Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Zeugen Jehovas - Dissertation
Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche
Verantwortung (Berlin)
Nr. 15 (1974)
(Hinweis: Niemand lebt in einem "luftleeren
Raum". Der Verfasser lebte in der seinerzeitigen DDR. Seine Biographie ist auch durch
letztere mit geprägt worden. Er möchte sich erlauben darauf hinzuweisen, dass er meint,
auch noch einen Lernprozess durchgemacht zu haben. Er glaubt weiter darauf hinweisen zu
sollen, dass er einige nachfolgende Sätze, insbesondere das sogenannte
"Blaubuch" betreffend, heute so nicht mehr formulieren würde).
Nachdem 1967 (im deutschsprachigen Gebiet) die erste Doktorarbeit eines evangelischen
Theologen (Anmerkung von heute: Irrtum war Historiker, kein Theologe) über eine in
Zentralafrika von der WTG abgesplitterte und "außer Kontrolle" geratene
Bewegung vorgelegt wurde
liegt nun eine weitere Doktorarbeit vor. 1971 wurde an der
Theologischen Fakultät der Universität Hamburg, BRD, von Dietrich Hellmund eine
Darstellung der "Geschichte der Zeugen Jehovas (in der Zeit von 1870 bis 1920) mit
einem Anhang: Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland (bis 1970)" eingereicht.
Dankenswerterweise stellte der Autor dem Berichterstatter eines seiner Exemplare
(maschinenschriftlich vervielfältigt) zur Verfügung.
Adventistische Anfänge
Dr. Hellmund hat sich darin bemüht - aus der Sicht eines evang.-luth. Pastors - die
Frühzeit der jetzigen Zeugen Jehovas zu erhellen. Er musste dabei die Erfahrung machen,
dass die WTG nicht bereit war, Einsicht in ihre ältere gedruckte Literatur zu gewähren
(!), während es Dr. Greschat, der ja nur eine Detailuntersuchung ausarbeitete, dies noch
in begrenztem Maße möglich war.
Dr. Hellmund bemühte sich unter anderem um die Darstellung der adventistischen
Beeinflussung C. T. Russells durch die "Second-Adventisten" (die mit den
Siebten-Tags-Advenisten nur indirekt identisch sind, durch den Ursprung aus der
Miller-Bewegung). Er hebt hervor, dass man in dieser Gruppe bereits 1872/73 ein
"Weltende" erwartete, nebst den darauf folgenden Datenspekulationen 1874, 1878
und 1914. Kritisch vermerkt sei, dass man in diesem Zusammenhang sich eine Bezugnahme auf
das adventistische Endzeitdatum 1843/44 gewünscht hätte, da ja die
"Second-Adventisten" ihre Spekulationen nicht aus dem "luftleeren
Raum" geschöpft hatten.
Auf "gleicher Ebene"?
Zum Gesamtcharakter dieser Arbeit muss man sich vergegenwärtigen, dass der Verfasser in
erster Linie den Mitarbeiterkreis seiner Kirche als engeren Leserkreis im Auge hat. Von
dieser Interessenlage her ist seine Gesamtkonzeption bestimmt. Dies wird darin deutlich,
dass er z. B. die im Laufe der Zeit variierenden unterschiedlichen Auslegungen der WTG zum
Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16: 19-31) hervorhebt, die mit die
schwächste Stelle in Russells Ablehnung der Lehre von einer Feuerhölle ist.
Solcherart unterschwellige Aufwertung des Glaubens an eine Höllenqual (die wohl bei den
wenigsten Zeugen Jehovas Verständnis erwerben wird) kann wohl nur als fragwürdiger
Versuch gewertet werden, den Zeugen Jehovas auf "gleicher Ebene" eines
fundamentalistischen, unkritischen Bibelglaubens zu begegnen. Andererseits ist aber
festzustellen, dass Dr. Hellmund durchaus kritische Forschungsergebnisse akzeptiert wie
dies seine Bemerkung verdeutlicht:
"Leider hat Russell auch in dieser Hinsicht unter den heutigen ZJ seine Nachfolger
gefunden. Noch immer werden in stiller Selbstverständlichkeit wissenschaftlich gesicherte
Forschungsergebnisse beiseite geschoben oder außer Acht gelassen angeblich durch die
'reine Bibelauslegung' ersetzt".
