Ein "Jahrhundertprozess"

Im "Wachtturm" vom 1. August 1955 las man:

"In der schottischen Presse und in den Tageszeitungen Englands fand der Fall große Publizität. Der Fall selbst war ungewöhnlich genug, und daß dazu drei Beamte der Gesellschaft vom Hauptbüro nach Edinburg geflogen waren, um ... als Zeugen beizustehen, gefiel der Öffentlichkeit und lockte Reporter von fern und nah herbei. Die größeren Zeitungen widmeten dem Fall mehr als 25 m Spaltenlänge."

7 Tage soll dieses Prozessspektakel Ende 1954, Anfang 1955, gedauert haben. Und die offiziellen Gerichtsprotokolle sollen einen Umfang von 762 Manuskriptseiten umfassen. Das Urteil fiel nicht zu gunsten der WTG aus. Sie legte Berufung ein. Auch die wurde verworfen:
"Dann wurde der Fall vor das Oberhaus gebracht, die letzte Instanz. Am 21. Juli 1955 wies Lord Goddard, der Lordoberrichter von England, die Berufung zurück. Jehovas Zeugen wurden daher als eine Religionsgemeinschaft betrachtet, die keine regulären Prediger hat.

Der einleitend zitierte Satz macht deutlich: In gewisser, weitläufiger Beziehung kann man diesen "Jahrhundertprozess" durchaus mit den deutschen Körperschafts-Prozessen der Zeugen Jehovas vergleichen.

Worum ging es der WTG beim Fall Douglas Walsh, dass sie selbst hochkaratiges WTG-Personal wie den damaligen WTG-Viziepräsidenten F. W. Franz, den WTG-Rechtsberater Hayden C. Covington und den WTG Sekretär-Kassierer Grant Suiter, eigens aus den USA zur Verhandlung nach Schottland beorderte?

Vordergründig wollte sie vor allem eines erreichen: Der britische Staat möge doch im Hinblick auf Geistlichen gewährten Privilegien, doch zumindest ihren "Pionieren", die zugleich die Rolle eines Versammlungsleiters der Zeugen Jehovas wahrnehmen, ähnliches zubilligen.

Nicht nur der deutsche, auch der britische Staat tat sich jedoch bei diesem Ansinnen schwer. Und da erschien den WTG-Gewaltigen der gerade anstehende Gerichtsfall Douglas Walsh geeignet, um ihn zum Präzedenzfall hochzustilisieren. Deshalb (in diesem Fall) auch ihr hochkarätiges Aufgebot.

Sind Fälle aus Deutschland bekannt, wo Zeugen Jehovas im Zusammenhang mit den sich durch ihre seinerzeitige Ersatzdienstverweigerung ergebenden Gerichtsfällen (einer von ihnen, Albert Grandath, ging gar bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte). Sind Fälle bekannt, dass da ihnen der finanzielle Atem ausging (juristische Kämpfe auszutragen ist bekanntlich in diesem Lande nicht "billig"). So scherte das die WTG relativ wenig. Die Kosten hatten die indoktrinierten Opfer ohnehin zu tragen, da es ja in WTG-Lesart ihre "eigene" (WTG indoktrinierte) Gewissensentscheidung war.

Nun aber Schottland. Da war es der WTG sogar wert, ihre führenden Spitzenfunktionäre eigens über den großen Teich zu schicken. Das deren Kosten der Douglas Walsh auch tragen musste, ist (zumindest in diesem Ausnahmefall) nicht bekannt.

Bedauerlicherweise musste die WTG in diesem Gerichtsspektakel aber registrieren. Ihr eigentliches Ziel hat sie nicht erreicht.
Das äußert sich dann auch in solchen Sätzen im WT-Bericht, wie der:

"Die zweite der zwei Hauptfragen: Ist der Beschwerdeführer ein 'regulärer Geistlicher' kraft seiner Ernennung als Pionier? als Versammlungsdiener? Der Richter entschied in dieser Frage gegen Walsh."

Missmutig muss die WTG zu diesem Aspekt des Spektakels registrieren:

"Der Richter jedoch vertrat die Auffassung, daß die Ordination an sich jemanden nicht zu einem 'regulären Geistlichen' mache, da alle Zeugen Jehovas ordinierte Prediger seien, und daß es beim Gericht liege, die Sache, soweit es das Nationale Militärgesetz des Landes betreffe, zu entscheiden.

