Hört, hört!

geschrieben von:  Drahbeck

Datum: 12. August 2008 22:27

Er sagt von sich, er beschreibe „Höhen und Tiefen". Und zugleich sei seine Intention, die der Aufklärung und Richtigstellung.
Ich kann es nicht verhehlen ein solches Buch, mit gemischten Gefühlen in die Hand zu nehmen.
Nun schön, versuchen wir allfällige Vorurteile beiseite zu legen, und sehen uns den Text näher an.

Zur Biographie des 1954 geborenen Autors, gehört dass seine Eltern, aufgrund der politischen Verhältnisse von Ost- nach Westdeutschland umsiedelten. Dort kamen sie auch in Kontakt zu den Zeugen Jehovas. Die Mutter lies sich 1958 taufen. Zum Vater wäre zu sagen, er verstarb 1959.

Das die nunmehr alleinerziehende Mutter, mit ihren fünf Kindern, kein leichtes Los hatte, dürfte wohl zutage liegen. Und das sie „Halt" suchte ebenfalls.
Auch der nun als Buchautor in Erscheinung tretende, liess sich dann 1969 als Zeuge Jehovas taufen.
Zu seinen rückblickenden Erfahrungen gehört auch die:
„Ich nahm am evangelischen kirchlichen Schulunterricht nicht teil, was mir Spott und Ärger einbrachten. Man hatte mir verschiedene Kosenamen gegeben, man rief mich: Blutwurst und ähnliches. Manchmal wurde ich von stärkeren Klassenkameraden auch verprügelt." (S. 30)

Was dann wohl im „Nebeneffekt" zum stärkeren Anschluss an die WTG-Religion führte.
Auf dieser Linie liegt auch seine Angabe:

„Sogar in meiner Volksschulzeit, nahm ich öfters biblische Literatur mit und studierte sie in der Freistunde, als die anderen Religionsunterricht hatten. Einmal geschah es als ich das Buch las: Babylon, die große, ist gefallen! Gottes Königreich herrscht." (S. 45)

Solcherlei „Strickmuster" kommen einem ziemlich bekannt vor. „Wie gehabt", mag man da nur sagen.

Die 1975-These hat er dann auch noch bewusst miterlebt, wofür denn auch sein Satz steht:


„Ich glaubte, dass 1975 das "Ende" kommt. Von 1967 an, wurde das Jahr 1975 immer mehr forciert. Zuhause angekommen, erzählte ich diese neue Erkenntnis allen meinen Freunden. Die Zeitrechnung ist nicht verkehrt, nur die Erwartungen für dieses Jahr waren zu hoch. ... aber ich dachte mir, dass Harmagedon (so heißt Gottes Krieg oder Abrechnung mit dem Bösen) im Frühherbst 1975 vorüber ist. ...

Aber die allgemeinen Erwartungen waren, auch von mir, dass bis Ende 1975 Harmagedon vorüber wäre. Am 1.1.1975 morgens als ich in die Küche kam, sprang ich vor Freude in die Luft und sagte, endlich ist das Jahr 1975 angebrochen.
Aber dieses Jahr ging vorbei, ohne dass Harmagedon ausgebrochen war. Es gab danach einen Knick in der Zunahme von Jehovas Zeugen. Einige gaben den Glauben der Zeugen Jehovas auf. Der Zeiteinsatz und der gesamte Umfang des Zeugnisgebens waren rückläufig."
(S. 19, 20)

Und rückblickend meint er postulieren zu können:

„Jehovas Zeugen werden nie mehr einen Zeitpunkt nennen." (S. 26)
Sein Wort in Gottes Ohr, mag man da einstweilen nur sagen.

Diesen Kontext ist auch durchaus seine Aussage zuzuordnen

:
„In Sprüche 13:12 ist ein sehr ähnlicher Gedanke beheimatet: "Hinausgeschobene Erwartung macht das Herz krank."
Deswegen schlage ich vor, vorsichtig zu sein beim Anspornen und Ermahnen der Glieder der Versammlung. Wir hören immer wieder, das "Ende" steht nahe bevor, wir sollten mit einem Dringlichkeitsgefühl predigen - das ist richtig. Nur, das höre ich jetzt schon 40 Jahre lang immer wieder. Wenn jemand den Dienst für Gott nicht von innen heraus tut, ist es eh vergeblich. Das ist meine Meinung dazu. Hinausgeschobene Erwartung macht das Herz krank. Nachher sind wir noch selbst schuld, denn wir haben ja nicht die Erwartung geschürt."
(S. 55)

So bemerkenswert, als Einsicht aus dem Munde eines Zeugen Jehovas solch ein Satz auch ist. Er bleibt auf halber Strecke stecken. Denn der kleine ZJ hat keinerlei Möglichkeit, selbst erkannte notwendige Korrekturen zu befördern. Das Managment bestimmt, und er ist nur als Willensvollstrecker, für das Managment interessant, und sonst nichts.