Oder:
"Ein modernes Schulungsbuch der ZJ sagt: 'Jehovas Zeugen sind an der
Archäologie nur soweit interessiert, als sie den biblischen Bericht bestätigt oder
ergänzt.' Genau das ist auch schon der Standpunkt Russells gewesen. Nur darf man an die
Stelle der Archäologie auch jede andere Wissenschaft setzen".
Zu welch fragwürdigen Ergebnissen der Versuch führt, den Zeugen Jehovas auf der
"gleichen Ebene" eines kritiklosen Bibelglaubens zu begegnen, wird
stellvertretend auch an der Broschüre des Pietisten F. W. Bautz deutlich, wo man unter
anderem folgende Glaubensempfehlung herauslesen kann:
"Das (der ZJ-Glaube) ist das goldene Zeitalter, in dem alle Wunsch- und
Zukunftsvorstellungen der Menschheit Wirklichkeit werden
Das ist aber nicht
neutestamentliche Hoffnung und christliche Enderwartung
Darin besteht in Ewigkeit
das Glück und die Freude der Erlösten. Paulus schreibt: 'Ich habe Lust abzuscheiden und
bei Christus zu sein."
-
Also Jenseitsglauben in Reinkultur!
Solcherart Argumentation läuft darauf hinaus den Zeugen Jehovas den Bärendienst zu
erweisen, ihre soziale Konfliktsituation mit den Argumenten von vorgestern
"heilen" zu wollen. Eine Argumentationsebene, die sie zum Teil schon selbst
verlassen haben!
Unmittelbar nach dem vorläufigen Abschluss seiner Arbeit erhielt Dr. Hellmund auch
Kenntnis von der 1970 (im Urania-Verlag) in der DDR erschienenen
"Blaubuch"-Dokumentation; die er meint als "unzulänglichen Versuch"
bewerten zu müssen. "Gesichtspunkte die weiterführen", sind in Hellmunds
Darstellung "Fundamentalismus und Glaube", "Soziologische Gesichtspunkte:
Gruppendenken" und "Religionspsychologische Gesichtspunkte". Soweit es
seine Feststellung betrifft:
"So mancher ZJ ist das schwarze Schaf seiner Familie geworden. Am Ende hat der ZJ nur
noch Freunde bei seinen Glaubensgeschwistern
Wie schwer findet man nach einem
Ausschluss in diese Gemeinschaft zurück! Darum überlegt sich jeder, ob er
gesellschaftlich diesen letzten Schritt in die totale Vereinsamung hinein tun darf.
Gemessen an diesem Gang in die Wüste hinein wiegt es wenig, dass man in Glaubensfragen
diese oder jene intellektuelle Kehrtwendung mit vollzieht."
Soweit es diese Feststellung betrifft, so ist hier in der Tat, ein ernst zu nehmendes
Problem angesprochen. Ein Problem, dass im Individualfall unterschiedlich stark
ausgeprägt sein mag, dass aber keineswegs von der Hand zu weisen ist. Unabhängig von
dieser richtigen Erkenntnis bleibt es dennoch ein viel entscheidenderes Faktum, dass auch
Jehovas Zeugen nicht auf einer "weltfernen Insel" leben, sondern ebenso wie die
Mehrzahl aller anderen Mitbürger mehr oder weniger indirekt in die weltweite
Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus hineingezogen sind.
Und für die Zeugen Jehovas in den sozialistischen Staaten nützt es herzlich wenig, wenn
man ihnen die fundamentalistisch-pietistischen Argumente von vorgestern als
"Rezept" anbietet. Die "Ausstrahlungskraft" der alten aus der
WTG-Krise von 1917 entstandenen Gemeinschaften, ist z. B. erfahrungsgemäß für die
heutigen Zeugen Jehovas nicht übermäßig "groß". Hellmunds
Fundamentalismus-Rezepte sind daher als wenig hilfreich zu bewerten.
