Re: Im Bethel (3) - Mittwoch der 15. Tag - Grenzlinie

geschrieben von:  . +

Datum: 28. September 2008 23:23

Der letzte vorangegangene Teil unter:

Mysnip.14025


Am 15 Tag nehme ich überrascht das Wetter war.
Es ist drückend heiß.
Ich stelle mir die Frage ob ich wohl Bethelit bleibe und freue mich auf die Kongresstage.

Ich komme mir vor als wäre das alles nicht Wirklich.
Ich komme mir vor als wäre ich in einem Film.

Dann beschreibe ich einen Geräuschfetzen.
Ich weiß nicht mehr ob das bereits meine Führungen waren oder ob ich nur die ewig wiederholten Führungen eines anderen Beschreibe:



„…Wir befinden uns hier in der Chemischen Reinigung.
Rechts von uns befindet sich die Wäscherei, hinter uns das Schwimmbad…“



Das muss aus einer meiner ersten Führungen sein, denn das nachfolgendes Wortfragment stammt aus dem Verbindungsgang mit den Schaukästen:

„…Bitte mit den Rücken zum Fenster stellen, mit dem Rücken zum Fenster…“

Meine Führungen durchs Bethel waren berüchtigt.
Ich zeigte den Gruppen nämlich mit vorliebe Dinge, die nicht auf der offiziellen Tourliste standen.

Offiziell bekam man nämlich nur „züchtige“ Gästezimmer zu sehen.
Ich zeigte aber mein Bethelzimmer.

Anfangs als Abschreckung (denn es war total über füllt und enthielt eine unsichtbare Grenzlinie), später (ich zog bald mit einem anderen Musiker zusammen) als absolut untypisches Zimmer.

Ich gehörte zu den wenigen die Führungen liebten – es war für die Brüder die im Empfang arbeiteten gar nicht so einfach, jemanden für Führungen zu bekommen.
Wenn also jemand zu Besuch kam der um eine Führung bat mussten sie jemanden Anrufen.

Druckerei oder Handwerksbetriebe kamen dafür nicht in Frage, weil man dort niemanden von der Arbeitsstelle abziehen konnte.
Die erste Wahl waren Haushaltsbrüder und Haushaltsschwestern.
Rief man dort aber über das Haustelefon an sagten diese durchaus ab – weil sie „arbeiten“ zu erledigen hätten.

Einige Haushaltsbrüder trugen aber einen „Piepser“.
Ein kleines Empfangsteil auf den man die Nummer sah die man zurückrufen sollte.

Hatte man keine Lust Führungen zu machen, dauerte es halt etwas länger bis man zurückrief.
Ich dagegen machte gerne Führungen.
Und so bekam ich verhältnismäßig oft Führungen.
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„Ich möchte Euch recht herzlich im Zweigbüro der Wachtturm Bibel und Traktatgesellschaft Willkommen heißen.

Mein Name ist Mustermann und ich darf Euch heute durch das Bethel in Selters dem Hause Gottes führen.

Wir befinden uns hier im Königreichssaal der etwa 400 Sitzplätze bietet.
Rechts von mir seht ihr die mobile Faltwand die bei Bedarf geöffnet werden kann.
Dadurch wird der Saal um weitere 150 Sitzplätze erweitert.

Bevor wir nun in den Verwaltungstrakt gehen, möchte ich einen aus eurer Gruppe bitten den Letzten der Gruppe zu sein, um darauf zu achten das wir zusammen bleiben und ich sehen kann wann wir Vollständig sind.
Auch möchte ich euch bitten im Fabrikgebäude auf die gelben Linien am Boden zu beachten und nicht zu übertreten.
Diese sind zu eurer Sicherheit.

Wir gehen nun vom Königreichssaal in dem Montags die Bethelfamilie ihr Familienstudium durchführt durch eine Abgeschlossene Tür.
Achtet bitte darauf dass wir zusammenbleiben so dass alle in den Verwaltungstrakt gelangen.

Links von mir seht ihr drei kleine Besprechungsräume die jeder der will buchen kann.
Hier trifft sich der Einkauf mit Vertretern aber auch Bethelbrüder wenn sie mit ihrem Besuch alleine sein wollen wenn ihr Zimmer nicht frei ist…“
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Gerade ging ich meine alten Ordner mit der Post durch und fand zwei Seiten des Führungstextes den man vom Bethel bekam.




Den peinlichen Text mit dem „Marmor“ habe ich mir von Anfang an gespart.
Das mit den 1500 Oberhemden etc. habe ich schon erzählt.



Nur das ich nicht zu einem Gästezimmer gegangen bin, sondern in mein eigenes Zimmer.
Wenn ich gut drauf war, schockierte ich gerne die Besucher, indem ich erzählte und zeigte das durch das Zimmer eine Linie geht, die ich nicht überschreiten sollte.

Das Bethelbüro bat mich einmal, doch den Brüdern das gewünschte Bethelbild zu vermitteln.



Es wäre doch auch nicht so hygienisch, wenn so viele durch mein Zimmer liefen.
OK. Womit er Recht hat, hat er Recht.
Wir kamen überein dass ich je nach Gruppengröße von Fall zu Fall die Tour variierte.

Es sei hier an dieser Stelle erwähnt, dass zwei der drei Bethelbüroaufseher schwer in Ordnung waren.
Sie taten das was in ihrer Macht lag.
Einem der beiden merkte man aber an das ihn das Amt schwer belastete.

Re: Im Bethel (3) - Donnerstag der 16 Tag - noch mal ganz von Vorne anfangen

geschrieben von:  . +

Datum: 30. September 2008 00:05

Noch ein Wort zum Thema Führungen.
Es gab grundsätzlich zwei Arten von Führungen.
Privatführungen und öffentliche Führungen.

Privatführungen waren Bekannte oder eine sehr kleine VIP-Gruppe.
Normale Führungen waren angemeldete Busse oder unangemeldete Besucher an Feiertagen.

Große Führungen waren aus einem einfachen Grund interessant:



Interessant für das Bethel und den, der die Führung durchführte…



Bußgruppen wurden von einem Bruder im Empfang entgegengenommen und je nach Besucherzustrom in Gruppen von 10 bis 20 Personen aufgeteilt.
Waren noch nicht genug zusammen schickte man sie in die Dauerfilmschleife des Bethelfilmes im kleinen Saal.

War eine Gruppe zusammengestellt nahm ich sie entgegen und führte sie in den Königreissaal weil man es dort für die Begrüßung ruhiger hatte.



Die Gruppe zusammenzuhalten war eine Kunst.
Es gab Türen die Zufallen konnten und nur mit Schlüssel geöffnet werden konnten.
Bei großen Gruppen war es dann auch wichtig dass sie innerhalb der gelben Linien blieben.



Jetzt kam es nämlich durchaus vor das es bei Führungen zu einem Stau kam.
So das die eine Gruppe die andere Überholte – zum Beispiel weil der eine keine Lust hatte und schneller durch das Bethel lief und der andere froh war von seiner Zuteilung entkommen zu sein und sich erst Recht verplauderte.
Oder es kamen Rückfragen.



Es gab bestimmte Feiertage oder Kongresszeiten in denen sehr viele Besucher zu bewältigen waren.
Während dem normalen Arbeitsablauf.
Nicht immer gelang es die Brüder aus dem Arbeitsbereich herauszuhalten…



Ich beendete die Tour wenn es nicht Regnete im Außengelände oberhalb der Treppe vor dem Empfang.
Der Standort des Fotographen war der Platz, an dem ich eine Gruppe für gewöhnlich verabschiedete:


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Am 16. Tag scheinen wir von außen die Fenster geputzt zu haben.
Ich erwähne dass das Wasser aufgrund des heißen Wetters auf dem Fensterblech qualmend verdampft.
Die oberste Etage der Dienstabteilung durfte wegen der Ostspionage nicht von uns geputzt werden.

Der Aufseher von Haushalt-Verwaltung (ein junger, lockerer, netter Kerl – auf freier Wildbahn hätte er lange Haare und würde Lederjacken tragen und Harley Davidson fahren) meinte das man diesen Job nur übergangsweise zur Beobachtung bekommt.

Außer ihm (er sagte das bedauernd wie ein Gefängniswärter der sich selber eingesperrt fühlte) und einer gescheiterten Existenz mit streng nach rechts gezogenen Scheitel, wird jeder von uns bald zu einem vernünftigen Arbeitsplatz wechseln.

Zu diesem Zeitpunkt war mir klar dass es für mich zwei wichtige Abteilungen gab.
Das Bethelbüro und die Frisörstube (Die Schwestern hatten dort Haare auf den Zähnen – Vorsicht Wortspiel!).
Nun wollte keiner die meistfrequentierten Toiletten in der Speisesaal- und Empfangsebene Putzen.
Ich überlegte mir aber dass dies genau die Etage war auf der das Bethelbüro und die Frisörstube lagen.
Wenn man also auffallen will muss man dort Putzen.
Auf meine Bitte überließ man mir quasi mit Kusshand diese Etage.
Vorher wechselten sie sich ab – keiner wollte dort Putzen.

Als Haushaltsbruder bekam man automatisch den HGS-W Schlüssel.
Damit kam ich in das Putzmittelarchiv.
So mischte ich mir in mein Putzmittel den besten Duftstoff (Zitrone).
Man sollte wissen wenn ich geputzt hatte.
Dann rückte ich nach Feierabend (weitestgehend Unbeobachtet) den Waschbecken in der Etage zu leibe.

Wir alle haben weiße Porzellan-Waschbecken.
Nun bekommen Porzellanwaschbecken durch Metallgegenstände schwarze Fahrer.
Durch normale Reinigungsmittel bekommt man diese nicht weg.
So mancher nimmt diese grauen Striche als Gottgegeben hin.
Ich überlegte mir aber dass ich an meinem Auto mit Chrompoliturpaste meine Stoßstangen glänzend bekomme.
Dann müsste das für Metallstreifen auch funktionieren.
Und so bekam ich die über und über mit schwarzen Streifen versehenen Waschbecken mit Metallpolitur weiß wie neu.
Kalkrändern rückte ich mit Endkalker zu Leibe.
Ich reinigte fortan dort nicht nur Toiletten und Boden sondern auch die Kabinenwände und Fliesenwände (Frischegeruch!).
Zeit hatte ich genug.
Die anderen trödelten zum Steinerweichen (Planwirtschaft).

