Journalistenreport
Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)
Nr. 20 (1976)

In der "Weltbühne" (4/71 S. 111-114 und 5/71 S. 137-140) berichtete Tankred Koch über das Buch des BRD-Journalisten Horst Knaut mit dem Titel "Rückkehr aus der Zukunft" (München 1970), dass sich mit dem Thema "Dschungel des Aberglaubens" und "Okkultismus als Gewerbe" beschäftigte. Einleitend bemerkt der Rezensent, dass Knaut's Arbeit "ohne die Vorarbeit solch unermüdlicher Forscher wie Johann Kruse, ohne die aufklärenden Werke Professor Prokops, Herbert Schäfers, Auhofers, Haack und vielen anderen nicht möglich gewesen wäre."

1975 hat Horst Knaut nun einen neuen Report erstellt, diesmal über Jehovas Zeugen mit dem Titel "Propheten der Angst". Sein persönliches Miterleben der WTG-Missionstätigkeit fasst er in die Worte: "Die Missionskampfparole Nr. 1 der 'Zeugen Jehovas' kann daher nur heissen: 'Wirb oder stirb!' -wirb für die theokratische Wachtturmorganisation und komm bei 'Harmagedon' mit dem Leben davon und anschliessend in das Tausendjärige Reich oder verrecke jämmerlich" (S. 43).

An anderer Stelle gibt er folgenden Eindruck von seinem Erleben der Zeugenverkündigung:

"Eine uralte Psychologie bewährt sich bei den 'Zeugen Jehovas' Tag für Tag aufs Neue: Je einfältiger und unaufgeklärter der Mensch, desto besser ist er für neue Lehren zu gewinnen, noch dazu, wenn sie gleichzeitig mit einem Heilversprechen verbunden sind" (S. 101, 102).

Ob man aber einen "psychopathologischen Knacks", wie er sich ausdrückt, verallgemeinern kann, ist sehr fraglich.

Eine gewisse Schwäche des Werkes, was ist schon vollkommen, zeigt sich im Literaturverzeichnis. Man wünscht sich u. a. einen Hinweis auf Alan Rogersons Buch "Viele von uns werden niemals sterben - Geschichte und Geheimnis der Zeugen Jehovas." ... Selbst alle Sachkenner westlicher Länder sind einhellig der Meinung, dass dies eines der wichtigsten Werke der letzten Jahre ist.

Besonders bemerkenswert ist, wie Knaut die politische Bedeutung der WTG angeht, die er natürlich auch sieht. "Ein Nutzniesser der Wachtturm-Gesellschaft ist die bürgerliche Gesellschaftsordnung, für die sich die Zeugen Jehovas in etlichen entscheidenden Bereichen als systemerhaltende Stützen erweisen, indem sie Menschen, die von ihrer sozialen Struktur normalerweise in überwältigender Mehrheit zur Arbeiterklasse gehören, durch ihre Lehren faktisch dahingehend beeinflusst, dass die Privilegierten der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ihreVorrechte weiter ausbauen können" (S. 178, 179).

Knaut nennt diese Feststellungen "Gossenrede" und "Politdümmelei", obwohl sehr leicht zu sehen ist, wie die WTG tatsächlich jede Hand lähmt, die sich gegen jene Privilegierten und ihre Interessen erhebt. Jeder objektive Beobachter der WTG-Entwicklung sieht, wie sich die WTG jetzt mit ihrer Endzeittheorie wieder überlebt hat. Will oder soll Knaut dabei helfen, die dadurch desillusionierten Zeugen nicht aus der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ausbrechen zu lassen? Als sie Zeugen wurden, war es für viele tatsächlich die grosse Frage, wohin in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung mit ihren anscheinend unlösbaren Problemen und Ungerechtigkeiten. Keinen Ausweg sehend wurden sie Zeugen. Nun überlebt sich das und zerbricht.

