Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Franz Fritsche

Im "Katz- und Mausspiel" zwischen der Gestapo und den deutschen Zeugen Jehovas lassen sich durchaus gewisse zeitliche Höhepunkte festmachen. Einmal das Jahr 1936 mit der Verhaftung des damaligen WTG-Reichsdieners Fritz Winkler. Das war für die Gestapo ein entscheidender Sieg, den in der Folge der aus ihm herausgepreßten Vernehmumgsergebnisse gelang es einen "Dominostein-Effekt" in gang zu setzen. Winkler "sang", wie es so im einschlägigen Jargon aller "Dienste" dieser Art zu heißen pflegt. Auch Dominosteinchen Erich Frost "sang" und etliche andere vor und nach ihm. Sicherlich, solange sie in Freiheit waren, sind sie mit Sicherheit keine Verräter gewesen. Das sollte erst anders werden, als dieser Tatbestand nicht mehr bestand. Vielleicht ist der eine oder andere bei seinen Aussagen im Rahmen des ihm noch möglichen "zurückhaltend" gewesen. Auch das soll nicht generell in Frage gestellt werden. Aber Fakt ist auch, dass der wahrscheinlich größere Teil von ihnen, der Gestapo bestehende Erkenntnisse bestätigte, in etlichen Fällen auch darüber hinausgehendes preisgab. Nicht unbedingt mit Vorsatz; aber eben doch in der Sache sehr wohl.

Dies alles ist eigentlich eine Binsenweisheit über die es sich eigentlich nicht lohnte, noch viele Worte zu verlieren. Auch andernorts ist ähnliches feststellbar. Der KPD beispielsweise bescheinigte Hans Sandvoss in einer Studie:

"Die Rolle der KPD war gerade 1933 längst nicht so heldenhaft, wie es die SED-konforme Geschichtsschreibung gerne beschreibt. Neben unbestreitbaren, schweren Opfern und Tausenden mutiger Opponenten gab es vielerorts Erscheinungen des abrupten Überwechselns zu den neuen (braunen) Machthabern … Erzählt wird von Hausbewohnern, Arbeitskollegen oder Arbeitersportlern, die gestern noch glühende Anhänger des Kommunismus waren und von einem Tag auf den anderen in der braunen SA-Uniform erschienen."

Zu eben gehörten Zitat ist ergänzend noch anzumerken, dass es das Prinzip "Zuckerwatte" offenbart. Die Zeugen Jehovas hingegen pflegten in der Regel das Prinzip "Peitsche" kennenzulernen. Jemand der mit letzterem konfrontiert wird, hat zusätzliche moralische Mobilisierungskräfte, die das Prinzip Peitsche nicht so wirksam werden lassen, wie seine Betreiber es sich wünschen. Die Frage ist aber dennoch die. Wenn die "Peitsche" lange genug und intensiv genug einwirkt, wie dann wohl das Ergebnis aussieht.

Es sei nicht bestritten dass es Fälle gab, wo sich solche Opfer lieber buchstäblich zu Tode prügeln ließen, als denn ihren Peinigern zu willen zu sein.

Dennoch. Wie stellt sich "Lieschen Müller" die Gestapo-Vernehmer wohl vor. Als rabiate, rohe Typen ohne Feingefühl usw. Liegt "Lieschen Müller" mit ihrem Bild richtig? Wahrscheinlich nicht immer. Sicher gab es solche Typen auch, wie Lieschen Müller sie sich vorstellt. Es gab aber auch die, denen psychologische Grundbegriffe keineswegs total fremd waren. Die da einzuschätzen wussten, wann hat "nur" die Peitsche Sinn; wann aber mag auch versteckte oder offene "Zuckerwatte" ihren Zweck erfüllen.

Mit anderen Worten. So mancher in seiner Vor-Verhaftungszeit Standhafte, blieb es auf Dauer nicht. Dies wäre durchaus menschlich verständlich. Aber dann muss auch konzediert werden, dass eine Geschichtsschreibung a la der bereits genannten DDR-KPD-Verklärung fehl am Platze ist. Genau diesen Vorwurf aber muss sich die WTG-Geschichtsschreibung auch gefallen lassen.

Kehren wir einen Moment zu den "Daten" zurück. Die 1936-Verhaftungswelle hatte so ihre Folgen. Die Infrastruktur der deutschen Zeugen Jehovas war arg in Mitleidenschaft gezogen. Sie konnten sich mehr oder weniger erst zu Beginn des zweiten Weltkrieges wieder aufrappeln, indem dieser als Motivationsbestätigung in ihr Weltbild durchaus hineinpasste und neue Aktivierungskräfte freisetzte. Um die kriegerische Politik des Hitlerregimes zu verurteilen, dazu musste man kein Zeuge Jehovas sein. Dazu brauchte man nur offenen Auges die Weltlage zu betrachten. Allerdings der Gestapoterror hatte bewirkt, dass eben viele dieses ihr Unbehagen lieber nicht aussprachen. Getreu dem Spruch: "Lieber Gott mache mich stumm - dass ich nicht nach Dachau komm". Anders bei den Zeugen Jehovas. Hier war die ratio weitgehend durch religiöse Illusionen paralysiert. Sie sprachen in religiöser Verbrämung durchaus mit das aus, was andere auszusprechen nicht immer wagten. Entsprechend hart war auch die faschistische Gegenreaktion darauf.

