Annotationen zu den Zeugen Jehovas
"Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet"
Anmerkungen zu einem Buch
Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)
Nr. 5 (1971)
Eines der neueren von
der "Wachtturmgesellschaft" für die Versammlungen der Zeugen Jehovas
herausgegebenes Studienbuch trägt den Titel: "Dann ist das Geheimnis Gottes
vollendet". Es soll im besonderen als Ergänzung und Erweiterung der 1964
erschienenen Publikation "Babylon die Große ist gefallen" dienen.
Fanden sich im
"Babylon"-Buch auch solche bibelverdrehende Stellen, die keinesfalls zum Nutzen
für Jehovas Zeugen sind, wie (S. 535): "Russland und seine Satelitenländer sind
gleich jenen, die in Jesaja 57:20 und 21 beschrieben werden: 'Aber die Gesetzlosen sind
wie das aufgewühlte Meer; denn es kann nicht ruhig sein, und seine Wasser wühlen Schlamm
und Kot auf. Kein Friede den Gesetzlosen spricht mein Gott."
So ist festzustellen, dass die gleiche
verhängnisvolle Kontinuität einer aus einem kleinbürgerlich begrenztem Denkhorizont
stammende politische Verblendung, auch in dem neueren Buch anzutreffen ist. Unser
nachfolgender Kommentar, beschäftigt sich im einzelnen damit:
Ein Mottenzerfressenes
"Geheimnis"
"Das vollendete Geheimnis"
nannten die C. T. Russells Lehren zusammenfassenden Redakteure ihr Buch; bekannt auch als
der 7. Band der "Schriftstudien". 1930, also 13 Jahre danach, musste jenes schon
"vollendete" Geheimnis durch neues "Licht" ausgewechselt werden, und
in der Gegenwart findet es unter dem Titel "Dann ist das Geheimnis Gottes
vollendet", seine dritte Version dieser Offenbarungsauslegung.
Rückblickend kann man bestätigen,
dass G. H. Fisher und C. J. Woodworth in ihrem 7. Band der "Schriftstudien" -
wenn auch tendenziös gefärbt - wohl noch die geistvollste Variante der
Offenbarungsauslegung durch die WTG zusammenstellten. Wenn in der Offenbarung 2 und 3 von
sieben Sendschreiben an die einzelnen Gemeinden im Urchristentum die Rede ist, dann wurde
das im "Vollendeten Geheimnis" so ausgelegt; dass damit Paulus, Johannes, Arius,
Waldus, Wycliff, Luther und Russell als die einzelnen "Sendboten" zu verstehen
seien.
Sogar umfangreiche
kirchengeschichtliche Zitate, aus allgemein anerkannten Nachschlagewerken wurden mit als
Beweis für diese Theorie herangezogen. Andererseits blieben jedoch auch einige
bemerkenswerte Überspitzungen nicht aus wie z. B.:
"Schriftstudien" Band 7
"Der besondere Sendbote für das
letzte Zeitalter der Kirche war Charles T. Russell
Er hat in privatem Gespräch
zugegeben, er glaube, dass er vor seiner Geburt für sein großes Werk ausersehen
sei." (S. 65)
"Satan ist ein fleißiger
Durchforscher von Zeitprophezeiungen; da er aber nicht den Heiligen Geist besitzt, so ist
er nicht imstande, zu genauen Schlussfolgerungen zu kommen
Ohne Zweifel glaubte
Satan, dass das tausendjährige Königreich im Jahre 1915 aufgerichtet werden sollte.
Jedenfalls sprechen Beweise dafür, dass die Errichtung des Königreiches in
Palästina wahrscheinlich im Jahre 1925 stattfinden wird, zehn Jahre später als wir
einmal berechnet hatten." (S. 164)
"Die Wachtturm Bibel- und
Traktat-Gesellschaft ist die bedeutendste Kooperation der ganzen Welt
Nur für sie
allein steigen die Gebete der Heiligen empor." (S. 186/187)
Das zuletzt genannte Zitat fand dann
in Rutherfords "Licht" seine weitere Ausprägung. War Russell noch bereit,
Arius, Waldus, Wycliff und Luther mit in seine "Ahnenreihe"
hineinzukonstruieren. So ist bei Rutherford davon nichts mehr zu verspüren. Kommentarlos
werden jene kirchengeschichtlichen Persönlichkeiten in seinem "Licht"
überhaupt nicht mehr erwähnt; um alle dadurch freiwerdende Bibelstellen nur noch auf die
Wachtturmgesellschaft und ihre Geschichte anzuwenden, wie auch die folgenden Auszüge aus
"Licht" Band 1 es veranschaulichen:
"Licht" Band 1
"Der Zeitabschnitt, worin die
Prophezeiung der Offenbarung sich erfüllt, scheint ungefähr 1879 anzufangen und bis zur
Zeit der vollen Wirksamkeit des Königreiches zu dauern." (S. 12)
"Demnach bezieht sich die
Botschaft an die 'sieben Versammlungen' auf die Zeit von 1879 an." (S. 16)
"Manche von ihnen hatten ihr Herz
darauf gesetzt, 1914 in den Himmel zu gehen, und als ihre Erwartung nicht eintraf, waren
sie enttäuscht." (S. 18)
"Als 1914 und 1918 die Prüfung
über die Versammlung Gottes kam, da fielen viele von denen ab, die bis dahin Führer in
der Versammlung gewesen waren." (S. 20)
"Die Erfahrung, welche die
Gesellschaft im Jahre 1918 durchmachte, glich der Enthauptung Johannes der Täufers."
