Annotationen zu den Zeugen Jehovas

Zeugen Jehovas - Dissertation
Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)
Nr. 15 (1974)

(Hinweis: Niemand lebt in einem "luftleeren Raum". Der Verfasser lebte in der seinerzeitigen DDR. Seine Biographie ist auch durch letztere mit geprägt worden. Er möchte sich erlauben darauf hinzuweisen, dass er meint, auch noch einen Lernprozess durchgemacht zu haben. Er glaubt weiter darauf hinweisen zu sollen, dass er einige nachfolgende Sätze, insbesondere das sogenannte "Blaubuch" betreffend, heute so nicht mehr formulieren würde).

Nachdem 1967 (im deutschsprachigen Gebiet) die erste Doktorarbeit eines evangelischen Theologen (
Anmerkung von heute: Irrtum war Historiker, kein Theologe) über eine in Zentralafrika von der WTG abgesplitterte und "außer Kontrolle" geratene Bewegung vorgelegt wurde … liegt nun eine weitere Doktorarbeit vor. 1971 wurde an der Theologischen Fakultät der Universität Hamburg, BRD, von Dietrich Hellmund eine Darstellung der "Geschichte der Zeugen Jehovas (in der Zeit von 1870 bis 1920) mit einem Anhang: Geschichte der Zeugen Jehovas in Deutschland (bis 1970)" eingereicht. Dankenswerterweise stellte der Autor dem Berichterstatter eines seiner Exemplare (maschinenschriftlich vervielfältigt) zur Verfügung.

Adventistische Anfänge

Dr. Hellmund hat sich darin bemüht - aus der Sicht eines evang.-luth. Pastors - die Frühzeit der jetzigen Zeugen Jehovas zu erhellen. Er musste dabei die Erfahrung machen, dass die WTG nicht bereit war, Einsicht in ihre ältere gedruckte Literatur zu gewähren (!), während es Dr. Greschat, der ja nur eine Detailuntersuchung ausarbeitete, dies noch in begrenztem Maße möglich war.

Dr. Hellmund bemühte sich unter anderem um die Darstellung der adventistischen Beeinflussung C. T. Russells durch die "Second-Adventisten" (die mit den Siebten-Tags-Advenisten nur indirekt identisch sind, durch den Ursprung aus der Miller-Bewegung). Er hebt hervor, dass man in dieser Gruppe bereits 1872/73 ein "Weltende" erwartete, nebst den darauf folgenden Datenspekulationen 1874, 1878 und 1914. Kritisch vermerkt sei, dass man in diesem Zusammenhang sich eine Bezugnahme auf das adventistische Endzeitdatum 1843/44 gewünscht hätte, da ja die "Second-Adventisten" ihre Spekulationen nicht aus dem "luftleeren Raum" geschöpft hatten.

Auf "gleicher Ebene"?

Zum Gesamtcharakter dieser Arbeit muss man sich vergegenwärtigen, dass der Verfasser in erster Linie den Mitarbeiterkreis seiner Kirche als engeren Leserkreis im Auge hat. Von dieser Interessenlage her ist seine Gesamtkonzeption bestimmt. Dies wird darin deutlich, dass er z. B. die im Laufe der Zeit variierenden unterschiedlichen Auslegungen der WTG zum Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16: 19-31) hervorhebt, die mit die schwächste Stelle in Russells Ablehnung der Lehre von einer Feuerhölle ist.

Solcherart unterschwellige Aufwertung des Glaubens an eine Höllenqual (die wohl bei den wenigsten Zeugen Jehovas Verständnis erwerben wird) kann wohl nur als fragwürdiger Versuch gewertet werden, den Zeugen Jehovas auf "gleicher Ebene" eines fundamentalistischen, unkritischen Bibelglaubens zu begegnen. Andererseits ist aber festzustellen, dass Dr. Hellmund durchaus kritische Forschungsergebnisse akzeptiert wie dies seine Bemerkung verdeutlicht:

"Leider hat Russell auch in dieser Hinsicht unter den heutigen ZJ seine Nachfolger gefunden. Noch immer werden in stiller Selbstverständlichkeit wissenschaftlich gesicherte Forschungsergebnisse beiseite geschoben oder außer Acht gelassen angeblich durch die 'reine Bibelauslegung' ersetzt".

