Vor
(mehr) als 50 Jahren
Was 1964 Wahrheit war
Blut eines Toten
Kritiker wähnen in der Bibel eine alte Fibel
wahrzunehmen, auf der man vielerlei, auch gegensätzliche Lieder zu
spielen vermag.
Eine Bibelstelle welche in der WTG-Geschichte eine gewisse makabre
Bedeutung erlangte ist dann die aus dem Bibelbuch Offenbarung Kapitel
16:3
Letztere tönt nach der NW-Übersetzung:
„Und der zweite goß seine Schale in das Meer aus. Und es wurde zu Blut wie von einem Toten, und jede lebende Seele starb, ja alles, was im Meer war."
Sieht man sich das 16. Kapitel der Offenbarung
selber an, ist festzustellen:
„Ende der Durchsage". Weiteres zu besagter „zweiter Schale" wird dort
nicht ausgeführt.
Davor ist von einer „ersten Schale" die Rede, und nach dem genannten
Zitat geht es dann mit einer „dritten Schale" usw. weiter.
Also wäre erst mal festzuhalten, ein typischer Text, welcher fallweise
der näheren Auslegung bedarf, womit wiederum der Willkür Tür und Tor
geöffnet wären.
Es kann aber wohl unterstellt werden, an der nachfolgenden Auslegung
jenes Textes, hätte die WTG wohl kaum ihre Freude.
Eine Webseite, deren Anliegen es ist, die Thesen und Praxis der WTG
per Ironie „auf die Schippe zu nehmen", meinte etwa aus diesem Text
das nachfolgende herauslesen zu sollen:
Strafe über China
Die zweite Schale versetzt uns in der Zeit einige Jahrzehnte
zurück: „ zweite goß seine Schale in das Meer aus. Und es wurde zu
Blut wie von einem Toten, und jede lebende Seele starb, ja alles,
was im Meer war" (Off. 16:3). Das „Meer" steht für China, das im
Jahr 1949 bereits fast 600 000 Einwohner hatte – wahrhaft ein
großes ‚Menschenmeer'! Damals führte Mao Tse-tung den Kommunismus
ein, so dass das Land rot wurde, so wie „Blut wie von einem
Toten". Während seiner Herrschaft starb zwar nicht buchstäblich
„jede lebende Seele", aber immerhin bis zu 76 Millionen Menschen –
mehr, als die Bevölkerung vieler Nationen.
http://www.svhelden.info/pdf/erbrechet_okt08.pdf
(Dort die Seite 5 dieser pdf-Datei)
Schon C. T. Russell wähnte in seinem Auslegungsgeflecht
jene Bibelstelle mit einbauen zu sollen. In Band 7 der
„Schriftstudien" (Ausgabe 1925) liest man etwa (S. 318, 319)
16:3. Und der zweite
(Engel) goß seine Schale aus auf das Meer: Band II der S c h r i f
t s t u d i e n schien in den Augen des Tieres und seines Bildes
nur die Masse der Unzufriedenen zu erreichen, solche, die dem
Fürsten dieser jetzigen bösen Welt oder einem seiner Systeme
niemals besonders dienstbar und unterwürfig gewesen waren.
Und es wurde zu Blut, wie von einem Toten: Nach dem Eintritt des
Todes trennt sich das Blut in zwei Substanzen, in eine wässerige
Flüssigkeit, genannt das Serum, und eine feste Masse, geronnene
Blutklümpchen. Sobald diese Scheidung vor sich geht, beginnen die
Blutklümpchen in Fäulnis und Verwesung überzugehen. Auf gleiche
Weise erscheint es denen, die das Tier und sein Bild anbeten, daß
ein jeder, der die Lehren von Band II annehme, in hoffnungslosem
Zustande sein müsse. ..."
Jene frühe WTG-Bibelauslegung setzt sich dann noch bis zum Seitenanfang der Seite 320 fort.
Aber die Tendenz ist relativ eindeutig. Russell
wähnt sein Band II der „Schriftstudien" wäre es, der solcherlei
„Scheidung der Menschen" verursachte.
Schriftstudien Band 2
Und alle die seine darin enthaltenen Lehren nicht
annehmen würden attestiert er einem „hoffnungslosen Zustand."
Namentlich jener Band II ist es aber, welcher in besonders pointierter
Weise die einschlägigen auf 1914 orientierenden Endzeitlehren
präsentierte.
Dann noch die schon früher getätigte Anmerkung.
