Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Anmerkung zur "Standhaft"-Kampagne
In ihrem 1989
erschienenen Buch "Spuren die nie verwehen. Geschichte und Geschichten die das Leben
schrieb", berichtet die Verfasserin Enne Schneiders, auch über die Tragödie einer
Familie, die auf etwas sonderbare Weise in Beziehung zu den Zeugen Jehovas zu setzen ist.
Die Mutter gehörte der evangelischen
Kirche an, war regelmäßige Kirchenbesucherin und ist zeitlebens nie aus ihr ausgetreten.
Dennoch lernte sie eines Tages (in der Weimarer Republikzeit) das Rutherford-Buch
"Die Harfe Gottes" kennen. Es hat sie offenbar nachhaltig beeindruckt. Sie
wandte sich daraufhin an die Magdeburger Zentrale der Bibelforscher und ward fortan
ständige Abonnentin der Zeitschriften "Das Goldene Zeitalter" und "Der
Wachtturm", was ja bekanntlich bis Mitte des Jahres 1933 noch möglich war.
Offenbar wurde sie von der darin
enthaltenen Argumentation auch wesentlich mitgeprägt. Zu diesem Schluss muss man
jedenfalls kommen, wenn man vernimmt, dass sie anlässlich einer sogenannten
"Wahl" im Hitlerregime nicht an ihr teilnahm. Sie wurde zwangsweise durch vier
SA-Männer zur Wahlurne geschleppt. Und was tat sie dort? Sie machten einen
handschriftlichen Vermerk auf den "Wahl"zettel: "Sie hören nicht, sie
sehen nicht, solche, wie ihr seid, wählt man nicht!"
Wenn man das zur Kenntnis nimmt, dann
ist es durchaus glaubwürdig, dass sie auch ihre Kinder in diesem Sinne erzogen hat. Und
das sollte sich im folgenden schon bald zeigen.
Als das Wehrdienstproblem für ihre
Söhne akut wurde, wurde einer von ihnen postwendend zu sechs Monaten Festungshaft
verurteilt, die er in der Strafanstalt Torgau absitzen musste. Es ist zu registrieren,
dass er nachfolgend dann doch noch Wehrdienst leistete, als "Gebrandmarkter"
aber dann in den berüchtigten "Strafkompanien.
Der nachfolgende relevante Aspekt, der
auf die Zeit nach 1945 bezug nimmt, sei mit der wörtlichen Zitierung der genannten
Autorin wiedergegeben:
"Eines Tages flatterte eine
Vorladung zur Entnazifizierung ins Haus. Er stellte sich den Behörden und schilderte
seine Verhältnisse, daß er unter den gegebenen Umständen eher als Geschädigter des
Nationalsozialismus anzusehen sei und diesbezüglich auch einen Antrag stelle auf
Wiedergutmachung. Irgendwelche schriftlichen Unterlagen hatte er natürlich nicht, woher
auch? Die entsprechenden Ämter, die Auskunft hätten geben können, standen unter
russischer bzw. polnischer Herrschaft und waren zum Teil gar nicht mehr vorhanden.
Er kam daraufhin vor eine
Prüfungskommission mit einem Sachverständigen, einem Zeugen Jehovas, wie sich die
Ernsten Bibelforscher umbenannt hatten. Dieser Sachverständige hatte bei den Nazis neun
Jahre im Konzentrationslager zubringen müssen. Seine Befragung war dahin gehend: Welcher
Versammlung der Ernsten Bibelforscher haben Sie angehört? Was wissen Sie von dieser
Organisation überhaupt? Wer waren die einzelnen maßgeblichen Brüder? Welches war der
für Sie zuständige Bruder und hat sie besucht? usw.
Was aber konnte mein Bruder da im
einzelnen wissen? Er war nicht durch diese Organisation aufgebaut worden, sondern durch
eigene Überzeugung und Eigeninitiative im Zusammengehen mit Mutter und Bruder. Dieser
Sachverhalt reichte hier nicht aus, er wurde sogar als nicht glaubwürdig eingestuft und
den Kriminellen zugeordnet und sei aus diesem Grunde in Festungshaft in Torgau gewesen.
Das hat ihn in seiner Verfassung
niedergeschmettert, das traf ihn mitten ins Herz.
Trotz seiner großen Enttäuschung
schloss er sich der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas an und besuchte ihre Versammlungen und
Kongresse. So ist es dann passiert, daß er "seinen" Sachverständigen wieder
traf in der Ältestenschaft der Versammlung in dominierender Position.
