Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Der Fall Honecker

Von Zeit zu Zeit tauchen in der Sekundärliteratur zum Thema Zeugen Jehovas vage Andeutungen auf, dass der vormalige DDR-Politiker Erich Honecker eine Beziehung zu einer Zeugin Jehovas gehabt hätte.

Ein Beispiel:

Das Beispiel, was da so für Gerüchte in der Welt umherschwirren, lieferte auch die Publikation, mit dem Titel:

Sekten und Sondergemeinschaften in den neuen Bundesländern Ergebnisse einer Tagung unter dem Thema: „Jugendsekten, Psychokulte, Okkultismus" Informationsvorträge und Seminare Chemnitz, 15. - 16. November 1991 Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Chemnitz AG Sekten/Sondergemeinschaften Studienrat der Technischen Universität Chemnitz".

Der auf jener Tagung mit vertretene Herr Helmut Obst „glänzte" schon mal mit der These. In der DDR gab es einen von oben verordneten staatlichen Burgfrieden. Polemik zwischen den einzelnen Teilen der Religionsindustrie, sei dort eher weniger angesagt, mit Ausnahme eben der Zeugen Jehovas.

Weiter, so Obst:

Dieser von außen verordnete Burgfrieden entsprach aber auch zu einem bestimmten Grade eigenen Erkenntnissen, innerhalb des religiösen Lagers. Denn der große Graben verlief zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, konfessionelle Polemik geriet leicht ungewollt zur Kirchen- und Religionskritik. Deshalb verzichtete man - bis auf Außenseiter wie die Zeugen Jehovas - auch freiwillig weitgehend auf Polemik."

Damit hat dann Herr Obst, auch „gekonnt" seine eigene Position diesbezüglich umschrieben.

Ab Seite 53f. in einem Beitrag zu den Zeugen Jehovas, wird dann ohne Quellenbeleg, auch der Fall Honecker mit angesprochen.

Was da vom Hörensagen offeriert wurde, weist schon mal einige - Undifferenziertheiten auf.

So wird in diesem Text (S. 61) behauptet:

„Übrigens war auch E. Honeckers erste Frau Zeugin Jehovas und Aufseherin im Zuchthaus Brandenburg, bei ihr kam er nach seiner Flucht unter, später heirateten sie. Allerdings erschien diese Episode nie in seinen Memoiren."

Das mit dem Zuchthaus Brandenburg, ist schon mal dahingehend zu ergänzen.

Honecker wurde aber noch nach Berlin verlegt, zum Dächer reparieren. Insbesondere seine nähere Bekanntschaft zu einer Gefängnis-Wärterin, spielte sich in Berlin ab.

 Sie fand im Bereich des damaligen Berliner Frauengefängnis Barnimstraße statt (jene Immobilie wurde noch zu DDR-Zeiten, im Zuge des Wohnungsbau-Programms, abgerissen. Dieser Innerstädtische Standort, erschien wohl nicht mehr opportun. Davor hatte sie allerdings, sowohl den Nazis als auch der DDR für den genannten Zweck gedient.

In der 1987 erschienenen Biographie von Dieter Borkowski "Erich Honecker. Statthalter Moskaus oder deutscher Patriot?" ist nebulös davon die Rede, dass Honecker unmittelbar nach 1945 bei der "Genossin Grund" wohnte, zusammen mit deren Tochter und Enkelin. Nähere Detailangaben macht Borkowski an dieser Stelle nicht.

Immerhin ist Borkowski nicht "irgendwer". Der Klappentext zu seinem Buch vermerkt:

"Borkowski nach 45 Mitarbeiter bim Aufbau der FDJ. 1960-62 wegen seiner Verbindung zur oppositionellen Schirdewan-Wollweber-Gruppe in Zuchthaus-Einzelhaft … 1971-72 als 'Agent der kapitalistischen Brandt-Scheel-Clique' erneut in Haft, wurde er im Herbst gegen DDR-Spione in der Bundesrepublik ausgetauscht."

An dieser Borkowski-Biographie stört schon mal die Bezeichnung der Frau Grund als "Genossin". Immerhin wird man dem Autor zugute halten dürfen, dass er mit der Materie sicherlich etwas vertraut ist. Stellt man demgegenüber die These auf, dass die Frau Grund vielleicht gar keine "Genossin" war, sondern Zeugin Jehovas, dann bekommt der ganze Fall ein ganz anderes Gesicht. Auf jeden Fall wird man sagen können, dass Borkowski es ist, der die diesbezügliche These zuerst in die Öffentlichkeit lanciert hat. Er - und nur er - muss daher auch für ihren Wahrheitsgehalt geradestehen.