Ich sollte Recht behalten.
Bereits innerhalb des dritten Monats bekam ich DEN Traumjob.
Man erzählte sich das ein Bruder extra ins Bethel gerufen wurde weil er diesen seltenen Beruf hatte.
Ich ärgerte mich maßlos, da ich offensichtlich zu spät ins Bethel kam.
Dieser Bruder war nicht nur älter und schon länger im Bethel er hatte vor allem mehr Dienstjahre.
Er wurde bereits inoffiziell für diesen Posten gehandelt und sah in meinen Augen so Vorbildlich aus.

Pustekuchen!

Was keiner für möglich hielt - ich bekam den Job und behielt ihn auch die ganzen Jahre bis ich auszog.
Das war wie ein sechser im Lotto!

Ich bevorzuge die Illusion das es daran lag das die Toiletten in der Speisesaalebene mit Abstand die sauberste Zeit erlebten während ich dort Fuhrwerkte.
Mir erzählte die Aufseherin der Frisörabteilung (die Person im Bethel die am meisten zu sagen hat und zwar im doppelten Sinne) später dass sie es schade fand das ich nicht mehr die Etage reinigte.
Jetzt gehen sie wieder in eine weniger frequentierte Toilettenetage, wie sie es machten bevor ich das Stockwerk übernahm.
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Nach Feierabend fuhr ich auswärts Einkaufen und genoss die „freie“ Luft.
Zum ersten Mal fuhr ich mit meinem Auto alleine aus dem Gelände.
Die ersten Weltmenschen seit über 14 Tagen.

Supermarktlausprecher:
„…Suchen sie ein frisches Stück Fleisch?
Dann fragen sie doch in unserer Metzgerei…
…wie vom Spanferkelschulter…“

Supermarkt - Draußen!

Ich beschreibe Hessen als arm. „ein gewisses Arbeitslosenklima“
Kondensmilch, Zucker, Taschentücher, Cornes flakes, ein Besteckfacheinsatz für den Küchenschrank, Ofenreiniger, Zucker, Taschentücher, Spülmittel…

Alles zusammen für 60,03 DM.
Die Kassiererin unfreundlich: „Haben sie 3 Pfennig?“
Ich: „Nein aber 10“
Ich: „Aufwidersehen“
Keine Antwort.

Ich fahre in den Nachbarort in den Park.
Und setzte mich auf eine Parkbank und schreibe.

Das alte Fotogeschäft ist immer noch hier.
Vögel singen, Insekten surren, jemand zieht einen Handkarren vorbei, entfernt fahren Autos vorbei.
Ahornblätter liegen auf dem Weg.
Ein verbeultes grünes Blechschild: „Wir bitten um Ruhe und Sauberkeit“
Ein Hund bellt.

Die Zeit steht still.
In dem Moment beschloss ich noch mal ganz von Vorne anzufangen.
Bin ich Zuhause Angekommen?
Nein.



Ich hatte meine Kindheit in diese Stadt verbracht.
Diese Stadt ist eine meiner Heimatversammlungen.
Wir sind wegen theokratischen Gründen oft umgezogen (Gebiet wo Hilfe Not tut).

Wenn ich also im Tagebuch die Frage stellte, ob ich heimgekommen bin, dann deswegen, weil der Park früher zu meinem Schulweg gehörte.
Das Kaff leidet zwar etwas unter Größenwahn, aber ansonsten kannte ich dort jeden Baum und jeden Stein.



Irgendwo hört man einen Uhu rufen.
Uhrzeit 18:48 Uhr.
Auf einem verwitterten Mahnmal steht ein Bibeltext:

„Die Werke des Herrn sind Groß zum staunen für alle“ – Psalm 111:2

Irgendwo spielt ein Kind.
„Hallo haben sie Feuer?“

Wie ich so den Park entlang spaziere, komme ich an einem weinenden Kind auf einem kleinen roten Kinderfahrrad vorbei.
Sein Vater fragt was es denn hätte:

„Du bist so weit vor gefahren“


Re: Im Bethel (3) - 17. Tag Freitag - Nachtwache

geschrieben von:  . +

Datum: 30. September 2008 23:31

Zitat:


Die Geschichte mit der Ostspionage interessiert mich...

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,12921,14236#msg-14236
Hallo Conzaliss,

Auf die Beiträge von Manfred hinweisend…
http://forum.mysnip.de/read.php?27094,12921,14241#msg-14241
…kann ich dazu nur ergänzend hinzufügen:

Im Verwaltungsgebäude gibt es in der Mitte das Treppenhaus mit dem Fahrstuhlschacht.
Im Erdgeschoss ist der Empfang, der Speisesaal und die Küche
Darüber sind vier Etagen mit Büros.
Im 3. OG befindet sich die Bibliothek mit der Außenterrasse.
Wenn am Wochenende meine Eltern zu Besuch kommen werde ich dort auf der Terrasse sitzen und die Straße beobachten ob ich das Auto meiner Eltern sehen kann.
Im 4. OG befindet sich die Dienstabteilung.



Haushalt-Verwaltung war für das Putzen der Fenster zuständig.
In die vierte Etage der Dienstabteilung durfte aber niemand hoch.
Dort putzte sowohl die Toiletten als auch die Fenster von Außen, nur der Aufseher oder ein anderer ausgewählter Bruder von Haushalt Verwaltung.
Sie waren bei der Arbeit dort oben auch nie allein.

In die vierte Etage der Dienstabteilung kam man auch durch den Fahrstuhl nur mit Schlüssel.
Die Treppenhaustür zur Dienstabteilung hatte eine Klingel bzw. ein speziellen Schlüssel.

Die Fensterputzen von innen und Staubsaugen mussten die Brüder der Dienstabteilung selber.
In die Büros oder den Flur kam kein Unbefugter.

Begründet wurde dies mit der Ostspionage.

Und weil ich das gerade erzähle.
Ich hatte von Zuhause noch ein Abonnement der Tageszeitung Pravda.
Dies ließ ich mir natürlich täglich an meine neue Adresse ins Bethel nachschicken…



Man fragte mich auch später ob ich nicht ins russische Gebiet gehen wolle, was ich aber dankend ablehnte.

Noch ein Wort zu den Führungen.
Später als ich wieder Musik hörte ging mir bei den Führungen immer wieder ein Lied durch den Kopf.



Peter Gabriel – Jetzt Kommt die Flut.

„Wenn die Nacht droht
und stumme andere Zeichen,
wenn Nägel durch die Wolken schlagen,
beginnt der erste von den letzten Tagen.
Ja! – Jetzt kommt die Flut!
Das Ende naht von Fleisch und Blut.
Und wenn wir dann vom Morgen gehen,
werden andere unsere Spur versteh’n.“

Das Lied summte ich meistens vor mich hin, wenn ich eine Besichtigungsgruppe durchs Bethel führte…



Hier die englische Version:



17. Tag Freitag
Meine erste Nachtwache.



Unter der Woche haben zwei Nachtwächter regulär Dienst.

Am Wochenende werden dazu alle Brüder turnusmäßig eingeteilt.

Vormittags putzten wir die Toiletten.
Neben dem zentralen Treppenhaus liegen in jeder Etage „öffentliche“ Toilettenanlagen.
Jeder Haushaltsbruder bekommt eine Etage zugeteilt.
Danach war Staubwischen (Marmorfensterbretter in den endlosen Bürofluren) und das Putzen der Innenglasscheiben an der Reihe.

Nachmittags hatte ich frei, da ich für heute Nacht zum Nachtwachendienst eingeteilt war.
Zu der 13:00 Uhr Besprechung im Bethelbüro musste ich nicht.
Durch die Arbeit bei Haushalt-Verwaltung hat man sowieso ständig Kontakt zu den Aufsehern des Verwaltungsbereiches.
Wenn es etwas zu besprechen gab war das Vormittags schon erledigt.

So putzte ich mein Auto und rückte dem Herd im Zimmer Zuleibe.
Und ich bereitete den Besuch der Eltern vor.

Morgen am Samstag kommen sie.

Am Abend fuhr ich zum ersten Mal alleine mit dem Auto in die Versammlung.
Das hatte gut getan und Spaß gemacht.

Im Bethel bekam man für Strecken die man zu zweit in die Versammlung oder den Dienst gefahren ist kostenlos Benzin aus der eigenen Fabriktankstelle.
Ich hatte es fortan so gehandhabt, das ich nur jede zweite Fahrt abrechnete und mich dort selber als Beifahrer angab.

Wie ich vom Parkplatz durch die kühle Abendluft zum Wohnhaus ging dachte ich bei mir das es mir so gut wie jetzt noch nie im Bethel ging.

Um 22.20 treffe ich mich mit einem regulären Nachtwächter am Empfang.
Wir gehen dann in einen schmalen fensterlosen Raum in dem die Schlüsselkästen und Taschenlampen liegen.

Ein Schlüsselkasten ist ein Zählwerk mit Schloss.
In dem Gelände sind an der Wand Schlüssel die in dieses Schloss passen und den Zeitpunkt protokollieren in der man an diesem Kontrollpunkt passiert hat.

Noch ein Wort zu den Taschenlampen.
Wir hatte Maglites die man auch als Schlagstock verwenden kann.



Der Nachtwächter meinte diese sehen nicht sofort Aggressiv aus und helfen im Falle eines Falles doch.
Ich muss ganz ehrlich sagen – nachts war es doch ein etwas beruhigendes Gefühl die Dinger in der Hand zu haben.

Wir essen in diesem kleinen Raum etwas wie Abendbrot oder war es Frühstück?