Blaubuchrezeption
Es ist bezeichnend, dass sich selbst Dr. Hellmund bezugnehmend auf das
"Blaubuch" zu dem folgenden Eingeständnis veranlasst sieht:
"Die Glaubenslehre der ZJ lässt sich von sehr unterschiedlichen Standpunkten aus
kritisch beleuchten. Der Marxist, beispielsweise, wird lange nach einem passenden Objekt
für die Berechtigung der marxistisch-leninistischen Religionskritik suchen müssen. Die
ZJ sind und bleiben ein Paradebeispiel! Wo sonst gibt es diese völlige, bewusste
Enthaltsamkeit in allen Fragen, die das gesellschaftliche, soziale und politische
Wohlergehen eines Staatswesens betreffen?
Wo sonst zieht sich eine ganze Gruppe so vollkommen aus der Verantwortung? Wo sonst gibt
es diese passive Gleichgültigkeit gegenüber staatlichen Gesetzen und Verordnungen?
Ausgenommen die Steuergesetze, ausgenommen freilich auch jene Gesetze, die im Sinne der ZJ
verstandenen Gewissens- und Bekenntnisfreiheit einschränken. Hier lebt eine kleine
Minderheit von dem Frieden, der Ordnung und der Sicherheit, die erst die Gesamtheit des
Volkes gewährleistet.
Diese mehr allgemeinen Bedenken und Überlegungen sind in jüngster Zeit, seit 1970, in
direkter Auseinandersetzung als 'Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft'
präzisiert worden. In dieser Arbeit ist die längst bekannte marxistisch-leninistische
Religionskritik vor allem an den ZJ in Deutschland exemplifiziert und besonders im Blick
auf die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen dieser Glaubensgemeinschaft quellenmäßig
belegt und geschickt begründet worden.
Die marxistische Kritik an den Soziallehren der ZJ ist an vielen Stellen mehr als
berechtigt.
Das durch Tod, Leid und Krankheit, sowie andere seelische Nöte mitgenommene Menschen für
trost- und endzeitverheißende Lehren ein besonderes Ohr haben - diese zweifellos richtige
Feststellung will freilich nicht viel sagen, auch wenn solche Erscheinungen als 'Erbe des
kapitalistischen Systems' gedeutet werden. Ein ganz anderes Gewicht haben Beobachtungen an
sozialethischen Texten Russells. Russell hatte ja wegen seiner Naherwartung des Weltendes
die Lösung aller sozialpolitischen Konflikte in die Zeit hinter Harmagedon abgeschoben.
Er hat genau in Band IV die Riesenschäden der am Profitdenken ausgerichteten,
kapitalistischen USA-Gesellschaft beschrieben, aber er hat sie auch entschuldigt und als
unvermeidbar hingenommen.
Russell: 'So steht die Menschheit hilflos jenen Riesenauswüchsen unseres ökonomischen
Systems gegenüber, und die einzige Hoffnung ist - Gott.'
Russell hat in einer unvorstellbar oberflächlichen und letztlich verantwortungslosen
Weise auf jeden Versuch verzichtet, der kapitalistischen Ausbeutung und Verelendung ganzer
Volksschichten durch gesellschaftliche Veränderungen abzuhelfen und Reformmodelle
vorzuschlagen.
Wer so sachkundig ist wie der Geschäftsmann Russell, so brillant in der Analyse des
industriellen Gesellschaftssystem - den macht dies Wissen und die willentliche
Verhinderung jeder Reform mitschuldig an den Mängeln seines Gesellschaftssystems. Denn
gerade unter Hinweis auf das 1914 bevorstehende Gottesgericht hatte Russell seine Leser
vor jeder Auflehnung gegen die sozialen Missstände und vom Kampf um bessere Arbeits- und
Verdienstbedingungen abgehalten.
Wir fügen hinzu: Russells Leserschar umfasste nach den hauseigenen Mitteilungen über die
Auflagenhöhe Millionen. Das ist Breitenwirkung, eine Beeinflussung der Massen nach der
erwiesenermaßen falschen Seite hin.
Das ist nicht nur Kritik an Russell, es ist Gleichartiges genau so gegenüber den heutigen
ZJ geltend zu machen. Denn bei allen Unterschieden in den Einzelheiten ist auch heute noch
bei den ZJ eine Geringschätzung sozialethischer Fragen als Folgeerscheinung der
apokalyptischen Betrachtungsweise festzustellen.