Oder:
"Ein modernes Schulungsbuch der ZJ sagt: 'Jehovas Zeugen sind an der Archäologie nur soweit interessiert, als sie den biblischen Bericht bestätigt oder ergänzt.' Genau das ist auch schon der Standpunkt Russells gewesen. Nur darf man an die Stelle der Archäologie auch jede andere Wissenschaft setzen".

Zu welch fragwürdigen Ergebnissen der Versuch führt, den Zeugen Jehovas auf der "gleichen Ebene" eines kritiklosen Bibelglaubens zu begegnen, wird stellvertretend auch an der Broschüre des Pietisten F. W. Bautz deutlich, wo man unter anderem folgende Glaubensempfehlung herauslesen kann:

"Das (der ZJ-Glaube) ist das goldene Zeitalter, in dem alle Wunsch- und Zukunftsvorstellungen der Menschheit Wirklichkeit werden … Das ist aber nicht neutestamentliche Hoffnung und christliche Enderwartung … Darin besteht in Ewigkeit das Glück und die Freude der Erlösten. Paulus schreibt: 'Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu sein." … - Also Jenseitsglauben in Reinkultur!

Solcherart Argumentation läuft darauf hinaus den Zeugen Jehovas den Bärendienst zu erweisen, ihre soziale Konfliktsituation mit den Argumenten von vorgestern "heilen" zu wollen. Eine Argumentationsebene, die sie zum Teil schon selbst verlassen haben!

Unmittelbar nach dem vorläufigen Abschluss seiner Arbeit erhielt Dr. Hellmund auch Kenntnis von der 1970 (im Urania-Verlag) in der DDR erschienenen "Blaubuch"-Dokumentation; die er meint als "unzulänglichen Versuch" bewerten zu müssen. "Gesichtspunkte die weiterführen", sind in Hellmunds Darstellung "Fundamentalismus und Glaube", "Soziologische Gesichtspunkte: Gruppendenken" und "Religionspsychologische Gesichtspunkte". Soweit es seine Feststellung betrifft:

"So mancher ZJ ist das schwarze Schaf seiner Familie geworden. Am Ende hat der ZJ nur noch Freunde bei seinen Glaubensgeschwistern … Wie schwer findet man nach einem Ausschluss in diese Gemeinschaft zurück! Darum überlegt sich jeder, ob er gesellschaftlich diesen letzten Schritt in die totale Vereinsamung hinein tun darf. Gemessen an diesem Gang in die Wüste hinein wiegt es wenig, dass man in Glaubensfragen diese oder jene intellektuelle Kehrtwendung mit vollzieht."

Soweit es diese Feststellung betrifft, so ist hier in der Tat, ein ernst zu nehmendes Problem angesprochen. Ein Problem, dass im Individualfall unterschiedlich stark ausgeprägt sein mag, dass aber keineswegs von der Hand zu weisen ist. Unabhängig von dieser richtigen Erkenntnis bleibt es dennoch ein viel entscheidenderes Faktum, dass auch Jehovas Zeugen nicht auf einer "weltfernen Insel" leben, sondern ebenso wie die Mehrzahl aller anderen Mitbürger mehr oder weniger indirekt in die weltweite Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus hineingezogen sind.

Und für die Zeugen Jehovas in den sozialistischen Staaten nützt es herzlich wenig, wenn man ihnen die fundamentalistisch-pietistischen Argumente von vorgestern als "Rezept" anbietet. Die "Ausstrahlungskraft" der alten aus der WTG-Krise von 1917 entstandenen Gemeinschaften, ist z. B. erfahrungsgemäß für die heutigen Zeugen Jehovas nicht übermäßig "groß". Hellmunds Fundamentalismus-Rezepte sind daher als wenig hilfreich zu bewerten.