Nach einem ergreifenden Vortrag, den
er eben gehalten hatte, begegneten sie sich Auge in Auge an der Eingangstür. Konrad
hoffte natürlich, daß ihm die Hand hingestreckt würde, aber nichts davon. Hocherhobenen
Hauptes schaute der andere durch ihn hindurch und ließ in stehen.
Kann es so etwas geben bei Menschen,
die nach ihrem Verständnis Gottes Geist haben?
Wie lebt man mit einer solchen
Enttäuschung? Er hat sehr lange gebraucht, sie zu überwinden."
Ich hätte dazu nur noch eine Frage:
Berichten Jehovas Zeugen auch über diesen oder ähnlich gelagerte Fälle in ihrer
"Standhaft"-Kampagne? Berichtet ihr Mentor Dr. G. über diesen Fall? Wohl
kaum. In seiner Bibliographie taucht dass genannte Buch nicht mit auf.
Reminiszenz Nummer zwei:
Eine bedeutende Zeitzeugin bezüglich
Jehovas Zeugen ist auch Margarete Buber-Neumann. War sie doch selbst zwei Jahre lang
Blockälteste in einem überwiegend mit Zeuginnen Jehovas belegten KZ-Block.
Buber-Neumann, von Hause aus Kommunistin, die dann auch noch die Schattenseiten des
kommunistischen Systems am eigenen Leibe erlebte, machte wie auch etliche andere,
"Höhen und Tiefen" auf ihrem Lebensweg durch. So schrieb sie einmal
rückblickend, auf die gläubige Phase ihres Lebens:
"Für jeden Kommunisten ist der
Weg von der ersten Kritik bis zu den ersten grundsätzlichen Zweifeln, von der ersten
Verletzung des Gefühls bis zur endgültigen Abkehr ein langer und qualvoller. Als
Parteimitglied gehört man ja einer Art Orden an, mit einem Dogma, festen Regeln und
strenger Disziplin. Das ganze Leben spielt sich im engen Kreis der Genossen ab. Alle
Nichtkommunisten betrachtet man als Gegner oder als arme Verirrte. Wenn man aber nun
beginnt, sich von diesem Orden zu lösen, ein Feind, ein Verräter zu werden - und das
wird man automatisch für seine Genossen - so weiss man, dass einen die Einsamkeit
erwartet, ein Leben ohne Gesinnungsgenossen, ohne Freunde, ohne eine grosse Aufgabe. Dazu
kommt, dass man als Kommunist gelernt hat, nur noch in vorgeschriebenen Bahnen zu denken.
Und wie soll man sich nun in der anderen Welt überhaupt noch zurechtfinden?"
Buber-Neumann's kommunistische Phase
soll hier jetzt nicht weiter interessieren. Interessant ist sie doch für unser eins in
erster Linie auch mittels ihrer Urteile, die sie bezüglich der Zeugen Jehovas äußerte,
bezugnehmend auf eine enge Tuchfühlung mit ihnen. So schrieb sie dazu einmal:
Die einen eiferten zu Ehren
Jehovas, die anderen zu Ehren Stalins. Die einen forschten heimlich in der Bibel und
stellten deren Inhalt, solange auf den Kopf, bis er sich zu ihren gewünschten
Prophezeiungen umbiegen ließ. Die anderen hielten an Hand von Nazizeitungen heimlich
Schulungskurse ab, machten aus schwarz weiß oder besser gesagt rot und entnahmen den
Nachrichten das, was sie wünschten, nämlich eine Bestätigung vom baldigen Ausbruch der
kommunistischen Revolution."
Ihr Gesamturteil kleidete sie in die
Worte: Dadurch, dass sie Bibelforscher wurden, hatte sich ihre Stellung mit einem
Schlage gewandelt. Aus Unterdrückten, dienenden, mit dem harten Schicksal unzufriedenen
Menschen wurden sie zu 'Auserwählten' erhoben. Ihr einstmaliger Groll gegen die ihnen
persönlich widerfahrenen Ungerechtigkeiten verwandelte sich in Hass gegen alles, was
nicht zu ihrer Glaubensgemeinschaft gehörte." Womit wieder eine gewisse
Parallelität zu den Kommunisten gegeben wäre.
Wie schon angedeutet, durchlief auch
Buber-Neumann Höhen und Tiefen. Ihr Dasein als Blockälteste im Bibelforscherblock war
nicht von Dauer. Sie sollte danach noch einige Demütigungen erleiden. Aber sie hatte sich
unter KZ-Bedingungen auch Freunde geschaffen. Einer solchen Freundin widmete sie später
einmal ein ganzes Buch mit dem Titel: "Milena. Kafkas Freundin."
