Bultmann und Küng
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 22. April 2012 02:19
Vor fünfzig Jahren
Auch die „Erwachet!"-Ausgabe vom 22. 4. 1961 kommt als sogenannte „Sonderausgabe" daher und titelt thematisch (das ganze Heft ist dem gewidmet)
„Entspricht der Protestantismus dem göttlichen Maßstab?"
Auch wenn man noch nicht eine Zeile jenes Heftes gelesen hat, kann man allein in der Bewertung der Herausgeber jener Zeitschrift, erahnen, dass diese Frage darin wohl verneint wird.
Das Dilemma der Religionsindustrie wird darin unter anderem mit den Sätzen beschrieben:

„Manche setzen den christlichen Glauben dem Moralismus gleich, und andere sagten, man könne ihn auch als Gemeinschaft mit der Natur bezeichnen. Manche stellen das Christentum 'der amerikanischen Lebensweise' gleich. Andere erklärten, es sei wichtig, daß man 'einen Glauben habe', aber es komme nicht darauf an, woran oder an wen man glaube ... Einige sagten, sie seien einer Kirche beigetreten, weil sie irgendeinem Glauben angehören wollten oder damit ihre Kinder guten Umgang hätten. Andere sagten, zu jeder Gemeinde gehöre eine Kirche, diese spiele eine ebenso wichtige Rolle für das Gemeindeleben wie 'finanzkräftige Banken, Schwimmklubs oder Müllverwertungsanlagen.'" Die meisten betrachteten die Kirche nicht in erster Linie als Mittelpunkt der Gottesanbetung, sondern als Einrichtung, einen guten Charakter zu entwickeln, als Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Die Zugehörigkeit zu einer Kirche genügte jedoch, um ihnen das Gefühl zu verleihen, religiös zu sein."

Zu den namentlich attackierten in dieser „Erwachet!"-Ausgabe gehört dann auch der „Theologe" Theologe? Rudolf Bultmann. Das Wort Theologe habe ich meinerseits zweimal geschrieben, einmal mit, einmal ohne Anführungsstriche; dieweil man in Sachen Bultmann, in der Tat „Hin- und hergerissen" sein kann, und das keinesfalls nur als Zeuge Jehovas.
Immerhin meint „Erwachet!" sich in Sachen Bultmann wie folgt verbreiten zu sollen.
Zitiert wird da über Dritte der Kirchenpräsident Martin Niemöller:

„Dieser soll gesagt haben, 'daß er sämtliche Prüflinge durchfallen lassen werde, die bei der Prüfung sich mit der Bultmann'schen Lehre nicht befaßt haben."

Dieser Gedankengang wird dann noch weiter vertieft, indes ohne Bultmann selbst direkt zu zitieren.
Mit dem Namen Bultmann ist landläufig verbunden sein sogenanntes Entmythologisierungsprogramm.
Besonders "auf die Palme" brachte Bultmann seine Gegner auch mit der Aussage:

„Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht."

Bultmann will also Bibelaussagen so umdeuten oder wegerklären, auf das der Zeitgenosse der auf „elektrisches Licht nicht verzichten will", sie weiterhin herunterschlucken könne, ohne dabei „Bauchkrämpfe" zu bekommen. Also ein „weichgespültes" „Christentum" a la den Eingangs genannten Kriterien.

Inwieweit das außer einem „Allerweltschristentum" noch tatsächliches Christentum sein kann, stelle ich auch meinerseits in Frage, was ich schon mal mit der Verwendung bzw. Nicht-Verwendung von Anführungsstrichen bei seiner Selbstbezeichnung als „Theologe" verdeutlichen wollte. Denn obwohl er etlichen biblisch-mythologischen Schrott den Laufpass zu geben bereit ist, wähnt er ja weiter Theologe zu sein, und wie das Niemöller-Zitat belegt, in gewissen Kreisen hoch veranschlagt. In anderen Kreisen genau das Gegenteil davon.