Wie so vieles veränderte sich auch diese Auslegung noch im Laufe der
WTG-Geschichte.
Eine besonders makabre Variante dessen gab es Mitte der 1960er Jahre.
Die Kommunisten waren es zwar schon gewohnt, als „rote Religion" von
der WTG tituliert zu werden (etwa in dem WTG-Buch „Was hat die
Religion der Menschheit gebracht". Und dies trotz des Umstandes, dass
„Religion" nicht ihrem Selbstverständnis entsprach).
Nun soll darüber nicht weiter disputiert werden.
Das Selbstverständnisse und Fremdeinschätzungen nicht selten
erhebliche Unterschiede aufweisen kennt man ja auch andernorts. Also
vorstehende Einschätzung hätten die Genannten wohl gerade noch
zähneknirschend hingenommen.
Nun aber setzte die WTG noch eines drauf und legte die Bibelstelle
bezüglich des „Blutes eines Toten" direkt auf die Kommunisten aus.
Damit hatte man damit eine „Schallmauer" durchbrochen.
Im „Wachtturm" vom 15. 1. 1964 gab es dann den auf kommunistischer
Seite als nicht hinnehmbar eingeschätzten Satz:
„Radikale Gruppen sind entstanden, die mit den Verhältnissen auf Erden, wie sie in den vergangenen Jahrtausenden unter den traditionellen, von der Religion beeinflußten politischen Regierungen geherrscht haben, unzufrieden waren. Diese brandeten an die scheinbar sicheren Regierungen wie wilde Meereswogen an felsige Küsten oder Landzungen. Seit dem Jahre 1914 n. Chr. haben sie gewaltige Revolutionen, große politische Umstürze herbeigeführt, und jetzt drohen sie, die Weltherrschaft zu erringen. Sie intrigieren erfolgreich, um die Weltverhältnisse in einem wirren, unsicheren, besorgniserregenden Zustand zu erhalten, aber Leben können sie den Menschen nicht geben. Es ist eine politische Bewegung des Todes, so leblos wie das Blut eines Toten, das ausgeflossen und geronnen ist. Jeder, der von dieser politischen Bewegung mitgerissen wird, stirbt."
Als die WTG dann im WT 1965 (S. 110) mit dem Satz nachlegte:
„Wie David mögen aber auch sie jahrelang warten müssen. Die Zeugen Jehovas in Ostdeutschland mußten zuerst auf das Ende der Naziherrschaft Hitler warten, und jetzt müssen sie das Ende der neuen totalitären Regierung abwarten, die die Naziregierung ablöste, das Ende der kommunistischen Regierung, die von dem zur Zeit von Breschnew beherrschten Sowjetrußland abhängig ist. Wie lange sie noch auf ihre Befreiung warten müssen, wissen wir nicht, aber sie sind entschlossen, zu warten, bis Jehova sie befreit."
Da war der Geduldsfaden auf östlicher Seite,
endgültig gerissen.
Nach meiner Einschätzung besteht eine direkte Folgewirkung
diesbezüglich.
Genannte WTG-Auslegung und als Reaktion darauf auf östlicher Seite,
die letzte große Zeugen Jehovas-Verhaftungswelle in Ostdeutschland
(Liebig und andere) im November 1965. Und als weitere Folgewirkung
ebenfalls Ende 1965. Beginn der WTG-kritischen Herausgabe der
Zeitschrift
Christliche Verantwortung
Um 1965 war das Ostdeutsche Regime schon um internationale Reputation
bemüht. Man war sich dort durchaus bewusst, dass politische
Verhaftungsaktionen selbiger durchaus schädlich sind. Die Ostdeutsche
Stasi konnte diesbezüglich durchaus nicht mehr frei schalten und
walten. Sie musste sich ihre beabsichtigten Aktionen, die eine
Außenwirkung zur Folge haben könnten, durchaus im Vorfeld an aller
höchster Stelle „absegnen" lassen. Das galt nach meiner Einschätzung
auch für die 1965er Verhaftungsaktion.
Also in der Gesamteinschätzung ist jene 1964 eingeleitete
WTG-Auslegungsvariante als eher kontraproduktiv einzuschätzen!
