„Knastmauke"
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 10. Juni 2013 00:39
„Knastmauke" so der Titel eines Buches aus dem Jahre 2012 von Sibylle Plogstedt. Thematisch den Ostdeutschen Bereich, und seine politisch motivierten Unrechtsurteile beschreibend, und auch besonders im Blick habend, was wurde denn nun so noch aus den Verurteilten.
Unter den von der Verfasserin dazu geführten Interviews befindet sich auch das einer Zeugin Jehovas. Renate B ... ihr Name. Der Familienname ist im Buch voll ausgeschrieben. An dieser Stelle mag er nur in verkürzter Form zitiert werden.
Die gesamte Familie jener Renate B ... gehörte zu den Zeugen Jehovas. Und das schon seit der Nazizeit, bzw. kurz davor. Der Vater musste 9 Jahre, die Mutter fünf Jahre KZ erdulden.
In ihren Kinderjahren, dann im Jahre 1937, befand Renate B. sich bei ihrer Oma zu Besuch.
Dazu mag die nachfolgende Episode wieder gegeben werden:

„Und als ich 1937 in die Schule gekommen bin, hatte meine Mutter mich gefragt, ob ich zu den Großeltern in die Ferien wollte. ... Als die Ferien zu Ende waren, dachte ich, ich ginge jetzt wieder zurück zu meiner Mutter. Aber meine Oma fragte nur:
»Willst du bei uns bleiben? Deine Mutter ist im Krankenhaus.« Ich war gern bei meinen Großeltern. Die hatten Tiere und ein bisschen Landwirtschaft. Da habe ich mich wohlgefühlt. Eine Cousine sagte eines Tages zu mir: »Du glaubst auch alles, was man dir sagt. Deine Mutter ist gar nicht im Krankenhaus.
Deine Mutter ist im Gefängnis. Und weißt du, warum? Die ist ein
Bibelwurm.«

Auf Grund dieser Gemengelage bleibt sie also dort; aber nicht bei der Oma sondern bei ihrer Tante (der Schwester der Mutter). Sie beschreibt die Sachlage so. Bei der Oma ging es ihr eigentlich gut; selbiges indes konnte sie von ihrer Tante kaum berichten. Primär wohl auch aus wirtschaftlichen Gründen, den auf „Rosen gebettet" war wohl auch diese Tante nicht.
Weiter im Zitat:

„1942 wurde meine Mutter aus dem KZ entlassen. Ich hätte sie auf der Straße nicht erkannt. Sie war nur noch Haut und Knochen, wie ein altes Weiblein.
Die hat in sich hineingestopft, was sie nur essen konnte. Der Vater kam 1945 raus. Auch er hat überlebt."

Dann habe sie mit 14 Jahre drei Jahre lang eine Landwirtschaftliche Ausbildung (nach 1945) absolviert.
Bereits im Jahre 1952 wird sie vom Ostdeutschen Regime verhaftet.
Gelebt habe sie zu der Zeit in einem kleinen Dorf.

„Dort gab es in dem ganzen Umkreis außer mir nur einen anderen Zeugen Jehovas. Das war Herr Wegner, der besaß ein großes Gut. Ich habe bei dem Gutsbesitzer gearbeitet."

Und weiter:

„Auch der Gutsbesitzer ist damals verhaftet worden. Ich bekam zehn Jahre Zuchthaus und er acht, nur weil er mich beschäftigt hat. Ihn hat man dann enteignet."

Im April 1957 sei sie dann aus der Haft entlassen worden (also eine „vorzeitige" Haftentlassung).
Ungebrochen setzt sie die ZJ-Predigttätigkeit fort, und wird schon nach ganz kurzer Zeit, erneut erwischt, kommt aber diesmal dergestalt mit dem Schrecken davon, ohne damit verbundenes erneutes Gerichtsverfahren. Lediglich ihre Adressdaten werden wohl aufgenommen, und sie ist wieder frei.
In der Folge:

„Und der Aufseher der Zeugen Jehovas sagte, ich solle in den Westen gehen, ich sei ihnen keine Hilfe mehr. Er sagte: »Jetzt stehst du auf einem ganz schwarzen Brett. Kaum entlassen, haben sie dich wieder geschnappt. Im Westen bist du frei und kannst deine Pionierdienste machen.«

Nachdem sie nach einigem Zögern dieser Empfehlung nachkam, wird in der Folge eine ihrer nächsten Stationen das Notaufnahmelager in Berlin-Marienfelde sein.
Dort wird sie noch eine Erfahrung der „besonderen Art" sammeln.

