„Mehr war nicht zu prüfen"

Minister Blank zieht blank!

Gelesen in einem Kommentar der (seinerzeitigen) „Anderen Zeitung" vom 1. 4. 1965

Nachdem der Kommentator einleitend erwähnt, auch das Naziregime mit seinen KZ habe den Willen von Zeugen Jehovas nicht zu brechen vermocht, setzt sich der Kommentar mit der Wertung fort:

„Es ist der Mut der Fanatiker."

Weiter zu Bundesrepublikanischen Verhältnissen überleitend, erwähnt der Kommentator:

„Zu dem Ersatzdienst beruft sie der Bundesarbeitsminister, der katholische Gewerkschaftler Theo Blank ein, und wenn sie nicht kommen, können sie für einen Monat ins Gefängnis gesteckt werden. So bestimmt es das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst vom 13. Januar 1960."

Das perfide an der Sache sei, dass Mehrfachverurteilungen wegen desgleichen Tatbestandes möglich seien (und in der Praxis auch eingetreten seien). Namentlich gegen diese Mehrfachverurteilungen, richtete sich dann auch Widerstand aus Justizkreisen. Das Blatt zitiert dann einen Generalstaatsanwalt aus Schleswig-Holstein, der da zum System der Mehrfachverurteilungen gesagt haben soll:

„Da mache ich nicht mehr mit."

Und dem Theo Blank soll er geraten haben "Verzichten Sie auf die Einberufung nach einer ersten Bestrafung."

Er solle doch aus den jungen Jehovas keine Märtyrer machen. Aber Minister Blank ..., nun er zieht eben Blank."

Zum Abschluss meinte der Kommentator zu wissen:

„Viele Richter würden in Zukunft einen schon bestraften Bibelforscher nur für einen Tag ins Gefängnis schicken, damit die deutsche Justiz sich nicht dem Vorwurf aussetzt „unmenschliche Urteile - im Sinne der Menschenrechtskonvention - zu sprechen".

Aber damit ist jener Kommentar noch nicht abgeschlossen, denn faktisch laufe das auf die Installierung eines Sonderrechtes hinaus. Und just zu diesem Sonderrecht wird dann der nicht unbegründete Vorhalt getätigt:

„Gut, gut, ausgezeichnet! Aber wie steht es mit den Verurteilungen anderer Überzeugungstäter, z. B. ehemaligen Mitgliedern der KPD und Gegnern der Aufrüstung und der Hetze gegen den Osten, die dieserhalb im Gefängnis sitzen oder noch hineinkommen?"

Eine Hamburger Illustrierte hatte unter der Überschrift „Bestraft in alle Ewigkeit" das Thema in ihrer Ausgabe vom 21. 3. 1965 auch mit aufgenommen (worauf auch die „Andere Zeitung" mit verweist). Aus dem Kommentar des „stern" dann noch die Sätze:

„Auch in der DDR sitzen viele Anhänger der „Wachtturm"-Bewegung im Zuchthaus.

In der Schweiz werden Kriegsdienstverweigerer bei der Musterung vom Psychiater untersucht, nach dem Motto: Jemand, der nicht töten will, kann nicht normal sein. So kommen sie nicht ins Gefängnis, gelten aber als verrückt.

In der Bundesrepublik haben die Zeugen Jehovas keinerlei Schwierigkeiten als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden. Das schützt sie freilich nicht gegen eine Einberufung des Bundesarbeitsminister zum zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr."

Die Januar-Ausgabe 1965 der Zeitschrift „Stimme der Gemeinde" nahm die Thematik auch mit auf.

Zitiert wird mit:

„Der angeklagte Zeuge Jehovas pflegt zu erwidern, nach seiner Religion habe er seine gesamte Freizeit außerhalb der für seinen Beruf benötigten Arbeitszeit Jehova zu widmen, und jeder staatlich verordnete Zwangsdienst, gleich welcher Art, sei von Übel ..."

Bereits im Jahre 1963 hatte das Fachblatt „Neue Juristische Wochenschrift" umfänglich berichtet.

Siehe herausragend jener Fall, der vor die Schranken des Oberlandesgerichts in Bremen kam

Mysnip.157569

Dortselbst auch weitere thematische Verlinkungen.

Erneut wurde in demselben Blatt im Jahre 1965, das Thema verschiedentlich wieder aufgenommen. Etwa in einem Kommentar im Heft vom 11. 3. 1965

(Adolf Arndt: „Die Zeugen Jehovas als Prüfung unserer Gewissensfreiheit")

Darin auch die Sätze:

„Von wem feststeht, daß er ein gläubiger Bekenner dieser seltsamen Sekte ist, dem wird geglaubt werden können, daß sein Gewissen, so unbegreiflich und so verkehrt es uns vorkommen mag, ihm auch den Ersatzdienst verbietet, während es anderen normalerweise nicht geglaubt werden kann. Sollte unser Staatswesen wirklich so schwach sein, daß es von einer wunderlichen Sekte in seinen Grundfesten erschüttert würde?"