Eine weitere zeitgenössische Auseinandersetzung mit
jener Thematik, basierte dann auf dem 1970 erschienenen WTG-Buch "Dann
ist das Geheimnis Gottes vollendet". Jene Auseinandersetzung wurde
zwar zu einem Zeitpunkt verfasst, als es den Staat DDR noch gab, und
das mal seine Uhr eines Tages abgelaufen sein würde, so noch nicht
voraussehbar war. Trotz dieser Zeitbedingtheiten indes ist
letztendlich auch die These von dem „Blut eines Toten", die dort anhand
genannten WTG-Buches, weiter „auseinandergepflückt" wurde.
WTG-Buch Dann
ist das Geheimnis vollendet
Ein vergiftetes Lob
In der „Wachtturm"-Ausgabe vom 1. 4. 1964, spendet
sich die WTG in der Form der Zitierung eines Dritten, selber ein
vergiftetes Lob.
Danach habe ein Herr Richard Mathison ein Buch publiziert welches er
betitelte „God is a Millionaire" (Gott ist ein Millionär). Und halt in
jenem Buch gebe es auch eine Passage, welche auf die Zeugen Jehovas
hinweist, und die vom WT auch vorgestellt wird. Bis dahin vermag man
noch zu folgen. Merkwürdigerweise indes, hält die WTG es nicht für
nötig, eine substanziell-kritische Anmerkung zu jenem Zitat
hinzuzufügen. Es wird in der Sache nur kommentarlos zitiert, was
gleichbedeutend ist. Man widerspricht nicht diesem Zitat.
Da berichtet jener Herr Mathison also in kommentierender Form:
„Im Koreakrieg haben viele, die aus dem bequemen Protestantismus aus unseren Militärschulen und unseren höheren Schulen hervorgegangen sind kläglich versagt."
Hier sei jenes Zitat schon mal unterbrochen. Man
erinnert sich. Auch die WTG betätigte sich als publizistischer
Lautsprecher, der dieses vermeintliche Versagen näher beschrieb.
Zusammengefaßt in der für die USA-Falken Schreckensvokabel der
„kommunistischen Gehirnwäsche". Und selber seien vorgeblich im
Koreakrieg, in Gefangenschaft geratene USA-Soldaten erlegen.
Siehe dazu auch:
„God's own
Country" bildet „göttlich" aus
Nun schwimmt besagter Herr Mathison auf ähnlicher
Wellenlänge.
Er meint dabei auf eine Studie des US-Pentagon verweisen zu sollen,
welche ausführte:
„Die wenigen Zeugen Jehovas, die in die Kriegsgefangenschaft kamen, ... hielten den ausgeklügelten, psychologischen Methoden, die man anwandte, um sie zum Kommunismus zu bekehren, durchweg besser stand als viele patriotische West-Point-Absolventen (West Point ist die amerikanische Miltärakademie)."
Wenn sich das Pentagon also die eigenen Wunden
leckt, bezüglich in koreanischer Kriegsgefangenschaft geratene
US-Soldaten, und dabei namentlich Zeugen Jehovas als positive Ausnahme
von der Regel herausstellt, so beinhaltet das zum einen schon.
Es gab während des Korea-Krieges USA-Soldaten, welche Zeugen Jehovas
waren.
Niemand zwang die WTG sich dieses vergifteten Lobes zu bedienen. Indem
sie es trotzdem, tat, lässt das tief blicken.
Egal um welche Größenordnung es sich da gehandelt haben mag, ob das im
Einzelfall dann solche waren, die Zeugen Jehovas-Familien entstammten,
in der Bedrängungssituation sich dann für den Wehrdienst entschieden,
wobei einzuräumen wäre, sie waren wohl nicht die Mehrheit unter den
Zeugen Jehovas, die dafür in Betracht kamen.
Offenbar gab es aber durchaus solche „Einzelfälle". So wie es auch in
der Naziarmee „Einzelfälle" gab, welche Zeugen Jehovas Familien
entstammten, deren Väter in den Hitler'schen KZ landeten, die Söhne
trotz dieses Umstandes in die Armee eintraten.
Ein solcher Fall wäre beispielsweise der des
Günter
Rosenbaum
Letzterer lies sich zwar erst nach 1945 dann als Zeuge
Jehovas taufen. Indes seine Erziehung als Zeuge Jehovas von
Kindesbeinen an, ist durchaus belegt.
Möglicherweise lagen jene USA-Fälle auf ähnlicher Ebene.