„Eines Tages wurden einige von uns in eine grüne Minna geladen. Das waren Lehrer und ganz verschiedene Leute. Und wo haben sie uns hingefahren? In ein amerikanisches Hauptquartier.
Zunächst habe ich mich gefragt, ob Landwirtschaft wohl für die Amerikaner interessant ist? Die haben doch genügend Farmer. Denn die anderen, die mit mir fuhren, waren Intellektuelle. Ich habe aber ganz schnell rausgekriegt, was die wollten. Ich hatte in der Volkshochschule Russisch gelernt und konnte auch ganz gut Russisch.
Die haben mir den Vorschlag gemacht, ich solle in den Osten gehen, ich wäre der Typ für russische Offiziere. Ich sollte russische Offiziere in den Westen locken."

Gemäß ihren Angaben habe sie dieses Ansinnen aber abgelehnt.

„Da wurden die richtig pampig. Die US-Militärpolizei hat mir sogar gedroht: »Sie können in Marienfelde schmoren. Wir fliegen Sie nicht nach dem Westen aus.«

Letztendlich wurde diese Drohung nicht umgesetzt, und die spätere Renate B. wird als neuen Wohnort demnächst Witzenhausen in Hessen
angeben können.
Unabhängig davon, dass jener Anwerbeversuch wohl nicht so aufging wie die westlichen Stasi-Kollegen sich das so vielleicht vorgestellt hatten.
Unabhängig davon redet sie ja auch davon. Nicht nur sie, sondern eben auch andere Ostflüchtlinge wurden den US-amerikanischen „Sichtungsstellen" zugeführt. So wie in ihrem Falle festgestellt wurde, die könne aber verhältnismäßig gut russisch sprechen, so wurden auch in all den anderen Fällen seitens der westlichen Geheimdienste Überlegungen darüber angestellt, wie die nun unter ihrer Fuchtel sich befindlichen Ostflüchtlinge, für die Ziele der westlichen Geheimdienste instrumentalisiert werden könnten. Und das wie man sieht, sogar im Falle von Zeugen Jehovas. Und dabei wurde auch mit Drohungen gearbeitet, wie in diesem Falle mit der Drohung sie im Marienfelde „verschmoren" zu lassen, wenn sie nicht gefügig würde.
Über die Erfolgsquoten solcher Machenschaften mag man - vielleicht - Zweifel anmelden. Ausschlaggebend ist indes, das diese Anwerbeversuche überhaupt unternommen wurden. Und es ist weiter als gesichert unterstellbar, bei einem gewissen Teil sogar erfolgreich.
Nun im Westen.
Flogen ihr da nun die „gebratenen Tauben" nur so ins Maul?
Wer diesen Bericht aufmerksam liest wird das kaum sagen können.
Zwar sollte auch sie noch eine Haftentschädigung von etwa 20.000 DM erhalten. Nur, wann erhielt sie die? Gleich nachdem sie im Westen ankam, und wo sie die vielleicht am allernötigsten hätte gebrauchen können. Wohl kaum. Das trat erst ein, als der DDR-Staat nicht mehr existierte, man sich in Bundesrepublikanischen Gefilden - eher unwillig - auch mal Gedanken über eine Entschädigung der Opfer der Ostdeutschen politischen Justiz machen musste.
Im Westen musste sie zusehen, wie sie sich über Wasser hielt. Sie entschied sich für den Weg eines Wäschereibetriebes, und es kann unterstellt werden, einen gewissen Kundenstamm dabei kann sie wohl als gesichert betrachten, zumindest in früheren Jahrzehnten. Ob in der Gegenwart so auch noch; dabei wären wohl Zweifel anzumelden, was „zwischen den Zeilen gelesen" im Bericht auch deutlich wird. Immerhin handelte es sich um einen alteingesennenen Familienbetrieb, welcher durch Einheirat dann quasi von Renate B. fortgesetzt wurde. Dieser Job vermochte dann zu damaliger Zeit, seine Frau/Mann halbwegs zu ernähren. Auf welchem Level? Dafür mag ihre Angabe auch aufschlußreich sein:

