Ihr Wille beherrschte ihr Urteilsvermögen …

"Zahlen lügen nicht", sagte der Kirchenvorsteher Hankins, der Prediger der Milleriten. "Zahlen lügen nicht, sag ich! Wenn ein Methodist reden tut von Verlust der Gnade, so muß er mit Vernunftschlüssen kommen. Und mit Vernunftschlüssen wird nichts bewiesen. Und wenn ein Presbyterianer von der Tugend der Standhaftigkeit redet, so hat er nicht die absolute Gewißheit auf seiner Seite. Aber Zahlen lügen niemals, und Zahlen beweisen, daß dieses Jahr das letzte Jahr der Welt ist und das schließliche Ende aller Dinge herannahen tut.

Ich bitte Euch, nicht zu hören auf meine eigenen Ansichten von der Sache, noch auf irgend eines Menschen Beweisführung, ich verlange weiter nichts, als daß Ihr höret auf die Stimme der Männer in leinernen Kleidern, - jenes Mannes, der mit Daniel redet, und daß Ihr dann noch höret auf die Stimme der Arithmetik und auf eine Summe, entstanden durch Addition, - durch die einfachste Art von Addition."

Nicht alle Milleritenprediger jener Zeit waren ganz so ungebildet wie der Kirchenvorsteher Hankins, und es ist nur billig anzuerkennen, daß die Adventisten unserer Zeit eine sehr achtungswerte Sekte sind, die eine Wirksamkeit entfalten, welche mehr Anerkennung verdient als ihnen zuteil wird. Und was die irrige Annahme betrifft, welche erwartet, die Welt gehe ihrem Untergang entgegen, so sind die Führer der Adventisten nicht in erster Linie für dieselbe verantwortlich. Vom Gnostizismus bis zum Mormonentum hat jede religiöse Wahnvorstellung ihren Ursprung hergeleitet aus irgend einem Fundamental-Irrtum in der frühern religiösen Unterweisung des Volkes. Durch die engherzige wörtliche Methode der Bibelerklärung, die so sehr im Schwange war in den Wortgefechten der früheren Generation und die noch heute so viel Anhänger hat, ward der Boden für das Millertum bereitet. Und in unsern Tagen wird in so manchen Gegenden der Grund gelegt für neuen Fanatismus!

Für Menschen, die, wie jene, die sich in Sagar Graues Schulhaus versammelten, dazu erzogen waren, den Geist der Schrift dadurch zu zerstören, daß sie die Worte in der Weise verdrehten, daß sie bewiesen, ihre eigene Sekte habe recht - Für solche Menschen konnte nichts beweiskräftiger sein als des Kirchenvorstehers Hankins "Zahlen".

Denn er hatte offenbar die Rechenkunst so sehr studiert, daß er alle andern zu einer gebildeten Erziehung notwendigen Wissenszweige vernachlässigt hatte. Seine Beweisführung war auf eine große Seekarte gedruckt.

Er begann mit Daniels siebzig Wochen, fügte denselben "die Zeit und noch einige Zeiten und eine halbe Zeit" hinzu, und das, wovon Daniel erklärte, "er höre es zwar, verstehe es aber nicht" - das war dem erleuchteten mathematischen Geiste des Kirchenvorstehers Hankins ganz verständlich.

Als er zu den tausendzweihundertundneunzig Tagen kam, empfand er eine höhere Freude als Kepler in dem Augenblick, da er seine großartige Entdeckung machte, und bei den tausenddreihundertfünfunddreißig Tagen machte er, was Jonas Harrison "die strafbar längste Berechnung" nannte, die ihm sein Lebtag vor die Augen gekommen sei.

Jonas war der neu angeworbene Arbeiter, der bei Samuel Anderson in Augusts Fußstapfen getreten war. Er saß neben August und begleitete in einem lauten Flüsterton die Predigt mit einem fortlaufenden Kommentar.

"Mein teurer Mitbürger" sagte Jonas, indem er in einem Augenblick, wo der Prediger in seiner Rede zu einer Klimax gekommen war, Augusts Arm drückte, "mein teurer Mitbürger, ich bitte dich, gib wohl Achtung! Eh du dich's versiehst, hat er dir die Welt auf Null zusammengerechnet. Er gleicht dem Kerl, der auszurechnen versuchte, wieviel ein Spanferkel wert war, als das Holz per Klafter zwei Dollar kostete. "Kann ich's durch Subtraktion nicht herauskriegen, so werde ich's durch eine lange Division zustande bringen", sagte er. "Und wenn dieser Rithmetikprediger unserm Erdklotz durch Addition den Garaus nicht machen kann, wird er's mit der Multiplikation fertig bringen. Da findet sich nur eine Antwort in seinem Buche. Gib ihm jede beliebige Zahl, er bringt schließlich unfehlbar 1843 hervor!"