Zu seinen bemerkenswerten Rekapitulationen gehört sicherlich auch die:


„Bedenkt man auch noch den enormen Zeiteinsatz, den Zeugen Jehovas für ihre christliche Anbetung aufwenden, dann sollte man sie nicht so sehr antreiben. Wir haben fünf Zusammenkünfte in der Woche, die in der Regel auf drei Tage in der Woche verteilt werden. Das sind dann insgesamt fünf Stunden Belehrung aus Gottes Wort. Wenn man den Weg hin und zurück in die Versammlung, das Umkleiden, das Vorbereiten darauf und das man sich noch ein wenig vor und nach den Zusammenkünften unterhält, dann kommt man locker auf 13 Stunden in der Woche.

Rechnet man noch circa 3 Stunden Predigtdienst in der Woche dazu, dann sind das schon 16 Stunden Zeitaufwand. Hinzu kommt noch das regelmäßige Bibellesen, das Familienbibelstudium oder ein persönliches Bibelstudium. Manche halten einige Ansprachen und Vorträge in der Versammlung, was ebenfalls noch viel Zeit kostet. Älteste haben oft noch Hirtenbesuche zu tätigen, sowie Besprechungen und Sitzungen über Versammlungsangelegenheiten durchzuführen, was alles auch noch viel Zeit in Anspruch nimmt.

Die Kongresse seien auch noch zu erwähnen, viele nehmen sich dafür Urlaub und Übernachten am Kongressort. Wenn man diesen Zeitaufwand auf eine Woche umrechnet, setzt jeder Zeuge Jehovas im Durchschnitt mindestens 20 bis 30 Stunden für seinen Glauben ein. Wenn man ein Vater oder eine Mutter ist - für Kinder zu sorgen hat - und noch dazu berufstätig ist, einen Haushalt führt, für ein Auto zu sorgen hat und vielleicht noch dazu bedürftige Eltern zu versorgen hat - wo bleibt da noch Zeit? Ich jedenfalls stöhne manchmal über meine vielen Verpflichtungen und von seitens dieses Systems, wird mir auch nichts geschenkt.
"
(S. 56, 57)

Auch interessant seine Einschätzung:

„Berichte zeigen, dass es einigen Dienern Jehovas immer schwerer fällt, all ihren Verpflichtungen nachzukommen, selbst wenn sie es möchten. Sie fühlen sich beladen, ermattet, ausgelaugt. Einige denken sogar, dass es eine Befreiung wäre, alles hinzuwerfen und irgendwohin zu gehen, um wieder einen klaren Gedanken fassen zu können." (S. 58)

Auch dem Thema Zivildienst, kann man in seinen Ausführungen begegnen. Etwa mit dem Bericht:

„Später, bekam ich eine Einberufung zum Zivildienst. Da ich die Stelle aber nicht antrat, denn dann hätte ich meinen Pionierdienst aufgeben müssen, wurde ich der Dienstflucht angeklagt. Zu meiner Freude übernahm die Gesellschaft meinen Fall. Sie half mir durch einen Rechtsanwalt und der Rechtsabteilung im Bethel meinen Standpunkt vor den Behörden zu vertreten. Mein Fall wurde benutzt, um allen jungen Vollzeitdiener der Zeugen Jehovas zu helfen den Geistlichenstatus zu erlangen nach §10/3 ZDG." (S. 124)

Nun Glück für ihn. Für einen kleinen Versammlungsverkündiger, hätte die WTG ihre Advokaten mit Sicherheit nicht in Marsch gesetzt.
Sein diesbezüglicher Bericht geht weiter mit der Aussage;