Was wäre geschehen, wenn tatsächlich alle Sozialreformer, alle Sozialrevolutionäre des
19. Jahrhunderts in dem Vertrauen auf eine himmlische Weltverbesserung es unterlassen
hätten, dass gesellschaftliche und soziale Leben zu verändern -- und sich mit Russell
auf eine, noch dazu falsche -- Interpretation der unsozialen Welt beschränkt hätten?
Nichts, - nein, weniger als nichts, denn alles wäre auf eine Rechtfertigung der
bestehenden Ungerechtigkeiten und der monopolkapitalistischen Interessen hinausgelaufen.
Für ihre Abstinenz in sozialreformerischer Hinsicht werden die ZJ durch ihre Ausblicke
auf das herrliche Leben in der zukünftigen Welt des Tausendjahrreiches entschädigt und
hingehalten. Dann soll es die klassen- und rassenlose Gesellschaft geben ohne Ausbeutung
und Ungerechtigkeit. Die gegenwärtige Welt lebt für die ZJ unter der Drohung von
Harmagedon. Sie fühlen sich nicht gerufen, etwas zu ihrer Besserung zu unternehmen.
Solche Anschauungen fordern natürlich in besonderer Weise die marxistische Kritik heraus:
'Nur Narren können darauf vertrauen, dass vom Himmel her die sozialen Fragen auf Erden
gelöst werden'.
Auch der Christ hat als ein der Gesellschaft verhaftetes, politisches Wesen eine
Mitverantwortung am sozialen Image seiner Zeit. Die politischen Notwendigkeiten, die
Produktionsverhältnisse erzwingen einfach die planende menschliche Mitarbeit. Unsere
naturnotwendigen Bedürfnisse - wie Nahrung und Kleidung, Wohnung und Arbeit, Beruf und
Wirtschaft, Bildung und Lehre, Wissenschaft und Forschung, Gesundheit und Umweltschutz,
Recht und Ordnung - erfordern gemeinsames, verantwortliches Planen und Handeln. Man wird
zugeben müssen, dass mindestens diese letzte Überlegung alles andere als 'typisch
marxistisch' ist.
Sie beschreibt vielmehr Gesetzmäßigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen
mit innerer Folgerichtigkeit ergeben. Dem wollen sich die ZJ entziehen. Es ist einfach zu
wenig, wenn die ZJ ihren Beitrag zum Gemeinwohl im ehrlichen Bezahlen von Steuern
erschöpft sehen. Es ist widersprüchlich, wenn sie einerseits die Dienste von Polizei und
Feuerwehr in Anspruch nehmen, andererseits selber keine Polizisten werden wollen - von der
Nichtbeteiligung an Wahlen und Wehrdienst ganz zu schweigen.
Zusammengefasst kann ein Marxist die Tätigkeit der WT-Gesellschaft kaum anders als so
beurteilen: 'Die Politik der WTG in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war sehr
nützlich gegen das Aufbegehren hungernder und durch die kapitalistische Ausbeutung
ruinierter Menschen. Sie war hervorragend geeignet, revolutionäre Strömungen, besonders
unter den Christen ersticken zu helfen oder in ungefährliche Bahnen abzulenken, in
tatenloses Hoffen und Harren auf die WTG-Endzeitillusionen.'"
Marxistisch?
Es ist nicht beabsichtigt zu Dr. Hellmunds oberflächlicher Etikettierung des
"Blaubuches" als "marxistisch" lang und breit Stellung zu nehmen. Nur
soviel sei festgestellt: Ein Marxist würde es sicherlich zu recht vermissen, dass in
dieser Publikation keiner der einschlägigen Klassiker zitiert worden ist, die ja ohne
Zweifel zu diesem Themenkomplex gewichtige Aussagen gemacht haben.
Man könnte in diesem Zusammenhang - wenn man so will - auch die Bonhoeffer-Dissertation
von Hanfried Müller zitieren (die in der BRD in einem Hamburger Verlag erschien). Die
These Bonhoeffers: "Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus. Wir müssen wieder
in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Wir müssen es auch
riskieren anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch lebenswichtige Fragen aufgerührt
werden." Diese These ist sicherlich auch für das Zeugen Jehovas-Problem mit von
Bedeutung.
Hanfried Müllers Feststellung als Abschluss seiner Arbeit ("Von der Kirche zur
Welt" S. 429, Berlin 1966) ist sicherlich auch in unserem Zusammenhang übertragbar.