In der ganzen Umgebung von Sagar Graues Schulhaus herrschte ein großer Mangel an aufregenden Neuigkeiten. Man freute sich auf die Aussicht, daß die Welt untergehen werde, weil es ein wunderbares Schauspiel geben würde, - etwas, das die schreckliche Einförmigkeit ihres Lebens einmal unterbrechen werde.

In diesen stillen Weiher warf nun der Kirchenvorsteher Hankins die Flaschen und die Posaunen, den Donner und die wilden Tiere mit den zehn Hörnern - kurz sämtliche apokalyptische Symbole, die er in einer lächerlich wörtlichen Weise erklärte. Im nächsten August sollte die Welt untergehen: das war doch etwas, das die Lebensgeister weckte, etwas, um dessentwillen es sich lohnte zu leben!

Auf dem ganzen Heimwege disputierten die Leute wie Gelehrte über "die Zeit und noch einige Zeiten und eine halbe Zeit", über "die sieben Köpfe und die zehn Hörner und über die siebente Flasche". Die wilden Wortgefechte und die kühnen Glaubenssatzungen jener Tage hatten sie alles andere als "die Bescheidenheit der wahren Wissenschaft" gelehrt, und nun wurden die unlösbaren Probleme von Jahrhunderten den ratlosen Gelehrten aus den Händen gerissen und ebenso summarisch und sicher erledigt, wie die relativen Werte der Kürbissaat und des Maiskorns.

In Clark hatte die Milleritenschwärmerei die Weißgluthitze erreicht. Die Prediger in andern Teilen des Landes hatten bald diesen bald jenen Tag angesetzt.

Ich glaube, daß der Herr Miller, der Stifter der Sekte, nie die Kühnheit gehabt hätte, einen bestimmten Termin anzugeben. Aber seine Nachfolger rechneten die Sache genauer aus, und Kirchenvorsteher Hankins hatte das Datum in der allergenauesten Weise festgestellt. Er für seine Person war überzeugt, daß die Katastrophe am elften August präzise zwölf Uhr nachts eintreten werde. Seine Anhänger wurden sehr eifrig, und, wie das in solchen Fällen zu geschehen pflegt, niemand vermochte sich vor der Ansteckung zu schützen.

Als der Sommer herankam, verabschiedete Samuel Anderson, hingerissen von dem heftigen Strom seiner eigenen und seiner Frau fanatischem Fieber sublimer Gottesfurcht - sowohl Jonas wie alle andern Dienstleute, gab sein Geschäft auf und widmete sich ausschließlich dem Versuch, alle seine Rechnungen für den kommenden Gerichtstag zu ordnen.

Unter den hervorragenden Adventisten war auch "Doktor" Ketchup, der noch immer Maisaufguß und Ginsengthee verordnete, aber sein Besitztum nicht verkaufen wollte. Er entschuldigte sich mit dem Ausspruch: "Was ihr habt, behaltet, bis ich komme".

Aber andere verkauften ihre Güter für Spottpreise und widmeten sich ausschließlich der Verkündigung des tausendjährigen Reiches.

Abigal Anderson gehörte zu den Frauen, die nichts halb tun. Sie war zänkisch und selbstsüchtig; sie war unredlich und geizig; aber sie war religiös. Wenn jemand diesen Widerspruch für unmöglich hält, so beweist das, daß er die Menschennatur nur oberflächlich studiert hat. Es gibt in unseren Strafanstalten Verbrecher, die ihr ganzes Leben lang sehr gottesfürchtig gewesen sind. Religiöse Fragen nahmen Frau Andersons ganze Natur in Anspruch. Sie war abergläubisch, engbrüstig und unverträglich. Sie war so fest davon überzeugt, als sie lebte, daß die Posaune des jüngsten Gerichts am elften August 1843 ertönen werde.

