„Es wird kein Patent erteilt, wenn mit der
Ausübung des Gewerbes
c) eine Belästigung des Publikums verbunden ist, wie bei Orgelspielen,
Bänkelsängern, Bärenführern usw."
Aufgrund vorangegangener Beschwerden über die Bibelforscher, entschieden
nun die örtlichen Behörden:
„Die zuständigen Stellen seien angewiesen für den
Vertrieb der Publikationen der „Vereinigung ernster Bibelforscher" keine
Hausierpatente mehr zu verabfolgen.
2. Die für solchen Vertrieb bereits erteilten und noch laufenden Patente
seien, unter Rückvergütung der gekürzten Gültigkeitsdauer entsprechenden
Patenttaxe, auf den 18. Februar 1924 als ungültig erklärt."
Offenbar insgesamt fünf Personen aus dem Bibelforscherbereich, waren nun in
St. Gallen von dieser Behörden-Entscheidung betroffen.
Seitens der WTG wurde daraufhin Klage beim Schweizerischen Bundesgericht
dagegen eingereicht, an die sich als eine der Betroffenen auch besagte Frau
Nürpel-Teiler in Benken (Zürich) mit beteiligte. Die anderen vier hingegen
ließen es ihr bewenden haben. Jedenfalls klagten sie ihrerseits analog der
Frau Nürpel-Teiler nicht auf der juristischen Schiene mit.
Seitens der juristischen Vertretung der Bibelforscher wurde dem Gericht
gegenüber ausgeführt:
„Es wurde bestritten, daß das Publikum durch die
Missionare der Vereinigung belästigt worden sei und darauf hingewiesen, daß
bis dahin noch keine einzige Polizeibuße aus diesem Grunde verhängt worden
wäre. Sollte sich jemand tatsächlich eine Belästigung zuschulden kommen
lassen, so mögen die Behörden gegen ihn einschreiten; ein derart allgemeines
Verbot lasse sich aber auf Grund des Hausiergesetzes nicht rechtfertigen."
Die Gegenseite in diesem Streit, also die jene Verordnung erlassen habende
Behörde hingegen führte aus:
„das aufdringliche rücksichtslose und
herausfordernde Vorgehen, das ziemlich allgemein bei diesen Hausbesuchen durch
die Missionare befolgt werde, (sei) eine dem Publikum nicht zuzumutende
Belästigung ... daß gelegentlich auch das religiöse Bekenntnis der zu
Belehrenden heruntergesetzt werde.
Andererseits handle es sich hier um eine gewerbepolizeiliche Verfügung,
gegenüber der die Preßfreiheit nicht angerufen werden könne."
Da die WTG sich schon vorher mit dieser Hausierergesetzgebung
auseinandersetzt hatte, und dazu in ihrem internen Schrifttum auch
entsprechende Verhaltensregeln formuliert hatte, wurden nun aus diesem die
nachfolgenden Passagen zitiert:
„frisch aufzutreten, langsam und freundlich zu
reden".Nur wenn jemand die gebotene Schrift "absolut nicht will", soll eine
andere offeriert werden, indem man die Erwartung ausdrücke, daß aber diese
"bestimmt gekauft werde."
Wo kein Patent erteilt wird, sollen die Schriften nach dieser Instruktion
geschenkt werden, mit dem Beifügen:
"Wenn Sie aber sonst gerne eine Kleinigkeit für dieses Werk geben möchten, so
haben Sie die Freiheit."
In diesen Fällen darf kein Preis genannt werden, um nicht das Hausiergesetz zu
übertreten."
Das Berufungsgericht war ob dieser Sachlage, „ganz hin und hergerissen" und
fällte eine knappe Entscheidung. Obwohl besagter Frau Nürpel-Teiler nicht
nachgewiesen werden konnte, dass sie persönlich in unzulässig aggressiver
Form, ihre Hausierertätigkeit praktiziert hätte, hielt letztendlich das
Schweizerisches Bundesgericht, die vorangegangenen Entscheidungen, zu
ungunsten der WTG-Propaganda-Ambitionen weiter aufrecht.
