Annotationen zu den Zeugen Jehovas

An ihren Früchten erkennet sie
Gespräche und Kommentare der Studiengruppe Christliche Verantwortung (Berlin)
Nr. 4 (1970)

Ganz bestimmt hat die Feststellung, dass man die Menschen und Organisationen an ihren Früchten oder Werken erkennen wird, eine große Bedeutung. Das gilt auch für die von der WTG aufgeworfene Frage, was die Religion der Menschheit gebracht hat. Indes, man kann bei dem Bemühen, eine befriedigende Antwort zu finden, durchaus zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, je nachdem, von welcher Grundposition aus an die Beantwortung herangegangen wird.

Eines ist jedoch sicher, ein Pauschalurteil nach dem Motto: hier strahlendes Licht, dort tiefste Finsternis, wird wohl in jedem Fall unangebracht sein. Nicht Streitereien über die unterschiedliche Auslegung und Bewertung von Dogmen, sondern die schlichte und einfache Frage: was hat deine Religion für dein persönliches Leben bewirkt, soll einmal zur Sprache gelangen.

Berufliche Auswirkungen

Eines der Hauptfundamente deines Lebens, neben den familiären Bindungen, stellt die berufliche Tätigkeit dar. Sie ist von entscheidender Bedeutung, denn durch sie wirst du normalerweise deinen Lebensunterhalt mit allem, was dazu gehört, bestreiten. Für junge Menschen, die vor der Entscheidung über ihren weiteren Entwicklungsweg stehen, kann eine diesbezügliche Fehlentscheidung mitunter sehr unangenehme Konsequenzen zeitigen. Wie bereiten nun Jehovas Zeugen ihre Jugend darauf vor? Sind sie sich des vollen Ernstes der damit verbundenen Verpflichtung, für das Wohl ihrer Kinder Vorsorge zu treffen, bewusst?

Bedenke, dass die Wachtturmgesellschaft schon mehrere Male im Hinblick auf 1914, 1925, 1945 usw. sagte: "Als junger Mensch wirst du nie das Ende einer Laufbahn erreichen, die dir dieses System bietet." - "Erwachet!" 16/69.

Bedenke, dass die Wachtturmgesellschaft es peinlichst vermeidet, sich konkret zu ihrem Datum 1975 zu bekennen, dass dieses wiederum eine Verschiebung ihres vorherigen Datums 1972 ist! ("Die Wahrheit wird euch frei machen" S. 152).

Wenn du das auf die leichte Schulter nimmst, dann mag möglicherweise auch für dich zutreffen, was "Der Wachtturm" in unverbindlichem Beiwerk eingerahmt deutlich zu verstehen gab, dass du dann etwas zu bedauern hast!

Rückblick mit Bedauern

"Du weißt, was Bedauern ist. Es ist der Wunsch, etwas von neuem tun zu können, und zwar anders, als man es getan hat. Es ist die Reue über ein Verhalten oder Versäumnis der Vergangenheit. Hast du irgend etwas zu bedauern? Wir alle haben schon etwas getan, was wir gern von neuem, aber anders tun würden.

So wie wir auf die vergangenen Jahre zurückgeblickt haben, wollen wir fünf Jahre in die Zukunft schauen. Das wäre das Jahr 1975. Was werden wir dann bedauern? … Wenn in deinem Sinn irgendwelche Zweifel bestehen, irgendwelche Schwächen in deinem Glauben, wenn du nicht völlig überzeugt bist, dass das, was du glaubst, wahr ist, wirst du zu jener Zeit etwas zu bedauern haben." WT 3/70 S. 91-93.

Beispiele aus der Vergangenheit

Es ist nicht so, dass nur der gegenwärtigen jungen Generation von der WTG nahe gelegt wird, ihre berufliche Entwicklung zu Gunsten des Predigtwerkes zu vernachlässigen. Mitnichten! Für viele Beispiele mag eines stellvertretend zitiert werden, dass der "Wachtturm" selbst veröffentlicht, und dessen Verfasser sich durch die in den 1940-er Jahren geschürte Verkündigung, der Zweite Weltkrieg ende in einem göttlichen Harmagedon, beeinflussen ließ:

"Ich nahm mir vor, bis zum Kongress von St. Louis zu kündigen. Als die Zeit kam, ging ich zum Oberingenieur aufs Büro und sagte ihm: Ich möchte kündigen. Er konnte nicht verstehen, wie jemand einen solch guten Posten aufgeben konnte.

Der Pionierdienst war für mich etwas Neues. Am Ende des zweiten Monats erhielt ich von der Gesellschaft einen Brief, in dem es hieß, sie könnten jemanden nur dann als Pionier anerkennen, wenn er seine Stundenquote erreiche. Dann ging mir das Geld aus, und ich lernte erkennen, was es bedeutet, aus Glauben zu leben.

Ich hatte keine Unterkunft und wenig Geld um ein Zimmer zu mieten, aber ein Bruder, der bei einem Pöbelangriff derart verprügelt war, dass er vollständig arbeitsunfähig im Krankenhaus lag, lieh mir seinen Wohnwagen.