(S. 25)
Kirchengeschichtliches Vakuum
Ein Blick in das Sachverzeichnis des
neueren WTG-Buches "Dann ist das Geheimnis vollendet" bestätigt diese Tendenz.
Wollte man es ernst nehmen, so wäre zwischen dem Tod des Apostel Johannes und dem Beginn
der WTG-Tätigkeit nichts wesentliches, durch die Bibel zu belegendes geschehen, während
die nachfolgenden Jahre nur so von "bedeutenden" Geschehnissen strotzten.
Papsttum oder Christus?
Auch hierbei ist ein Vergleich mit dem
7. Band der "Schriftstudien" interessant. Während gemäß neuerer Auslegung der
in Offb. 6:2 erwähnte "Reiter" Christus darstellen soll, so war dies zu
Russells Zeiten noch das Papsttum! (S. 134) Als Erklärung dazu heißt es jetzt gemäß
offiziöser WTG-Interpretation: "Die 'Schriftstudien' Band 7 versuchten 'zu früh'
Offenbarung 6 zu erklären." ("Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet" S.
52).
Doch ernsthaft bedenklich werden
solche Lehrumfrisierungen wenn sie gleichzeitig dazu missbraucht werden, Gläubige
Menschen zum Hass und politischer Verhetzung zu erziehen. Ein besonders markantes Beispiel
dazu bildet jene Bibelstelle aus Offenbarung 8: 8,9 wo von einem zweiten posaunenden Engel
die Rede ist. Ein Vergleich der dazu gehörigen Auslegungen mag einiges verdeutlichen.
Gemäß "Schriftstudien"
Band 7 (S. 192-194) bezöge sich jene Bibelstelle auf König Heinrich VIII., dem Gründer
der anglikanischen Kirche und seinen Selbständigkeitsbestrebungen gegenüber dem Papst.
Hasstiraden
In Rutherfords "Licht" Band
1 (S. 114-121) bekam sie schon wieder einen völlig anderen Sinn. Nach seiner Auslegung
wäre damit die "Resolution" gemeint, die auf dem am 25. 8. 1923 tagenden
Kongress in Los Angeles (USA), unter dem Titel "Eine Warnung" veröffentlicht
wurde. Ein Auszug aus seiner entsprechenden Kommentierung dazu zur Verdeutlichung:
"Die Resolution ist nicht die
Posaune, aber sie bedeutet die greifbare Kundgebung des Vorgehens Gottes durch die Glieder
seiner Organisation. Die Wirkung wird sodann in Sinnbildern im neunten Vers angedeutet
Das 'Meer' bedeutet im Sinnbild die Völker der sogenannten Christenheit
Zu
jener Zeit war der 'Berg' Satans oder seine Organisation, Christentum genannt
In
Brand geraten. Die Christenheit stand besonders unter dem 'Feuer' des Zornes Gottes."
(S. 115)
Die Tendenz dieser
"Resolution" mag als Beispiel der Punkt 4 veranschaulichen:
"Mit ihren gotteslästerlichen
Lehren der höheren Textkritik und der Evolution sind sie in selbstsüchtiger Absicht in
die Volksschulen und höheren Schulen, Seminaren und Universitäten gedrungen und haben
dadurch das Volk in grobe Irrtümer hineingeführt und den Glauben an Gottes inspiriertes
Wort bei vielen Millionen zerstört." (S. 118)
Massive politische Stellungnahme
Ganz anders die Tendenz im neueren
Buch "Dann ist das Geheimnis Gottes vollendet" wo die gleiche Bibelstelle (!)
zur massiven politischen Verhetzung missbraucht wird. Unter Verleugnung ihrer bisherigen
Auslegungen behauptet jetzt die WTG:
"Ein Drittel der Geschöpfe im
Meer, welche Seelen haben, starb (Offenbarung 8: 8,9). Auf diese Weise zeigte Gott, dass
durch keine dieser radikalen, revolutionären politischen Bewegungen Leben in einem
materialistischen Paradies auf Erden möglich war
Wie ist jetzt, nach all diesen
Jahren der kommunistischen Herrschaft, die Lage, wie sind die Zukunftsaussichten für
dieses 'Drittel des Meeres' der Menschheit?