Blaubuchrezeption

Es ist bezeichnend, dass sich selbst Dr. Hellmund bezugnehmend auf das "Blaubuch" zu dem folgenden Eingeständnis veranlasst sieht:

"Die Glaubenslehre der ZJ lässt sich von sehr unterschiedlichen Standpunkten aus kritisch beleuchten. Der Marxist, beispielsweise, wird lange nach einem passenden Objekt für die Berechtigung der marxistisch-leninistischen Religionskritik suchen müssen. Die ZJ sind und bleiben ein Paradebeispiel! Wo sonst gibt es diese völlige, bewusste Enthaltsamkeit in allen Fragen, die das gesellschaftliche, soziale und politische Wohlergehen eines Staatswesens betreffen?

Wo sonst zieht sich eine ganze Gruppe so vollkommen aus der Verantwortung? Wo sonst gibt es diese passive Gleichgültigkeit gegenüber staatlichen Gesetzen und Verordnungen? Ausgenommen die Steuergesetze, ausgenommen freilich auch jene Gesetze, die im Sinne der ZJ verstandenen Gewissens- und Bekenntnisfreiheit einschränken. Hier lebt eine kleine Minderheit von dem Frieden, der Ordnung und der Sicherheit, die erst die Gesamtheit des Volkes gewährleistet.

Diese mehr allgemeinen Bedenken und Überlegungen sind in jüngster Zeit, seit 1970, in direkter Auseinandersetzung als 'Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft' präzisiert worden. In dieser Arbeit ist die längst bekannte marxistisch-leninistische Religionskritik vor allem an den ZJ in Deutschland exemplifiziert und besonders im Blick auf die gesellschaftspolitischen Zielsetzungen dieser Glaubensgemeinschaft quellenmäßig belegt und geschickt begründet worden.

Die marxistische Kritik an den Soziallehren der ZJ ist an vielen Stellen mehr als berechtigt.

Das durch Tod, Leid und Krankheit, sowie andere seelische Nöte mitgenommene Menschen für trost- und endzeitverheißende Lehren ein besonderes Ohr haben - diese zweifellos richtige Feststellung will freilich nicht viel sagen, auch wenn solche Erscheinungen als 'Erbe des kapitalistischen Systems' gedeutet werden. Ein ganz anderes Gewicht haben Beobachtungen an sozialethischen Texten Russells. Russell hatte ja wegen seiner Naherwartung des Weltendes die Lösung aller sozialpolitischen Konflikte in die Zeit hinter Harmagedon abgeschoben.

Er hat genau in Band IV die Riesenschäden der am Profitdenken ausgerichteten, kapitalistischen USA-Gesellschaft beschrieben, aber er hat sie auch entschuldigt und als unvermeidbar hingenommen.

Russell: 'So steht die Menschheit hilflos jenen Riesenauswüchsen unseres ökonomischen Systems gegenüber, und die einzige Hoffnung ist - Gott.'

Russell hat in einer unvorstellbar oberflächlichen und letztlich verantwortungslosen Weise auf jeden Versuch verzichtet, der kapitalistischen Ausbeutung und Verelendung ganzer Volksschichten durch gesellschaftliche Veränderungen abzuhelfen und Reformmodelle vorzuschlagen.

Wer so sachkundig ist wie der Geschäftsmann Russell, so brillant in der Analyse des industriellen Gesellschaftssystem - den macht dies Wissen und die willentliche Verhinderung jeder Reform mitschuldig an den Mängeln seines Gesellschaftssystems. Denn gerade unter Hinweis auf das 1914 bevorstehende Gottesgericht hatte Russell seine Leser vor jeder Auflehnung gegen die sozialen Missstände und vom Kampf um bessere Arbeits- und Verdienstbedingungen abgehalten.