So brachte der zweite Weltkrieg das auf den ersten Blick eigentlich unerwartete Ergebnis mit sich, neue Kräfte bei den Zeugen Jehovas freizusetzen, mit dem Mut des Tollkühnen. Auch am Fall Fritsche deutlich. Seine Frau Elisabeth war mit ihm in zweiter Ehe verheiratet. Ihr erster Mann, auch ein Zeuge Jehovas, wurde am 5. 7. 1940, wegen Wehrdienstverweigerung hingerichtet.

Wenn es den Zeugen Jehovas auch nicht mehr gelang ihre Organisation Deutschlandweit zu stabilisieren. Regional waren sie durchaus dazu in der Lage. Die Fälle Julius Engelhard und Ludwig Cyranek sind ohne Zweifel Beleg dafür. Die gehörten allesamt noch zeitgenössisch der jüngeren, draufgängerischen Generation an.

War der Aktionsradius von Engelhard und Cyranek vornehmlich im süddeutschen Raum angesiedelt, so ergab sich ab etwa 1942 auch im Berliner Raum eine ähnliche Aktivität. Hauptsächlich vorangetrieben von dem Ehepaar Fritsche wohhaft im Berlin Bezirk Friedrichshain (in der Gärtnerstraße 7). Letztere aus dem Magdeburger Raum nach Berlin umziehend, nutzten bestehende Kontakte um die Zeugenorganisation in diesem Raum neu zu aktivieren. Es gelang ihnen, ähnlich wie Engelhardt / Cyranek, Vervielfältigungskapazitäten für WTG-Literatur aufzuziehen. Und besonders bemerkenswert. Sie konnten damit bis in die Konzentrationslager hinein ausstrahlen, indem solcherart Literatur dorthin eingeschmuggelt werden konnte.

Das soll cirka 1 ½ Jahre gut gegangen sein. Dann gelang es aber der Gestapo die Sache zu unterbinden und vor allem auch ihres Kopfes (Fritsche) habhaft zu werden, der am 25. 1. 1944 verhaftet wurde.

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die Gestapo angesichts dieser Sachlage mit Fritsche umgesprungen sein mag. Würde er in die Mühlen jener Art von Gestapo-Vernehmer geraten sein, wie sie Lieschen Müller sich vorstellt. Man müsste das allerschlimmste für ihn befürchten. Trat es ein? Offenbar doch nicht. Warum? Hat das Hitlerregime seinen schlimmen Charakter plötzlich geändert? Wohl auch nicht. Dies wird auch daran deutlich, dass Fritsche in etlichen Serienprozessen gegen Zeugen Jehovas des Jahres 1944, gnadenlos zum Tode verurteilt wurde (am 30. 11. 1944). Also das SS-Regime hatte in nichts von seiner Härte abgelassen.

Aber vielleicht erwischte Fritsche doch noch jene Sorte von Gestapo-Vernehmer, die ihr Heil nicht unbedingt im buchstäblichen Totschlagen ihrer Opfer sahen, sondern eher in der dosierten Anwendung auch psychologischer Mittel.

Jenen Gestapo-Vernehmern ging es nicht in erster Linie darum Fritsche als Person kaltzustellen. Wichtig war ihnen vor allem die Zeugenorganisation insgesamt zu treffen.

Da hatten sie nun einen offensichtlichen Zeugenspitzenfunktionär in ihrer Mangel. Sie wussten, der hat WTG-Literatur vervielfältigt. Der hat entsprechende Kontakte um an diese Literatur erst einmal heranzukommen. Der hat ein weitverzweigtes Verbreitungssystem aufgebaut, dass bis in die Konzentrationslager hineinreichte. Was nun, schlagen wir den einfach tot? Welchen Nutzen sollte das haben? Ein wichtiger Zeuge würde nicht mehr reden können. Den müssen wir schon in gewissen Umfang uns "warm" halten. Behandeln wir ihn wie den "letzten Dreck". Ob er uns dann wohl in den entscheidenden Situationen weiter helfen mag? Wohl kaum.

Und das Ende vom Lied: Fritsche avancierte in seiner nun erneut zu absolvierenden Haftzeit zum Oberkalfaktor innerhalb des Gefängnisses. Das war praktisch der höchste Posten, den ein Gefangener erreichen konnte. Wäre Fritsche störrig und unkooperativ. Ob die SS das dann auch so zugelassen hätte? Wohl kaum. Fritsche ist offenbar an jene Sorte von Vernehmungsbeamten gelangt, die da richtig einzuschätzen wussten, wie sie Fritsche zu "nehmen" haben, auf das er auch weiterhin "sang".

Dies kann man Fritsche nicht zum Vorwurf machen. Er war ein Mensch wie "du und ich". Er ließ sich nicht mehr zum Krüppel schlagen, in einer für ihn aussichtslosen Situation. Prinzipiell niedere Beweggründe kann man ihn von Haus aus, nicht unterstellen.

So kam es dass Fritsche sein eigenes Todesurteil überlebte; dieweil inzwischen das Hitlerregime zum Tode verurteilt war.

So verläuft die Geschichte manchmal.

Die Gebetskunst des Hans Müller

Ludwig Cyranek

Julius Engelhard

Ziel erreicht ...

Standhaft - aber nur bis 7,5 Minuten vor zwölf

Was sagte Erich Frost aus

Was sagte Konrad Franke aus

Was sagte Fritz Winkler aus

Fallbeispiel Georg Bär

Hitlerzeit

Bezüglich den vom Nazitregime hingerichteten´ersten Ehemann der Elisabeth Fritsche, siehe auch

http://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Stolpersteine_in_Berlin-Fennpfuhl

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