Wörtlich schreibe ich in mein Tagebuch:

>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Schlüssel abdrehen
Kette einhängen
Türen Prüfen
Fenster schließen
Licht an, Licht aus
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen
Toiletten öffnen und jede Kabine kontrollieren
Gänge mit nicht Enden wollenden Stahlrohren

Schlüssel abdrehen
Kette einhängen
Rote Feuerwasserleitungen ziehen sich an der Decke über endlose gerade Gänge
Maschinenlärm von Generatoren
Schallgedämpfte Pressluftmotoren erzeugen einen ohrenbetäubenden Lärm
Mit Gitterplatten belegte Gänge – unter-, über- und neben uns Rohre.
Diffus beleuchtete Gänge

Schlüssel abdrehen
Kette einhängen
Tanzende Lichtkegel von Taschenlampen
Nachtkälte – Außentüren Prüfen
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen

Dann gingen wir die Kontrollrunde auf dem Dach.
Vollkommene Stille
Dunkelheit nur unterbrochen durch schwach beleuchtete milchweiße Oberlichten auf dem riesigen Fabrikdach.
Es sah aus wie in einem Science Fiktion Film.
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen

Ich trage der Schlüsselkasten.
Er hängt an einem Riemen über der Schulter und fängt an schwer zu werden.
Der Nachtwächter trägt einen riesigen Schlüsselbund.

Bürogänge
Abgestandene Luft
Fensterreihen Griff für Griff kontrollieren


Wohl gemerkt – im stock Dunklen.
Wir kontrollierten ob alle Fenster geschlossen waren.
In der Druckerei war das besonders wichtig weil dort keine Luftfeuchtigkeitswerte überschritten werden durften.

Endlose Gänge
Schwere Feuerschutztüren aufdrücken
Dunkelheit – wir schalten kein Licht an
Ausgeschaltete Druckereimaschinen

Trockene Luft.
Druckereistraßen in blau



Schwere Feuerschutztüren aufdrücken
Es geht durch schwere dicke Plastikschwenkflügel
Taschenlampenlicht blendet

Unter dem Schwimmbad läuft eine Tonne mit Kalkwasser über und der Gully schluckt schon kein Wasser
Ohrenbetäubendes Wasserrauschen
Generatoren strahlen Hitze ab
Aus einem Becken rauscht es Ohrenbetäubend
Wir laufen Knöcheltief durch Wasser um den Schaden zu besehen
Eine Palette mit Salz steht im Wasser
Wir machen Meldung
Einfach die 9 im Haustelefon wählen
Weiter
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen

Treppe rauf Treppe runter
Toiletten Prüfen
Büros ablaufen
Zimmertüren Kontrollieren
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen

Elektroräume
Ich habe die Orientierung verloren
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen
Waschküche
Keller
Öl Kanister
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen
Und wieder Treppen steigen

Vor dem Speisesaal den letzten Schlüssel abdrehen
Kette einhängen

Nachtwächter Raum – Ein Wahnsinn!
Wir werden 6 x die Strecke ablaufen
6 x !!!

Mal Wärme, mal Kälte
Autowerkstatt
Elektrowerkstatt mit rotem Licht
Schreinerei
Buchbinderei
Druckerei



Malerei
Büros
Zeichenbüro
Druckplatten Herstellung
Schlüssel abdrehen
Kette einhängen

Tore Prüfen
Fenster Prüfen
Literatur Lager



Türen kontrollieren

Und wieder auf dem Dach mit der Science Fiktion Kulisse.

Rennen, Rennen, Rennen
Wir sind gut in der Zeit
Wir werden im Nachtwächterraum etwas Pause machen können

Weiche Knie
Lethargie
Vollkommen Willenlos
Man ist nicht Müde – es ist nur Leere

Kein Blick mehr für die faszinierenden Rohre
Ab der vierten Runde brauchen wir das Schließkästchen nicht mehr.
Wir dürfen nicht immer dieselbe Strecke laufen
Schwacher Trost



Der Nachtwächter sagt das die Telefonleitungen abgehört werden
Der Bruder im Empfang schläft.

Ein Bethelmitarbeiter sitzt um 1:30 Uhr noch im Fernsehraum
Später treffen wir ihn noch einmal in der Wäscherei, wo er seinen Wäschebeutel abholt
Er sagt irgendetwas Entschuldigendes

Ein Wahnsinn!
Absolut beeindruckend!

Nach 24 Stunden auf den Beinen, Duschte ich und fiel wie Tot ins Bett

Re: Im Bethel (3) - Samstag 18. Tag - Besuch der Eltern

geschrieben von:  . +

Datum: 02. Oktober 2008 00:55

Am 18ten Tag wollen mich meine Eltern und mein jüngerer Bruder besuchen.

Bis 12:00 Uhr schlief ich wegen der Nachtwache.
Um 14:00 Uhr notierte ich nur das ich für den Besuch alles vorbereite.
Dann kam ich nicht mehr zum schreiben.
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23:05 Uhr.
Ich saß oben auf der Terrasse der Bibliothek las einen Geo-Jahrgang und hielt über das Getreidefeld hinweg nach einem grünen Mercedes Ausschau.
Ich erkannte schon von Weiten das Fahrzeug mit dem Firmenanhänger.

Ich wollte sie schon bei der Schranke abfangen.
Bei dem Weg dorthin fragte ich mich noch ob sie es wirklich waren.



Mein Gott was sie alles mitgebracht hatten!
Geschirrtücher
Töpfe
Kaba
Besteck
Kleider
Bettwäsche
Fotos
Post
Grünlilien
Abfalleimer
Efeu
russischen Wein (eine Kletterpflanze)
Eine neue Matratze
meine Wachtturm Sammlung (die damals schon einen erheblichen Umfang hatte)
etc.etc.

Meine Eltern stellten mir ein Fotoalbum zusammen.
Ich beschloss jeden Tag nur eine Seite aufzuschlagen und mich von den Fotos überraschen zu lassen.

„Ich sitze jetzt hier vor dem grünen Fotoalbum und dem ersten Bild und weine.“

Auf dem ersten Bild stehe ich neben meiner Mutter und meiner Oma vor dem Königreichssaal.

„Nie wieder, Nie wieder, Nie wieder“

Das Fotoalbum liegt gerade bei mir am Tisch.
Unter das erste Bild schrieb ich das Datum dieses 18ten Tages, die Noten der Mozartmelodie und auch im Fotoalbum:

Nie wieder
Nie wieder
Nie wieder

Ich zeigte ihnen natürlich das Zimmer.
Wir fuhren in unsere alte Heimatstadt Pizzaessen.

Mein Vater:
„Kennst du den Rockergruß? – Gasgeben am Motorrad!
Kennst Du den Almgruß? – Melken am Euter!
Kennst Du den Beamtengruß? – Keinen Finger rühren!“

Meine Eltern übernachteten in einem Gästezimmer.
Dazu beantragt man vorher ein Gästezimmer und bekommt folgende Bestätigung:


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Aber der Tagebucheintrag vom 18ten Tag war damit noch nicht zu Ende.
Ich erwähnte dass meine Eltern Post mitbrachten.

Diese Post enthielt einen Briefumschlag.
In dem Briefumschlag befanden sich ein 10,- DM Schein und diese Unterschriebenen Zeilen:



Ein Bruder war selbstständiger Händler mit Biolebensmitteln die er auf Märkten verkaufte.
Direkt vom Erzeuger…
Ich weiß noch dass er damals Porsche fuhr.
Durch eine Katastrophe kaufte ihm jedoch niemand mehr seine Waren ab.
Er verlor alles und wurde Alkoholiker.
Wir halfen ihm, seiner Frau und seinem Kind.
Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle und fing an seine Frau und sein Kind zu schlagen. Seine Frau musste sich und ihr Kind vor ihm in Sicherheit bringen.
Ich kann mich nicht mehr erinnern ob sie auch bei uns Übernachtete, aber wir halfen ihr einen Platz in einem (Weltlichen-, Kirchlichen-!) Frauenhaus zu finden.
Es gab damals die Diskussion unter den Ältesten ob sie ihren Mann verlassen dürfe.
Über den Kopf dieser Ältesten hinweg brachten wir die Frau und ihr Kind in Sicherheit.

Im Tagebuch vermerkte ich, das ich ihm eine Kiste mit Lebensmitteln brachte und sagte das er sich um seine Frau keine sorgen machen müsse.
Ich notiere extra das in der Kiste auch mein Leibgericht war: Muscheln mit Piri Piri.
Leider gibt es das heute nicht mehr.
Auch heute schaue ich nach wie vor regelmäßig in den Fischregalen der Läden ob es sie vielleicht wieder gibt.
Eine Zeitlang waren Muscheln derart verseucht das man sie nicht mehr verkaufte und was es heute so gibt schmeckt mir nicht mehr.
Als ich ihm die Lebensmittelkiste brachte weinte er damals.

Ein paar Tage später, bevor er Untertauchte, klaute er mir am Ende einer Zusammenkunft 10,- DM aus meiner Versammlungstasche.
Ich muss damals schon Pionier gewesen sein denn die 10,- DM bekam ich von der älteren Gesalbten Schwester.
Ich erwähnte sie bereits – die Gesalbte Schwester die nach dem Hirtenbesuch mit dem Herz Schwierigkeiten bekam.

Er sah wie ich die 10,- DM bekam und ich sah wie er sie mir aus der Versammlungstasche nahm.
Wir schauten uns an und ich sagte nichts.

Das nächste Lebenszeichen von ihm war eben dieser Brief.
Die Karte kam in mein Fotoalbum.
Neben die Karte kam das Foto von seinem Sohn.

Re: Im Bethel (3) - Sonntag 19 Tag - Hilflos

geschrieben von:  . +

Datum: 02. Oktober 2008 22:07

Die Eltern sind wieder abgefahren.
Heute Nacht soll der Zimmerpartner zurückkommen.