Wir fügen hinzu: Russells Leserschar umfasste nach den hauseigenen Mitteilungen über die Auflagenhöhe Millionen. Das ist Breitenwirkung, eine Beeinflussung der Massen nach der erwiesenermaßen falschen Seite hin.


Das ist nicht nur Kritik an Russell, es ist Gleichartiges genau so gegenüber den heutigen ZJ geltend zu machen. Denn bei allen Unterschieden in den Einzelheiten ist auch heute noch bei den ZJ eine Geringschätzung sozialethischer Fragen als Folgeerscheinung der apokalyptischen Betrachtungsweise festzustellen.

Was wäre geschehen, wenn tatsächlich alle Sozialreformer, alle Sozialrevolutionäre des 19. Jahrhunderts in dem Vertrauen auf eine himmlische Weltverbesserung es unterlassen hätten, dass gesellschaftliche und soziale Leben zu verändern -- und sich mit Russell auf eine, noch dazu falsche -- Interpretation der unsozialen Welt beschränkt hätten? Nichts, - nein, weniger als nichts, denn alles wäre auf eine Rechtfertigung der bestehenden Ungerechtigkeiten und der monopolkapitalistischen Interessen hinausgelaufen.

Für ihre Abstinenz in sozialreformerischer Hinsicht werden die ZJ durch ihre Ausblicke auf das herrliche Leben in der zukünftigen Welt des Tausendjahrreiches entschädigt und hingehalten. Dann soll es die klassen- und rassenlose Gesellschaft geben ohne Ausbeutung und Ungerechtigkeit. Die gegenwärtige Welt lebt für die ZJ unter der Drohung von Harmagedon. Sie fühlen sich nicht gerufen, etwas zu ihrer Besserung zu unternehmen. Solche Anschauungen fordern natürlich in besonderer Weise die marxistische Kritik heraus: 'Nur Narren können darauf vertrauen, dass vom Himmel her die sozialen Fragen auf Erden gelöst werden'.

Auch der Christ hat als ein der Gesellschaft verhaftetes, politisches Wesen eine Mitverantwortung am sozialen Image seiner Zeit. Die politischen Notwendigkeiten, die Produktionsverhältnisse erzwingen einfach die planende menschliche Mitarbeit. Unsere naturnotwendigen Bedürfnisse - wie Nahrung und Kleidung, Wohnung und Arbeit, Beruf und Wirtschaft, Bildung und Lehre, Wissenschaft und Forschung, Gesundheit und Umweltschutz, Recht und Ordnung - erfordern gemeinsames, verantwortliches Planen und Handeln. Man wird zugeben müssen, dass mindestens diese letzte Überlegung alles andere als 'typisch marxistisch' ist.


Sie beschreibt vielmehr Gesetzmäßigkeiten, die sich aus dem Zusammenleben der Menschen mit innerer Folgerichtigkeit ergeben. Dem wollen sich die ZJ entziehen. Es ist einfach zu wenig, wenn die ZJ ihren Beitrag zum Gemeinwohl im ehrlichen Bezahlen von Steuern erschöpft sehen. Es ist widersprüchlich, wenn sie einerseits die Dienste von Polizei und Feuerwehr in Anspruch nehmen, andererseits selber keine Polizisten werden wollen - von der Nichtbeteiligung an Wahlen und Wehrdienst ganz zu schweigen.

Zusammengefasst kann ein Marxist die Tätigkeit der WT-Gesellschaft kaum anders als so beurteilen: 'Die Politik der WTG in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war sehr nützlich gegen das Aufbegehren hungernder und durch die kapitalistische Ausbeutung ruinierter Menschen. Sie war hervorragend geeignet, revolutionäre Strömungen, besonders unter den Christen ersticken zu helfen oder in ungefährliche Bahnen abzulenken, in tatenloses Hoffen und Harren auf die WTG-Endzeitillusionen.'"


Marxistisch?