Fragen muss man auch nach dem Sinn und Zweck der lobenden Erwähnung der politischen Resignation und Abdankung der bekannten ehemaligen Zeugin Jehovas Josy Doyon aus der Schweiz. Sie verfasste über die WTG das Buch "Hirten ohne Erbarmen". Nach ihren Erfahrungen in Östereich, England, in der BRD und der Schweiz mit "den Kirchen, in der Wirtschaft und in der Politik" und dann auch in diesen westlichen Ländern unter den Zeugen Jehovas und mit der WTG schrieb sie:

"Ich denke so für mich, die grossen Konfessionen müssten etwas ehrlicher werden, wenn sie den Sekten den Wind aus den Segeln nehmen möchten. Aber das wird wohl auch fast unmöglich sein, denn es gehört zu unseren heutigen Gesellschaftsstrukturen, dass mehr oder wenig überall diplomatisch gelogen wird, in den Kirchen, in der Wirtschaft und in der Politik.

Und alle diese diplomatischen Lügen sind der Wind in den Segeln derer, die es sich dann leisten können, fastdick zu lügen. Da wird dem einzelnen nichts anderes übrig bleiben, als entweder brav mitzulügen, oder wenn er das verschmäht, so ziemlich allein auf weiter Flur zu bleiben. Und dann sind noch die vielen Glücklichen, die es garnicht merken, dass sie angelogen werden. Summa summarum sind wir Menschen ein ziemlich unehrliches Pack, und das wird wohl davon kommen, weil wir so egoistisch sind und vom Leben immer mehr fordern, als wir im Grunde nötig hätten."

Josy Doyon hat in ihrem mutigen Buch erstmals als Frau die Unglaubwürdigkeit der WTG-Hirtentätigkeit öffentlich aufgezeigt. Objektiv ist dieses mutige Buch wohl kaum Resignation und Abdankung, denn es wirkt und wirkt. Es ist eher ein grosses Engagement vor der Öffentlichkeit. Der subjektive Rückzug, um "so ziemlich allein auf weiter Flur zu bleiben", ist dies jedoch. Will oder soll Knaut dies zur Alternative zur WTG erheben, damit die sich von ihr Abwendenden dennoch weiter passiv bleiben?

Die beiden Aspekte der Verneinung einer WTG-Beeinflussung zugunsten der Privilegierten und des lobenden Zitierens jener Resignation ragen merkwürdig hervor. Man fragt sich, wohin Knaut die nur zu recht über die WTG desillusionierten Zeugen führen will. Wir finden auch die Klage des Autors, dass er sich als "Nur-Journalist" nicht genügend von den "Experten" unterstützt fühlte (S. 189, 190).

Die antikommunistische und sonstige Politik der WTG beurteilt der Autor jedoch wie folgt:

"Vor einigen Jahren noch kamen aus den Watchtower-Wolkenkratzern Anti-Ost-Meldungen, die regelrechten Kampagnen glichen.In den Ländern, in denen man nach den geltenden Gesetzen öffentlich und legal die Brooklyn-Lehren verkündigen darf, wollte man sich Liebkind machen und wenigstens nicht politisch anecken, denn andere Glaubensinhalte und Glaubenspraktiken der 'Zeugen Jehovas' boten in den für sie freien Ländern ja schon Reibungsflächen zur Genüge.

Der Blick zurück auf die Watchtowerpolitik zu Beginn des Hitlerreiches in Deutschland zum Beispiel zeigt, wie man um des eigenen Vorteils willen bestrebt ist, sich jeweiligen politischen Verhältnissen zunächst einmal anzuschmiegen. Das klappt nicht immer.

Das eine christliche Sorge um die Einzelschicksale der Brüder und Schwestern in den jeweiligen Ländern, in denen die 'Zeugen Jehovas' unter Druck stehen, zugrunde liegt, muß in Zweifel gestellt werden. Die Ausdehnung der Watchtower-Macht im großen war immer das vorrangige Anliegen. Statt sich auf ihre Theologie und die immer wieder betonte politische Neutraltät zu beschränken, haben die Watchtower-Gewaltigen mit ihren politischen Kundgebungen in Wort und Schrift ganzen Heeren von kleinen Predigern nämlich mehr geschadet als geholfen.

Aus diesen Verhaltensweisen der Brooklyner Kommandozentrale lassen sich nicht nur Widersprüche und Skrupellosigkeit, sondern auch politische Dummheit herauslesen, die der im Lehrgestrüpp von Brooklyn hypnotisierte kleine Prediger nicht erkennt" (S. 170, 171).


(Zeitschrift) Christliche Verantwortung
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