Wie das Blut von Toten!" (S.
259,260)
"Das Gleichnis zeigt, dass die
sinnbildlichen 'Böcke'
verflucht werden. In Übereinstimmung mit diesem
göttlichen Fluch führt die radikale, revolutionäre, sozialistische, kommunistische
Bewegung zum Tode." (S. 262)
"Die radikalen, revolutionären,
sozialistischen, kommunistischen Regierungen werden keinen Erfolg haben.
Heute gibt
es keinen Grund, anders als so zu denken, wie es in dem 1928 veröffentlichten Buch der
Watch Tower Society, betitelt 'Regierung' hieß: Die Sowjetregierung ist kein Erfolg
gewesen und wird es nie sein." (S. 263)
Sie richten sich selbst
Da die WTG sich so ausdrücklich auch
für die Gegenwart noch auf ihr Buch "Regierung" beruft, ist es angebracht, auch
einmal einige andere Aussagen dieser Veröffentlichung zurück ins Gedächtnis zu rufen:
"Man sagt, dass von allen
Regierungen auf der Erde die der Vereinigten Staaten von Amerika einer idealen Regierung
am nächsten käme. Kein ehrlicher Mensch, der die Verhältnisse in den Vereinigten
Staaten kennt, kann aber behaupten, dass ihre Regierung eine zufriedenstellende
wäre." (S. 14)
"Ein Mitglied des Senats der
Vereinigten Staaten rief öffentlich aus: 'Die wichtigste Frage, die an das amerikanische
Volk herantritt, besteht darin, die Regierung den Händen des Packes von Schwindlern,
käuflichen Beamten und gewerbsmäßigen Bestechern der Volksvertretung zu entreißen und
in die Hände des Volkes zu legen." (S. 15)
Wir meinen, dass die in den USA
ansässige "Wachtturmgesellschaft" sich mit dem zuletzt genannten Zitat, schon
selbst ihr eigenes Urteil ausgesprochen hat.
Abschließend noch eine uns
bemerkenswert erscheinende Notiz in unserem Beitrag
Industriellenlob für die WTG
In ihrem Kommentar zu dem 1969 im
Verlag für politische Literatur in Moskau, UdSSR, herausgegebenen Buch über
"Jehovas Zeugen", von E. M. Bartoschewitsch und J. D. Borrissoglebski, bemerkt
die WTG:
"Unser Werk wird darin so
dargestellt, als befreunde es sich mit der kapitalistischen westlichen Welt und helfe ihr
durch unsere Lehren, die Massen in ihrem Griff der Ausbeutung zu halten." (Jahrbuch
1971, S. 313)
Ein Beispiel praktischer
Interpretation dessen lieferte auch das lobende Zitat einer amerikanischen
Industriellen-Zeitschrift, veröffentlicht im "Erwachet!" (8/71, S. 24)
Unter der Überschrift
"'Wachtturm' und 'Erwachet!' - steigende Tendenz" rezitiert die WTG:
"Obige Worte erschienen in einem
Feature-Artikel (Hauptartikel) der Zeitschrift 'Magazine Indusrty Newsletter". Darin
wurde der rückläufige Trend in der Verbreitung anderer religiöser Zeitschriften dem
Trend der Zeitschriften 'Der Wachtturm' und 'Erwachet!' gegenübergestellt.
In dem Artikel wurde auch auf die
Tatsache hingewiesen, dass die beiden Zeitschriften nur für 5 Cent das Exemplar abgegeben
werden, während andere viel teurer sind.
Es hieß darin: 'Und nun einiges über
die erstaunlich niedrigen Preise der Wachtturm-Schriften. Es ist der Gesellschaft
möglich, die Zeitschriften zu redigieren, übersetzen, drucken und in der ganzen Welt
für einen Betrag, der 5 Cent entspricht, zu verbreiten, weil sie mit ihren Mitarbeitern
eine Abmachung hat, die von Herausgebern, die angesichts steigender Kosten Angestellte
entlassen, nachgeahmt werden sollte.
Das Rezept dafür lautet: Man flöße
dem Angestellten - Drucker oder Redakteur - eine solche Hingabe ein, dass er zufrieden ist
mit einem Schlafraum, drei
Mahlzeiten täglich und monatlich 14 Dollar
Taschengeld
Versuchen Sie, mit Ihren
Gewerkschaften solche Vereinbarungen zu treffen!"
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