Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Percy Chapman und Leo Greenlees

Gibt man in der Internetsuchmaschine Google, bei Wahl der Option alle Sprachen, auch den Suchbegriff Percy Chapman ein, so stößt man schon an ziemlich vorderster Stelle, auf einen entsprechenden englischsprachigen Bericht. Er liegt nunmehr auch in deutscher Übersetzung vor (Dank dem Übersetzer) und wird hier nachstehend dokumentiert:
 

Geschichten aus dem Bethel in Toronto

Ich habe einmal geglaubt, ich sei vielleicht der einzige schwule Zeuge Jehovas in Kanada, vielleicht auf der ganzen Welt. Das war nicht ungewöhnlich, fühlen sich doch die meisten schwulen oder lesbischen Zeugen Jehovas genauso. Das Thema umgibt eine verschwörerische Geheimhaltung, da ein guter Christ solche Dinge "nicht einmal erwähnen" durfte.
Unbekannt

Percy Chapman und sein Kamerad Leo Greenlees wurden im Jahr 1936 von Rutherford aus dem Londoner Bethel weggeschickt, um den rebellischen kanadischen Zweigaufseher Walter Salter zu ersetzen, der wegen des "Wahlältesten"-Debakels mit einer eigenen Gruppe angefangen hatte. Percy war ein faszinierender öffentlicher Redner der alten Schule (er brauchte keine Lautsprecheranlage), und mit seinem singenden Lancashire-Tonfall und seiner stattlichen Statur erinnerte er mich an Winston Churchill, mit flatterndem Doppelkinn und so. Ich kann mich noch an das widerhallende Vibrato in seiner Stimme erinnern, wie er vor den "widerwärtigen Tiefen der Abscheulichkeiten" warnte, und da ich wusste, dass Homosexualität "eine Abscheulichkeit für den Herrn" war, fragte ich mich, ob er genau das meinte. Erst später begann mir der Verdacht zu kommen, dass die Verwaltung im Bethel überwiegend schwul war.

Ich erinnere mich an den Schock bei einem Bezirkskongress in Halifax, Neuschottland, im Jahre 1959, wo Percy Chapman und dann der Zweigaufseher von Kanada Reden halten sollten. Und wer sollte plötzlich auftauchen, um ihn zu ersetzen? Bruder Knorr, der Präsident aus New York. Percy Chapman verschwand einfach von der Bildfläche. Später fanden wir heraus, dass Bruder Knorr ihn von allen Aufgaben entbunden, ihm aber erlaubt hatte, im Bethel in Toronto als Hausmeister zu bleiben. Der nächste Schock war, dass man Percy Chapman zwang, zu heiraten. Percy war ganz auf der Rutherford'schen Linie und vollkommen gehen das Heiraten eingestellt, und er stellte durch sehr strikte Regeln und frühes Ausgehverbot sicher, dass keiner der "Bethel-Jungens" auch nur an so etwas dachte.

Der einzige Weg, wie ein Bethel-Junge eine andere Schwester treffen konnte, war, mit ihr zu einem Bibelstudium zu gehen. Meine Eltern begannen 1945 ihr Studium mit einer hübschen jungen Pionierschwester namens Joyce Randall, und jede Woche hat sie ein neuer Junge aus dem Bethel begleitet. Später wurde sie ins Gilead geschickt und dann in Peru eingesetzt, völlig isoliert, nur um dort von einem Latin Lover verführt zu werden. Natürlich hat man ihr die Gemeinschaft entzogen und sie unehrenhaft nach Hause geschickt. Aber meine Familie bekam eine Menge Jungen aus dem Bethel zu kennen. Sie waren alle jung und gutaussehend, von Percy Chapman handverlesen.

Es gab sogar eine Elitegruppe, die als "Percys Jungen" bekannt waren, die ihn in teure Restaurants und Bars begleiteten oder andere Gunsterweise erhielten. Damals stand das Bethel in der Irwin Avenue, jetzt (obwohl durch ein Apartmenthaus ersetzt) mitten im Schwulenbezirk von Toronto. Es gab sogar einen Königreichssaal über "The Parkside", einer der wenigen Schwulenbars im Toronto der fünfziger und sechziger Jahre.

Der arme Leo Greenlees, drei Jahrzehnte lang Percys enger Freund, selbst als sie noch im Londoner Bethel waren, musste sich jetzt nach einem neuen Zimmergenossen umsehen. Leo war ein fröhlicher Kerl, den man einfach gern haben musste, mit seinen dicken schottischen Schuhen; er war auch ein begeisternder öffentlicher Redner. Er machte kein Geheimnis aus seiner Homosexualität gegenüber den wenigen gutaussehenden jungen Brüdern, mit denen er in einem der Sommerurlaubsdomizile die von Jehovas Zeugen betrieben (und später der Wachtturm-Gesellschaft vermacht) wurden. Ich lernte Leo ein bisschen besser kennen, als er in dem Königreichssaal in den ich in den frühen sechziger Jahren als Teenager gegangen war, zum Versammlungsaufseher ernannt wurde, in Richmond Hill, etwas nördlich von Toronto.

Er brachte immer einen weiteren Bethel-Jungen mit, Lome Bridle, der sehr gut aussah und chamant war. Nach einer gescheiterten Ehe mit einer jungen Pionierschwester beging er dann schließlich Selbstmord. Ich habe mich oft gefragt, welche Qual in seinem Inneren ihn dazu gebracht hat - aber das ist so oft das Schicksal der abgeschotteten Schwulen in der Wachtturm-Gesellschaft!

Doch Leo sollte schon bald ins Brooklyner Bethel aufsteigen, wo er Kassierer der Wachtturm-Gesellschaft und Glied der elitären leitenden Körperschaft wurde. Es gelang ihm der Hexenjagd im Brooklyner Bethel in den frühen Siebzigem zu entgehen, als Dutzende von Bethel-Jungen ausgeschlossen wurden, nachdem man von ihren Mitternachtsverabredungen in der Sauna im Brooklyner Bethel erfahren hatte. In den späten sechziger und den frühen siebziger Jahren gab es eine deutllich liberalere Haltung in der leitenden Körperschaft. Aber plötzlich hörte das auf.

Den Gipfel erreichte das mit einem Machtkampf und dem Ausschluss von Raymond Franz, einem Mitglied der leitenden Körperschaft, der ein Freidenker war und das "Wahrheits"-Buch geschrieben und den Vorsitz bei der Abfassung des fast schon wissenschaftlichen Buches "Aid to Bible Understanding" hatte. Beide Bücher sind interessanterweise in die Liste der Bücher aufgenommen, von denen man nie glauben würde, dass sie gemäß der Wachtturm-Gesellschaft existierten, obwohl das "Wahrheits"-Buch nach der Bibel die größte Auflage einer Buches auf der Welt hatte.

Erst vor ein paar Jahren habe ich erfahren, dass Leo Greenlees geoutet worden und aus der leitenden Körperschaft entfernt worden war, weil er schwul war. Das letzte, was ich von ihm hörte, war, dass er nach San Diego geschickt wurde, wo er vor nicht allzu langer Zeit starb. Soweit ich weiß, wurde ihm nie die Gemeinschaft entzogen, ich kann auch nicht bestätigen, dass er jemals jemanden wirklich verführte. Ein weiteres Glied der leitenden Körperschaft, Ed Chitty, wurde, soweit ich weiß, aus denselben Gründen auch aus dem Brooklyner Bethel entfernt und nach London, England, weggeschickt.

Knorr und Chapman auf dem Kongress New York 1958

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