"Das man - um mit dem Unwesentlichen zu beginnen - mein Buch mit dem Geigerzähler
des Antikommunismus prüfend als eine 'marxistische Bonhoefferinterpretation' durchschaut
hat, hat mich wenig beeindruckt. Es ist bedauerlich, dass die Kenntnis des Marxismus
mancherorts heute noch so wenig zur Allgemeinbildung gehört, dass die Benutzung von ihm
entwickelter Methoden zur Klärung historischer Sachverhalte und Zusammenhänge viel
interessanter zu sein scheint als die Prüfung, ob die so erhobenen Sachverhalte und
Zusammenhänge stimmen.
Mir jedenfalls scheint die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, immerhin wesentlicher
zu sein als die Frage, ob etwas marxistisch oder nicht marxistisch sei; und jedenfalls
weigere ich mich anzuerkennen, dass etwas darum falsch wäre, weil es marxistisch ist -
wie auch umgekehrt. Wenn man aber mein eindeutiges Urteil in dieser Sache hören möchte.
Ich bin mit den Marxisten darin einig, dass meine Arbeit nicht 'marxistisch' ist, und
teile damit also -horrible dictu - schon wieder eine 'marxistische' Meinung".
Wertungen
Soweit es die Darstellung der WTG-Geschichte betrifft, so ist die Hellmund-Dissertation -
im wesentlichen gesehen - für den Sachkenner guter Durchschnitt. (Obwohl man sich eine
gründlichere Auswertung der von Hellmund verwendeten Primär- und Sekundärliteratur
hätte vorstellen können).
Völlig neue Quellen, wie es beispielsweise für den deutschsprachigen Bereich der
Sekundärliteratur in Rogersons Buch die Rezeption von Veröffentlichungen des A. H.
Macmillan und P. S. L. Johnson darstellt, sind in dieser Arbeit nicht enthalten. Was den
Bereich der Wertungen betrifft, so sei unter anderem zitiert was Dr. Hellmund zum Aspekt
der Naziära bemerkt:
"In den ausgesprochenen Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka sind ZJ
selten. Das ist kein Zufall. Denn in diese außerhalb der alten Reichsgrenzen liegenden KZ
kamen vor allem solche Personen und Gruppen, die man vernichten, ausrotten und vergasen
wollte. Für die ZJ hat es aber unseres Wissens nie einen grundsätzlichen
Vernichtungsbefehl gegeben, wie er für die Juden vorlag
So kann die Statistik trotzt der hohen Sterbequote im KZ 'nur' höchstens 2000 tote ZJ
verzeichnen. Und das bei einer seit 1934 eingekerkerten Gruppe! Die Überlebensquote der
Juden ist wesentlich kleiner. Und dabei wurde deren Verfolgung erst mit der
'Kristallnacht' akut. Die unendlichen Leiden der ZJ im KZ sollen durch diese Feststellung
nicht bestritten werden".
Über die Strategie von Rutherford & Co bemerkt der Verfasser:
"Fast immer waren es innere Schwierigkeiten, die in Rutherfords Augen eine
gesteigerte Polemik erforderlich machten. Demnach ist die literarische Aggression ein
bewusst eingesetztes Kampfmittel Rutherfords gewesen. Seine Anwendung bzw. Nichtanwendung
war erkennbar abhängig von sekteninternen Voraussetzungen.
Wenn die Leitung der ZJ eine Vertrauenskrise ihrer Mitglieder befürchten musste, hat sie
die aufgestauten Aggressionen auf andere, außerhalb der Sekte liegende Ziele abgelenkt.
Der Krieg mit dem Feind von draußen bewirkte zwangsläufig den Burgfrieden im Inneren und
vermied einen Vertrauensschwund der Leitung. So haben Rutherford & Co immer wieder mit
bestem Erfolg das Innenleben ihrer Mitarbeiter manipuliert. Der ZJ ist seitdem der
Prototyp des manipulierten und stimulierten Frommen".