Mit seiner nachfolgenden These dürfte Bultmann seine Kritiker wohl auch kaum besänftigt haben:

"Deshalb sind in der Diskussion die 'Wunder Jesu', sofern sie Ereignisse der Vergangenheit sind, restlos der Kritik preiszugeben, und es ist mit aller Schärfe zu betonen, daß schlechterdings kein Interesse für den christlichen Glauben besteht, die Möglichkeit der Wunder Jesu als Ereignisse der Vergangenheit nachzuweisen, daß im Gegenteil dies nur eine Verirrung wäre."

(Rudolf Bultmann "Gesammelte Aufsätze", Berlin 1973 S. 89)
Was sich vielleicht als etwas abstrakte These anhören mag, lässt sich noch weiter veranschaulichen; etwa bei Uta Ranke-Heinemann.

Bemerkenswert empfand ich auch die Angabe in einem Artikel der Wikipedia über Bultmann:

"Im Herbst 1944 nahm Bultmann bis zum Kriegsende die spätere Theologieprofessorin Uta Ranke-Heinemann in seinen Haushalt auf eine Tochter Hilda Heinemanns, die 1926 bei ihm ihr theologisches Staatsexamen abgelegt hatte."

Wer denn mal das "Nein und Amen - Eine Anleitung zum Glaubenszweifel" der Ranke-Heinemann gelesen hat, kann sich ein Bild über die hohe Kunst der Sophistik in diesen Kreisen machen.
Eine gekürzte Leseprobe aus Ranke-Heinmamann mal:

"Bei einem Messias bzw. bei einem Menschen, in dem man den Messias sehen wollte, gab es nach Auffassung der Juden zur Zeit Jesu und gibt es nach Auffassung vieler Christen heute Kriterien und Merkmale. Diese Kriterien und Merkmale glaubte man damals und glaubt man noch heute. ... Zu den Kriterien gehört also in erster Linie die Macht, Wunder zu tun. Wunder sind das erste, was man von einem Messias erwartet, und an solcher Fähigkeit zu Wundern muß ein Messias sich messen lassen. ...
Mit dieser Ablehnung Jesu, zum Zweck seiner Legitimation Wunder zu wirken ... müssen wir die ihm nachgesagten Wunder als Ergebnisse einer naiven Mirakelsucht der Evangelienschreiber und deren Quellen ansehen, vor allem, wenn seine Wunder an Zauberei grenzen oder wenn wir solchen Wundern begegnen, die anderswo von anderen Wundertätern berichtet werden. ...
Wo dieses Kana lag, wissen wir nicht, wir wissen nur: Es ging bei dem Wunder um ziemlich viel Wasser und ziemlich viel Wein, nämlich um sechs Krüge mit jeweils »zwei oder drei Maß pro Krug«.
... Es handelt sich um ein Wunder, von dem die übrigen Evangelisten nichts wissen. ...
Hervorgehoben wird im Evangelium, daß es sich um Wein vom Allerfeinsten handelte möglicherweise gar um eine Trockenbeerenauslese, keinesfalls jedoch um einfachen Tafelwein. Das macht das Wunder noch staunenswerter. Daß es allerdings nicht für alle Christen ein vorbildliches Wunder war, zeigt einige Jahrhunderte später die Handlungsweise des Bischofs Makarios, der ein genau umgekehrtes Wunder vollbrachte: Als er vom Abt Peregrinus eingeladen war und ihm ein Glas Wein vorgesetzt wurde, trank er das Glas erst leer, nachdem er den Wein in Wasser verwandelt hatte. ...
Über das Wunder von Kana haben viele Leute viel geschrieben, was es denn bedeute und offenbare. Sie haben sozusagen das Wasser aus den Krügen nicht in Wein, sondern in Tinte verwandelt. Aber niemand ist bis heute so recht dahintergekommen, was es denn bedeutet. Und so ist anzunehmen, daß es weiter gar nichts bedeutet, außer daß hier eben eine Art Zauberkunststück geschildert wird. Wenn Jesus, statt Wasser in Wein zu verwandeln, auf der Hochzeit irgendein anderes Zauberkunststück vollzogen hätte, z.B. Zinn in Aluminium verwandelt hätte, würden wir genauso rätseln, was das bedeutet und es würde ebensowenig und ebensoviel bedeuten. Wir sollten uns also nicht in irgendeinen spekulativen Tiefsinn verlieren ...
Man hat Jesus solchen Wunderzauber angedichtet. ...
Epiphanie heißt »Erscheinung« und meint die Macht-Offenbarung des Herrn. Am 6. Januar feierte man in der heidnischen Antike schon eine andere göttliche Macht-Offenbarung und andere göttliche Weinwunder: Es war das Fest und waren die Weinwunder des Dionysos, des griechischen Weingotts. »In der Tat ist das Motiv der Geschichte, die Verwandlung des Wassers in Wein, ein typisches Motiv der Dionysos-Legende, in der dieses Wunder eben das Wunder der Epiphanie des Gottes ist und deshalb auf den Zeitpunkt des Dionysos-Festes, nämlich die Nacht vom 5. auf den 6. Januar, datiert wird. ...
Das wahre Wunder der Hochzeit von Kana wäre demnach nicht die Verwandlung von Wasser in Wein durch Jesus, sondern die Verwandlung Jesu in eine Art christlichen Weingott. ...
Es gibt nämlich keinen Berufsstand, der derartig siegreich - mindestens in seinen eigenen Augen - aus allen Widerlegungen hervorschreitet wie der Theologenstand. Einen Theologen kann man praktisch nie widerlegen. Wenn man doch einmal glaubt, es sei einem gelungen, wenn man also alle Argumente der Logik und des historischen Beweises auf seiner Seite versammelt hat, dann wird es nur Sekunden dauern, bis der Theologe mit den Worten »gerade deshalb...« oder »gerade daran zeigt sich« oder ähnlich wie ein Phönix aus der Asche sich erhebt und die Niederlage in seinen totalen Sieg umzuwandeln beginnt, »wie denn noch jeder große Theologe aus dem Mangel einen Reichtum... zu machen verstanden hat« (Rudolf Augstein, Jesus Menschensohn, 1974, S. 230).
Deshalb hat es z. B. auch nicht den geringsten Sinn, einem Theologen zu sagen - seinen Blick auf etwas zu lenken wäre schon der falsche Ausdruck, ein Theologe hat das alles selbstverständlich schon im Blick, bevor man es ihm sagt - also, es hat nicht den geringsten Sinn, einem Theologen zu sagen, dieser oder jener Bericht im Neuen Testament widerspricht diesem oder jenem anderen Bericht des Neuen Testaments.
Mitleidig wird der Theologe einem dann mitteilen, diese Widersprüchlichkeit zeige ja gerade, worauf es in der Heiligen Schrift ankomme. Nämlich überhaupt nicht auf das, was man da gegen die Aussagen der Schrift ins Feld führen möchte."

