Kommentar zu den eingescannten CV-Ausgaben

CV 19

"Bietet die neue Verfassung der DDR eine Chance für Jehovas Zeugen?" fragt diese CV-Ausgabe unter anderem. Im Gegensatz zu dieser Fragestellung ist Schlichtweg zu antworten: Nein!

Warum?: Vergleicht man die 49-er DDR-Verfassung mit jener von 1968 gilt es zu registrieren, das de facto die kirchlichen Rechte eingeschränkt wurden. Im übrigen. unausgesprochen, aber in jeder zweiten Zeile enthalten ist die Forderung nach "Wohlverhalten". Wie man weiß, entsprachen gerade Jehovas Zeugen diesem Kriterium nicht. Damit erweist sich diese CV-Fragestellung als Farce.

Aus der Nazizeit, dem KZ Buchenwald, ist der Bericht über den ZJ Willi Töllner überliefert:

"Er vertrat offenbar rigoristische Positionen und nutzte seine Begabungen um sich in den Mittelpunkt zu stellen. Wer ihm diesbezüglich nicht in allem zu folgen vermochte, der sah sich der Verfemung ausgesetzt. Immerhin hat er durch sein charismatisches Auftreten auch Außenstehende beeindruckt. [55] Über ihn schrieb die Zeugen-Leitung: ..." (Geschichte der ZJ S. 385). Analog ist aus dem Konzentrationslager Wewelsburg der Fall des dortigen Lagerältesten überliefert, der bedingt durch die Umstände (überwältigende ZJ-Repräsentanz in jenem Lager) ein Zeuge Jehovas war. Über ihn wurden gleichfalls massive Vorwürfe laut (im Nachhinein von den "Neunmalklugen") was er in seiner Position doch alles anders hätte machen sollen.

Horst Kühn, musste 9 lange Jahre in den DDR-Gefängnissen für die Machenschaften der WTG einsitzen. Dort lernte er die übrige verhaftete WTG-DDR-Elite kennen. Seine diesbezüglichen Erfahrungen hat er später dann mal zu Papier gebracht. Sicher ist Kühn auch als problematisch einzuschätzen. Was man immer auch als Vorbehalt gegen ihn vorbringen mag, ändert jedoch nichts daran, dass er als Zeitzeuge es verdient beachtet zu werden. Seine Erfahrungen haben eine frappierende Ähnlichkeit mit jenen, über die Eingangs im Falle von Buchenwald und der Wewelsburg gesprochen wurde.

"Meine Herren, Sie meinen wohl ein Jahr". Mit diesem lapidaren Satz kommentierte Friedrich Adler, anlässlich der Urteilsverkündigung im 1950-er DDR-Zeugen Jehovas Prozess, sein persönliches Strafurteil, dass für ihn auf lebenslänglich lautete. Adler brachte damit zum Ausdruck, dass in einem Jahr "vielleicht" schon das göttliche "Harmagedon" sein könnte.

Horst Kühn lernte jene Wachtower-Koryphäen dann noch persönlich in den DDR-Gefängnissen kennen. In der dritten Folge seiner Fortsetzungsreihe: "Wie mich die Wachtturmgesellschaft zugrunde richtete" berichtet er darüber:

Er erwies sich auch als kritischer Beobachter der WTG-Politik, die Jehovas Zeugen in der Ostzone/DDR bekanntlich "gegen die Wand gefahren hatte". Seinen diesbezüglichen Eindruck kleidete Kühn in die Worte;

"Wir wurden 1950 verboten auf Grund der Machenschaften von der Leitung. Was tat aber Erich Frost nach dem Verbot in der Waldbühne? Mit lauter Stimme rief er in die Versammlung: 'Brüder, geht es nicht überirdisch, so geht es eben unterirdisch!' 'Versammlungsdiener nach vorn!' Ebenso Ernst Wauer, er forderte uns immer auf, in den Haus-zu-Haus-Dienst zu gehen. Die meisten weigerten sich, dies zu tun, denn sie erkannten die Gefahren. Sie selbst gingen ja auch nicht bei uns, sie blieben schön im Westen. Wauer sagte: 'Wir sind doch immer noch eine Theokratie und keine Demokratie, bei uns wird von oben nach unten befohlen.'

Einige Brüder sagten, kommt doch bitte mit uns und geht mit gutem Beispiel voran. Wauer lehnte das ab mit der Begründung: Wir würden doch sofort verhaftet werden. Sieh an, wir wohl nicht?"