Das einzigste was passierte waren ellenlange Ausführungen darüber, welche
gesetzliche Grundlage für dieses der WTG in die Quere treten, zulässig seien.
Da war sich dann auch das Bundesgericht keinesfalls einig. Die letztendliche
Entscheidung mit einem Stimmenverhältnis von vier zu drei spiegeln diese
Uneinigkeit wieder.
Die einen meinten, die vorhandene Gesetzgebung in Sachen Hausierertätigkeit,
reiche für solch eine solche Versagungsentscheidung völlig aus.
Da nun aber die WTG dagegen klagte, meinten die anderen, so einfach könne aber
die Begründung nicht ausfallen.
Sie zogen es vor ihre Versagung der WTG gefällig zu sein in die Worte zu
kleiden:
„Es ist ein vom Standpunkt der Bundesverfassung
aus absolut unzulässiger Eingriff in die eigene Glaubenssphäre, wenn ein Agent
einer religiösen Gemeinschaft einen Andersgläubigen in die Wohnung eindringt
und ihn dort in einer Art und Weise bearbeiten will, wie dies den Missionaren
der Bibelforscher in ihrer Instruktion vorgeschrieben ist. Eine derartige
Belästigung mit religiöser Propaganda und Zudringlichkeit soll an sich
verboten sein. Dafür gibt die Bundesverfassung die notwendige Handhabe."
Genau das aber wollte die WTG anders gesehen haben, hat dazu dieses
Gerichtsverfahren angestrengt, und ist letztendlich mit ihrem Ansinnen
gescheitert.
Noch ein bemerkenswerter Satz aus dem Pressebericht über dieses
Gerichtsverfahren:
„Wenn auch jedes religiöse Bekenntnis im
allgemeinen das Recht hat, seine Lehren bekanntzumachen, um neue Anhänger für
sie zu gewinnen, so kann andererseits der einzelne verlangen, daß er innerhalb
seiner eigenen vier Wände von unaufgeforderter religiöser Werbetätigkeit
verschont bleibe.
Dies muß hier umsomehr verlangt werden, als es sich bei den Ernsten
Bibelforschern um eine Lehre handelt, die geeignet ist bei einfachen Gemütern
Beunruhigung hervorzurufen."
Einen weiteren Artikel zum Thema gab es auch in der „Neuen Zürcher Zeitung"
vom 31. 7. 1924 (Nr. 1135).
Was den Verfasser des Berichtes in der "Neuen Zürcher Zeitung" anbelangt,
scheint der wohl zu der Kategorie der juristischen Erbsenzähler zu gehören.
Wer auf der Suche nach einer prägnanten Information ist, um die Frage
beantwortet zu bekommen, welches Urteil hat denn nun das Schweizerische
Bundesgericht in der Sache gefällt, der ist allerdings mit dem Artikel der NZZ
schlecht bedient.
Statt dessen lamentiert er ellenlang solche Details wie. Die Verweigerung der
Ausstellung neuer Hausiererpatente, und die Rücknahme bereits ausgestellter
Hausiererpatente, durch die Behörden, seien zwei unterschiedlich justiziabel
zu bewertende Sachen.
Seine "Kunst" die Berichterstattung bis zur Unverständlichkeit zu profilieren,
mag denn stellvertretend seine Ausführung zu der Frage verdeutlichen, wie die
Rücknahme bereits erteilter Hausiererpatente zu bewerten sei. Da meint er also
das Zeitungspublikum wie folgt belehren zu sollen:
"Da Sittlichkeit und öffentliche Ordnung
bundesrechtliche Begriffe sind, an die sich die kantonalen Behörden bei
allfälligen Einschränkungen der Glaubens- und Kultusfreiheit zu halten haben,
so hat des Bundesgericht nicht bloß vom Willkürstandpunkte aus, sondern frei
zu überprüfen, ob die von einem Kanton im Interesse der Sitte und öffentlichen
Ordnung durchgeführte Einschränkung der Artikel 49 und 50 B(undes)V(erfassung)
nicht allzu weit gehen."
