Annotationen zu den Zeugen Jehovas
Marion Bayerl


War man bisher der Meinung, dass Garbe-Buch mit seinem stolzen Preis von 98,-- DM oder die "Geschichte der ZJ" mit 68,-- DM seien teuer, so wird man neuerdings eines "besseren" belehrt. G. bietet für den Preis immerhin 605 Seiten Text und die "Geschichte der Zeugen Jehovas" bringt es auf 675 Seiten.


Da gibt es jetzt ein Buch zum Thema Zeugen Jehovas mit dem mageren Seitenumfang von 162 Seiten, für das aber der stolze Preis von 126,70 DM verlangt wird. (Sind dem Verlag bei dieser Preisgestaltung die 70 Pfennig wohl so wichtig?) Man darf das Preis-Leistungsverhältnis als miserabel bezeichnen. Die Rede ist hier in diesem speziellen Fall von:

Marion Bayerl "Die Zeugen Jehovas. Geschichte, Glaubenslehre, religiöse Praxis und Schriftverständnis in spiritaltheologischer Analyse". Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2000. ISBN 3-8300-02270-0.

Schon ein Blick in das Literaturverzeichnis kann bestenfalls nur ein mitleidiges Lächeln hervorrufen. Es ist zweigeteilt. Einmal in Literatur die von der Wachtturmgesellschaft herausgeben wurde und zum anderen in die der sogenannten Sekundärliteratur.

Ich habe mal bei letzterer nachgezählt und bin auf magere 27 Positionen (darunter auch noch Zeitschriftenbeiträge) gekommen. Da vermögen ja schon bald Schüler, die ein Referat für den Religionsunterricht abfassen, mehr Literatur zu benennen!

Die Autorin leitet in ihrem Vorwort damit ein, dass in Deutschland zwischen 1971 und 1997 143.000 Taufen (d. h. Neuzugänge) aber auch 54 000 Abgänge in diesem Zeitraum zu verzeichnen gewesen seien. Sie bietet dann einen knappen Abriss der geschichtlichen Entwicklung. Aus dem Abschnitt der sich mit der Zeit der Hitlerdiktatur befasst, seien mal einige Sätze zitiert:

"Die These des Historikers Michael Kater, daß der Grund der Feindschaft des Nationalsozialismus gegenüber dem Bibelforschertum in der 'strukturellen Ähnlichkeit der beiden Ideologien liegt', ist stark umstritten. Er verweist vor allem auf die autoritäre Art, mit der die Lehre vertreten wird, und den unbedingten Gehorsam, der nicht nur gegenüber der Bibel, sondern auch gegenüber der Leitung und deren Literatur gefordert ist.

Er ist der Meinung, beide Systeme seien totalitär und sieht sowohl in ihrer hierarchischen Ordnung als auch in der totalen Vereinnahmung des einzelnen Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden. Wahrscheinlich liegen die Gründe eher in der ablehnenden Haltung der Zeugen Jehovas gegen jede staatliche oder allgemeine Gewalt, die zusammen mit den Prophezeiungen von Vernichtung und Aufrichtung eines Jehova Reiches als getarnte politische Umsturzabsichten interpretiert worden waren" (S. 30).

Auch auf die ein Fanal bildende Berlin-Wilmersdorfer Erklärung vom 25. 6. 1933 geht die Autorin ein und kommentiert dazu:

"Nach diesem Schreiben kann man nicht mehr von einer generellen Widerstandstätigkeit der WTG gegen das Hitlerregime sprechen. Sie war lediglich dort gegen die Regierung, wo sie sich gegen ihre eigene Glaubensgemeinschaft richtete. Nachdem dieser Brief nichts geholfen hatte, ging man auf Konfrontationskurs, verpflichtete alle Mitglieder zur absoluten Verweigerungshaltung und verschaffte der Gesellschaft so Märtyrer" (S. 38).