„Diese Zeit kostete mich sehr viele Nerven. Acht Jahre lang dauerte diese ganze Prozedur. 1984 wurde ich zum Sonderpionier (hauptamtlicher Prediger der guten Botschaft von Gottes Königreich) ernannt. Sonderpioniere gehen keiner weltlichen Arbeit mehr nach, sondern werden von der Wachtturm-Gesellschaft finanziell unterstützt. Jetzt hätte mich der Staat als ein Geistlicher der Zeugen Jehovas anerkannt. Aber mein Gerichtsfall begründete sich noch auf meinen vorigen Status als allgemeiner Pionier." (S. 124)

Und enden tut das alles mit der Aussage:

Er „musste noch eine Gebühr von 400 DM zahlen und mein Fall wurde ad acta gelegt. Jetzt konnte ich aufatmen, denn auf Dienstflucht stand immerhin eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren Gefängnis." (S. 125)

Da er seinen Pionierdienst selbst mit erwähnt, ist es ja nicht uninteressant zu erfahren, wie der sich nun so weiter entwickelte. Dafür stehen dann unter anderem diese Sätze:

„Leider habe ich seit meiner Heirat das Ziel als Allgemeiner Pionier nicht mehr ganz erreicht. Ich lang so bei 930 Stunden im Jahr, die ich für das Predigen der guten Botschaft vom Königreich, einsetzte. Das Ziel ist aber 1.000 Stunden. Einmal kam der Kreisaufseher und rügte mich deswegen. Danach kamen zwei Alteste zu mir, die mit mir über meinen Pionierdienst sprechen wollten. Sie erklärten mir, ich soll doch meinen Pionierdienst aufgeben, ich hätte doch einige Jahre nicht ganz das vorgegebene Stundenziel erreicht. Ich dachte mich tritt ein Pferd.

Ich brachte einige Entschuldigungen vor, damit sie meine Situation etwas besser verstehen und um mir etwas Sympathie und Lob entgegenzubringen. Durch Beruf, Familie, kranke Ehefrau und als Ältester konnte ich es nicht ganz schaffen. Aber dann kamen weitere Angriffe gegen mich, die mich schwer verletzten. Denn sie waren persönlicher Art. Daraufhin sagte ich ganz erregt, das musst du mir gerade sagen, wo du doch der Richard Kimpel auf der Flucht bist. Daraufhin explodierte er derart, dass er alles hinlegen wollte und rannte ohne Versöhnung und Verabschiedung aus dem Saal, wie eine Furie.

Aber ich hatte das Problem. Ich hatte ihn Richard Kimpel genannt. Obwohl, nach meiner Meinung, das gar keine Beleidigung war, dieser Mann war unschuldig auf der Flucht. Die gleichnamige Fernsehserie hatte mich als Kind schon irgendwie tief berührt. Und so wie ich die Situation von ihm einschätzte, war er auch schon oft unschuldiger Weise in ähnlicher Lage gewesen. Für diese Entgleisung, hatte ich mich persönlich dann auch gleich bei ihm entschuldigt.

Man hätte diese Angelegenheit im Geiste von Matthäus 5:23,24 beilegen können. Es lag keine Unterstellung vor, es war die Wahrheit. Denn aus Ärger, Unstimmigkeiten und Streitigkeiten wechselte er von einer Versammlung in die andere. Aber dazu hatte ich gar keine Gelegenheit, weil andere Älteste sich hinter ihn stellten und mir ans Leder wollten. Vielleicht war ich ihnen schon immer etwas zu kritisch, denn ich wollte schon immer einige Änderungen durchsetzen. Ich wurde daraufhin sogar anlässlich eines Kongresses vor dem Kreisaufseher zitiert. Ich sehe mich noch heute, ich saß wie ein Lamm und habe alles ohne Einspruch gegen mich hingenommen."
(S. 171 - 173)

Beachtlich wohl auch seine Aussage:

„1978 kam es einmal zu einem Disput mit einem Glaubensbruder. Ich sagte in einem geselligen Beisammensein, der Sklave (die Wt-Gesellschaft) sei nicht inspiriert. Wenn ich gewusst hätte, was dies alles nach sich zog, hätte ich es nicht gesagt. Denn diese Person wollte mich der Untergrabung des Glaubens beschuldigen. Es wurden viele Gespräche mit ihm geführt, es ging ganz schön hin und her. Ich habe mich an den Apostel Paulus erinnert gefühlt, der auch Probleme von innen und außen hatte. Ich wollte auf alle Fälle nicht den Glauben untergraben, aber wie schnell wird dieses von einem unterstellt." (S. 131)

Auch die folgenden Sätze findet man in seinen Ausführungen, über welche mutmaßlich, das schwarz auf weiß lesen zu können, die WTG-Gewaltigen nicht sonderlich erfreut sein dürften, läuft sie doch ihrer Kriegslist-Strategie zuwieder, unbequemes zu verleugnen.