Indem die WTG im Jahre 1964 diese Sachlage erneut aufgreift, wird man
an ihr Verhalten in der
McCarthy-Ära
erinnert. In jener Phase, in der es in den USA schon
ausreichte, rote Limonade verkauft zu haben, um als „Roter"
verschrieen zu werden. Und wie die WTG sich da eines „Persilscheines,
ein Memorandum des US-Marinekorps bediente, welches im Gegensatz zur
„Bildzeitungs-Meinung breiter USA-Schichten" (in diesem Falle ist der
Vergleich symbolisch gemeint) bestätigte, die Verleumdung bei den
Zeugen Jehovas handele es sich um „Kommunisten", sei eine tatsächliche
Verleumdung. Letzterer Umstand ist zwar jedem Sachkenner klar.
Offenbar aber eben nicht den weiten „Bildzeitungs-Gebildeten"
USA-Kreisen zu damaliger Zeit.
Wenn also noch 1964 ein ähnliches Verteidigungsargument Verwendung
findet, dann spricht das eher gegen, als denn für seine Verwender!
Heinrich Dwenger
In der „Wachtturm"-Ausgabe vom April 1915 (S. 64)
Rubrik „Briefe von Interesse" gibt es auch einen solchen, bei dem in
Sonderheit das damals von der WT-Redaktion angehängte Nachwort
aufschlußreich ist. (Repro etwas um den Mittelteil jenes
Briefes gekürzt).
Wie aus diesem Text zu entnehmen ist, rechnete man
damals mit der umgehenden Einziehung auch des Heinrich Dwenger zum
Militärdienst, was jeden Tag ohne weitere Karrenszeit, passieren
könne. Die vorangehende Aushebung (Musterung) sei bereits
abgeschlossen. Über diesen Aspekt wird weiter unten noch etwas zu
sagen sein.
Wer ist nun dieser am 8. 5. 1887 geborene Heinrich Dwenger
(Geburtsdatum selbigen den Naziakten entnommen seinerzeitiges Archiv „Freienwalderstr").
Bereits im ersten WTG-Büro in Barmen, unter der Leitung von Otto
Koetitz war er hauptamtlich für die WTG tätig.
Ein Text des Herrn Wrobel notierte dazu:
„Neben Landesleiter Otto Koetitz waren die hauptamtlichen Mitarbeiter Max Cunow (seine Tochter Christa übersetzte zusammen mit Koetitz aus dem Englischen), Reinhard Blochmann, Heinrich Dwenger, Robert Basan und Walter Hellmann. Im Versandraum für Wachtturm-Literatur arbeiteten F. Heß, in der Küche die Ehefrauen von Koetitz und Cunow."
Auch später spielte Dwenger noch einen relevanten
Part in der WTG-Geschichte.
Fritz Winkler etwa äußerte in seinen Gestapovernehmungen über jenen
Dwenger:
„Ich bin im Besitze zweier Schlüssel, die ich durch den Glaubensbruder Dwenger vor etwa 1 Jahr erhalten habe, und die für irgendwelche Türen des Bibelhauses in Magdeburg bestimmt sind. Ich selbst bin noch nicht dort gewesen und weiss nicht, was sich in den verschlossenen Räumen befindet. Mir ist auch nicht gesagt worden, was sich in den Räumen befindet. Die Schlüssel sind mir bei der Festnahme von der Polizei abgenommen worden."
Dazu muss man dann ergänzend auf einen von Dwenger
selbst verfassten Bericht verweisen, welchen die „Wachtturm"-Ausgabe
vom 1. 6. 1964 publizierte. Allerdings, und das sei unterstellt, läßt
jener WT-Bericht vorsätzlich, einige relevante Details im „Nebel".
Immerhin berichtet Dwenger darin über seinen weiteren Part in der
WTG-Geschichte. Nach dem Naziverbot des Jahres 1933 sei er nach Ungarn
von der WTG abkommandiert worden. Wie nun Balzereit im Jahre 1935 doch
noch von den Nazibehörden für verhaftet erklärt worden war, lautete
die WTG-Order an Dwenger, nunmehr nach Deutschland zurückzukehren und
Balzereits WTG-Erbe anzutreten.
Mit Hilfe der USA-Botschaft in Deutschland, war es ja Balzereit und
seinem Adlatus Dollinger möglich geworden, über das zeitweilig
beschlagnahmte Vermögen der WTG wieder relativ frei verfügen zu
können.
Noch war es durchaus nicht klar, ob Balzereits Verhaftung mit einer
erneuten Vermögensbeschlagnahme einhergehen würde. Auch die Nazis
wussten, die USA-Botschaft habe sich in der Angelegenheit bereits
einmal eingemischt, und diese Kenntnis zwang auch sie, zu einem für
Naziverhältnisse zurückhaltenden agieren.