Wer sich denn durch den Wust der Ausführungen der NZZ mühsam durchgehangelt
hat, der hat das ungute Gefühl immer noch nicht so recht zu wissen, welches
Ergebnis erbrachte denn nun jene Gerichtsverhandlung.
Noch eine Leseprobe aus dem letzt genannten Artikel:
"Daß die bei Hausieren ja unvermeidliche
Anpreisung der Ware, wo es sich um Schriften religiösen Inhalts handelt nicht
als Vorwand für eigentlich religiöse Werbetätigkeit diene. Bei der Vereinigung
ernster Bibelforscher muß diese Forderung um so mehr betont werden als ihre
Lehre zu derjenigen der Landeskirchen, namentlich zum katholischen Glauben, in
scharfen Gegensatz steht...."
Einer schwammig formulierten Notiz dazu, gab es auch in der in Freiburg
(Schweiz) erscheinenden Zeitschrift „Ecclesiastica" Nr. 33/1924.
Letztere formulierte das die Bibelforscher das Schweizerische Bundesgericht
angerufen hätten, nach vorangegangenen Negativ-Entscheidungen für die
Bibelforscher, welche von regionalen Kantonsregierungen verfügt worden waren.
Und dann gibt es in der „Ecclesiastica" dazu den nebulösen Satz:
„Das Bundesgericht hat diesen Entscheid einstimmig
abgewiesen."
Keinerlei Details indes werden dazu mitgeteilt. Von einer „einstimmigen"
Entscheidung war nicht die Rede, wie schon der Bericht der „Basler
Nachrichten" verdeutlichte.
Es gab zur gleichen Zeit, noch einen ähnlich gelagerten Streit, in dem
Schweizer Kanton Nidwalden, welcher in der Verhandlung des Schweizerischen
Bundesgerichtes, „in einem Abwasch", gleich mit verhandelt wurde.
Über ihn berichteten die „Basler Nachrichten" dann das folgende:
„Hier lag die Sache anders. Karl Maurer, Gärtner
in Pfäffikon (Zürich) und Paul Manz in Zürich, beides Missionare der
Vereinigung Ernster Bibelforscher, bewarben sich um ein Hausierpatent im
Kanton Nidwalden, um hier diese Schriften zu vertreiben. Die Polizeidirektion
wies das Gesuch ab. Durch Entscheid des Regierungsrates von Nidwalden vom 10.
März 1924 wurde der von ihnen ergriffene Rekurs abgewiesen. Der Entscheid
stützt sich auf Paragraph 6d des Kantonalen Gesetzes über den Hausierverkehr,
wonach
"von Personen, die erfahrungsgemäß beim Hausieren des Publikums durch Bettel
oder Zudringlichkeit belästigen, keine Patente erteilt werden."
Hier war nun aber polizeilich festgestellt, daß sich die beiden Rekurrenten
durch ihre Zudringlichkeiten bereits an verschiedenen Orten Belästigungen des
Publikums hatten zuschulden kommen lassen.
Angesichts dieser Tatsache, war das Bundesgericht in der Abweisung der gegen
diesen Entscheid eingereichten staatsrechtlichen Rekurses einig. Hier handelt
es sich nicht um ein generelles Verbot wie in St. Gallen, sondern um die
Patentverweigerung an zwei bestimmte Agenten, die durch ihr Verhalten bereits
das Publikum belästigt hatten. Da hat das kantonale Hausiergesetz auch nach
der Auffassung der Minderheit des Bundesgerichts im St. Galler Fall eine
vollauf genügende Handhabe zur Abweisung des gestellten Gesuches."
In einer Kurznotiz erwähnt die Zeitschrift „Das evangelische Deutschland"
(Nr. 3/1924 S. 25) diesen Fall. Letzteres Blatt schrieb:
Die „Ernsten Bibelforscher"
Der St. Galler Regierungsrat hat lt. „Basler Nachrichten" das Hausieren mit
den Schriften der sog. „Ernsten Bibelforscher" verboten und auch die früher
erteilten Bewilligungen zurückgezogen. Die Züricher Regierung ist diesem
Beispiel gefolgt.