Nur wenige aus der heutigen Bundesrepublik Deutschland, namentlich solche aus der alten Bundesrepublik, können sich im Detail in die Verhältnisse in der DDR der 50-er und 60-er Jahre hineinversetzen. Es war doch so, dass beide deutsche Teilstaaten nach 1945 auf einem vergleichbar niedrigen Niveau anfangen mussten. Die Schere der wirtschaftlichen Diskrepanz öffnete sich mit den Jahren zusehends. Anfangs noch glaubten die Kommunisten das "bessere" Wirtschaftssystem zu haben. Das Ulbricht-Wort von dem "Überholen ohne Einholen" war ein Symptom dafür (Es wurde alsbald auch dem Vergessen überantwortet). Krampfhaft betonte man jene (wenigen) Wirtschaftszweige, wo man glaubte mit dem Westen noch ebenbürtig zu sein. Einer jener war die optische Industrie in und um Jena. Sie wurde zum Politikum hochstilisiert. So mussten beispielsweise bei Käufen von Waren aus diesem Bereich, auch DDR-Bürger ihren Personalausweis vorlegen, dessen Daten im Zusammenhang mit dem Kauf akribisch festgehalten wurden. Sie mussten zugleich einen Revers unterschreiben, diese Gegenstände nicht ins "kapitalistische Ausland" auszuführen. Muten einem heute solche Bedingungen makaber an - es war die Wirklichkeit. Diese Details sollte man vielleicht mit berücksichtigen, wenn man in dem Kühn-Bericht auch den Satz vernimmt:

"Wer gab zum Beispiel dem Bruder aus Weißenberg, den Auftrag, eine teure Kamera für den Kongreß 1954 zu kaufen? Der Bruder kam nicht zurück, er ging in Haft. Das Ausbleiben des Bruders löste unter der Dienerschaft eine Panik aus. Nur wenige wußten den Grund des Ausbleibens. Sind diese Brüder auch wegen ihres Glaubens inhaftiert Herr Knorr?"

Über den eingangs genannten Friedrich Adler berichtet Kühn dann noch:

"Im Herbst 1955 ging ich 9 Jahre in die Haftanstalt.

Hier fand ich Gelegenheit, die Elite der Wachtturm-Dienerschaft besonders gut kennenzulernen. Im besonderen die Diener Friedrich Adler, Willi Heinicke, Hoffmann, Quandt usw. Es waren die Auserlesenen der WTG-Dienerschaft. Man lernte hier im Umgang mit diesen Brüdern in der Haft das wahre Wesen und den wahren Charakter dieser Brüder kennen. ...

Adler war stets bemüht, den 'Boß' zu spielen. Nicht etwa, um etwas Erleichterung für die Brüder zu organisieren, nein, um auf dumme Art seine Herrschsucht zu befriedigen, und dadurch ständige Unruhe und Unordnung unter die Brüder zu bringen. Oft hatte ich deshalb mit Adler kameradschaftliche Aussprachen. Aber wie die Katze das Mausen nicht lassen kann, so konnte Adler vom Thron, den er glaubte, noch immer inne zu heben, nicht herabsteigen. Trotzdem er sich selbst nicht dazu ernennen konnte, maßte er sich das an. Er fand es z. B. ganz in Ordnung, in der Haftanstalt Diener zu ernennen. Es war doch glatter Unsinn, in der Haftanstalt Bibelstudiendiener, Rechnungsdiener usw. zu ernennen. Weshalb in der Haftanstalt einen Rechnungsdiener zu ernennen, ist unverständlich, da wir ja gar kein Geld hatten. Waren wir allein unter uns, so genügte es doch, wenn ein Bruder das Studium leitete, es kamen ja meist nur Tagestexte in Frage. Mit den Tagestexten war es so, daß diese nur Adler bestimmen wollte. Hier zeigte Adler seine ganze Größe und Unbelehrbarkeit. Adler legte den Tagestext fest, schrieb ihn auf einen Zettel 'Kassiber' genannt. Diese Kassiber wurden dann in der Freistunde in die Hände der Brüder gebracht, was natürlich streng verboten war."

CV Christliche Verantwortung

Informationen der Studiengruppe Christliche Verantwortung
Konto-Nr. 4564-49-20156 Bank für Handel und Gewerbe 65 Gera Straße des 7. Oktober

Nr. 19 Gera September 1968

Christliche Verantwortung Jahrgangmäßig zusammengfasst 1968

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