Die Ansichten, die mit dem was sie glaubte in Widerspruch standen, hatten für sie nicht einmal das Gewicht einer Feder. Ihr Wille beherrschte ihr Urteilsvermögen und ihr Gewissen. Und so nötigte sie Samuel, sein Eigentum für einen Spottpreis zu verkaufen. Inwieweit sie in diesem Fall von einem aufrichtigen Wunsche geleitet wurde, alle unbezahlten Schulden vor der Schlußabrechnung zu begleichen, oder von dem Verlangen, für die fortgeschrittenste und frömmste von allen zu gelten, oder von einer Art Geschäftsklugheit, gegründet auf die von den aufrichtigsten Protestanten noch heimlich gehegte Ansicht, daß solche Opfer ihrer Stellung in der zukünftigen Welt zugute kommen würden - das kann ich mit Bestimmtheit nicht sagen.

Ohne Zweifel war es eine Mischung von Fanatismus, Heuchelei und einem sogar mit schmutziger Berechnung zum Himmel blickenden Eigennutz, welche diesen Entschluß herbeigeführt hatte. Aber jedenfalls sollte die Besitzung für ein paar hundert Dollar verkauft werden.

Die religiöse Überspanntheit erreichte am zehnten und elften August ihren Höhepunkt. Manche Leute machten sich Himmelfahrtskleider. Die Arbeit ward überall eingestellt. An den Verstocktesten, welche dem überall herrschenden panischen Schrecken die Spitze zu bieten suchten, offenbarten sich die Symptome durch ungewöhnlich reichliches Trinken, sowie durch eine freche Gottlosigkeit, hinter welcher sie ihre Angst zu verbergen bemüht waren. Mit gottlosem Spott zogen sie, auf Wursthörnern blasend, wie in Posaunen stoßende Engel umher. Sie äfften bei ihren Zechgelagen alles nach, was in den religiösen Versammlungen vorfiel, und lernten Herrn Hankins Argument auswendig.

Gelesen in:

Edward Eggleston

"Der Weltuntergang. Eine amerikanische Dorfgeschichte"

Verlag Philipp Reclam jun.; Leipzig 1888.

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Und ein Auge auf die schweren Thaler zu haben ...
... wurde durch das Gewicht der Geldsäcke niedergedrückt ...

Als die Gesellschaft ... Bankrott wurde, wurde das Tabernakel verkauft und zum Theater eingerichtet.

http://books.google.de/books?id=emhCAAAAcAAJ&printsec=frontcover&dq=Lyell+Zweite+Reise&hl=de&ei=zSWpTuSkNJGM4gTy5OwU&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=1&ved=0CC4Q6AEwAA#v=onepage&q&f=false

Ach ja bevor es vergessen wird.
Diese "markigen" Worte meinte der "Kanzelprediger Charles T. Russell" in einer seiner kommerziell bezahlten Predigten, im in Strehlen (Schleseien) erschienenen "Volksboten" vom 10. 10. 1914 zum besten geben zu sollen:

"Viele Bibelforscher glauben, daß dieses Gleichnis anfing erfüllt zu werden in der Miller-Bewegung, deren Gipfelpunkt im Jahre 1844 in einer Enttäuschung erreicht wurde. Während etwa vierzehn Jahren von jener Zeit war ein Ruf durch die ganze Kirche erschallt, daß die Zeit des zweiten Kommens Christi gekommen sei."

Oder auch diese "markigen" Worte aus Schriftstudien" Band 7 Ausgabe 1925 S. 75

Im Jahre 1829 war es William Miller vergönnt, (annähernd) den richtigen Zeitpunkt des Beginns des Greuels der Verwüstung zu sehen (539 n.Chr.) und den Zeitpunkt des Anfangs der Zeit des Endes (1799).
Siehe auch:
Parsimony.19647

Allein, diese Kunde kam nicht

James Crookes saß in seinem Lehnstuhle und las im "New York Herald"
Plötzlich aber schien es, als ob einer der Artikel es doch vermocht hätte, die Beachtung James Crookes zu erregen. Nicht, als ob die Sache an sich sonderlich interessiert hätte, mein Gott, nein, davon sprach man ja mindestens alle fünf oder sechs Jahre einmal, und kein vernünftiger Mensch glaubte mehr an die Prophezeiung, aber, was in der letzten Zeile der Überschrift stand, das war es, was der Sache erst wirkliche Bedeutung gab, und dieselbe Wert machte, auch von ihm, von James Crookes, gelesen zu werden.
Da stand nämlich:


Der Weltuntergang 1899

Der erste Komet vom Jahre 1866 stößt mit der Erde zusammen. - Der Untergang trifft bestimmt am 13. November 1889 ein. - Schwarz sagt es.
Dieses "Schwarz sagt es" war es, was dem Artikel Wichtigkeit verlieh und was es erklärte, daß der "Herald" sich die Sache kabeln ließ, denn wer konnte Schwarz sonst sein, als Friedrich Schwarz, jener deutsche Professor, dessen Theorie über Erdbeben so ungeheures Aufsehen erregte, und auf Grund deren jedes Erdbeben, mit nahezu mathematischer Genauigkeit für eine bestimmte Region vorausgesagt werden konnte.