Ich blätterte das Fotoalbum eine Seite weiter…




…und notierte im Fotoalbum:
Schlagbaum
rote Ampel
vorbei
Lied 73



Mein Bruder weckte mich indem er an meiner Zimmertür klopfte.
Erst haben wir im Zimmer zusammen Gefrühstückt.

Wir waren zusammen in unserer ehemaligen Heimatversammlung (und damit in meiner gegenwärtigen Bethelversammlung).
Das war insoweit wichtig, weil nun der letzte Bethelit dort begriffen hat, das ich hier Zuhause bin und sie die Neuen sind.

Ich beschreibe den Besuch der Eltern mit einem U-Boottauchgang bei stürmischster See.
Für einen Augenblick Ruhe.
Auf der einen Seite half mir der Besuch der Eltern ungemein Luft zu holen, auf der anderen Seite nahm ich nun Dinge war, die ich bis jetzt als Gottgegeben ignorierte.
Sie weckten mich erstmals aus einer Lethargie.
Durch ihren Besuch ist mir erst bewusst geworden das ich mich willenlos umher schieben lasse.

Es war für mich ein Schock in dieses eisenharte Klima gesetzt zu werden.

Ich schreibe wörtlich:

„Haltlos
ohne Motivation
ohne Gedanken auf den nächsten Schritt“

Ich stehe auf der Beifahrerseite des Autos meiner Eltern.
Meine Mutter winkt, mein Bruder winkt.
Das Auto meiner Eltern fährt auf schwarzen Schotter an
Der Schlagbaum der Schranke öffnet sich
Die Schlagbaumampel wird rot
Winken
vorbei

„Tschüss mach’s gut!“

Ich sollte nicht hier sein
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17:35 Uhr

Der Zimmerpartner ist noch nicht zurück, aber es ist mir, als wäre er schon da.

Ich laufe mechanisch. Ich funktioniere.
Ich sollte nicht hier sein.
Ich will nicht.

Wörtlich schreibe ich ins Tagebuch:

„Ich bin jetzt bei dem Parkplatz an der Kurve von dem Königreichsaal und nicke einem Bruder zu“

Wahrscheinlich saß ich schreibend auf der Parkbank.



Ich will nicht.
Ich weiß dass es verkehrt ist doch was soll ich machen.



Es war kein trotziges „Ich will nicht“ - Ich war so hilflos.

Jede Sekunde die ich noch alleine war genoss ich.
Ich notiere dass ein Überstehen nur möglich ist, wenn ich den Zimmerpartner wechseln würde.
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21:21 Uhr

Der Zimmerpartner kam um 20:00 Uhr.
Mein Vater meldete sich das sie gut angekommen sind.

Auf meinem Schreibtisch stand eine Vorgebirgshängenelke, sie sah so zerbrechlich aus.

• Als ich als Pionier mit dem Fahrrad im Gebiet unterwegs war, wehten meine Haare im Wind des Geistes Jehovas.
Hier herrschte eisige Windstille.
• Jesaja 12:1,2 Jehova schüttete Segen aus das ich vor Glück keine Luft bekam.
Jetzt bekomme ich vor Bedrückung keine Luft.
• Ich war als Pionier beschäftigt, tätig und wuchs.
Jetzt nehme ich rapide ab – nicht nur Geistig.
• Ich hatte Erfolg und Anerkennung
Jetzt putze ich Toiletten
• Ich war mit Menschen zusammen die es schätzten das ich da war
Jetzt bin ich im Weg, werde taxiert und bin allein.

22:11 Uhr
Eine Fliege summt.

Ich lasse es über mich ergehen weil ich es nicht ändern kann.
Ich laufe und funktioniere

Dann zitiere ich einen Liedertext aus dem Gedächtnis.
Wohlgemerkt – zu dem Zeitpunkt hörte ich schon über ein Jahr keine weltliche Musik mehr.
Ich zitiere ein Liedertext von Peter Gabriel.

„Bleib stark, bleib stark
Sie sperren dich in Kästen in schwarze Stille
Lass dich nicht brechen, bewahr deinen Willen
Bleib stark
Du hast dein Leben eingesetzt
Bist allein in dieser Nacht
Was wissen sie von deiner Freiheit
Und der Spur die dein Körper macht
Bleib stark
Ich versprech’ dir jetzt ich tu was ich kann“

Re: Im Bethel (3) - 20. Tag Montag - Gestank

geschrieben von:  . +

Datum: 03. Oktober 2008 20:06

Heute stand ich stand schon vor meinem 6:00 Uhr Wecker auf.
Gestern kam der Zimmerpartner um etwa 20:00 Uhr zurück.
Ich notiere auf Kyrillisch: „…außerdem stink er…“



Mit der Rückkehr vom Urlaub fand er auch wieder zu seiner Gewohnheit zurück, seine Socken im Waschbecken zu waschen und sie auf der Heizung zu trocknen.

Zugegeben - Er ging mir massiv gegen den Strich.
Und unter diesen Umständen möchte ich nicht mein eigener Zimmerpartner sein.

Stell Dir einen Zimmerpartner vor, der quasi nicht spricht und buchstäblich pausenlos Schreibt.
Der Tagebucheintrag vom 13 Tag ist sieben DIN A 4 Seiten lang.
Normale Einträge sind vier Seiten lang.
Ich hatte immer etwas zum Notieren dabei und übertrug das in das Tagebuch.
Dann lernte ich eine kyrillische Sprache und hatte eine Zeitlang auch noch ein Prawda Abonnement!
Den Rest studierte ich.
Das muss für einen einfachen Menschen wie meinem Zimmerpartner, die Hölle gewesen sein.
Er hat sicherlich mindestens genauso berechtigten Grund sich über mich zu beschweren.

Wir konnten beide nichts dafür dass man uns zusammensteckte.

Es ist zwar nur eine Apokryphe, es sei aber hier auf mich angewandt:

„Wer ohne Fehler ist werfe den ersten Stein…“
(Johannes 8:7)

Der Morgen sieht wie folgt aus:

6:30 Uhr 3X Gong zum Aufstehen
6:50 Uhr Gong zum Frühstück
7:00 Uhr Frühstück

Um 6:55 sitzen größtenteils nur Ferienmitarbeiter oder Neulinge im Speisesaal.
Der Saal füllt sich jeden Morgen für gewöhnlich zwischen 6:58 und 7:00 Uhr
An dem Tag an dem ich meine Frau zum ersten Mal sah, saß sie bereits als einzige auf ihrem Platz im Speisesaal.
Ich wusste sofort dass es sich um die Neue handeln musste.

7:00 – 7:15 Uhr Tagestext Besprechung

„Den Honig bitte“

7:30 wird die Tafel aufgehoben.

Alle stehen ruckartig auf, schieben ihren Stuhl unter den Tisch und stellen sich hinter den Stuhl.
Dann wird das „Tafelaufhebegebet“ gesprochen.
Danach kann man weiter frühstücken.
Auf Tischen an denen niemand mehr frühstückt, kann man für sich Essenfassen.
Wir nannten das Geiern.
Wer nicht zum Frühstück erschien nutzt den Trubel um unerkannt doch an Frühstücksbrötchen zu kommen.
Dumm nur wenn man seinem Tischvorsitzenden in die Arme lief.

Jeder hat einen fest zugewiesenen Tisch und den Sitzplatz.
Nur am Wochenende und beim Abendbrot war freie Platzwahl.
Jeder Speisesaaltisch hat eine zweite Ebene unter dem Tischblatt.
Im Bereich des eigenen Sitzplatzes konnte man diesen mit privaten Dingen belegen.
Unter meinem Tisch lag:

Meine Tagestextbroschüre
Eine Taschenbuchbibel
meist Nutella aber auch mal besondere Marmelade
Kaba und Tupperwarendosen zum Transport von Essen ins Zimmer.
----------------------------
„…So werden 10.000 Zeitschriften in der Stunde gedruckt.
Das heißt 8 Papierrollen in der Stunde werden von unseren Rotationsmaschinen verarbeitet…
…das Altpapier wird wieder verkauft so dass es weiter verwendet wird…“

Das muss sich wieder um den Ton der Dauerbethelfilmschleife aus dem kleinen Königreichsaal handeln.
Bei meinen Führungen erzählte ich später gerne noch wie viel Bäume das jede Stunde sind…
und vergaß nicht zu betonen dass wir kein Altpapier verarbeiten.



Vor allem dann wenn ich Bruder Wichtig und Schwester Vorbild unter der Führungsgruppe hatte.

Die Wachtturm Gesellschaft verarbeitet zu 100% Urwaldweißpapier.

Eine Papierrolle ist etwa 1,5 m Breit und wiegt durchschnittlich 700kg.
Je nach Papierdicke (Rollenlänge und Durchlaufgeschwindigkeit) wird etwa alle 40 Minuten eine Papierrolle pro Rotationsmaschine verarbeitet.
Pro Stunde können je nach Geschwindigkeit ca. 30.000 Zeitschriften gedruckt werden.



Aus 2,2 bis 2,5 kg Holz kann man 1 kg Papier herstellen.
Wenn man etwa 60 kg Trockenmasse pro Baum veranschlagt werden Pro Papierrolle 30 Bäume benötigt.

Pro Stunde können die drei Rollenoffsetmaschinen in Selters also 135 Urwaldbäume verarbeiten.

Veranschlagt man ca. 1,8 m² Fläche pro Baum ergibt das eine Urwaldfläche von ca. 243 m² pro Stunde.



Eine Zeitschrift wiegt etwa 0,035 kg
Von einem skandinavischen Urwald Baum können demnach etwa 1750 Zeitschriften hergestellt werden.
Bei einer Auflage von 37,1 Millionen Wachttürmen bedeute dass, dass etwa 21.200 Bäume pro Auflage gefällt werden müssen.