Auch auf die Endphase der nazistischen Zeugen Jehovaspolitik geht sie ein mit den Worten:

"Die Zeugen Jehovas schienen die Nationalsozialisten dennoch erstaunt, vielleicht sogar in einem gewissen Maße fasziniert zu haben. Denn sie bauten sie in ihre ehrgeizigen Pläne mit ein, in denen sie die Zeugen Jehovas nach der Eroberung zur Staatsreligion in der Sowjetunion machen wollten. So heißt es in einem Brief Himmlers über die Sowjetunion: …"

(Es folgt dann das entsprechende Zitat) (S. 31)

Zu den (wenigen) zitierten einschlägigen AutorInnen gehört auch Josy Doyon. In den Kontext (NS-Zeit) zitiert sie von ihr:

"Gerade die vielgerühmte Einigkeit und Harmonie unter den Zeugen war nicht immer perfekt. So berichtet eine Zeugin von ihrer Zeit im KZ: 'So wie der Wachtturm die Sache darstellt, ist es in Wirklichkeit nicht immer gewesen. … nicht die Verfolgung durch die Nazis war für uns das Schlimmste, sondern die Uneinigkeit zwischen den Zeugen selbst. Viele Zeugen haben sich gegenseitig ausgeliefert und verraten. …

Man steht vor der SS und wird ausgefragt bis zur Bewußtlosigkeit, … man wird geschlagen und verrät kein Wort von dem, was sie wissen wollen, aber plötzlich öffnet sich die Tür und ein Bruder aus der eigenen Versammlung kommt herein und verrät, was man mit aller Widerstandskraft verschwiegen oder abgeleugnet hat. … Oft handelte es sich um Brüder, die zuerst führend vorangegangen waren, das war noch das Schlimmste.' Außerdem waren und sind die Zeugen Jehovas so von ihrer WTG-Literatur, vor allem vom Wachtturm abhängig, daß sie in schwierigen Situationen unfähig sind, eigenständig nach ihrem Gewissen zu urteilen.

Die bereits zitierte Zeugin fährt in ihrem Bericht in diesem Sinne fort: 'Aber noch ärger als dies alles war das Verhältnis unter uns Zeuginnen. … Die meisten Schwestern wußten überhaupt nicht, wofür sie im Konzentrationslager ausharrten. Welch häßliche Streitereien gab s da von morgens bis abends! Die eine behauptete dies, die andere das und jede wollte recht haben" (S. 37).

Im gesamten Bayerl-Buch wird er nicht ein einziges mal namentlich genannt, der famose Dr. G.. Indes für den Sachkenner sehr klar erkennbar ist auch, dass seiner Interpretation hier eine klare Absage erteilt wird. Ein Pluspunkt für Marion Bayerl!

Noch aus einem Absatz sei zitiert. Unter der Überschrift "Heutige Situation der Zeugen Jehovas und Ausblicke" äußert die Autorin:

"Beispielsweise wurde im Wachtturm vom 1. Mai 1996 in der Frage des Zivildienstes ein Richtungswechsel erkennbar … Der Leiter des Informationsdienstes der Wachtturmgesellschaft, Walter Köbe, machte bei einer Ansprache in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme deutlich, daß die Zeugen Jehovas mit grundlegenden Änderungen der Lehre zu rechnen hätten. Dabei verwendete er sogar den Ausdruck der 'Kirche der Zeugen Jehovas', obwohl der Begriff 'Kirche' in der WTG-Literatur bisher ausschließlich negativ belegt war" (S. 45, 46).

Der Erwähnung wert erscheint mir auch noch die dargebotene kritische Auseinandersetzung mit Details der "Neuen-Welt-Übersetzung" der Zeugen Jehovas. Wer sich für diesen Aspekt interessiert, wird hier in der Tat auch fündig.

Ich fasse zusammen: Es ist ein Buch, dass keine neuen Quellen erschließt. Es berichtet lediglich bekanntes in zusammengeraffter Form. Als Herausgeberinstitution zeichnet die Katholische Universität Eichstätt. Man kann den Text relativ flüssig lesen. Für mein Empfinden wäre dies ein Buch gewesen, dass zu einem moderaten Preis in einem Publikumsverlag, beispielsweise dem katholischen Herderverlag, platziert hätte werden sollen.

Das dem nicht so ist, dass es nur in einem Außenseiterverlag zu einem exorbitant hohen Preis, der in keinem Verhältnis zu dem Dargebotenen steht, erscheinen konnte, sagt einiges aus über die diesbezügliche Situation auf dem einschlägigen Buchmarkt.

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