Es bestand also eine gewisse Grauzone, namentlich die
Vermögensrechtlichen Aspekte betreffend. Die WTG hoffte nun, das der
in ihrem Auftrag zurückgekehrte Heinrich Dwenger, in der Situation
nach der Verhaftung des Balzereits, vielleicht noch etwas retten
könne. Es zeigte sich allerdings schon nach ganz kurzer Zeit. Da war
nicht mehr allzuviel zu retten. Indes seinen Wohnsitz in Deutschland
nach seiner Rückkehr, nahm Dwenger in der Magdeburger WTG-Zentrale.
Nun sollten sich die Dinge überschlagen. Dwenger selbst schreibt.
Eines morgens stand die Gestapo erneut vor der Tür des Magdeburger
Anwesens und führte eine Hausdurchsuchung durch. Dwenger will dabei
selbst mit im Magdeburger Gebäude gewesen sein. Er meint seine
Ortskenntnis im Gebäude ausnutzend, dass die Gestapo ihn nicht fand
dieweil er sich in einem verschlossenen Zimmer befand, wo die Gestapo
nur die Option gehabt hätte, es gewaltsam aufzubrechen, dies jedoch
nicht tat.
Und just drei Stunden nach Beginn der Gestapo-Durchsuchung habe er
dann das Gebäude durch einen zweiten Ausgang verlassen können.
Dwenger so den Nazis entwischt, will sich dann in Berlin mit dem
Schweizer WTG-Fürsten M. C. Harbeck noch getroffen haben. Harbeck
wollte erneut persönlich mit den Nazis verhandeln (nicht zum ersten
Male übrigens). Diesmal indes beschlossen die Nazis, es gibt nichts
mehr zu verhandeln und inhaftierten Harbeck für etwa eine Woche.
Immerhin das wussten die Nazis auch, der ist ja kein Reichsdeutscher
den man sang und klanglos so verschwinden lassen könnte, wie es bei
den Nazis Usus war. Würden sie das auch im Falle Harbeck tun, ständen
wohl diplomatische Konfrontationen ins Haus. Ergo wurde Harbeck ohne
viel Federlesen, nach seiner einwöchigen Nazihaft, wieder aus
Deutschland ausgewiesen.
Siehe auch:
Martin C.
Harbeck
19372Harbeck
Nächste Station für Dwenger im WTG-Auftrag sollte dann
Danzig sein (mit ihrem damaligen Freistadtstatus unter der
Ägide des Völkerbundes).
Als Harbeck dann seine Nazihaft überstanden hatte und
sich wieder in der Schweiz befand, lautete seine Order an Dwenger,
nunmehr zu ihm nach Bern zu kommen. Dort beratschlagten die Herren
weiter und kamen zu dem Ergebnis, der nächste Job für Dwenger im
WTG-Auftrag habe nun in der Tschechoslowakei zu sein. Von dort aus
solle er soweit noch möglich, auch die deutschen Zeugen Jehovas
„mitregieren". Seinerseits wurde der nicht unbekannte Erich Frost,
dann von ihm als deutscher „Unterfürst" eingesetzt.
In den Gestapoprotokollen der Frostvernehmung liest sich das dann so:
„Leiter des "Deutschen
Werkes" ist der Reichsdiener Dwenger in Prag.
Ich selbst bin lediglich als Vertreter Dwengers eingesetzt. ...
Heinrich Dwenger ist der frühere Leiter der Dienstabteilung der
WT-Gesellschaft in Magdeburg gewesen. Er war dort viele Jahre
tätig und ist Reichsdeutscher. Ich schätze ihn auf 45 Jahre, er
wird 1,70 m groß sein, trägt kurzgeschnittenen Schnurrbart, hat
Haare von bräunlicher Farbe, gescheitelt. Dwenger ist
unverheiratet und in seiner Art ein Sonderling."
Namentlich dieser von Frost formulierte
„Steckbrief", sollte dann nach 1945 in jener Publizistik, welche der
WTG nicht wohlgesonnen ist, noch besonders herausgestellt werden.