Das entspricht etwa 38000 m² Urwaldfläche.
6 Fußballfelder pro Auflage.
Greenpeace kommt bei Harry Potter gleich auf eine viel höhere Flächenangabe.
Sie veranschlagen über 22 m² pro Baum.

www.ich-habs-papiert.de/_pdf/3.6_Der_Baumrechner.pdf

Voller Stolz präsentiert die Wachtturm Gesellschaft den Verbrauch ihrer „Rota 5“:



Diese Zahlen wurden am Frühstückstisch als Leistung voller Stolz präsentiert und von mir in den Führungen an passender Stelle an den Mann gebracht.
Bruder Übereifer blieb dann regelmäßig sein Ahhh und Ohhh im Hals stecken.

Der Wachtturm-Verlag verwendet aus Kostengründen ausschließlich Weißpapier.
Er behauptet zwar dass dies aus Qualitätsgründen passieren muss aber jeder von uns hat schon Qualitätspapiere und Massenpapiere des Verlagshauses Guner&Jahr in der Hand gehabt (Geo Stern).

www.guj.de/

Dieser Verlag verarbeitet trotz höherer Kosten einen gewissen Anteil an Altpapier.
Das Mindeste was man von dem Verlag Gottes erwarten könnte wäre doch, das sie wenigstens ihre Geschäftspapiere auf 100% Altpapier umstellen würden.

Durch den Druck des 5. Harry Potter-Bandes (Auflage um 10 Millionen) auf 100 Prozent Recyclingpapier rettete man laut Greenpeace etwa 29.640 Bäume (eine Waldfläche so groß wie 95 Fußballfelder).

www.greenpeace.de/themen/waelder/autoren_verlage_fuer_urwaelder/artikel/autoreninitiative_fuer_die_urwaelder/

Ein Fußballfeld hat etwa 7000 m² eine Auflage bringt es also auf 665.000 m² Waldfläche.

Eine Lüge der Wachturm Gesellschaft ist das ihr skandinavisches Weißpapier aus Plantagen stammt.
Das ist schlicht nicht wahr.
Skandinavisches Papier stammt fast zur Gänze aus skandinavisch/russischem Urwald.

Heute wird alle zwei Sekunden ein Urwaldgebiet von der Größe eines Fußballfeldes zerstört.
Greenpeace kämpft seit Jahren für den Schutz der Fantastischen Sieben, der letzten großen Urwaldgebiete der Erde.
Dazu gehören die Urwälder Nordamerikas und Europas, die Schneewälder Sibiriens, die Regenwälder am Amazonas, in Zentralafrika und Südostasien und die Bergwälder Chiles.

Vor allem in den nordischen Urwäldern machen Kahlschläge für die Papierproduktion mit den Naturparadiesen kurzen Prozess.
Am stärksten betroffen sind die Wälder der USA, Kanadas, Skandinaviens, Nord-West-Russlands und Sibiriens.
Ein Großteil des dort eingeschlagenen Holzes wird zu Zellstoff verkocht und endet als Weißpapierrollen in den Rotationsmaschinen der Druckereien.
Plantagenpapier ist teuer.



Ein beliebtes Argument ist, das Recyclingpapiere Energiekosten verursachen.
Das entschuldigt aber noch lange nicht dass die Wachtturm Gesellschaft aufgrund von Kostenersparnissen billiges Urwaldpapier verarbeitet.

www.greenpeace.de/themen/waelder/urwaelder_europas/artikel/urwaelder_in_europa_finnlandrussland

Wenn man bedenkt dass ihre religiösen Werbedruckschriften als Massenmailings größtenteils im Müll landen oder bestenfalls Stapelweise in den Schränken der Mitglieder verstauben, darf man getrost fragen, wie glaubhaft die Paradiesbilder des Wachtturmverlages sind.

Und seit dem man die Literatur auf geklebtes Paperback umgestellt hat (sogar die Bibeln!), zerfällt die Literatur buchstäblich bei der Benutzung.
Die Folge: noch mehr Wegwerfprodukte.

*** g76 22. 3. S. 10 Wirst du miterleben, wie die Erde ein Paradies wird? ***
Mit Recht sagte Lord Ritchie-Calder: „Umweltverschmutzung ist ein Verbrechen, das auf Unwissenheit und Geiz beruht.“

Aber wieder zurück zu dem Tagebuch:
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Staubsaugen
Staubwischen
Glasscheibenpolieren

„Guten Tag, „Hallo“

und weiter Böden wischen
Glühlampen auswechseln
(Die goldfarbenbedampften E14 Glühlampen in den Treppenhäusern)
Staubwischen

„Guten Tag, „Hallo“

Kurz noch Mal erwähnt dass das nicht unbeachtet untergeht:

STAUBWISCHEN!!!!

Man geht also durch die Gänge und wischt an Fensterbrettern, Türsimsen, Bekanntmachungsbrettern mit einem trockenen Lappen Staub. Das war’s.

Nicht denken, laufen, laufen, laufen.
Wenn vor mir etwas im Weg liegen würde, ich würde drüber fallen.

Heute Mittag gab es Pfeffersteak, Pommes frites, Erdbeermilch und Schokoladen Pudding.
Das Essen war hervorragend.
Nur was für ein Lärm und was für eine Panik und das Ganze in 20 Minuten!
Schade um das schöne Essen.

Ich schreibe wörtlich:

„Ich laufe und laufe und laufe.
Und ich bin immer noch nicht Aufgewacht.“

Ich schreibe über das Montag-Wachtturmstudium in Kyrillisch:

„Ich traf dort mit XXX (Vorname des Bruders) einem eigenartigen Vogel zusammen.
Vom XXX (Vorname meines Zimmerpartners) sagte er, das ich viel lüften müsse.“

Der Gute hat sich sichtlich nicht damit begnügt den Spaß von der Ferne zu genießen.
Ich begann zu lernen.
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Im Fotoalbum schlug ich die nächste Seite auf.





Mein Vater konnte aus Ästen Pfeifen Schnitzen.
Er schnitt ein ca. 14 cm langes Holz, löste durch klopfen die Rinde und schob dann das innere Holz heraus.
In der linken Hand meiner Schwester, sieht man so eine Pfeife.
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Dann rief der Bruder auf das Zimmertelefon an, der in meiner Heimatversammlung die Bekanntmachung vorlas, dass ich ins Bethel gehe.

Ich notiere, das er nicht wegen mir angerufen hat, sondern weil er die Bethelaura erleben wollte.
Die glänzenden Augen bei „Bethe zu Jah jeden Tag“
(ein Königreichslied)
Ich schrieb: „Armer XXX (sein Name)“
War aber deutlich enttäuscht denn ich freute mich auf seinen Anruf.

Später verkrachte er sich mit seiner Versammlung.
Sein ältester Sohn verließ die Wahrheit und er hat den Kontakt zu seinem Sohn abgebrochen.
Er wechselte die Versammlung und wurde dort Pionier.
Jedoch brach er unter der Mehrfachbelastung Arbeit/Versammlung/Pionier/Vater von vier Kindern zusammen.
Er wollte es immer besonders gut machen.
Heute ist er krank und desillusioniert.

An diesem Tag beschloss ich meinen Wecker auf 5:30 zu stellen.
Wörtlich:

„…um meine Unabhängigkeit zu demonstrieren…“
Ich wollte meinen eigenen Lebensrhythmus finden und mir nicht den Gong der Fabrik aufzwingen lassen.

Abgesehen davon lasse ich heute Nacht wegen dem Gestank die Balkontür offen…

Re: Im Bethel (3) - 21. Tag Dienstag - Hätt' ich Flügel wie ein Vogel

geschrieben von:  . +

Datum: 04. Oktober 2008 21:02



„Hätt’ ich Flügel wie die Taube,
flöge ich weit weg von hier
an den Ort, wo böse Menschen
könnten nicht mehr schaden mir.“
Lied 87

…die vierte Fotoalbumseite.

In dem Bach neben dem Haus gab es jede menge Fische.

Ich schrieb in das Fotoalbum:

„Hätt’ ich Flügel wie ein Vogel flöge ich weit, weit weg von hier.“
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Während des Tages hatte ich einen Block in der Tasche und schrieb immer, wenn sich die Gelegenheit bot.
Heute schrieb ich über die Arbeit:
• Toilettenputzen
• Glas Polieren
• Boden wischen
• Fegen
• Toiletten Einbürsten mit SP

„Hallo“
„Guten Tag“
„Guten Abend“

• Glühbirnen wechseln
• Toilettenpapierrollen auffüllen

Dann wieder Geräuschfetzen der Bethelfilmdauerschleife:

Fanfare! „Wir heißen sie im Bethel in Selters dem Zweigbüro der Zeugen Jehovas willkommen!“

• Zwei Go-Getter-Spritzer in die Toilettenschüssel

„…Arbeiten für alle im Haus erledigen können damit sie sich voll der Arbeit widmen können…“

• Go-getter-Wuschel ausdrücken.



„…Brüder von der Malerei sorgen für Tapezieren, Teppichlegen, Malerarbeiten…“

• Toilettenspülung drücken
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17:42 Uhr
Gleich muss ich in das Versammlungsbuchstudium.
Die meisten Betheliten hatten natürlich im Haus ihre Buchstudiumszusammenkunftsstätte.
Wir trafen uns bei einem Ehepaar in ihrer Wohnung in Haus 1.
Die Wohnungen waren dort dafür groß genug.


Wohngebäude 1 bis 7

Meine Muter hatte am Wochenende ein Kostüm mitgebracht.
Ich fragte die Haushaltsschwester ob sie es möchte.

Jetzt zu dem 17:42 Uhr Eintrag war das Kostüm nicht mehr in meinem Zimmer.
Ich werde meinen Eltern sagen dass es genommen wurde – sie freuen sich sicher.


Als ich von dem Buchstudium zurückkam hatte die Haushaltsschwester das Kostüm, mit einem Zettel das es nicht passte, wieder im meinem Zimmer gelegt.
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Haushaltsschwestern wechselten Turnusmäßig.
Man konnte mit ihnen Glück haben oder auch Pech.