In der seinerzeitigen Tageszeitung "Super" veröffentlichte Herr Borkowski eine mehrteilige Serie zum Fall Honecker. Deren 8. Folge erschien in der Ausgabe vom 16. September 1991.

Im Zusammenhang mit der obigen Fragestellung darf man diesen Artikel als durchaus bedeutsam einschätzen. Er gab ihm die Überschrift: "Der seltsame Tod von Honeckers erster Frau." Er sei nachstehend hier dokumentiert. Borkowski schrieb darin:

"Es ist, als habe sie nie gelebt. es gibt kein Bild von ihr, keinen Brief, keine Akte. Sie war Erich Honeckers erste Frau, und keiner durfte es erfahren.

Lotte Grund, Justizbeamtin im Strafvollzug, von der Gestapo zu Spitzeldiensten im Frauengefängnis Berlin Barnimstraße erpreßt, weil sie eine tiefgläubige Zeugin Jehovas war. Unter den Nazis wurde sie mißbraucht, unter den Kommunisten mußte sie sterben.

Als Erich Honecker sie im ersten Nachkriegssommer heiratete, überschaute er noch nicht, daß diese Frau seiner Karriere schaden könnte. Das wurde ihm erst bei seinem Aufstieg bewußt.

Am Anfang, als er Chef der Tarnorganisation 'Zentraler Jugendausschuß der Ostzone' war, war zu viel nach außen demonstrierte ideologische Festigkeit gar nicht so erwünscht.

Bis Ende 1946 störte auch die religiöse Lotte Grund da nur wenig. Ein Jahr später jedoch wollte ihr Mann sie zwingen, in die Partei einzutreten - und sie widersetzte sich.

Aus dem Jugendausschuß wurde offiziell die rein kommunistische FDJ, und Erich Honecker ihr Vorsitzender. Mit einer frömmelnden Frau an seiner Seite, drohte er zum Gespött der älteren Genossen zu werden.

Erich Honecker fiel es um so leichter, sich von der Frau zu lösen, die ihn liebevoll durchs letzte Kriegsjahr gebracht hatte, weil es da bereits eine viel bessere gab. Besser für die Kaderakte: Edith Baumann!

Die war zwar älter als er, und nicht gerade das, was man eine Schönheit nennen konnte. Aber sie war eine hoch angesehene Sozialdemokratin, auf dem Weg, ihre alten Parteifreunde zu Kommunisten zu machen.

Wie es mit den beiden angefangen hatte, erzählte mir Edith Baumann kurz vor ihrem Tod 1971:

'… Natürlich haben wir über Lotte gesprochen. Und natürlich habe ich ihm gesagt, er müsse sich von dieser Frau trennen. Ich habe das nicht einmal so egoistisch gemeint, wie man glauben könnte. Erich konnte sich diese Frau politisch einfach nicht leisten. Mir wird was einfallen - sagte er zu mir.'

Offenbar ist ihm etwas sehr raffiniertes eingefallen. Lotte, die vorher kerngesund war, starb über Nacht und an einem bösartigen Gehirntumor!

Keine ärztliche Untersuchung, keine Obduktion, aus dem Standesamtsregister gestrichen: Eine Frau, die es im SED-Staat nie gegeben hat.

Offiziell war Honecker 1947 Junggeselle, und seine engste Umgebung wußte, daß der Name Lotte Grund niemals erwähnt werden durfte. Die Ehe war allein sein Geheimnis - wie der mysteriöse Tod der Ehefrau."

Noch ein weiteres diesbezügliches Dokument sei zitiert. Vorab schon mal die Anmerkung, dass es doch schon ein bisschen verwundert, wenn man vernimmt, dass die Mutter der Lotte Grund, die Gefängnisaufseherin im Naziregime gewesen war, eine Zeugin Jehovas sei.

Jan N. Lorenzen formuliert dies in seiner Honecker-Biographie vielleicht etwas präziser, wenn er davon redet, dass die Lotte Grund im Gefängnis "zwangsverpflichtete Aufseherin" gewesen sei. Und das sie davor, ähnlich wie Honecker "jahrelang im Arbeiter- und Sportverein 'Fichte' Mitglied gewesen sei."

