Annotationen zu den Zeugen Jehovas

„Die vielen Pioniere, die sich durchgefressen haben ..."

Die Kontroverse in einem Forumsbeitrag aus dem Jahre 2004 begann, mit der Zitierung eines Presseberichtes der da auch ausführte:

Amerikanische Swing-Musik war in Deutschland nach Hitlers Machtergreifung als "dekadent" verboten. Doch ausgerechnet der Mann, der den Swing verbot - Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels - ließ 1943 ein eigenes Swing-Orchester gründen. Das Orchester spielte besten und modernsten amerikanischen Swing. Doch die Original-Liedtexte in Englisch wurden meist ab der zweiten Strophe durch einen Propagandatext ersetzt. Zielscheiben waren vor allem Churchill, aber auch Roosevelt und Stalin. Mit diesem Musikangebot, so schwebte es Goebbels vor, sollte man den Gegner fesseln - und gleichzeitig beeinflussen. Für die Propaganda war Swing plötzlich wieder legitim. ...

Die Sängerin Evelyn Künneke schreibt in ihren Memoiren: "Alle Musiker in der Charly-Gang . . . waren Meister ihres Fachs, richtig heiße Spezialisten . . . Es waren hauptsächlich italienische, belgische und tschechische Musiker, sogar Halbjuden, Zigeuner, Freimaurer und Jehovas Zeugen, Homosexuelle und Kommunisten . . . Sie saßen in Berlin und nicht hinter Stacheldraht und machten Swing-Musik."

Dieses zugegeben ungewöhnliche Zitat, namentlich die auch Mit-Erwähnung von Zeugen Jehovas in ihm, löste dann eine Kontroverse aus.

Ein Diskutant meinte zu ihm:

„Jehovas Zeugen versuchen die Verfolgung in den KZ meist nur von einer negativen Seite zu beleuchten. Gibt es da überhaupt eine positive Seite?

Aber eine Form einer ganz eigenständigen Betrachtung dürfte ein völlig anderer Aspekt der Verfolgung sein.

Wenn ich mir heutige ZJ betrachte, so komme ich immer wieder zu der Beurteilung, dass es nicht selten Menschen sind, die aus egoistischen Gründen bei Jehovas Zeugen landeten. Die versuchen, möglichst viel zu erreichen und zu bekommen.

So fällt mir auf, dass die Berichte von ZJ im Konzentrationslager immer wieder davon handeln, dass diese Menschen es immer wieder auch versucht haben und darin erfolgreich waren, auch unter widrigen Umständen ein 'angenehmes Leben' zu haben bzw. unter erleichterten Umständen im KZ zu sein.

Hier also waren Zeugen Jehovas statt im KZ im Orchester in Berlin.

Aber auch 'Väterchen Frost' hatte es geschaft, das KZ mit einem Inselaufenthalt einzutauschen.

Hier gibt es sicherlich viele, sehr viele Beispiele. Man würde sich bestimmt wundern, welches Bild sich ergäbe, wenn die vielfach verstreuten Berichte in diesem Licht beleuchtet und einmal zusammengetragen würden."

Das war dann zwar eine Meinungsäußerung, allerdings eine, welche in der vorgetragenen Form auch dazu angetan war, gewisse „Bauchschmerzen" diesbezüglich zu produzieren.

Letztere kamen dann in einer Entgegnung darauf, auch wie folgt zum Vortrag:

Bemängelt wurde dann insbesondere, dass der zitierte Pressebericht in Sachen Swing-Orchester, keine nachprüfbare Quellen benennt, namentlich bezüglich der Zeugen Jehovas. Die Existenz besagten „Swing-Orchesters als solches indes, wird nicht in Abrede gestellt.

Sicherlich ist auch bekannt, dass zur fraglichen Zeit (1943 und später) etliche Zeugen Jehovas Vertrauensposten bekommen hatten (Stichwort Getrud Pötzinger, Kindermädchen und Haushälterin bei einer SS-Offiziersfamilie). So gesehen ist es auch denkbar, dass es da Zeugen Jehovas in dieses Swing-Orchester verschlagen hat. Nur ist weiter zu fragen: Warum hat diesen Fakt, so es ihn denn gegeben; warum hat darüber bis heute weder ein Detlef Garbe, noch ein anderer den man in diesem Kontext benennen könnte, darüber berichtet?

Zwar gibt es da ein einschlägiges Buch; im Jahre 2001 erschienen. Mila Kuna „Musik an der Grenze des Lebens. Musikerinnen und Musiker aus böhmischen Ländern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen". Das berichtet (S. 48f.), dass der 1938 gegründeten Lagerkapelle in Buchenwald auch drei Bibelforscher angehörten. Nur muss dann doch wohl ein Unterschied gemacht werden, zwischen solch einer KZ-Lagerkapelle und dem Göbel'schen Swing-Orchester, dass wie gelesen, US-amerikanische Vorlagen, mit eigenen propagandistisch umgestalteten Texten versah und zudem in Berlin tätig gewesen sein soll und nicht etwa in Buchenwald oder ähnliche Ortschaften.