Zweifelsohne gibt es Menschen die im Bethel sehr gut Aufgehoben und glücklich sind.
Zum einen sind das Menschen die es lieben dass für einen gedacht wird.
Aber zu den Menschen die gerne im Bethel sind gehören auch Menschen die mit Genuss streiten.
Sei es das sie ihren Alltag nur durch Streit ertragen oder Menschen die glauben mit ihrem gerechten Streit Gott einen gefallen tun.

Als ich etwa ein Jahr im Bethel war und bereits mit meinem Freund zusammen Wohnte, hatten wir nach dem Wechsel kein Glück mit der neuen Haushaltschwester.

Durch meine spätere Arbeitszuteilung war ich in Besitz der Gesamtschlüssel für die Fabrik und den Wohnbereich.
Da ich auch in dieser neuen Zuteilung mit der Abteilung Haushalt-Verwaltung zusammenarbeitete, kam ich sowieso von Zeit zu Zeit in das Putzmittellager.
Abgesehen davon, dass ich mich ja sowieso dort durch meine erste Arbeitszuteilung in Haushalt-Verwaltung gut auskannte.

Man verwendet im Bethel für die Reinigungsmittel keine Schmuckflaschen, wie wir es aus unseren Supermärkten kennen sondern man kauft die Reinigungsmittel in großen Fässern oder Kanistern und füllt sie in schlichte, transluzente weiße Standart-Kunststoffflakons.

Nun gibt es – wie bereits geschildert - im Bethel über all Schilder.
„Lieber Bruder, liebe Schwester!
Reibe mit diesem Handtuch bitte das Waschbecken nach.“

„Lieber Bruder, liebe Schwester!
Reinige die Dusche bitte nach gebrauch mit dieser Bürste.“
Und so weiter und so weiter.

Meine erste Amtshandlung war, wenn wir in ein Zimmer neu einzogen, sämtliche Schilder zu entfernen.
Ich habe eine Phobie gegen Schilder.
Keines meiner Autos hat eine Aufschrift, Werbung oder Aufkleber.
Koste es was es wolle.
Ich störe mich schon daran wenn ich morgens im Bad von Werbung an Shampooflaschen belästigt werde.
Langer Rede kurzer Sinn.

Meine Zimmer hatten keine Schilder.

Es sind aber nicht nur die Schilder.
Ordnungsgemäß gehört in eine ordnungsgemäße Betheldusche eine Wurzelbürste und besagter gut gefüllter Reinigungsmittelflakon.

Es gab aber in jedem Bad einen großen Einbauschrank.
Genug platz für alle Mittelchen und Fläschchen, Geräte und Tupferchen.
Langer Rede kurzer Sinn.

In meinem Bad steht nichts herum.
Kein Rasierapparat, kein Parfüm, kein Nippes und um Gottes Willen auch keine grobe Wurzelbürste mit einer halbvollen Einliter-Reinigungsflasche.

Nun wechselte, wie gesagt, eines Tages turnusgemäß unsere Haushaltsschwester.
An dem ersten Montagmittag standen in unserer Dusche, eine neue Wurzelbürste und ein Reinigungsmittelbehälter.
Ich nahm es gar nicht wahr und stellte die Flasche und die Bürste in den Badschrank neben die andere Flasche und Bürste die dort schon verstaut war.

Am Dienstagmittag standen wieder eine Flasche und eine Bürste in der Dusche.
Mir schwante nichts Gutes.
Aber was soll’s – das Putzmittellager lag auf dem Weg und so brachte ich zwei Bürsten und zwei Reinigungsflaschen dorthin zurück.

Am Mittwochmittag standen wieder eine Flasche und eine Bürste in der Dusche und es lag ein handgeschriebener Zettel auf unserer modernen und stets sauberen Küchenzeile:



Man beachte wie stark und energisch die Schrift nach rechts ansteigt.
Normalerweise schrieb die Schwester waagrecht.
Das sieht man an den Abdrücken in Block.
Hier aber ist die Schrift triumphierend und siegessicher!
Das Ausrufezeichen musste sie regelrecht Ausmalen.

Es mag ja sein, das diese Schwester dieser Ansicht ist.
Es interessierte mich aber nicht.
Die Flasche und die Bürste landeten wieder im Badschrank.

Am Donnertag wusste ich schon vorher, dass ich einen Zettel auf dem Zimmer finden würde.
Und prompt:



Auch hier kippt die Schrift förmlich um.
Ihre Buchstaben liegen alle in Schreibrichtung – es machte ihr Spaß.
Sie positionierte den Text rechts oben in die Ecke – sie war absolut zuversichtlich das sie Gewinnen würde.
Und sie war es die glaubte ein Ultimatum stellen zu dürfen.

Diese Schwester war gerne im Bethel.
Aber zumindest blieb diesmal die Dusche leer.
Meine so gut wie nicht vorhandene gute Kinderstube verbietet es mir jetzt ausfallend zu werden.

Aber aus meiner Zeit in Haushalt-Verwaltung wusste ich, dass sich die Haushaltsschwestern und Brüder am Samstagmorgen im Bethelbüro, zur Arbeitsverteilung und Besprechung der vergangenen Woche treffen.
Und ich war so frei und gesellte mich an besagten Samstagmorgen zu der großen Gruppe von Schwestern und Brüdern die sich bei dem Bethelbüro zusammenfanden.
Die Tür war offen und man stand wie immer bis draußen im Flur.
So wartete ich auf dem Moment in dem der Bethelaufseher zum Ende der Arbeitseinteilung die Frage stellte, ob es noch etwas zu Besprechen gäbe.
Na und ich meinte ich hätte da eine Frage:

„Ist es verpflichtend Notwendig dass in den Duschen sichtbar eine Bürste und ein Reinigungsmittel stehen?
Wenn der Inhalt der Reinigungsmittelflasche der absehbaren Neigung zu geht kann man die Flasche doch Problemlos in das Bad stellen mit der Bitte sie wieder aufzufüllen.
Das gleiche gilt für die Wurzelbürste.“

Der Bethelaufseher meinte das es keinen Grund gäbe warum die Flasche immer sichtbar in der Dusche stehen müsste.
Damit war das Thema gegessen.

Für diese Sache hat sich die Haushaltsschwester später noch bitterböse gerächt.

Re: Im Bethel (3) - Mittwoch der 22. Tag - Ort der Qualen

geschrieben von:  . +

Datum: 05. Oktober 2008 21:36

Erwachet 8.April 1982
Seite 21




„Das Bethel ist der sauberste und friedlichste Ort auf der Erde.“
„Nirgends spürt man die Liebe und den Segen Gottes mehr wie hier.“
„Die gepflegten Außenanlagen und die Gewissenhaftigkeit mit der jede Arbeit verrichtet wird beeindrucken ungemein.“

„Wir waren sehr beeindruckt von dem schönen Gebäude und der geräumigen Druckerei“, sagte eine Schwester, „und der Gedanke, daß von diesem Ort aus wir Verkündiger geistige Speise erhalten würden, machte uns sehr glücklich.“

„Dies ist wirklich schon ein Stück Paradies auf Erden.“
„Der beste Platz an dem man sein kann.“
„Wahrlich das Haus Gottes.“

So etwa hört sich das an, wenn man Brüder über das Bethel reden hört.
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Mittwoch
„Der Gestank im Zimmer ist unerträglich.“
Nachts wird es teils schon empfindlich kälter aber es ist auch mit offener Balkontür kaum auszuhalten.

Der Zimmerpartner leidet darunter das ich offensichtlich beharrlich schweige.
„Das Schweigen bringt ihn um. Das hält er nicht aus.“

In der Zwischenzeit schlief ich auf der Matratze die mir Privat gehörte.
Ich trennte den Bezug auf und legte in die Polsterung ein elektrisches Heizkissen.
So schlief ich auf einer beheizten Matratze.
Deswegen machte mir die Kälte nichts aus.
Trocknet er seine Socken auf der Heizung bleibt die Balkontür offen.

Heute machte ich Überstunden für den Kongressurlaub.
Die ganze Abteilung Haushalt-Verwaltung wollte so einen ganzen Urlaubstag einarbeiten.

Der Teppich des Königreichsaales sollte Shampooniert werden.
Das ging nur Mittwoch nach Feierabend, da man den nassen Teppich nicht betreten durfte.

Ich schreib davon dass der Aufseher von Haushalt-Verwaltung nicht mit seinem Posten zu Recht kommt, er hält sich nicht für den Typ eines Vorarbeiters.

Die Brüder draußen verlangten regelrecht von den Betheliten eine heile Welt.
Sie wollten unbedingt hören dass alles im Bethel toll und friedlich ist.
Diese aufgezwungene und geheuchelte Sauberkeit war nicht jedermanns Sache und erschwerte das Leben dort zusätzlich.

Das Problem lag nämlich darin das private Sorgen und Probleme mit einem mangelnden Geistiggesinntsein gleichgesetzt wurden.
Und so ist es nicht verwunderlich das selbst Aussteiger heute noch glauben, im Bethel laufen lauter glückliche und zufriedene Menschen herum.

Dann kann man vielleicht in etwa Abschätzen, wie sehr aktive Betheliten gezwungen sind eine Heile-Welt bei aktiven Zeugen Jehovas vorzugaukeln.

Der Aufseher von Haushalt-Verwaltung wäre eher ein cooler Rockertyp mit langen Haaren und Motorrad.
Jetzt musste er den perfekten Kapo spielen.
Anschaffen war nun wirklich nicht sein Ding.

Genau nach einem halben Jahr seid meinem Betheleintritt wechselte ich im Zuge eines jährlichen Zimmerrolletes meinen Zimmerpartner.
Ich sagte bereits dass es im Bethel starke, unüberwindliche Gruppen- und Klickenbildungen gab.

Ich schloss mich keiner Gruppe an und hatte auch nie unter Jehovas Zeugen das Bedürfnis einer Gemeinschaft.
Ich bin von Geburt an Zeuge Jehovas und kenne nur die Form einer geheuchelten Gemeinschaft die man per Knopfdruck An- und Ausschaltet.
Etwas anderes habe ich nie kennen gelernt.