Es ist nicht beabsichtigt zu Dr. Hellmunds oberflächlicher Etikettierung des "Blaubuches" als "marxistisch" lang und breit Stellung zu nehmen. Nur soviel sei festgestellt: Ein Marxist würde es sicherlich zu recht vermissen, dass in dieser Publikation keiner der einschlägigen Klassiker zitiert worden ist, die ja ohne Zweifel zu diesem Themenkomplex gewichtige Aussagen gemacht haben.

Man könnte in diesem Zusammenhang - wenn man so will - auch die Bonhoeffer-Dissertation von Hanfried Müller zitieren (die in der BRD in einem Hamburger Verlag erschien). Die These Bonhoeffers: "Die Kirche muss aus ihrer Stagnation heraus. Wir müssen wieder in die freie Luft der geistigen Auseinandersetzung mit der Welt. Wir müssen es auch riskieren anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch lebenswichtige Fragen aufgerührt werden." Diese These ist sicherlich auch für das Zeugen Jehovas-Problem mit von Bedeutung.

Hanfried Müllers Feststellung als Abschluss seiner Arbeit ("Von der Kirche zur Welt" S. 429, Berlin 1966) ist sicherlich auch in unserem Zusammenhang übertragbar.

"
Das man - um mit dem Unwesentlichen zu beginnen - mein Buch mit dem Geigerzähler des Antikommunismus prüfend als eine 'marxistische Bonhoefferinterpretation' durchschaut hat, hat mich wenig beeindruckt. Es ist bedauerlich, dass die Kenntnis des Marxismus mancherorts heute noch so wenig zur Allgemeinbildung gehört, dass die Benutzung von ihm entwickelter Methoden zur Klärung historischer Sachverhalte und Zusammenhänge viel interessanter zu sein scheint als die Prüfung, ob die so erhobenen Sachverhalte und Zusammenhänge stimmen.

Mir jedenfalls scheint die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, immerhin wesentlicher zu sein als die Frage, ob etwas marxistisch oder nicht marxistisch sei; und jedenfalls weigere ich mich anzuerkennen, dass etwas darum falsch wäre, weil es marxistisch ist - wie auch umgekehrt. Wenn man aber mein eindeutiges Urteil in dieser Sache hören möchte. Ich bin mit den Marxisten darin einig, dass meine Arbeit nicht 'marxistisch' ist, und teile damit also -horrible dictu - schon wieder eine 'marxistische' Meinung".


Wertungen

Soweit es die Darstellung der WTG-Geschichte betrifft, so ist die Hellmund-Dissertation - im wesentlichen gesehen - für den Sachkenner guter Durchschnitt. (Obwohl man sich eine gründlichere Auswertung der von Hellmund verwendeten Primär- und Sekundärliteratur hätte vorstellen können).

Völlig neue Quellen, wie es beispielsweise für den deutschsprachigen Bereich der Sekundärliteratur in Rogersons Buch die Rezeption von Veröffentlichungen des A. H. Macmillan und P. S. L. Johnson darstellt, sind in dieser Arbeit nicht enthalten. Was den Bereich der Wertungen betrifft, so sei unter anderem zitiert was Dr. Hellmund zum Aspekt der Naziära bemerkt:

"In den ausgesprochenen Vernichtungslagern wie Auschwitz und Treblinka sind ZJ selten. Das ist kein Zufall. Denn in diese außerhalb der alten Reichsgrenzen liegenden KZ kamen vor allem solche Personen und Gruppen, die man vernichten, ausrotten und vergasen wollte. Für die ZJ hat es aber unseres Wissens nie einen grundsätzlichen Vernichtungsbefehl gegeben, wie er für die Juden vorlag …

So kann die Statistik trotzt der hohen Sterbequote im KZ 'nur' höchstens 2000 tote ZJ verzeichnen. Und das bei einer seit 1934 eingekerkerten Gruppe! Die Überlebensquote der Juden ist wesentlich kleiner. Und dabei wurde deren Verfolgung erst mit der 'Kristallnacht' akut. Die unendlichen Leiden der ZJ im KZ sollen durch diese Feststellung nicht bestritten werden".