Wer sich mit solchen Mätzchen abspeisen lassen will, dem ist dann in der Tat nicht mehr zu helfen.

Ein Artikel, anlässlich des 85. Geburtstages jenes Herrn Bultmann meint seine Intention in den Worten zusammenfassen zu können:

"Wie kann dann die Predigt des Neuen Testaments dem heutigen Menschen wichtig sein? Diese Frage hat Bultmann in seiner Arbeit umgetrieben.
Er versucht, zwei Fehlwege zu vermeiden: den einen, der das alte Weltbild am Leben erhalten will, und den anderen, der das Mythologische streicht und sich auf das Ethische beschränkt.
(Bultmanna Gegner sind zumeist auf einem dieser beiden Wege zu finden). Bultmann fragt nach der tieferen Bedeutung mythologischer Aussagen, er will sie nicht entfernen, sondern auslegen: Das nennt
er ent-mythologisieren."

Man könnte diese salbungsvollen Worte auch etwas anders formulieren.
Etwa so.
Bultmann hat die Parabel vom Hasen und Igel gründlichst verinnerlicht.
Sein Ziel ist es immer sagen zu können:
"Ich bin schon lange da ..."
Dazu sind ihm dann alle sophistischen Künste recht und billig.
Unter anderem auch die Kunst, wenn es nichts mehr auszulegen gibt, dann wird halt etwas untergelegt.
Damit wähnten dann einiger seiner Zunft wieder Morgensonne zu wittern, die ihnen vordem ziemlich verdunkelt erschien.