„Im Westen hat Renate B... nicht mehr in der Landwirtschaft gearbeitet.
Sie bekommt einen Job in der Wäscherei eines Kinderheims in Hildesheim. Ihr Wissen stammt von der Fachschule, auf der sie in Landwirtschaft ausgebildet worden ist. Waschen und Babypflege wurden dort ebenfalls gelehrt....
Renate B ... heiratet in Witzenhausen in Hessen den späteren Vater ihrer Kinder. Von dessen Onkel übernehmen sie und ihr Mann die Wäscherei, die sie nach dessen Tod zunächst allein weitergeführt und nun an die Tochter weitergegeben hat."

Was ihre sonstige finanzielle Ausstattung anbelangt, dürfte wohl auch die Angabe erhellend sein:

„Gleich nach der Wende bin ich rehabilitiert worden und bekam die Haftentschädigung. Damals war die Wäscherei verschuldet. Da habe ich die ganzen 20.000 Mark hier in die Wäscherei gesteckt. Wir hatten damals gerade einen Maschinenschaden. Ich habe die Wäscherei retten können.
Ein andermal gingen die Fabriken im Umland pleite, und die Frauen blieben zu Hause und wuschen ihre Wäsche selbst. Ich musste damals mein Häuschen verkaufen, um den Betrieb zu retten.

Die Rentabilität jenes Betriebes mag auch der Umstand verdeutlichen, dass er es für angebracht hielt, auch noch als Dienstleistungszentrum für einen Paketdienst mit zu fungieren. Ergo ist der eigentliche Umsatz des Wäschereibetriebes wohl kaum als „überragend" zu bezeichnen.

Nachwirkungen

Natürlich habe ich was davongetragen. ..

(das mag hier jetzt nicht weiter zitiert werden. Man kann es sich auch so gut vorstellen).
Weiter im Zitat:

„Ich lebe jetzt von einer knappen Altersrente. Aber daran bin ich selber schuld. Ich habe nicht geklebt, solange ich die Wäscherei hatte. Ich habe Maschinen gekauft, und für mich selbst war nie Geld da. Der von der Handwerkskammer hat gesagt, ich hätte immer nur für andere gesorgt. Es war auch so. Aber jetzt kommt wenigstens noch die Opferrente dazu.
Ohne die Opferrente komme ich auf 580 Euro Rente und Wohngeld. Ich lebe in einer Einraumwohnung für 260 Euro inklusive der Nebenkosten im Monat. ... Ich bin ja doch die meiste Zeit in der Wäscherei.
Wenn es mit dem Geld knapp wurde, habe ich mich bisher schon mal an die Häftlingshilfestiftung gewendet, um finanziell etwas Luft zu bekommen.
Künftig wird das nicht mehr gehen. Meine Kinder haben gerade so Ihr Auskommen. Von der Wäscherei kann die Familie der Tochter leben, aber sie können nichts auf die Seite bringen.
Medikamente könnte ich mir nicht kaufen von meiner kleinen Rente.
Als ich jetzt von der Stiftung Geld bekommen habe, habe ich gedacht, jetzt kann ich mir mal etwas gegen die Schmerzen besorgen, dafür habe ich jetzt einen Notgroschen.

So also sieht die tatsächliche Wirklichkeit für etliche von der WTG-Betörten aus; die da den Rattenfängerthesen eines „bevorstehenden Paradieses" auf den Leim krochen.
Ausnahmen mögen dann die Regel bestätigen, wie die Ausnahme des
Firmeninhabers Waldemar Hirch,
oder der da mal den Herrn Franke gesponsert habende „Ricky King" getreu dem Motto:
„Wer gut schmiert, der fährt gut".

Der Bericht der Erika von Hornstein


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