Die Tschechoslowakei geriet dann auch noch unter die Naziherrschaft,
was eben auch das Ende der dortigen WTG-Tätigkeit bedeutete. Wie
weiland schon in Magdeburg, will auch diesmal Dwenger den Nazis
entwischt sein. Gemäß seiner eigenen Angabe, nach einer Odyssee dann
in die Schweiz zurückgekehrt. Dort mit anderen WTG-Hörigen als neues
Landungsziel nunmehr für Brasilien bestimmt. Aber Glück im Unglück,
der von Genua (Italien) startende Dampfer konnte nicht losfahren, da
Italien mit in den Krieg eingetreten war. Insoweit war dann dem
Dwenger eine Karrenszeit in der Schweiz bis zum Ende des zweiten
Weltkrieges beschert, obwohl die Schweizer Behörden, dies wegen ihrer
vermeintlichen Neutralität, nicht so gerne sahen. Nur die Schweiz
wurde in diesem Falle, ihre ungeliebten Gäste „wegen genannter
technischer Probleme" nicht mehr los.
Sicherlich auch eine bewegte Geschichte, die dieser Herr Dwenger da so
aufzuweisen hat.
Nun muss allerdings nochmals auf das Thema Wehrdienst zu Zeiten des
ersten Weltkrieges zurückgekommen werden.
In der genannten WT-Ausgabe vom 1. 6. 1964 liest man auch:
„Im Frühling 1915 erhielt ich (Dwenger) den Stellungsbefehl. Ich schrieb sofort an die Militärbehörde und teilte ihr mit, ich würde den Fahneneid und die Waffen verweigern. Ein Militärarzt wurde beauftragt mich zu untersuchen ... Dann kam die Verhandlung. ... Ich mußte viele Fragen beantworten und ich war glücklich, ein gutes Zeugnis für die Wahrheit abgeben zu können."
„Dezent" unterschlägt aber Dwenger in diesem seinem
1964er WT-Bericht, wie denn nun sein „Zeugnis für die Wahrheit" in der
Praxis aussah.
Im 1974er ZJ-Jahrbuch wird dieses sein „Zeugnis" so beschrieben:
„Bei einer Nachmusterung wurden auch Bruder Dwenger und Bruder Basan eingezogen. Bruder Basan konnte bald wieder nach Hause zurückkehren, aber Bruder Dwenger wurde nicht entlassen, sondern mußte im Militärbüro Akten abheften. Er war bereit, dies zu tun, da er es nach seinem damaligen Verständnis, das er über diese Frage hatte, mit seinem Gewissen vereinbaren konnte."
Da mag jener Herr Dwenger ja Glück gehabt haben,
dass man ihm im Militärbüro mit Akten abheften dann beschäftigte.
Ob denn solche Akten-Abhefter wirklich den Typus des „Standhaften"
repräsentieren, als den eine geschönte WTG-Geschichtsschreibung es
darzustellen versucht. Die Zweifel darüber müssen wohl weiterhin als
nicht ausgeräumt bezeichnet werden.
Da ist man ja fast versucht, sich diese Akten-Abhefter mal bildlich vorzustellen.
Die beiden Herren im Offiziersmantel auf dem Bild, werden sich mit dieser profanen Tätigkeit wohl eher weniger abgegeben haben. Dafür vielleicht ihr mit abgebildetes Begleitpersonal, etwas mehr.
Die Ersatzdienstproblematik
Eine Zahl aus dem Jahre 1964 besagte, bis zu diesem
Zeitpunkt seien in der Bundesrepublik Deutschland, etwa 6.500
Wehrdienstverweigerer, im diesbezüglichen Prüfungsverfahren, als
solche anerkannt worden. Etwa 2.000 dieser 6.500 seien Zeugen Jehovas.
Die Problematik fing mit der Verkündigung des "Gesetzes über den
zivilen Ersatzdienst!" vom 13. 1. 1960 an.
Da von Wehrdienstverweigerern in der Regel die Leistung eines
Ersatzdienstes verlangt wird, betraf dieser Umstand auch die
Zeugen Jehovas. Zum genannten Zeitpunkt waren von ihnen etwa 300 davon
betroffen. 70 dieser 300 kamen der Aufforderung zur Absolvierung ihres
Ersatzdienstes in einem Krankenhaus, Pflegeheim ect. nach. Die übrigen
230 taten dies nicht. In der Folge hatten sie sich dann jeweilige
Gerichtsverfahren eingehandelt. Ein Bericht der "Deutschen Zeitung und
Wirtschaftszeitung" vom 11. 2. 1963, arbeitet an Hand der
Berichterstattung über eine Gerichts-Entscheidung des
Oberlandesgerichts Stuttgart, die dabei wesentlichen Essentiels
heraus. Bei den dabei involvierten Zeugen Jehovas stellte sich als
motivierend heraus:
"Sie (die Zeugen Jehovas) verlangen die Gleichstellung mit den katholischen und evangelischen Geistlichen, die vom Wehr- und Ersatzdienst befreit sind."