Daher wäre schon etwas mehr Zurückhaltung bei der Bewertung angesagt. Auch zu der These

„versucht haben und darin erfolgreich waren, auch unter widrigen Umständen ein 'angenehmes Leben' zu haben bzw. unter erleichterten Umständen im KZ zu sein", ist Widerspruch einzulegen.

Wenn es solche relative Erleichterungen, man spricht teilweise von „halb Freigelassenen" ab 1943 gab, dann primär nicht weil es deren besonderer Schlauheit zuzuschreiben war, sondern weil um diese Zeit, in der Tat Himmler und sein Stab, ihre Zeugen Jehovas-Politik neu zu überdenken, und teilweise auch zu verändern begannen.

Die Vokabel vom „angenehmen Leben" kann auch aus dem Grunde nicht bestehen bleiben, dieweil es davor, mehr als genug, andersartige Erfahrungen gab.

Es sei auch an einen Disput erinnert, der sich daran entzündete, dass der (seinerzeitige) WTG-Funktionär Uwe L., via Leserbriefe an die „Ostsee-Zeitung" dergestalt „Stimmung" zu machen suchte, unter anderem auch der Hinweis auf positive Aussagen von Kupfer-Koberwitz über die Zeugen Jehovas in den KZ's.
Siehe dazu auch: Parsimony.6164

Es ist also zu billig wenn man nun in das andere Extrem gerät. (Ein Extrem: Verklärung der Zeugen Jehovas; wo dem entgegengehalten werden muss. Lest auch mal „Der Totenwald" von Ernst Wiechert. Dann wird die Kupfer-Koberwitz'sche Verklärung auf ihr richtiges Maß zurückgestutzt.

Das andere Extrem ist allerdings auch das, indem die Zeugen Jehovas durchweg als eiskalte Egoisten dargestellt werden. Das kann so nicht hingenommen werden. Mit „dem Rücken an die Wand zu kommen", versuchten noch ganz andere, einschließlich der Kommunisten in den KZ. Mit dem Rücken an die Wand, das gehen „über Leichen", lässt sich beliebig auch heute in allen Bevölkerungsschichten nachweisen, keineswegs „nur" bei den Zeugen. Hass macht blind. Die Wurzeln dieses Hasses mögen ja durchaus nachvollziehbar sein. Dennoch ist es nicht hinnehmbar, letztendlich auch kontraproduktiv, solche undifferenziertes „Stammtischgerede" unwidersprochen stehen zu lassen. Lieber ist dem rechtzeitig zu widersprechen, bevor es vielleicht andere, einschlägig bekannte Geschäftemacher für die Interessen der WTG dann tun.

Daraufhin gab es noch eine weitere Entgegnung, und die ist der eigentliche Kern dieser Replik.

Als Kommentar dazu schrieb ein weiterer Diskutant

Was mich an dem langen Text einzig stört, ist die Formulierung: Hass macht blind. Was macht Dummheit? Der Nährboden für religiöse Sekten? Der Nährboden auf dem die WTG gedeiht?

Eingeengte Blickweisen haben die Menschheit noch nie vorangebracht. Fanatismus auch nicht. Aber es muss erlaubt sein, persönliche Erkenntnisse zu formulieren oder Thesen oder Hypothesen aufzustellen. Über Inhalte zu diskutieren.

Und die Mehrheit der Zeugen Jehovas erscheint mich doch sehr abartig zu sein:

Ein Beispiel:

Ja, ich wurde in die verfluchte Wachtturm-Sekte hinein geboren.

Übrigens war meine Mutter eine der ersten aktiven Zeugen Jehovas in Wiesbaden in der Nachkriegszeit.

Heute liegt sie in einem Altersheim, kein Zeuge Jehovas kümmert sich um sie, noch nicht mal die vielen Pioniere, die sich früher jeden Tag bei ihr durchgefressen und die Hand aufgehalten haben.

Das Kümmern übernehmen ausschließlich meine Frau und ich, die willkürlich ausgeschlossenen Teufel. Die verlogene Nächstenliebe heuchelnde egoistische Sekte hängt mir echt zum Halse heraus.

Es mag denn mit diesem Bericht sein Bewenden haben. Bilde sich jeder sein eigenes Urteil, auch und besonders unter dem Aspekt, eine organisierte Caritas etwa, ist bei den Zeugen Jehovas prinzipiell nicht angesagt.

Das Stichwort "Schmarotzertechnologie" wurde auch mit aufgenommen in:

Notizen aus Informator 1955

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