgerichtes, „in einem Abwasch", gleich mit verhandelt wurde.
Über ihn berichteten die „Basler Nachrichten" dann das folgende:
„Hier lag die Sache anders. Karl Maurer, Gärtner in Pfäffikon (Zürich) und Paul Manz in Zürich, beides Missionare der Vereinigung Ernster Bibelforscher, bewarben sich um ein Hausierpatent im Kanton Nidwalden, um hier diese Schriften zu vertreiben. Die Polizeidirektion wies das Gesuch ab. Durch Entscheid des Regierungsrates von Nidwalden vom 10. März 1924 wurde der von ihnen ergriffene Rekurs abgewiesen. Der Entscheid stützt sich auf Paragraph 6d des Kantonalen Gesetzes über den Hausierverkehr, wonach
"von Personen, die erfahrungsgemäß beim Hausieren des Publikums durch Bettel oder Zudringlichkeit belästigen, keine Patente erteilt werden."
Hier war nun aber polizeilich festgestellt, daß sich die beiden Rekurrenten durch ihre Zudringlichkeiten bereits an verschiedenen Orten Belästigungen des Publikums hatten zuschulden kommen lassen.

Angesichts dieser Tatsache, war das Bundesgericht in der Abweisung der gegen diesen Entscheid eingereichten staatsrechtlichen Rekurses einig. Hier handelt es sich nicht um ein generelles Verbot wie in St. Gallen, sondern um die Patentverweigerung an zwei bestimmte Agenten, die durch ihr Verhalten bereits das Publikum belästigt hatten. Da hat das kantonale Hausiergesetz auch nach der Auffassung der Minderheit des Bundesgerichts im St. Galler Fall eine vollauf genügende Handhabe zur Abweisung des gestellten Gesuches."

In einer Kurznotiz erwähnt die Zeitschrift „Das evangelische Deutschland" (Nr. 3/1924 S. 25) diesen Fall. Letzteres Blatt schrieb:
Die „Ernsten Bibelforscher"
Der St. Galler Regierungsrat hat lt. „Basler Nachrichten" das Hausieren mit den Schriften der sog. „Ernsten Bibelforscher" verboten und auch die früher erteilten Bewilligungen zurückgezogen. Die Züricher Regierung ist diesem Beispiel gefolgt.

Eine indirekte Folge vorbeschriebener Situation kann man auch in der Schweizer Ausgabe des „Bulletin" Ausgabe Februar 1926 registrieren (Vorläuferblatt des heutigen „Unser Königreichsdienst")
Genannte Ausgabe führt auch die Klage:
„In keinem Lande des Europäischen Kontinents wurden die
(WTG-)Broschüren verschenkt, außer in der Schweiz."

Namentlich wird auf Deutschland und die USA hingewiesen, wo prinzipiell nur die Literatur verkauft wurde.
Als „Kompromiss" empfiehlt nun das Bulletin verstärkt die

„Methode des freien Entgeldes" einzuführen. Ihr zufolge wird kein direkter Verkaufspreis genannt, aber den Angesprochenen nahegelegt, einen finanziellen Beitrag nach eigenem Ermeßen zu geben. Die „Kunst" der WTG-Hörigen solle dann darin bestehen, zumindest mehr Geld zu erwirtschaften, als wie bei einer rein kostenlosen Abgabe.
Auf ähnlicher Wellenlänge liegt auch die Klage des Schweizer „Bulletin" in der Ausgabe vom Oktober 1925:
„Es ist leider Tatsache, daß in unseren Ländern der Vertrieb des "Goldenen Zeitalters" im Vergleich mit Deutschland sehr zurück geblieben ist"

Dieses Zurückgebliebensein hat dann eine wesentliche Ursache, auch in den genannten fiskalischen Problemen.
Auch noch massenhaft ihre Zeitschrift zu verschenken, behagte der WTG nicht. Da nahm sie es lieber in Kauf, in der Schweiz eben keine Rekord-Umsatzzahlen benennen zu können.
Das „Bulletin" (Schweizer Ausgabe) für Oktober 1925, formuliert dann noch die Anweisung:
„Wir bitten aber bei dieser Gelegenheit erneut alle lieben Geschwister, den Namen Kolporteur oder Kolportagewerk nicht mehr zu gebrauchen, weil diese Benennung ... bei den Behörden zu Mißverständnissen führen muss."

Auch diese Anweisung liegt dann mit im Kontext der vorbeschriebenen Problemlage.
Die Oktober 1927-Ausgabe des „Bulletin" führt ebenfalls die Klage:
"Was die Verbreitung der Bücher der Gesellschaft in der Schweiz etwas erschwert, ist ja bekanntlich, dass man nicht, wie z. B. in Deutschland und Frankreich, das Recht des freien Verkaufes ausüben darf. Wollen wir die Bücher verkaufen, so sind wir genötigt uns mit einem Patente zu versehen, trotz unseres nachgewiesen erwerbslos betriebenen Werkes. Aber schon hat auch die Großzahl der Kantonsregierungen das Ausstellen von Patenten an uns verweigert, so dass wir meist auf das freie Missionieren angewiesen sind. Es bleibt uns denn kein anderer Weg, als auch (das Buch) 'Befreiung' auf diese Art zu verbreiten. Das Buch so den Menschen zugänglich zu machen, erfordert freilich etwas mehr Mut und Tapferkeit ... Weisheit, als nur einfach es zu verkaufen. ...
Wird die Literatur grundsätzlich gratis abgegeben, so dürfen freiwillige Geldgaben entgegen genommen werden. Damit aber keine Missverständnisse und Unannehmlichkeiten entstehen, sind die betreffenden Missionsarbeiter genau zu instruieren, dass sie ausdrücklich die Gratisabgabe der Literatur betonen, auch nicht betteln und Gaben nur als freiwillige Zuwendungen verdanken."

Siehe auch:

Ratschlaege für Missionsarbeiter

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