Ich fand aber Anschluss an eine Gruppe junger Musiker – einer verrückter als der andere.
Aber vor allem konnten sie mit dem Leben nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht viel anfangen.

In dieser Gruppe galt ich aus zwei Gründen als keine schlechte Partie.
1.) Ich war Ordentlich und 2.) trank ich kein Alkohol.
Zwei nicht zu unterschätzende Vorteile.

Keiner in der Gruppe war Ordentlich und man konnte normalerweise nie sicher sein, wenn man von einem verlängerten Wochenende Nachhause kam, das man sein Bier noch auf dem Balkon wieder finden würde.

Und so ergänzten sich mein Zimmerpartner und ich hervorragend.
Er war immer unterwegs, und ich hatte zuhause meine Ruhe.
Und er brauchte sich um Essen, das Häusliche im Zimmer und sein Bier am Balkon keine Sorgen machen.
Ich deckte ihn, wenn er bei einer Zusammenkunft fehlte und versorgte ihn mit Frühstück wenn er sich den Tagestext ersparte.

Darüber hinaus waren wir gestandene Mannsbilder und hatten von dem ganzen Bethelgesockse bereits die Nase gestrichen voll.

Einzig zur morgendlichen Tagestextbesprechung wird erwartet dass man im Speisesaal erscheint.
Mittags und Abendbrot geht niemanden etwas an, ob man sich im Speisesaal oder sich sonst wo aufhält.
Und so kam es mehrmals in der Woche vor, dass wir uns die erbauliche Gemeinschaft am Mittagstisch schenkten.
Ich kaufte gerne mein eigenes Essen.
Ich hasste das Gefühl das man unser Essen in Pfennigbeträgen kalkulierte und ich hasste Essen nach der Stoppuhr.

Schade um das schöne Essen sagte ich immer.

So vereinbarten wir morgens, wer das Essen im Speisesaal „geiert“.
Auch hatten wir zwischenzeitlich eine moderne Küche mit dem wichtigsten Herzstück:
Ich kaufte einen leisen zweimotorigen, zweitürigen fabrikneuen Kühlschrank mit eigenem Gefrierschrank.

Deswegen kam es schon vor, das ich auswärts größer einkaufte.

12 Liter Milch, Pizza, Mehl usw.

Für gewöhnlich transportieren junge Brüder eine Kiste Bier.
Ich transportierte 12 Liter Milch…

Selbstverständlich musste dieser Einkauf zum Zimmer getragen werden.
Mein Parkplatz war aber an der denkbar weit entferntesten Stelle vom Gelände.

Ich denke unter normal sterblichen Menschen ist es selbstverständlich, das man am Wohnhauseingang das Fahrzeug abstellt, den schweren Einkauf Auslud und dann das Fahrzeug leer, an den zugewiesenen Stellplatz verbringt.
Kein normaler Mensch läuft viermal von der Rückseite der Fabrik zu der Vorderseite der Wohngebäude.
Nicht so im Bethel.

Ich stellte einmal mein vom Einkauf Vollbeladen PKW vor die Fenster der Reinigung ab, um den Einkauf in den Wohngebäudeflur abzuladen.
Geklaut wird ja nichts.
Danach hätte ich den PKW auf seinen Parkplatz hinter dem Fabrikgelände gefahren.
Das beobachtete jedoch der Aufseher der Reinigung und meinte das Fenster öffnen zu müssen um zu sagen dass dies hier Feuerwehranfahrtsbereich ist.



Ich dürfe mein Fahrzeug hier nicht abstellen.

Ich antwortete ihm dass mich das nicht interessiert, da ich meinen Einkauf ablade.

Am nächsten Tag sprach mich mein Aufseher an, dass es mir an meinem Geistiggesinntsein mangelte, weil ich die Parkvorschriften des Bethels missachte.

Wie gesagt:
„Es heißt alle Aufseher sollen einen seelischen Knacks haben.“
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22:12
Eine neue Seite im Fotoalbum:





Unter das Bild schreibe ich:
„Eines Tages werde ich wieder die Natur sehen“

Zu dem weiteren Bild aus dem Fotoalbum notiere ich ein Detail in das Tagebuch.
Man sieht in dem Zug das Schild liegen: „Zu den Toiletten“…





„Mensch dreh dich um und schau dir die Bäume an.
Es sträubt sich etwas in mir.“

Ich begründete das auch ohne noch den eigentlichen Grund gekannt zu haben.

Wörtlich schreibe ich:

„Weil noch zuviel passieren kann.
In den nächsten Tagen, nächsten Wochen, nächsten Monaten.“

Ich wollte mich nicht in ein System einbinden, das mich liebt solange ich funktioniere und wie eine heiße Kartoffel fallen lässt, wenn ich nicht mehr in ihren Kram passe.
Wie gesagt - Ich bin von Geburt an Zeuge Jehovas und kenne nur die Form einer geheuchelten Gemeinschaft, die man per Knopfdruck An- und Ausschaltet.
Etwas anderes habe ich nie kennen gelernt.
In der kleinen privaten Welt der Familie, kann man abschätzen wie weit die anderen der Organisation folgen würden oder nicht.

In diesem sterilen, sauberen, kalten Paradies konnte man alles erwarten – nur keine Gnade.
Weder in der Bethel“familie“ noch bei den Brüdern draußen.



Thematisch, quasi als "Teil 22 a"
siehe auch:

http://forum.mysnip.de/read.php?27094,12921,14725#msg-14725

Re: Im Bethel (3) - 23. Tag - Selbstmord

geschrieben von:  . +

Datum: 06. Oktober 2008 21:27

Ich hatte einen Traum.
Dort träumte ich dass ich nur noch drei Tage im Bethel wäre und deswegen weltliche Musik hörte.

Ich träumte von diesem Lied: La pulce d'acqua von Angelo Branduardi


Im meinem Traum fand ich dieses Lied auf einer der gelöschten Kassetten die ich dabei hatte.
Wörtlich schreibe ich:
„Wie man Dinge lieben lernt.
Doch leider war es nur ein Traum.“

Die nächste Seite in Fotoalbum:



unter das Foto schreibe ich:


Ich hatte einen Traum: In drei Tagen wäre ich weg…

Ich beschreibe meine Lage wie folgt:
„Wie aus dem Schlaf gerissen und neben Maschinenlärm gestellt.“

Wieder beschwere ich mich über den unerträglichen Gestank.
Wörtlich schreibe ich:

„Ich werde auch bis -20° lüften.

Ich versuche in Haushalt Verwaltung soviel zu Arbeiten das ich müde werde und vergesse.
(Und dass mit STAUBWISCHEN!!!)
Das Problem ist aber eher das der Haushalt dafür nicht geeignet ist.
Ich suchte mir förmlich Arbeiten um mich abzulenken.
Ich bettelte den Aufseher förmlich um Arbeit.

Sie sagen dass ich nicht lange in Haushalt-Verwaltung bleiben würde.

Zum ersten Mal erwähne ich im Tagebuch, das ich bewusst in der belebtesten Toilette putzte.
Im Erdgeschoss bei der Verwaltung, Speisesaal und dem Empfang.
Unter den Haushaltsbrüdern der unbeliebteste Job.

Nur in der Dienstabteilung war es noch dreckiger.
Dort „trafen“ die älternen Brüder die Schüssel nicht mehr.
Aber das Vorrecht in dieser Etage zu Putzen, war nur auserwählten Brüder beschieden.

Ich putzte bewusst in der Etage des Bethelbüros und der Frisörstube.
Die Arbeit wurde gesehen und ich sorgte dafür dass es auch auffiel.
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Als ich ins Bethel kam hörte ich bereits seit etwa einem halben Jahr keine Musik.
Weltliche Musik ist in Gottes Augen böse und so schaffte ich sie ab.

Die Folge davon war, das ich hunderte Platten und Musikkassetten wegwarf (ich glaube es waren etwa 500 Musikkassetten – vieles davon von mir selber).
Ich hörte von da an, ein Jahr lang keine Musik.
Kein Radio, kein Fernseher, kein Kino etc.

Musik ist jedoch lebensnotwendig.
Zumindest für mich.
Lebensnotwendig wie Essen und Trinken.
Seit meinem Selbstversuch kann ich das mit Fug und Recht behaupten.

Als ich meinen Zimmerpartner wechselte, war mir klar dass ich es bei ihm nicht mehr durchhalten würde, keine Musik zu hören.
Er war Jazz Musiker und hatte eine Plattensammlung.

So stand ich vor der Entscheidung: Jehovas Willen erfüllen oder weltliche Musik hören.

Mit der Entscheidung für die weltliche Musik, beging ich geistigen Suizid.
Ich war mir darüber im Klaren das ich ohne Musik nicht leben kann und auch nicht mehr leben will.
Wenn Gott Menschen vernichtet die weltliche Musik hören, muss er mich vernichten.
Ich kann es nicht ändern.

Meinem geistigen Selbstmord widmete ich eine eigene Tagebuchseite:



Diese enthält in der Mitte einen Bibeltext:
Wenn ein unreiner Geist von einem Menschen ausfährt,
durchwandert er dürre Orte, um eine Ruhestätte zu suchen,
und findet keine. Dann sagt er:
‚Ich will in mein Haus zurückkehren, aus dem ich ausgezogen bin‘;
und bei seiner Ankunft findet er es unbewohnt,
doch sauber gefegt und geschmückt.
Dann geht er hin und nimmt sieben andere Geister mit sich,
die bösartiger sind als er selbst,
und nachdem sie eingezogen sind, wohnen sie dort;
und die letzten Umstände jenes Menschen werden schlimmer als die ersten.
So wird es auch dieser bösen Generation ergehen.“
(Matthäus 12:43-45)

Am Seitenende zitiere ich aus dem Gedächtnis ein Liedertext von Wolfgang Ambros.

„Wenn ich, auf einer Brücke steh’
und ins Wasser hinunter schau,
weiß ich nicht, warum ich es nicht tue
und nicht ins Wasser hinunter springe.