Das schlimmste erlebte ich an einem bitterkalten Abend im Zentrum von Reno. Zwei Zeitungsverkäufer stürzten sich auf mich um mich zu verprügeln, und ihr Hund biss mich ins Bein. … Als ich so schwach geworden war, dass ich dachte, ich müsste den Dienst aufgeben, wurde ich zur Mitarbeit ins Zweigbüro gerufen. Obwohl ich mich nie ganz erholt habe." - WT 17/60 S. 537-41.

Dieser Bruder musste also, nebst vielem anderen, erfahren, dass er sein Leben einer Sache gewidmet hatte, die viele, oftmals sehr harte Opfer von ihm verlangte, deren eigentlicher Anreiz sich letztendlich als Illusion erwies!

Beispiel aus der Gegenwart

Nicht nur das, auch in der Gegenwart sieht es nicht viel anders aus. Der gleiche Geist, eine vermeintlich "unmittelbar" bevorstehenden sichtbaren Tausendjahrreiches Christi wird von der WTG bei jeder sich nur bietenden Gelegenheit geschürt, während sie es andererseits bewusst vermeidet, dazu klar Farbe zu bekennen. Nachdem durch die 1975-Spekulation entstandenen Konjunkturanstieg beim Verkauf ihrer Literatur wähnt man sich wieder einmal wie so oft in einem neuen endzeitlichen Siegestaumel:

"'Begeisternd, einfach begeisternd!' 'Jetzt kann ich mir vorstellen, wie es zu Pfingsten 33 u. Z. gewesen sein muss!' 'Darauf haben wir schon seit Jahren gewartet!' 'Das Ende des gegenwärtigen Systems der Dinge ist sehr, sehr nahe, dass wissen wir alle!' so äußersten sich einige Beobachter in der Brooklyner Zentrale der Zeugen Jehovas. Worüber? Über die vermehrte Tätigkeit ihrer Mitzeugen in der ganzen Welt. Gottes Diener spüren den Geist der Dringlichkeit, der heute, in der denkwürdigsten Zeit der Geschichte, durch ihre Reihen weht."- WT 9/69 S. 284.

Das ist die eine Seite der "Medaille". Die andere Seite sieht so aus:

"Sie (Jehovas Zeugen) werden nicht nur bis zum Jahre 1975 laufen." - WT 23/68 S. 693.

"Was nützen uns aber diese Berechnungen und der Aufschluss über diese Geschlechtsregister heute? Ist es für uns nicht ebenso uninteressant und nutzlos, uns damit zu befassen, wie wenn wir durch einen Friedhof gingen und uns die Daten auf den alten Grabsteinen abschrieben?" - WT 22/68 S. 691.

"Wir erwarteten bisweilen von einem bestimmten Datum mehr, als uns die Bibel zu erwarten berechtigte. Diese Erwartungen erfüllten sich nicht."- WT 21/66 S. 664-70.

Was hat diese Religion den Zeugen gebracht?

Wie gesagt, deine Religion übt einen bedeutenden Einfluss auf dein Leben aus, der selbst solch wichtige Gebiete wie deine berufliche Entwicklung mit beeinflusst. Es ist natürlich so, dass die edlen Grundgedanken des Christentums mitunter zu einer positiven Arbeitseinstellung führen können, aber nicht müssen. Hierbei Verallgemeinerungen vornehmen zu wollen, wäre bestimmt nicht angebracht. Welche praktischen Ergebnisse wurden und werden nun durch deine Religion hervorgerufen? Einige Beispiele, sämtlich der "Wachtturm"-Literatur entnommen, mögen dies veranschaulichen.

Beispiele

"Vor kurzem wurden einem jungen Bruder, der das letzte Jahr die Mittelschule besuchte, so viele Stipendien angeboten, dass sein ganzes Hochschulstudium bezahlt gewesen wäre. (Er lehnte aber ab)" - WT 9/67 S. 273.

"Einem jungen Mann aus Mittelamerika wurde zum Beispiel ein Stipendium für ein Musikstudium in Österreich angeboten. Er hätte dadurch eine aussichtsreiche Musikerlaufbahn einschlagen können. Er hätte auch eine Optikerschule in Deutschland besuchen und danach eine gute bezahlte Stellung erhalten können. Er lehnte jedoch beide Angebote ab." - WT 10/69 S. 291.

Auch die "Wachtturm"-Ausgabe 4/70 S. 16-19 berichtete weitere solcher Fälle. Da wird von einem jungen Zeugen berichtet, der das Abitur gemacht hatte, und ein Stipendium für ein Universitätsstudium ablehnte. Ein anderer, dem nach Absolvierung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Oberschule ein Stipendium von 10 000 Dollar angeboten wurde um Biochemie zu studieren. Eine Schwester, deren Vater ihr die Ausbildung als Sängerin bezahlen wollte. Einem Bruder, dessen Vater ihm ebenfalls ein sechsjähriges Studium mit allem Zubehör bezahlen wollte. Einem jungen chinesischen Zeugen in den USA, der nach zwei Jahren Medizinstudium es durch den WTG-Einfluss abbrach usw. Sie alle taten es in dem Glauben: 1975 spätestens! beginnt das sichtbare Tausendjahrreich Christi.