James Crookes hatte sich natürlich nicht getäuscht.
Friedrich Schwarz hatte wirklich in Stuttgart einen Vortrag gehalten, der den "Weltuntergang" behandelte und der da im "Herald" wortwörtlich vorlag.

"Unter allen Kometen", so begann der Artikel, "bei welchem ein Zusammentreffen mit der Erde in Betracht kommen kann, steht bezüglich des Zeitpunktes eines Zusammentreffens, der Komet I vom Jahre 1866 im Vordergrund. Seine Bahnlage ist nämlich so gestaltet, daß sie die Bahn der Erde dort schneidet, wo die Erde am 13. November sich befindet. Wenn also ..."

Und nun hatte Schwarz ausgeführt, daß ein Zusammenstoß mit der Erde unvermeidlich sei, wenn der Komet einmal, am 13. November, sich genau im Schnittpunkte der beiden Bahnen befinden würde.
Dieses Ereignis konnte nun "möglicherweise" am 13. November 1899 zwischen ein bis vier Uhr morgens, oder auch in den späteren Stunden, eintreten.
Bis dahin war James Crookes den Ausführungen aufmerksam gefolgt und hatte den Artikel mit sichtlichen Interesse gelesen. Dieses "möglicherweise" paßte ihm aber so ganz und gar nicht, das vertrug sich weder mit seinen Anschauungen, noch mit seinem Charakter. Er liebte das Positive, und wenn jemand mit einer Ansicht heraustrat, dann sollte er's auch rund heraussagen:


"Die Welt geht am 14. November 1899 um ¾ auf 3 Uhr früh unter." Punktum.
Aber - "möglicherweise!..." Nein.

Angesichts der unumstößlichen Tatsache, daß am 14. November 3 Uhr 17 Minuten 26 Sekunden die Erde mit dem Kometen zusammenstoßen mußte.

"Die Möglichkeit des Eintretens der Weltkatastrophe in diesem Jahrhundert wird erst dann zugegeben werden können, wenn der Komet 1866 I etwa Mitte Oktober zuerst sichtbar wird.
"Die Möglichkeit, wohlverstanden; noch immer nicht aber die Wahrscheinlichkeit."
"Diese Wahrscheinlichkeit würde erst dann eintreten, wenn der Komet sich in seinem Laufe am Himmel mehr und mehr gegen den Stern Gamma im Löwen bewegte, und würde sich nahezu zur Gewißheit steigern, wenn die tägliche Ortsveränderung des Kometen am Himmel immer kleiner, sein scheinbarer Durchmesser aber immer größer würde."

So ungefähr lautete die berühmte Auskunft, die der Direktor der Sternwarte von Chicago auf das Rundinterview der "Buffalo Times" am 8. April 1896 zuerst unter allen gegeben hatte. So ungefähr lautete das Urteil, das nun in allen Zeitungen, in allen Blättern der Welt immer wieder und wieder breitgetreten wurde, bald um den Lesern die Hoffnung zu nehmen, bald um ihnen Hoffnung zu geben. Und je näher man der fatalen Zeit kam, in welcher das Erscheinen des Kometen die bloße Möglichkeit der Weltkastrophe schon zu einer Wahrscheinlichkeit machte, um so lähmender wirkte dieses Bewußtsein.
Wie auf ein erlösendes Wort harrte man auf die Kunde, der Komet sei gefunden. Allein, diese Kunde kam nicht


(Auszugsweise) gelesen in einem im Jahre 1899 erschienenen Roman von:
Rudolf Falb und Charles Blunt mit dem Titel "Der Weltuntergang".
Wenn es sich erklärtermaßen auch um einen Roman handelte, so ist seine Detailschilderung sicherlich bemerkenswert, mag man über sie nun lachen oder auch nachdenklich sein.

Zum thematischen Weiterlesen unter anderem empfohlen:


Mysnip.60737
Die "Bauchschmerzen" des Herrn Träder

Gugel und das "Wunderjehr 1925"

Thema Adventisten

Endzeit

Hank

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