Nun sei nicht unbedingt der erhobene Zeigefinger präsentiert. Man weiß ja auch nicht wirklich definitiv, ob die Tochter selbst Zeugin Jehovas wurde. Wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, dann ist das ihre persönliche Angelegenheit gewesen, diese Art der Berufswahl. Wobei die sattsam bekannten Konditionen des Naziregimes, wohl kaum eine echte "Wahl"möglichkeit bezüglich des Berufes ermöglicht haben dürften. Dennoch, ein gewisses Staunen bleibt trotzdem übrig. Die Tochter einer Zeugin Jehovas wird Gefängnisaufseherin!


Peter Przybylski veröffentlichte 1991 ein Buch mit dem Titel "Tatort Politbüro. Die Akte Honecker". Darin ist auch ein Abschnitt über die Lotte Grund enthalten.

Die von Honecker genutzte Möglichkeit einer Flucht aus der Gefängnishaft in den letzten Kriegstagen, wertet er als "kein Ruhmeskaptel".

Er meint weiter, Honecker hätte das diesbezügliche Geschehen ja am liebsten Verschwiegen, gäbe es dabei nicht zu viele Mitwisser.

"Alles was der spätere SED-Chef über seine Flucht aus dem Frauenjugendgefängnis in der Lichtenberger Magdalenenstraße berichtet, klingt nach Alibisuche."

Ein Mithäftling, gleichfalls geflohen konnte sicher untertauchen; Honecker hingegen fand diese Chance so nicht. Zeitweilig habe er "bei Oma Grund in der Landsberger Straße 37 Zuflucht" gefunden, etwa 100 Meter Luftlinie  vom Frauengefängnis entfernt.

Weiter das Votum:

"Oma Grund war die Mutter jener jungen Aufseherin, mit der Honecker sich im Frauengefängnis Barnimstraße mehr als nur flüchtig angefreundet hatte: Lotte Grund. Sie wurde später Honeckers erste Frau. Daß er sie nicht erwähnte, hatte gute Gründe: Die einstige Aufseherin aus der Barnimstraße hatte nämlich nicht nur den Makel, keine Genossin zu sein, sondern war zu Honeckers Leidwesen auch noch Sproß einer Zeugin Jehovas."

Das Schicksal schlug dergestalt zu, das am 18. März 1945 das Vorderhaus der Landsberger Straße 8 in Schutt und Asche versank. Ein anderes Quartier fand er aber nicht  "und so entschloß er sich, gewiß unter dem Zureden seiner Freundin, zur Rückkehr ins Gefängnis Barnimstraße."

Ein weiteres mal verwandte seine Freundin sich für Honecker und konnte erreichen, dass die Rückkehr für ihn relativ folgenlos blieb.

Dazu wird ausgeführt:

Honecker hatte den glücklichen Ausgang seiner Flucht nicht zuletzt Seraphin zu verdanken. Der alte Sozialdemokrat, den die Nazis dienstverpflichtet hatten, galt ohnehin nicht als eifernder SS-Mann, wie Honecker ihn später darstellte. Es wurde ihm ein eher kumpelhafter Umgang mit den Gefangenen nachgesagt.

Als Seraphin nach Kriegsende Schwierigkeiten bei der Entnazifizierung hatte, schrieb er in seiner Not mehrfach Bittbriefe an Honecker, er möge doch ein gutes Wort für ihn einlegen. Doch er musste vergeblich auf Antwort von Honecker warten.

Seraphim sei dann von den Sowjets in einer Nacht- und Nebel-Aktion, auf Nimmerwiedersehen verschleppt worden. Seine Spur verliert sich ins Nichts, was wiederum das Schlimmste befürchten lässt.

Nach Kriegsende liest man von Honecker den bagatellisierenden Satz.

Zitat

Honecker - in gewohnter Abstraktion: «Meine Bekannten in der Landsberger Straße 37 traf ich zu meiner Freude unversehrt an. Für die nächsten Wochen und Monate fand ich bei ihnen wieder eine Unterkunft.»

Kein Wort mehr über diese "Bekannten" und den Grad der "Bekanntschaft" den er davor schon erreicht hatte.

Gemäß seiner damaligen Nachbarin Wera Küchenmeister habe Honecker die Lotte Grund geheiratet, was der spätere  Honecker prinzipiell verschwieg..

Gemäss Wera Küchenmeister in einer Zeugenaussage am 2 1. Februar 1990: «Mit Lotte Grund ist er zusammengeblieben bis zu deren Tod 1947 - und soviel mir in Erinnerung geblieben ist - starb Lotte Grund an einem Gehirntumor.»