Über die Strategie von Rutherford & Co bemerkt der Verfasser:

"Fast immer waren es innere Schwierigkeiten, die in Rutherfords Augen eine gesteigerte Polemik erforderlich machten. Demnach ist die literarische Aggression ein bewusst eingesetztes Kampfmittel Rutherfords gewesen. Seine Anwendung bzw. Nichtanwendung war erkennbar abhängig von sekteninternen Voraussetzungen.

Wenn die Leitung der ZJ eine Vertrauenskrise ihrer Mitglieder befürchten musste, hat sie die aufgestauten Aggressionen auf andere, außerhalb der Sekte liegende Ziele abgelenkt. Der Krieg mit dem Feind von draußen bewirkte zwangsläufig den Burgfrieden im Inneren und vermied einen Vertrauensschwund der Leitung. So haben Rutherford & Co immer wieder mit bestem Erfolg das Innenleben ihrer Mitarbeiter manipuliert. Der ZJ ist seitdem der Prototyp des manipulierten und stimulierten Frommen".


Eine Feststellung, die sicherlich noch nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Man vergegenwärtige sich nur, mit welcher allegorischen Willkür, die WTG z. B. Ihre Nord- und Südkönig Auslegung betreibt. Sie scheut sich dabei nicht, religiös verbrämt, handfeste, gezielte politische Aussagen und Orientierung für ihre Anhängerschaft zu verbreiten, wie z. B. Ihre provokatorische These: "Wenn der Teufel in seiner Rolle als Gog von Magog vom äußersten Norden her zu seinem letzten Angriff übergeht, wobei er alle seine Kräfte aufbietet, wird bestimmt der kommunistische König des Nordens zu seinen Angriffsstreitkräften gehören" (Vgl. die "Dokumentation über die WTG", Urania-Verlag 1970, S. 26).

Hier wird also den Zeugen Jehovas eingeredet, dass der Kommunismus eine "teuflische Macht" sei, der zu "seinem letzten Angriff übergeht" und was dergleichen Behauptungen mehr sind. Kein Wort wird jemals seitens der WTG über das soziale Anliegen des Kommunismus verloren, kein Wort darüber, dass die Alternative dazu heißt kapitalistisches Wolfsgesetz.

Zu sehr ist die WTG sich der Tatsache bewusst, dass ihre Religion des Schwarzmalens der menschlichen Zukunft, nur auf dem Morast möglichst gravierender Ungerechtigkeit am besten gedeiht. Das gegen ein so verstandenes "Christentum" eine deutliche Sprache gesprochen werden muss, dass dabei die Frage ob der einzelne Gläubige dabei seinen bisherigen kritiklosen Glauben "unbeschadet" weiter behalten kann oder nicht, ist dabei die andere Seite, die die WTG selbst zu verantworten hat,

In der vorstehend besprochenen Arbeit von Dietrich Hellmund ist diesen gesellschaftspolitischen Aspekten, die die WTG in ihre Konfliktsituation in den sozialistischen Ländern hineinmanövrieret hat, nur beiläufig "Beachtung" geschenkt. Statt dessen werden "Empfehlungen" gegeben, die zweitrangige Fragen in den Vordergrund stellen.

Eine solche Betrachtungsweise ist für die Situation in der DDR unrealistisch und daher nicht übertragbar!