In Zusammenfassung der Thesen von Bultmann formuliert etwa Steussloff:

"Erledigt ist für Bultmann folglich die Aufteilung der Welt in drei Stockwerke: Himmel, Erde, Hölle; erledigt die Vorstellung von Gott als einem oben im Himmel vorhandenen Wesen, von der Himmel- und Höllenfahrt Christi, von dem in den Wolken kommenden Menschensohn ... der Geister- und Dämonenglaube; die Wunder; die mythische Eschatologie inklusive der Parusie Christi; erledigt die Legende von der Präexistenz, der Jungfrauengeburt und der Auferstehung Christi (leeres Grab). Was von der Geschichte Jesu übrigbleibt, ist ein jüdischer Schriftgelehrter ... der das Nahen der Gottesherschaft und den Willen Gottes verkündigt, der mit einer Schar begeisterter Anhänger in Jerusalem einzieht, den Tempel besetzt und schließlich unter Pontius Pilatus wie andre Aufrührer als messianischer Prophet am Kreuze stirbt."

(Hans Steussloff, „Die Kritik der biblischen Geschichte durch D. F. Strauß und die moderne evangelische Theologie in Deutschland". Diss. 1960 S. 174)

Man kann die Sachlage auch an einem anderen Beispiel verdeutlichen.
Im Bereich der katholischen Kirche, geriet der Herr Mynarek in ernsthafte Konflikte mit letzterer. Die arteten derart aus, dass die Mannen des Herrn Papstes sich nicht zu schade waren, Mynarek auch noch die Gerichtsvollzieher auf den Hals zu schicken, um ihn wirklich „zu vernichten". Wie diese Konflikte besonders akut waren, beeindruckten sie auch einem anderen, mal mit der Catholica gewisse Konflikte habenden Hans Küng.
Und letzterer in seinen Konflikten glimpflicher davon kommende Küng (dieweil sich das im Fall Küng in Deutschland abspielte, im Fall Mynarek hingegen im Super-Super-Kirchen Filz-Filz-Staat Österreich).
Küng also mit einem „blauen Auge" davon kam, weiter an den universitären Futterkrippen sitzen konnte. Mynarak indes traf es härter. Nichts da mit nur „einem blauen Auge", und noch weniger mit dem Weitersitzen an den universitären Futterkrippen.
In einer Art Beileidbrief des Küng an Mynarek verlautbart nun Küng, er könne Mynareks Konflikte weitgehend nachvollziehen, und sie tuen ihm auch in der Seele leid. Lediglich beklagt er, das es er bedaure, dass Mynarek als schwer gebeutelter, nunmehr auch den Austritt aus der Firma des Herrn Papstes erklärt habe.
Inhaltlich liegt vielleicht Küng ähnlich über quer mit der Firma des Herrn Papstes. Er hält aber seine weitere Mitgliedschaft in derselben, schon aus dem Grunde für notwendig, um sich weiter die universitäre Futterkrippe (für sich) zu erhalten.
In meiner Sicht ist der Bultmann und Compagnons genau so ein Karrierist, den es nur um die Erhaltung seiner universitären Futterkrippe ging, und der aus diesem Grunde weiter als „Theologe" gelten will, und daher seine intellektuellen circensischen Leistungen vollbringt. Einerseits das mythische Weltbild als für den Müllhaufen passend zu erklären; anderseits davon weiter materiell leben will.
Seitens der Zeugen Jehovas (und noch einiger anderer) ist nun Bultmann auch eine Art Buhmann.
Sie wähnen insbesondere durch Dauer-Kultivierung der Erwartung auf den „großen Zampano" der der alles wundersam richten soll, den aber selbst brennende Auschwitzöfen aus seinem Tiefschlaf nicht zu erwecken vermöchten, eine Art Gegen-Joker-Karte zu haben.
Genau diese künstlich forcierte Naherwartung der Zeugen Jehovas, erweist sich unterm Strich als analoge intellektuelle Skrupellosigkeit derjenigen, die man etwa auch Bultmann oder Küng unterstellen mag!
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