Eine Feststellung, die sicherlich noch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Man
vergegenwärtige sich nur, mit welcher allegorischen Willkür, die WTG z. B. Ihre Nord-
und Südkönig Auslegung betreibt. Sie scheut sich dabei nicht, religiös verbrämt,
handfeste, gezielte politische Aussagen und Orientierung für ihre Anhängerschaft zu
verbreiten, wie z. B. Ihre provokatorische These: "Wenn der Teufel in seiner Rolle
als Gog von Magog vom äußersten Norden her zu seinem letzten Angriff übergeht, wobei er
alle seine Kräfte aufbietet, wird bestimmt der kommunistische König des Nordens zu
seinen Angriffsstreitkräften gehören" (Vgl. die "Dokumentation über die
WTG", Urania-Verlag 1970, S. 26).
Hier wird also den Zeugen Jehovas eingeredet, dass der Kommunismus eine "teuflische
Macht" sei, der zu "seinem letzten Angriff übergeht" und was dergleichen
Behauptungen mehr sind. Kein Wort wird jemals seitens der WTG über das soziale Anliegen
des Kommunismus verloren, kein Wort darüber, dass die Alternative dazu heißt
kapitalistisches Wolfsgesetz.
Zu sehr ist die WTG sich der Tatsache bewusst, dass ihre Religion des Schwarzmalens der
menschlichen Zukunft, nur auf dem Morast möglichst gravierender Ungerechtigkeit am besten
gedeiht. Das gegen ein so verstandenes "Christentum" eine deutliche Sprache
gesprochen werden muss, dass dabei die Frage ob der einzelne Gläubige dabei seinen
bisherigen kritiklosen Glauben "unbeschadet" weiter behalten kann oder nicht,
ist dabei die andere Seite, die die WTG selbst zu verantworten hat,
In der vorstehend besprochenen Arbeit von Dietrich Hellmund ist diesen
gesellschaftspolitischen Aspekten, die die WTG in ihre Konfliktsituation in den
sozialistischen Ländern hineinmanövrieret hat, nur beiläufig "Beachtung"
geschenkt. Statt dessen werden "Empfehlungen" gegeben, die zweitrangige Fragen
in den Vordergrund stellen.
Eine solche Betrachtungsweise ist für die Situation in der DDR unrealistisch und daher
nicht übertragbar!
(Zeitschrift) Christliche Verantwortung
Weitere
Artikel Christliche Verantwortung
Geht man der Sache vertiefend nach, offenbar (zumindest zeitlich)
„brandfrisch " (auch das Datum vom 2. April spricht dafür) ein Angebot von
Book on Demand für 19, 50 Euro.
Damit hat Hellmund nun dem Zustand ein Ende bereitet, dass seine Dissertation,
für Normalverbraucher eher schwer erreichbar war. Die Beschaffung über
Fernleihe und auch über Universitätsbibliothekn, war zwar schon vordem
möglich. Aber das kann man wohl weniger als ein Angebot für Normalverbraucher
bezeichnen.
Immerhin kann man sich bei Google-Buchsucher schon mal verhältnismäßig
umfänglich einlesen.
Wer das tat, sollte aber auch beachten, auf Grund der von Google gesetzten
Cookies, kommt alsbald der Status, wo man die Mitteilung bekommt, weiteres
bekommt man nicht zu lesen, da die zulässige Seitenzahl, die man auf diesem
Wege sichten kann, erreicht ist. Ich habe es eben wieder erfahren, was mich
zwar keinesfalls überrascht, aber denen doch gesagt sei, die meinen so „alles"
lesen zu können.
Sehe ich es richtig, ist der Text weitgehend mit seiner Diss von 1971
identisch. Geringfügige sachlich bedingte Modifizierungen aufweisend, die sich
aber in engen Grenzen halten.
Hellmund selbst schreibt dazu:
„Dies ist in der Sache - mit Änderung des Titels die erweiterte und verbesserte Fassung der Dissertation des Autors."
Verbessert sicherlich. Der Aspekt „erweitert" ist dann wohl nur eine
„Schmalspurerweiterung" soweit ich den Seiten der Google-Buchsuche entnehmen
kann, die Google mir zu lesen zubilligte.
https://books.google.de/books?id=-8PGBwAAQBAJ&pg=PA1&dq=Dietrich+Hellmund&hl=de&sa=X&ei=2xcpVYHFCsbgaJSYgpAN&ved=0CCkQ6AEwAQ#v=onepage&q=Dietrich%20Hellmund&f=false
„Die kritische Erforschung der ZJ-Geschichte (in Deutschland) beginnt mit Friedrich Loofs".