Wie wird wohl ihr weiterer Lebensweg verlaufen? Wenn sie treue Nachfolger der WTG sind, werden sie auch diesen Zeitpunkt in ihrem Dienst überstehen und sich allmählich eine spezifische Eigenschaft anerzogen haben, und die heißt Heuchelei!

Sie werden, statt 1975 eben 1997, vielleicht nicht so direkt, mehr "indirekt" den Leuten als neuen Termin verkündigen. Vergessen werden die Erfahrungen früherer Generationen sein, denen für 1914, 1925, 1945 usw. dem Sinne nach das gleiche erzählt wurde.

Wie soll es weitergehen?

Sicher muss das nicht so sein. Vieles hängt auch vom Einzelnen ab. Von seinem charakterlichen Willen. Von seiner Einsicht: Bis hier und nicht weiter! Indes verdeutlichen diese Beispiele, dass der WTG-Einfluss nicht der beste ist. Wann wird sie wohl ihre diesbezügliche Verantwortungslosigkeit aufgeben? Wann wird sie begreifen, dass der Mensch keine manipulierbare Masse ist? Wann wird sie begreifen, dass ihr eigenes Heil nur im Dienst für Fortschritt und Gerechtigkeit zu finden ist?

In diesem Zusammenhang stellt das Beispiel der "Kirche Jesu Christi - Heiligen der letzten Tage" (Mormonen) einen interessanten Vergleich dar. Diese Gemeinschaft, die ihren Ursprung ebenfalls in den USA hat, die ebenfalls auf eine von Extremen gezeichnete Geschichte zurückblicken kann, hat sich nun mittlerweile in den bald 150 Jahren ihres Bestehens zu einer Gemeinschaft entwickelt, die auf einigen Gebieten durchaus vorbildliches aufzuweisen hat.

Ihre vorbildlichen Eigenschaften kann man am besten mit den Worten charakterisieren, die der konfessionskundliche Forscher Dr. Hutten dahingehend zusammenfasste:

"Es muss aber anerkannt werden, dass dieser Glaube mit seiner starken Hervorhebung des optimistischen Elementes gute und wertvolle Antriebe geben kann. … Die Zahl ihrer Universitätsstudenten ist doppelt so groß wie der Durchschnitt."

Und dies alles wird von einer Glaubensgemeinschaft berichtet, die, wie ihr Name schon veranschaulicht, starke endzeitliche Impulse besitzt, die in ihren Gründerjahren in einem legendären, opferreichen Auszug nach dem menschenleeren Westen der USA ihren Angehörigen große Opfer auferlegte, deren "heilige Schriften" und führenden Personen teilweise heftig umstritten waren.

Die Mormonen haben, wenn man von ihrem ungeklärten Verhältnis zur Rassenfrage in den USA absieht, auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen, durch ihr Bildungsniveau und echter, von Herzen kommender Freundlichkeit vorbildliches geschaffen, dass nicht so ohne weiteres seinesgleichen findet.

Ihre Geschichte verdeutlicht in sehr drastischer Weise, dass eine endzeitliche Religionsgemeinschaft, sofern sie sich nicht völlig unberechtigt anmaßt, allein den "Schlüssel zur Lösung aller Probleme" zu haben, als eines von vielen Gliedern wertvolle, anerkannt wertvolle Impulse zum Nutzen aller liefern kann!

Anderes Beispiel

Sicherlich ließen sich noch andere Beispiele anführen, unter anderem auch die als traditionelle Friedenskirche bekannte Evangelisch-methodistische Kirche. So ging sie z. B. auf ihrer regelmäßigen Jahreskonferenz im Jahre 1969 besonders auf die Notwendigkeit eines echten Friedensdienstes ein. In einem einmütig abgefassten Friedenswort wurde unter anderem angeführt:

"Der Friede ist im Atomzeitalter die Voraussetzung für die Existenz der Menschheit. Echter Friedensdienst schließe intensive Beschäftigung mit wirtschaftlichen und politischen Sachfragen ein. Zum Frieden gehöre auch die Bereitschaft zu stetem Gespräch, sowie die Veränderung unsozialer und ungerechter Gesellschaftsstrukturen." - "Neue Zeit", 5. 7. 69.

Mit anderen Worten: Nicht Verneinung, sondern positive, konstruktive Mitarbeit wird zu guten Früchten führen. Darin dürfte nicht zuletzt der Schlüssel zu suchen sein, wie Jehovas Zeugen aus ihren nicht endenden Schwierigkeiten herauskommen können!

(Zeitschrift) Christliche Verantwortung
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