(Zeitschrift) Christliche Verantwortung
Weitere Artikel Christliche Verantwortung

Dietrich Hellmund
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 11. April 2015 15:55
Erstaunlicherweise kann man etwa bei Amazon.de jetzt lesen:
So wurden aus Bibelforschern die Zeugen Jehovas: Untersuchungen zur Geschichte der Wachtturm-, Bibel- und Traktatgesellschaft...2. April 2015
von Dr. Dietrich Hellmund
Broschiert
EUR 19,50
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Geht man der Sache vertiefend nach, offenbar (zumindest zeitlich) „brandfrisch " (auch das Datum vom 2. April spricht dafür) ein Angebot von Book on Demand für 19, 50 Euro.
Damit hat Hellmund nun dem Zustand ein Ende bereitet, dass seine Dissertation, für Normalverbraucher eher schwer erreichbar war. Die Beschaffung über Fernleihe und auch über Universitätsbibliothekn, war zwar schon vordem möglich. Aber das kann man wohl weniger als ein Angebot für Normalverbraucher bezeichnen.

Immerhin kann man sich bei Google-Buchsucher schon mal verhältnismäßig umfänglich einlesen.
Wer das tat, sollte aber auch beachten, auf Grund der von Google gesetzten Cookies, kommt alsbald der Status, wo man die Mitteilung bekommt, weiteres bekommt man nicht zu lesen, da die zulässige Seitenzahl, die man auf diesem Wege sichten kann, erreicht ist. Ich habe es eben wieder erfahren, was mich zwar keinesfalls überrascht, aber denen doch gesagt sei, die meinen so „alles" lesen zu können.

Sehe ich es richtig, ist der Text weitgehend mit seiner Diss von 1971 identisch. Geringfügige sachlich bedingte Modifizierungen aufweisend, die sich aber in engen Grenzen halten.
Hellmund selbst schreibt dazu:

„Dies ist in der Sache - mit Änderung des Titels die erweiterte und verbesserte Fassung der Dissertation des Autors."

Verbessert sicherlich. Der Aspekt „erweitert" ist dann wohl nur eine „Schmalspurerweiterung" soweit ich den Seiten der Google-Buchsuche entnehmen kann, die Google mir zu lesen zubilligte.

https://books.google.de/books?id=-8PGBwAAQBAJ&pg=PA1&dq=Dietrich+Hellmund&hl=de&sa=X&ei=2xcpVYHFCsbgaJSYgpAN&ved=0CCkQ6AEwAQ#v=onepage&q=Dietrich%20Hellmund&f=false

Re: Dietrich Hellmund
geschrieben von:  Drahbeck
Datum: 25. April 2015 15:52
Mittlerweile, gibt es mit Preisvorteil, die 2015er Ausführung, etwa bei Amazon.de, auch als elektronische Datei, auch im dortigen kindle-Programm.
Im Unterschied zu seiner vorausgegangenen Dissertation, die auch noch einen speziell Deutschland gewidmeten „Anhang" aufwies, gibt es den in der 2015er Ausarbeitung so nicht mehr. Er nennt zwar im formalen Sinne im Jahre 2015 etwa den Namen Garbe noch, ohne indes auf die von Garbe bearbeitete Thematik näher einzugehen.
Der Bereich Ostdeutschland, für den man stellvertretend den Namen Gerald Hacke nennen könnte, findet 2015 ebenfalls keine Reflektion. Unverändert existiert Gebhard, für Hellmund weiterhin nur in der Form wie er sich um 1970 darbot, und das ist (nicht unerwartet) in kritischer Akzentuierung.
Erwähnt Hellmund also 2015 auch Publikationen die nach 1970 herauskamen, im formalen Sinn (ohne vertiefende Ausführungen), scheint die Sachlage wohl weiter die zu sein. Alles was es da thematisch auch noch im Internet in der Gegenwart gibt, ist nach wie vor, nicht bis zu Hellmund vorgedrungen.
Formulierte Hellmund noch in seiner Dissertation:

„Die kritische Erforschung der ZJ-Geschichte (in Deutschland) beginnt mit Friedrich Loofs".