Zitat:
„Die Ältesten jeder Versammlung haben ein eigenes Handbuch bekommen, nach denen sie sich ausrichten, als Anleitung für alle Rechtsfälle. Auch in speziellen Zusammenkünften mit Ältesten, wird ausführlich über Ausschluss, Rechtsfälle und Umgang mit Ausgeschlossenen gesprochen. Es wird genau definiert ...

Wie man daraus erkennen kann, ist es also nicht einfach ein Zeuge Jehovas zu sein, weil alles unter die Lupe genommen wird und im einzelnen definiert wird.
Auch wird jeder Ausschluss an die Wachtturm - Gesellschaft gemeldet. Die ganze Verfahrensweise wird genau definiert und dokumentiert, so zum Beispiel: Wer der Vorsitzende des Rechtskomitees ist (es kam schon vor, das habe ich erlebt, dass eine halbe Stunde in den Veröffentlichungen der Gesellschaft gesucht wurde, wer den Vorsitzenden bestimmen sollte die Ältestenschaft oder das Rechtskomitee selbst). Welche Formulare ausgefüllt werden und wie. Wann und wie es der Versammlung vorgetragen werden sollte.

Auch die ganzen Hintergründe die zur Sünde führten, ob Absicht vorlag, wie lange ist es her, wie oft war es, wie wurde die Sünde begangen, werden genau untersucht und ermittelt. Über dieses und noch viel mehr, wird in dem Handbuch für die Aufseher Auskunft gegeben. Wenn der Kreisaufseher die Versammlungen besucht, werden wieder alle Richtlinien durchgeackert. Was da für Zeit drauf geht. Und dann gibt es noch dazu Lehrgänge an bestimmten Wochenenden und bei den Kreiskongressen.

Jehovas Zeugen müssen aufpassen, dass sie keinen Talmud, wie die Pharisäer in Jesu Tagen, aufstellen."
(S. 149, 150)

Einen breiten Raum (für mein Empfinden zu breit) nehmen auch die Auseinandersetzungen zum Thema der Evolutionstheorie ein. Der Verfasser sollte sich aber sagen lassen. Auch andere religiöse Strömungen sind auf Kriegsfuss mit Evolutionstheorien. Sie als ein Spezifikum der Zeugen Jehovas zu werten, trifft nicht den Kern.
Und vor allem, die wesentlichen Essentiels die beim Namen Zeugen Jehovas zu benennen sind, liegen sehr wohl auf anderen Feldern.
Auseinandersetzungen zum Thema Weihnachten und Bluttransfusionen, kann man auch bei ihm vorfinden. Auch sie sind im engeren Sinne nicht originell. Dann kann man gleich das einschlägige in der WTG-Literatur nachlesen, wenn man denn will.

Ein Resumee zu diesem Buch wagend, würde ich sagen „Überrascht" gewesen zu sein. Das sein Verfasser sich als erklärter Zeuge Jehovas versteht, war eigentlich schon im Vorfeld bekannt. Und kommt auch im Buchtitel zum Ausdruck. Ob denn die WTG-Gewaltigen, der oberen Etagen, über seine relativ offene Art, Dinge anzusprechen, sonderlich glücklich sind, mag man eher mit einem ? versehen.
Immerhin ist es beachtlich, dass ein solches Buch überhaupt erschien.

Der herausgebende Verlag, dürfte nach Internet-Angaben, der Spezies der „Zuschussverlage" zuortbar sein. Mit anderen Worten. Dortige Autoren, dürfen für das Erscheinen ihres Buches (auf Grund der Gesamtgesellschaftlichen Marktlage), nicht selten einen beachtlichen Zuschuss aus eigener Tasche bezahlen. Insofern verdient sein Wagnis (vom Internet habe ich nicht eine Zeile bewusst bei ihm registriert). Insofern verdient sein Wagnis, sich der Öffentlichkeit auf diesem traditionellem Wege mitzuteilen, zumindest Respekt. Er sei ihm meinerseits nicht versagt.

Abschließend noch die biographischen Angaben:

Michael Kuras

„Erlebte Höhen und Tiefen eines Zeugen Jehovas
- dient der Aufklärung und Richtigstellung der Dinge -"
Frankfurt/M. 2008

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