2015 wird man indes den Namen Loofs in seinen Ausführungen vergeblich
suchen.
Weder damals noch heute gibt es bei Hellmund etwa Anmerkungen zu den kritisch
zu wertenden kirchlichen Autoren aus den 1920er Jahren wie etwa in der
Linksammlung "Apologeten"
dort besonders im Unterabschnitt „Apologeten vor 1945" im Einzelnen aufgeführt
sind.
Erneut verweist er auf seine mehrfach schon geäußerte Detailkritik an einer
antisemitischen Aussage im WTG-Buch „Gott bleibt wahrhaftig" (1. Auflage). Mit
dieser Kritik sagt er zwar richtiges. Indes wirklich „tiefgehend" ist diese
Kritik wohl nicht. Sie ist quasi noch ein Spätausläufer, der von Rutherford in
den 1930er veranlassten Umstellung von Judenbegünstigung zum religiösen
Antisemitismus. Auch ist Hellmund offenbar entgangen, wie die Koryphäe Kurt
Hutten der evangelischen Kirche zu werten ist. Hätte er Internetanschluss, so
würde ich ihm empfehlen, sich das dort vorfindliche „Calwer Kirchenlexikon"
einmal näher anzusehen. Namentlich den dort mit enthaltenen umfänglichen
Beitrag des Kurt Hutten zu Nazizeiten, über die „Judenfrage".
http://archive.org/details/CalwerKirchenlexikon_AbisK
(Hinweis neuzeitlicher Browser etwa Chrome oder ähnliches ist vonnöten. Wer es mit
dem alten „Explorer" versucht, bekommt eine Fehlermeldung).
Zionismus
Wer also Hellmund's Ausführung in den Rang einer „Standarddarstellung"
einsortiert, muss sich dann sagen lassen, sie weist insoweit bedenkliche
Lücken aus, als das sie das Mitwirken seiner kirchlichen Amtskollegen aus der
Zeit der 1920er weitgehend per „gekonntem Schweigen" ausblendet.
Als positiven Ausnahmefall aus der damaligen Publizistik würde ich lediglich
nebst Loofs, den Pfarrer Rohkohl anerkennen. Und das war es dann auch schon.
Aus seiner 2015er Ausführung sei von ihm abschließend noch ein sicherlich
markanter Satz zitiert:
„Die PRAWDA, auf deutsch die „Wahrheit", war für
fast ein Jahrhundert die politisch wichtigste Zeitung der Welt. Sie war das
Zentralorgan der KPdSU. Ihre Macht ist genauso verschwunden wie das angeblich
unentbehrliche Schrifttum Russells."
(Seite 57 der Buchausgabe). Wer indes versucht diese Stelle mit Google zu
„erwischen", kann lernen; Google weis zwar, die gibt es in dem Buch und
bestätigt dies durch seinen gelb eingerahmten Text. Indes die Originalstelle
zeigt es dennoch nicht an
https://books.google.de/books?id=-8PGBwAAQBAJ&pg=PA57&lpg=PA57&dq=Die+PRAWDA,+auf+deutsch+die+%E2%80%9EWahrheit%22,+war+f%C3%BCr+fast+ein+Jahrhundert+die+politisch+wichtigste+Zeitung+der+Welt.+Sie+war+das+Zentralorgan+der+KPdSU.+Ihre+Macht+ist+genauso+verschwunden+wie+das+angeblich+unentbehrliche+Schrifttum+Russells.&source=bl&ots=zt7vknMPp5&sig=IWDBOXc7apm2T8xs-njNgdt6alk&hl=de&sa=X&ei=9487VfyvLNLuaIvkgbAO&ved=0CCIQ6AEwAA#v=onepage&q=Die%20PRAWDA%2C%20auf%20deutsch%20die%20%E2%80%9EWahrheit%22%2C%20war%20f%C3%BCr%20fast%20ein%20Jahrhundert%20die%20politisch%20wichtigste%20Zeitung%20der%20Welt.%20Sie%20war%20das%20Zentralorgan%20der%20KPdSU.%20Ihre%20Macht%20ist%20genauso%20verschwunden%20wie%20das%20angeblich%20unentbehrliche%20Schrifttum%20Russells.&f=false