Als es Buber-Neumann im KZ einmal
besonders dreckig ging, konnte sie von dieser Freundschaft noch indirekt profitieren. Sie
hat das später auch noch zu Papier gebracht. Und mit der Wiedergabe dessen, soll auch
diese Reminiszenz beendet werden. Der darin dargestellte Sachverhalt spricht meines
Erachtens für sich:
"Zwei Bibelforscherinnen, die ich
sehr gut kannte, arbeiteten als Kalfaktorinnen im Lagergefängnis. Jeden Vormittag ging
das Licht in der Zelle an, und eine Bibelforscherin mit ausdruckslosem, blutleerem Gesicht
und leidend heruntergezogenen Mundwinkeln, so als habe sie sich eine Mitleidsmaske
vorgebunden, reichte stumm Besen und Schaufel herein, damit ich die Zelle säuberte. Nach
ein paar Minuten kam sie zurück, um das Gerät wieder in Empfang zu nehmen. Noch bevor
ich irgendeine Bitte aussprechen konnte, sie vielleicht um ein Stückchen Brot anflehen,
schloss sie schnell die Tür und löschte das Licht.
Ja, die Bibelforscher waren korrekt in
der Erfüllung ihrer KZ-Ämter. Ein Wagnis gingen sie nur im Interesse Jehovas ein, aber
nicht für irgend einen Mithäftling. Doch eines Morgens, noch vor der üblichen Zeit des
Brotausteilens - ich hatte gerade eine zusätzliche Strafe von drei Tagen Essensentzug
wegen unerlaubten Sprechens hinter mir und lag in halber Bewusstlosigkeit auf dem Boden,
ging die Klappe an der Tür auf und eine aufgeregte Stimme flüsterte: "Grete, komm
schnell her, ich bringe dir etwas von Milena!" - Ich kroch auf allen Vieren bis zur
Tür, tastete mich hoch, und die Bibelforscherin zog zitternd aus ihrem Kleiderausschnitt
ein kleines, zerdrücktes Paket: "Nimm schnell, Milena grüsst dich tausendmal. Aber
verstecke es. um Gottes Willen!"
Die Klappe fiel zu. ich kauerte auf
dem Boden, die Tränen flossen mir übers Gesicht. Milena hatte mich nicht vergessen. Sie
schickte mir eine Handvoll Zucker, Brot und zwei Buchteln aus ihrem Paket von zuhause.
Ungefähr 14 Tage später, früh
morgens, bevor noch der Zellenbau erwachte, wurde wiederum leise die Klappe an der
Eisentür geöffnet. und die Bibelforscherin reichte ein Päckchen herein. Atemlos, mit
entstelltem Gesicht flüsterte sie: "Grete, ich bitte dich. darf ich Milena sagen,
dass du es nicht mehr wünschst. solche Päckchen zu bekommen, weil es zu gefährlich ist?
Bitte, soll ich ihr das bestellen?" Vor soviel erbärmlich zitternder Angst konnte
ich nichts anderes sagen als: "Ja, ich verbiete Milena, weiterhin etwas zu
schicken!"
Später, nach 15 Wochen Dunkelarrest,
erzählte mir Milena, wie sie die beiden Kalfaktorinnen unter Druck gesetzt hatte. Nachdem
sie sie einige Male auf der Lagerstrasse vergeblich angefleht hatte, mir Brot zu bringen
und die beiden kategorisch ablehnten und entwischten, ging sie eines Abends zum
Bibelforscherblock. Sie erfuhr, welche Strohsäcke die beiden bewohnten und kletterte
mühselig bis zum dritten Stock hinauf. Da lagen sie vor ihr und konnten nicht entfliehen.
Wieder begann sie inständig zu bitten, - und Milena zu widerstehen, wenn sie um etwas
bat, bedurfte wahrhaft versteinerter Herz. Doch die Zeuginnen Jehovas blieben ungerührt.
Sie lehnten ab. Auch Milenas beschwörende Vorhaltungen über alles, was ich zwei Jahre
lang für die Bibelforscher getan und gewagt hatte, fanden keinen Widerhall.
Da griff Milena zur Sprache des
drohenden, rächenden Gottes Jehova und gab ihnen eine Lektion über Nächstenliebe. Sie
malte ihnen aus, welche Schrecken sie im Jenseits zu erwarten hätten, wenn sie ihre
Herzen weiter verhärteten. Das war der Ton, den sie verstanden. Wimmernd nahmen sie die
Lebensmittel für mich entgegen."
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