Ein bis vors Bundesverwaltungsgericht gezogenes Verfahren stellte dazu indes fest:
"'Das Verhältnis Hirt und Herde, wie es bei den christlichen Kirchen gegeben ist, existiert nicht bei der Struktur der Zeugen Jehovas.' Die Religionsfreiheit werde dadurch nicht behindert."
Und weiter:
"Das Urteil des Oberlandesgerichts (Stuttgart) stellt fest, daß die staatsbürgerlichen Pflichten einer Gewissensentscheidung übergeordnet sind. Eine solche Gewissensentscheidung entbinde nicht von der öffentlich-rechtlichen Pflicht gegenüber dem Staat. Wollte man, so meint das Urteil, die Gewissensfreiheit für ein höheres Rechtsgut ansehen als den Gleichheitsgrundsatz, so rüttle man an den Fundamenten des Staates."
In der Folge lies man es nicht bei einmaligen Verurteilungen wegen "Dienstflucht" sein bewenden haben, sondern suchte durch immer neue "Anschlußverfahren" für den gleichen Tatbestand, den staatlichen Anspruch durchzusetzen. Ein Kommentar 1965 in der Zeitschrift "stern" (Nr. 12/1965) publiziert, unterstellt, Scharfmacher diesbezüglich sei der Katholik und Bundesarbeitsminister unter Adenauer, Theodor Blank. Es wird unterstellt, dass von ihm praktizierte System der Mehrfachbestrafungen für den gleichen Tatbestand, wäre durchaus nicht zwingend notwendig gewesen. Eine einmalige Verurteilung, hätte es auch getan. Aber Herr Blank und die Seinen, wollten es "offenbar wissen", wer in diesem Streit den "längerem Atem" hat.
Man höre sich dazu beispielsweise mal dieses Detail einer Tonaufzeichnung an.
Ersatzdienst.1967.mp3 Siehe auch Zivildienst (dort weitere thematische Verlinkungen).
Die Justiz ihrerseits reagierte durchaus unterschiedlich. In der Mehrzahl wurde ein Strafrahmen von vier bis sechs Monaten Gefängnis ausgesprochen. Es gab aber auch Urteile wie das eines Münchner Gerichtes, welches im August 1962 eine Strafe von einem Jahr Gefängnis verhängte.
Andererseits sind auch Einzelfälle belegt, die von
der Mindeststrafe (einem Monat) absahen, und sie in eine ersatzweise
Geldstrafe umwandelten. Hier wiederum der Umstand, dass vielfach die
Staatsanwaltschaft dann gegen solche Geldstrafenurteile protestierte,
mit der Folge, einer erneuten Verhandlung in dergleichen Sache. Mit
der weiteren Folge, das Revisionsurteil war dann nicht mehr so
„milde".
Die Sachlage spitzte sich dann insoweit zu, dass es Zweit- und sogar
Drittverurteilungen in derselben Sache gab, die dann einiges Aufsehen
erregten. Dem lag zugrunde, dass die Gerichte damals wähnten, erst
wenn ein Gesamtstrafrahmen von 18 Monaten erreicht sei, wolle man auf
die „Bremse treten". Bis dahin war aber das Motto der Justiz vielfach.
Aussetzung der Strafen zur Bewährung käme schon deshalb nicht in
Betracht, dieweil sich die Delinquenten vor Gericht vielfach als
unbelehrbar gezeigt hätten. Und weil sie dies seien, sei auch eine
erneute Folgestrafe in derselben Sache durchaus zulässig.
Namentlich bei dem Aspekt der Mehrfachbestrafungen,
beschlich dann doch einigen Angehörigen der Justizberufe (in
Sonderheit auf Seiten der Rechtsanwälte) ein ungutes Gefühl. Und sie
stellten dann die Frage, kann dies wirklich verfassungsmäßig sein?
Das die Wehrdienstverweigerer von der Justiz kein
sonderliches Wohlwollen zu erwarten haben, mag dann auch der Hinweis
auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 24. 6. 1964 verdeutlichen.