Die Ausgabe vom 29. 4. 1965 erwähnt dann eine Gerichtsentscheidung des Oberlandesgerichts Hamm.

In diesem Fall wurde in einem Verfahren gegen einen Bauarbeiter, dann das ursprüngliche Haftmaß von vier Monaten Freiheitsentzug, im Rahmen der Revisionsverhandlung in eine Geldstrafe umgewandelt.

Die „Bauchschmerzen" der urteilenden Richter kommen dann in den Sätzen zum Vorschein:

„Das darf jedoch nicht dazu führen, daß der Staat praktisch vor der Überzeugung des Rechtsbrechers kapituliert und seinen Verstoß gegen die allgemeine Rechtsordnung nur noch formell ahndet, wie es durch die Verhängung einer Geldstrafe im vorliegenden Falle jedenfalls zumindest den Anschein hat."

Ein weiterer Fall in der Ausgabe vom 5. 8. 1965, berichtet dann gar von der Verhängung eine Haftstrafe von fünf Monaten im Erstverfahren; „die er (der urteilende Richter) wegen des vom Angeklagten kundgegebenen Standpunktes, auch künftigen Einberufungsbescheiden nicht nachkommen zu wollen, und der mithin - mit Rücksicht auf den gleichen Gesetzesverstoß - mangelndem Bewährungserwartung nicht zur Bewährung ausgesetzt hat."

Lediglich als Ergebnis der Revisionsverhandlung, wurde eine Neuverhandlung - dann vor einer anderen Strafkammer - in Aussicht gestellt, über deren Ergebnis der genannte Bericht aber noch nichts mitteilt.

Gesetzt der Fall, der Angeklagte käme dann in dieser Neuverhandlung glimpflicher davon, ändert das wohl nicht viel an dem Umstand, für dieses Ergebnis, mit dem vollen auskosten der „Justizleiter hoch und runter" bezahlen zu müssen. Da mag dann der eigentliche Hauptstreitgegenstand - so gesehen - gar noch zur „Nebensache" mutieren.

Noch ein weiteres Verfahren wird in der Ausgabe vom 25. 11. 1965 erwähnt. Darin wird auch der bereits genannte Rechtsanwalt Dr. Adolf Arndt mit dem Satz zitiert:

„Es ist ein Widerspruch, die Auschwitz-Mörder strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, weil sie zugunsten willkommener Befehle zu unbedingtem Gehorsam ihr Gewissen unterdrückten, und gleichzeitig Ersatzdienstverweigerer, weil sie nach ihrem Gewissen Gott mehr als den Menschen dienen wollen, deswegen ins Gefängnis zu sperren, und zwar unbegrenzt und immer wieder, um ihr Gewissen zu brechen und darauf zu pochen, Gesetz sei Gesetz und das Gesetz komme vor dem Gewissen. Welcher Aufwand mit dem Strafrecht als einem letzten Mittel des Staates zum Schutz der Gesellschaft, nur um der Andersartigkeit einer Hand voll Sektierer Herr zu werden!"

Trotz dieser Voten, war damit die „Kuh keineswegs vom Eis". Aus den Berichten im Jahrgang 1966 dergleichen Zeitschrift sei nur einer herausgegegriffen. (27. 1. 1966 S. 165).

Darin auch der vielsagende Satz, den Bericht einer vor dem Oberlandesgericht Hamm durchgeführten Verhandlung betreffend:

„Der Angeklagte ist insgesamt mit 10 Monaten Gefängnis bestraft. Das bedeutet unter den obwaltenden Umständen noch nicht eine Verletzung seiner Menschenwürde und stellt auch noch keinen so schwerwiegenden Eingriff in seine Gewissensfreiheit dar, daß von einer Verfassungswidrigkeit der Entscheidung wegen Verletzung wesentlicher rechtsstaatlicher Grundsätze die Rede sein könnte. Mehr hat der Senat hier in dieser Hinsicht nicht zu prüfen."

Nochmals der besonders suffisante Satzteil wiederholt.

„Mehr hat der Senat hier in dieser Hinsicht nicht zu prüfen". Und dann im Kontext dazu gestellt der Kommentar des Adolf Arndt über Auschwitz-Mörder die zugunsten willkommener Befehle zu unbedingtem Gehorsam ihr Gewissen unterdrückten."

In diesem Kontext ist das „mehr sei nicht zu prüfen", der eigentliche Skandal hoch zehn!

Und jenes „mehr sei nicht zu prüfen" kennt man ja auch bis zum Überdruss, aus der KdöR-Komödie.

Der "Fall Bremen" könnte lehren, das in der Tat m e h r zu prüfen wäre. Siehe auch: Forumsarchiv322

1965er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte

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