Eine indirekte Folge vorbeschriebener Situation kann man auch in der Schweizer
Ausgabe des „Bulletin" Ausgabe Februar 1926 registrieren (Vorläuferblatt des
heutigen „Unser Königreichsdienst")
Genannte Ausgabe führt auch die Klage:
„In keinem Lande des Europäischen Kontinents
wurden die
(WTG-)Broschüren verschenkt, außer in der Schweiz."
Namentlich wird auf Deutschland und die USA hingewiesen, wo prinzipiell nur
die Literatur verkauft wurde.
Als „Kompromiss" empfiehlt nun das Bulletin verstärkt die
„Methode des freien Entgeldes"
einzuführen. Ihr zufolge wird kein direkter Verkaufspreis genannt, aber den
Angesprochenen nahegelegt, einen finanziellen Beitrag nach eigenem Ermeßen zu
geben. Die „Kunst" der WTG-Hörigen solle dann darin bestehen, zumindest mehr
Geld zu erwirtschaften, als wie bei einer rein kostenlosen Abgabe.
Auf ähnlicher Wellenlänge liegt auch die Klage des Schweizer „Bulletin" in der
Ausgabe vom Oktober 1925:
„Es ist leider Tatsache, daß in unseren Ländern
der Vertrieb des "Goldenen Zeitalters" im Vergleich mit Deutschland sehr
zurück geblieben ist"
Dieses Zurückgebliebensein hat dann eine wesentliche Ursache, auch in den
genannten fiskalischen Problemen.
Auch noch massenhaft ihre Zeitschrift zu verschenken, behagte der WTG nicht.
Da nahm sie es lieber in Kauf, in der Schweiz eben keine Rekord-Umsatzzahlen
benennen zu können.
Das „Bulletin" (Schweizer Ausgabe) für Oktober 1925, formuliert dann noch die
Anweisung:
„Wir bitten aber bei dieser Gelegenheit erneut
alle lieben Geschwister, den Namen Kolporteur oder Kolportagewerk nicht mehr
zu gebrauchen, weil diese Benennung ... bei den Behörden zu Mißverständnissen
führen muss."
Auch diese Anweisung liegt dann mit im Kontext der vorbeschriebenen
Problemlage.
Die Oktober 1927-Ausgabe des „Bulletin" führt ebenfalls die Klage:
"Was die Verbreitung der Bücher der Gesellschaft
in der Schweiz etwas erschwert, ist ja bekanntlich, dass man nicht, wie z. B.
in Deutschland und Frankreich, das Recht des freien Verkaufes ausüben darf.
Wollen wir die Bücher verkaufen, so sind wir genötigt uns mit einem Patente zu
versehen, trotz unseres nachgewiesen erwerbslos betriebenen Werkes. Aber schon
hat auch die Großzahl der Kantonsregierungen das Ausstellen von Patenten an
uns verweigert, so dass wir meist auf das freie Missionieren angewiesen sind.
Es bleibt uns denn kein anderer Weg, als auch (das Buch) 'Befreiung' auf diese
Art zu verbreiten. Das Buch so den Menschen zugänglich zu machen, erfordert
freilich etwas mehr Mut und Tapferkeit ... Weisheit, als nur einfach es zu
verkaufen. ...
Wird die Literatur grundsätzlich gratis abgegeben, so dürfen freiwillige
Geldgaben entgegen genommen werden. Damit aber keine Missverständnisse und
Unannehmlichkeiten entstehen, sind die betreffenden Missionsarbeiter genau zu
instruieren, dass sie ausdrücklich die Gratisabgabe der Literatur betonen,
auch nicht betteln und Gaben nur als freiwillige Zuwendungen verdanken."
Siehe auch:
Ratschlaege für Missionsarbeiter