2015 wird man indes den Namen Loofs in seinen Ausführungen vergeblich suchen.
Weder damals noch heute gibt es bei Hellmund etwa Anmerkungen zu den kritisch zu wertenden kirchlichen Autoren aus den 1920er Jahren wie etwa in der Linksammlung "Apologeten" dort besonders im Unterabschnitt „Apologeten vor 1945" im Einzelnen aufgeführt sind.
Erneut verweist er auf seine mehrfach schon geäußerte Detailkritik an einer antisemitischen Aussage im WTG-Buch „Gott bleibt wahrhaftig" (1. Auflage). Mit dieser Kritik sagt er zwar richtiges. Indes wirklich „tiefgehend" ist diese Kritik wohl nicht. Sie ist quasi noch ein Spätausläufer, der von Rutherford in den 1930er veranlassten Umstellung von Judenbegünstigung zum religiösen Antisemitismus. Auch ist Hellmund offenbar entgangen, wie die Koryphäe Kurt Hutten der evangelischen Kirche zu werten ist. Hätte er Internetanschluss, so würde ich ihm empfehlen, sich das dort vorfindliche „Calwer Kirchenlexikon" einmal näher anzusehen. Namentlich den dort mit enthaltenen umfänglichen Beitrag des Kurt Hutten zu Nazizeiten, über die „Judenfrage".

http://archive.org/details/CalwerKirchenlexikon_AbisK

(Hinweis neuzeitlicher Browser etwa Chrome oder ähnliches ist vonnöten. Wer es mit dem alten „Explorer" versucht,  bekommt eine Fehlermeldung).
Zionismus
Wer also Hellmund's Ausführung in den Rang einer „Standarddarstellung" einsortiert, muss sich dann sagen lassen, sie weist insoweit bedenkliche Lücken aus, als das sie das Mitwirken seiner kirchlichen Amtskollegen aus der Zeit der 1920er weitgehend per „gekonntem Schweigen" ausblendet.
Als positiven Ausnahmefall aus der damaligen Publizistik würde ich lediglich nebst Loofs, den Pfarrer Rohkohl anerkennen. Und das war es dann auch schon.
Aus seiner 2015er Ausführung sei von ihm abschließend noch ein sicherlich markanter Satz zitiert:
„Die PRAWDA, auf deutsch die „Wahrheit", war für fast ein Jahrhundert die politisch wichtigste Zeitung der Welt. Sie war das Zentralorgan der KPdSU. Ihre Macht ist genauso verschwunden wie das angeblich unentbehrliche Schrifttum Russells."

(Seite 57 der Buchausgabe). Wer indes versucht diese Stelle mit Google zu „erwischen", kann lernen; Google weis zwar, die gibt es in dem Buch und bestätigt dies durch seinen gelb eingerahmten Text. Indes die Originalstelle zeigt es dennoch nicht an

https://books.google.de/books?id=-8PGBwAAQBAJ&pg=PA57&lpg=PA57&dq=Die+PRAWDA,+auf+deutsch+die+%E2%80%9EWahrheit%22,+war+f%C3%BCr+fast+ein+Jahrhundert+die+politisch+wichtigste+Zeitung+der+Welt.+Sie+war+das+Zentralorgan+der+KPdSU.+Ihre+Macht+ist+genauso+verschwunden+wie+das+angeblich+unentbehrliche+Schrifttum+Russells.&source=bl&ots=zt7vknMPp5&sig=IWDBOXc7apm2T8xs-njNgdt6alk&hl=de&sa=X&ei=9487VfyvLNLuaIvkgbAO&ved=0CCIQ6AEwAA#v=onepage&q=Die%20PRAWDA%2C%20auf%20deutsch%20die%20%E2%80%9EWahrheit%22%2C%20war%20f%C3%BCr%20fast%20ein%20Jahrhundert%20die%20politisch%20wichtigste%20Zeitung%20der%20Welt.%20Sie%20war%20das%20Zentralorgan%20der%20KPdSU.%20Ihre%20Macht%20ist%20genauso%20verschwunden%20wie%20das%20angeblich%20unentbehrliche%20Schrifttum%20Russells.&f=false


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