Sterben tut so weh, sterben tut sau weh, sterben tut sau weh."
www.weltbild.at/index.html?trck=1_7&h=468c59344a&lm=20080927023058&trbid=300000&p=pprod.trck&b=10918084

Einen Tag später ging ich in einen kleinen Plattenladen meines Heimatortes und besorgte mir wieder meine Musik.
Meine ersten drei Schallplatten.

Außerdem bat ich den Verkäufer doch er solle seinen dicken Wälzer herausholen, ich suchte ganz bestimmte Schallplatten.

Damit weltliche Platten nicht „versehentlich“ in die falschen Hände gerieten, packte ich meine Platten neutral ab.
Im Plattenschrank hatte ich so nur neutral abgepackte Cover – rot, weiß, gelb, blau etc.
Die Originale hatte ich im Keller.
Die Platten bekamen eine Seriennummer.



001 ist die Nummer des Interpreten – hier Laurie Anderson.
06 war die fortlaufende Nummer dieses Interpreten – hier die sechste Platte die ich von Laurie Anderson hatte.
022 war die fortlaufende Nummer meiner Platten generell u.s.w.

Die Platten spielte ich auf Kassetten.
Echte Hifi-Fans schonen ihre Platten…
Die Kassetten wurden Kyrillisch beschriftet:



Links oben kann man Supertramp „Even…“ daneben Karat lesen etc.

Die Kassetten waren nummeriert und in einem Index erfasst.
In dem Index fand sich auch die Seriennummer der LP’s wieder



Es gab einen alphabetischen und einen numerischen Index.
Jede Kassette ein DIN A4 Blatt im numerischen Index.
Jeder Interpret ein DIN A4 Blatt im alphabetischen Index.

Hier Laurie Anderson und die 001
Die erste Platte die ich von ihr hatte war demnach „Big Science“.
Meine 16te überhaupt.
Es muss also eine der ersten bestellten Platten gewesen sein.

Ich erinnere mich noch wie mich mein neuer Zimmerpartner verblüfft ansah wie ich zwei Leitzordner mit je einem Blatt begann.
Meiner Kassette Nummer 1.

Ich hatte größeres vor…

Kritische Titel überklebte ich sogar auf der Schallplatte.
Hier Ammon Düül II und das Lied „PhallusDei“



Selbstredend waren neutral abgepackte Platten, für neugierige Haushaltsschwestern, im höchsten Maße suspekt…

Später lief ich gerne und lange in den hessischen Wäldern und hörte dabei über Kopfhörer Musik.
Mit vorliebe Musik, die eine Plattenseite lang war.

Das Schöne an den hessischen Wäldern ist, das es dort kaum Zäune gibt.
Nicht selten lief ich bis in die Dunkelheit hinein.

Laufen und dabei Ammon Düül hören – zum sterben schön.


 

Re: Im Bethel (3) - 24. Tag - Liebe Eltern

geschrieben von:  . +

Datum: 07. Oktober 2008 20:59

„Na? hast’n Tagebuch Bericht schon geschrieben?
Den schreibst immer Abends“
( Mein Zimmerpartner… )
Ich schrieb gestern bis nach 23:00 Uhr.

„Nein ich schrieb einen Brief“

Ich behandelte meine Schränke mit Parfüm.
Die Wirkung war umwerfend.
Aber nicht wirklich eine Verbesserung.



unter das Foto vom diesem Tag schrieb ich:


„Selters ist etwas riesiges schwarzes alles sträubt sich in mir dort hin zu fahren.
Passiert man erst die Schranke spürt man förmlich den Druck.“

Der Frühstückstisch war so organisiert dass der Tischvorsitzende sich um die zugeteilten Brüder kümmern konnte.
Die Tischvorsitzenden wechselten turnusmäßig.
Mit ihm konnte man Glück oder auch Pech haben.

Jeder Tisch war wie folgt eingeteilt:



1.) An der Stirnseite saß der Tischvorsitzende.

2.) Rechts oder links von ihm saß seine Frau – ( je nach dem ob sie die Hosen anhatte oder er. In dem obigen Beispiel hatte die Frau das Sagen und der Mann nichts zu melden. Denn die Frau nahm ihren Mann an ihre rechte Seite… )

3.) An der Rückseite des Tisches saß die Vertretung des Tischvorsitzenden.

4.) Sofern Verheiratet, saß seine Frau rechts oder links von ihm.

5.) Unter dem Tisch war eine Ablagefläche für die Bibel, die Tagestextbroschüre, das Jahrbuch und private Dinge wie bei mir: Kaba, Nutella, Gewürze, Tupperboxen etc.

Mit den Dingen unter dem Tisch konnte man herrlich seine kleinen Statusspielchen spielen.
Der bessere Teebeutel, das besondere Salz, die selbst gemachte Marmelade etc.



An meinem Tisch saß ein lediger Bruder der zwar nur die Vertretung des Tischvorsitzenden war, sich aber Aufführte als wäre er der Präsident der Wachtturm Gesellschaft.
Er hielt sich für einen begnadeten Opernsänger.
Kein Kongressdrama, kein biblisches Hörspiel, kein Wachtturmvideo ohne seine Stimme.
Entsprechend operettenhaft hat er sich benommen und die anderen am Tisch von oben herab terrorisiert.

Dann saß an meinem Tisch ein Ehepaar, das ihren Streit offen ausgetragen hat, um den Partner unter Druck zu setzen.
Er mochte das Bethel und sie hasste es.
Am einfachsten war es wenn sie demonstrativ fern blieb.
Dann musste sich der Ehemann nur bei dem Tischvorsitzenden rechtfertigen.
War sie aber anwesend und schlecht drauf, war dicke Luft angesagt.

Ein Bruder an meinem Tisch war LKW-Fahrer und deswegen die meiste Zeit nicht da.
Das hatte zur Folge das wir oft einen Gast am Tisch sitzen hatten.
So war immer wieder für Unterhaltung gesorgt.

Wer schon mal im Bethel beim Essen dabei war, wird sich sicherlich an den unglaublichen Lärmpegel erinnern.
Teils wurde das Ganze sogar noch von Königreichsmelodien untermalt.
Oft las der Leser während dem Essen aus dem Jahrbuch vor.
Wurde es dabei Unappetitlich sparte unser Opernsänger nicht mit betonenden Kommentaren.
Eine ledige Schwester, irgendwo im Saal, hatte die Angewohnheit am lautesten von allen zu Lachen, was wiederum unseren Opernsänger auf 180 brachte.

Der Unterschied zu jeder weltlichen Firma, war das gleichsetzten eines Fehlers, mit dem fehlenden Geistiggesindsein.
Zeigt es eine Neigung zur Habsucht, wenn man zuviel Erdbeereis auf seinen Teller nahm?
Mangelte es an Wertschätzung, wenn man den Selleriesalat nicht mochte?
War es der Geist der Rebellion, wenn eine Schwester mit Jeans zum Frühstück kam?
Verrät man womöglich bereits mangelnde Achtung vor dem heiligen Zweck der Tagestextbesprechung, wenn man zu spät kam?
Studierte man zuwenig, wenn es einem an der nötigen Freude im Dienst fehlte?
Etc.

Mal ganz Abgesehen von dem Ausrichten und den Intrigenspielchen, die wir alle aus unseren Heimatversammlungen kennen.
Das war einer der Gründe für den Druck, den man schon bei dem Passieren der Schranke spürte.
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Heute machten wir in Haushalt-Verwaltung wieder Überstunden.
Einen ganzen freien Tag haben wir für den Kongressbesuch so schon reingearbeitet.

Jeder arbeitete drei Samstage in der Woche und konnte einen Samstag im Monat als seinen freien Samstag nehmen.

Morgen habe ich meinen ersten freien Samstag.
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Meine Eltern schickten mir gerade Kopien der Briefe, Grußkarten und Postkarten die ich ihnen aus dem Bethel schickte.
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Liebe Eltern,…
Die erste Grußkarte konnte man aufklappen und hatte auf der Frontseite dieses Bild:



Auf der geschickten Karte machte ich drei Kreuze.
Eines für den zugeteilten Parkplatz meines PKW’s, ein Kreuz an dem Balkon meines Zimmers und eines für meinen Arbeitsplatz.

Hier schreibe ich noch, dass ich mich um ein neues Zimmer beworben habe.

Wörtlich schreibe ich:
„Die neuen Zimmer hängen aus!“
Einmal im Jahr wurden die Zimmer neu ausgeschrieben.
Jeder konnte sich um ein Zimmer bewerben.
Zugeteilt wurden diese nach Dienstjahren.
Wohnte man in einem Zimmer, auf das ein Bruder mit höheren Dienstjahren ein Auge geworfen hatte, wunde man nach diesem Zimmerroulett, zu einem Umzug gezwungen.
Das hatte jedoch die fatalen Folgen, das sich quasi alle mit niedrigen Dienstjahren vorsorglich um drei Zimmer bewarben.
Auch der Zimmerpartnerwunsch wurde nur „berücksichtigt“.

Wörtlich schreibe ich auf der Karte:
„Ich freue mich schon in eine andere Wohnung zu kommen.
Auch wenn selten etwas besseres nachkommt.
Egal.
Hauptsache in ein anderes Zimmer.“

Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste war, dass meine Chancen ein Zimmer zu bekommen, gleich Null waren.
Auch ein Zimmerpartnerwechsel war eigentlich sehr unwahrscheinlich.
Es hätte sich schon jemand finden müssen der mit mir den Zimmerpartner tauschen wollte…

Es war also purer Zufall dass die Hochzeit des Partners meines späteren Zimmerpartners mit der Zimmerausschreibung zusammenfiel und sich mein neuer Zimmerpartner nur einen Nachfolger suchen musste, um bis zu der nächsten Zimmerausschreibung in einem Jahr, in dem begehrten Zimmer bleiben zu können.


Fortsetzung unter:
 
Mysnip.14893

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