Und weiter liest man:

Als Honecker am 16. Februar 1946 einen Fragebogen für die Kaderabtellung der Partei ausfallen mußte, machte er in der Spalte «9. Verheiratet?» einen Strich. Möglicherweise hatte er die Partnerschaft mit Lotte Grund doch nicht standesamtlich absegnen lassen, wie Wera Küchenmeister behauptete. Der Strich kann aber auch bedeuten, daß er gelogen hat, nicht die einzige Lüge - wie man sehen wird - die er an jenem Tage zu Papier brachte.

Wenn schon zitiert wird, dann muss noch aus dem 1990 erschienen Buch der Herren Reinhold Anders / Wolfgang Herzberg mit dem Titel:

"Der Sturz. Erich Honecker im Kreuzverhör" ebenfalls noch zitiert werden.

Namentlich ist da auf eine Namensdivergenz hinzuweisen.

Die anderen genannten Autoren reden von einer Lotte Grund.

Bei Anders/Herzberg indes ist von einer Charlotte Schanuel die Rede.

Nun kann man sicherlich unterstellen, Lotte kann auch eine umgangssprachliche Abkürzung für Charlotte sein.

Indes die Divergenzen des Familiennamens "Grund" oder "Schaneul" sind damit noch nicht ausgeräumt.

Im letztgenannten Buch kommt ja Honecker selbst zu Wort.

Er berichtet unter anderem über die Details seiner Einquartierung (zum Kriegsende) im Frauengefängnis Barnimstraße (in Berlin).

Wörtlich redet Honecker dabei auch von seiner "guten Verbindung zu der dortigen Wachtmeisterin Charlotte Schanuel" ohne letzteren Umstand in wirklich umfassenden Sinne zu beschreiben.

Immerhin bescheinigt er dieser Charlotte:

"sie war dienstverpflichtet und gehörte früher dem Turnverein Fichte an"

In diesem Kontext schildert Honecker auch die nachfolgende Episode:

"Ich habe dort im Frauengefängnis Barnimstraße nach einem Volltreffer die Rettung der unter den Trümmern liegenden gefangenen Frauen und der Wachtmeisterinnen mit organisiert. Wir haben unter meiner Leitung dreiundzwanzig Tote rausgeholt, aber wir haben auch sehr viele retten können"

Ein holländischer Gefangener sei auch schwer verletzt worden. Zusammen mit der Charlotte organisierte Honecker dann dessen Transport nach dem nahegelegenen Bunker Friedrichshain. Dort indes wollte die SS keinen Eintritt gewähren. Honecker schreibt es dann der Charlotte zu, dass durch deren energisches Auftreten die SS doch wiederwillig den Einlass des Gefangenen in den Bunker gewahren musste.

Nachtrag:

Laut Netzzeitung.de soll Honecker die Justiz-Wachtmeisterin Charlotte Schanuel, geborene Drost geheiratet, haben, seine ehemalige Gefängnis-Wärterin.

Am Klingelschild der Wohnung, in der Charlotte Schanuel mit ihrer Mutter lebte, stand der Name Grund.

34 Jahre alt war er damals, Charlotte Schanuel war 43 und bereits Witwe.

www.netzeitung.de/wirtschaft/223454.html

Damit dürfte sich der Nebel (die unterschiedlichen Familiennamen betreffend) etwas gelockert haben.

Weiter bestehen bleibt wohl der Nebel über den Tod der Charlotte Schanuel, und wohl auch, dass Honecker selbst über diesen Teil seiner Biographie sich in weitgehendes Schweigen hüllte.

Die bislang vorliegende Publizistik stellt namentlich auf den Aspekt ab, die Liierung Honeckers mit einer nazistischen Gefängniswärterin, sei halt in kommunistischen Kreisen nicht „Imagefördernd" gewesen.

www.mdr.de/damals/archiv/artikel92510.html

www.spiegel.de/spiegel/print/d-26161757.html

Den Publizisten zum Thema, interessiert vorrangig eben Honecker’s Biographie.

„Tiefenrecherchen" über die Charlotte Schanuel stellt indes kaum einer an. Vielleicht ist auch erreichbares Material dazu, heutzutage rar gesät.

Indes nicht widerlegt erscheint der Umstand, das die Mutter jener Charlotte Schanuel, wohl Zeugin Jehovas war.

Ihre Tochter indes wohl nicht, ersichtlich auch an der Berufswahl.

Erwähnt sei noch ein Artikel der davon redet es gäbe zwei Zuchthausaufseherinnen.

Eine Lotte Grund und eine Charlotte Schanuel.

Letztere These indes erscheint mir mehr oberflächliche Spekulation, als „faktengestützt" zu sein.

www.zeit.de/2003/13/P-Margot

Nachstehendes Bild wurde der Margot Honecker Biografie von Ed Stuhler entnommen.


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