Da war
(laut „Deutsche Richterzeitung" 1964 S. 313f)
die Frage auf der Tagesordnung. Wie soll sich nun der
heutige Staat Bundesrepublik Deutschland zu den Urteilen im
Naziregime, auch Wehrdienstverweigerungen betreffend, verhalten.
Allgemein wird ja jenes Regime als ein Unrechtssystem klassifiziert.
Folgt nun daraus, dass aus solchen Unrechtsurteilen auch heutzutage
Entschädigungszahlungen abgeleitet werden können? Letztendlich wurde
diese Frage bezogen auf die Wehrdienstverweigerungsfälle dann
verneint. Und dazu liest man dann in der angegebenen Quelle auch den
sinnigen Satz:
„So weit der Zeuge Jehovas auf Grund dieser Glaubensüberzeugung den Kriegsdienst verweigert, bekämpft er damit nicht das jeweilige ihm gegenüberstehende staatliche Regime um seines etwaigen besonderen Unrechtscharakters".
Was besagte Richter da in ihrer geschraubten
Formulierungskunst zum besten gaben, könnte man etwas weniger vornehm
dann auch so übersetzen.
Diese Verweigerungshaltung war eben das „Privatvergnügen" derjenigen,
die es so handhabten. Und für „Privatvergnügen" sei halt der Staat
nicht zuständig.
Es wäre wohl etwas zuviel an Optimismus zu erwarten, das besagte
Justiz nun freiwillig heutzutage analoge Fälle, soviel „anders"
beurteilen würde.
Aber auch bei den Zeugen Jehovas ist eine diesbezügliche
Doppelbödigkeit zu beobachten. Die Tageszeitung „Die Welt" brachte in
ihrer Ausgabe vom 30. 8. 1964 auch die nachfolgende Agenturmeldung:
„Die 'Zeugen Jehovas'
stellen es jedem einzelnen ihrer Glaubensbrüder frei, ob er einer
Einberufung zum Ersatzdienst für den Wehrdienst Folge leisten will
oder nicht. Diese Erklärung hat der Leiter des westdeutschen
Zweiges ... Konrad Franke ... abgegeben ...
Franke sagte zur Frage des Ersatzdienstes, den anerkannte
Kriegsdienstverweigerer in Krankenhäusern oder sonstigen
gemeinnützigen Anstalten ableisten müssen, die Entscheidung
hierüber bleibe nach Ansicht der 'Zeugen Jehovas' dem Gewissen
eines jeden einzelnen vorbehalten. Niemand auch nicht die Leitung
der 'Wachtturm-Gesellschaft', sei berechtigt, einem 'Zeugen
Jehovas' zu dieser Gewissensentscheidung zu beeinflussen oder sie
ihm gar durch eine Art offizieller Stellungnahme abzunehmen."
In der Tat, den letzten Detailsatz aufgreifend, das
mit den „offiziellen Stellungnahmen" vermeidet die WTG. Das ist auch
anderweitig belegt.
Josy Doyon berichtete in ihrem Buch „Hirten ohne Erbarmen" auch
darüber wie es ihrem Ehemann (in der Schweiz) dazu erging. Auch die
Schweiz hat ja eine Wehrgesetzgebung (wie immer die im Detail
ausgestaltet sein mag). Wie da massiver Druck seitens der Zeugen
Jehovas ausgeübt wurde, wie da das Prinzip von möglichst nur
„Vier-Augen-Gesprächen" zur Anwendung kam, wie die verantwortlichen
Apparatschicks, als Frau Doyon diesem die Aufforderung stellt, er möge
doch ihrem Mann mal aufschreiben, was er den Richtern gegenüber
erklären soll, sich mit dem Satz wand: „Das darf ich nicht ..."
Die WTG-Apparatschicks sind also klug genug, sich keine offenkundigen
Blößen zu geben. Unterhalb dieser Schwelle indes beherrschen sie sehr
wohl das Instrumentarium, ihre Hörigen so zu beeinflussen, das eben
nur jene Entscheidungen zustande kommen sollen, wie sie die
WTG-Hierarchie denn so wünscht.
Von einer echten Gewissenfreiheit kann in der Tat nicht gesprochen
werden. Selbige pflegt an der WTG-Garderobe abgegeben worden zu sein.
Man vergleiche auch, wie der WT selbst einmal tönte:(„Wachtturm" 1. 4. 1986):
1965er Rückblick zur Zeugen Jehovas Geschichte