Über den Ausdruck 'Prediger' oder 'Geistlicher' sagte der Richter: 'Um ein Geistlicher zu sein, muß der Betreffende erstens mit dem Amt eines Religionsgeistlichen bekleidet worden sein, und muß zweitens die religiösen Verordnungen seiner Gemeinschaft praktiziert haben oder wenigstens dazu berechtigt sein (denn so lese ich diese Worte). Ferner bin ich der Ansicht, daß diese zwei wichtigsten Voraussetzungen notwendigerweise einschließen, daß ein Geistlicher in geistigen Dingen gewissermaßen abgesondert ist von den gewöhnlichen Gliedern seiner Gemeinschaft.'

Der Richter wandte dann seine Definition auf Walhs Ernennung zum Versammlungsdiener an. Er protestierte gegen die Form der Ernennung: einen mit dem Stempel der Gesellschaft unterzeichneten Brief, und auch gegen die Tatsache, daß derselbe Brief dazu benutzt werde, andere Diener zu geringeren Ämtern in der Versammlung zu ernennen. Er folgerte, daß 'der Nachdruck entschieden mehr auf Administration als geistiger Führerschaft beruhe'.

Der Richter fand auch Mängel an der erforderlichen höheren Schulung eines Versammlungsdieners. Über die theokratische Dienstamtschule, in der ein Versammlungsdiener mindestens ein Jahr lang vor seiner Ernennung Schulung empfangen haben muß, sagte der Richter:

Es 'klingt nach Schulung, besonders im Verein mit den Anweisungen und dem vorgeschriebenen Studienplan'. Darauf sagte der Richter ... daß das 'dort Gelehrte von Kindern ... im zartem Alter verstanden werden könne.'"

So gesehen, wird man das Ergebnis dieser Gerichtsverhandlung, wohl eher als "Bauchklatscher" für die WTG deuten können. Und dies trotz des Umstandes, dass die WTG im Vorfeld, einige Hoffnungen, gerade in dieses Verfahren gesetzt hatte. Die Hoffnungen der WTG offenbaren sich auch in den folgenden Details aus vorgenannter WT-Berichterstattung:

"H. C. Covington ... der allgemeine Rechtsberater der Watch Tower Society, war schon für die Vorverhandlung in beaufsichtigender Eigenschaft zugegen gewesen. Nun wurde bestimmt daß er und zwei weitere langjährige Beamte von New York herüberfliegen sollten, um anläßlich des Prozesses Beweise vorzubringen. ...

Der Fall war so vorbereitet worden, daß F. W. Franz, der Vizepräsident der Gesellschaft, als erster den Zeugenstand einnehmen mußte. ...
Covington sprach über die Organisation der Zeugen Jehovas, ihre Zeremonien und Bräuche. Er erklärte den Aufbau der Organisation ... Er zeigte, daß es eine bestimmte, festumrissene Organisation ist ...
Grant Suiter, der Sekretär und Kassierer der Gesellschaft, behandelte ebenfalls die Funktionen der Pioniere und Versammlungsdiener und dann die Finanzierung der Organisation. Er hatte die Bilanzen der Gesellschaft bei sich und besprach sie vor Gericht. Die Zahlen zeigten, daß die Beiträge, die durch die Abgabe von Schriften hereinkommen, nicht Einzelpersonen oder die Gesellschaft bereichern, sondern sogar ungenügend sind um das weltweite Missionarswerk in seinem gegenwärtigen Ausmaß durchzuführen, und daß freiwillige Beiträge der Zeugen Jehovas die Differenz ausgleichen."

Weiter nahmen laut Bericht, auch noch hochrangige Vertreter des britischen Zweiges der WTG zusätzlich, mit an diesem Spektakel teil. Über das Ergebnis wurde schon berichtet.
Namentlich im englischsprachigen Raum, liegen über diesen für WTG-Verhältnisse, wohl als "Jahrhundertprozess" zu bezeichnende Spektakel auch einige, weiter ins Detail gehende Veröffentlichungen vor. Ein Teil von ihnen - zumeist in der Form einer indirekten Zitierung - ist über den Umweg, der Übersetzung aus dem englischsprachigen Raum, auch in einigen deutschen Publikationen zugänglich. Mit am ausführlichsten, zitiert vielleicht Raymond Franz (auch) in seinem zweiten Buch ("Auf der Suche nach christlicher Freiheit") daraus.

Als Details, die (auch) via der Franz'schen Rezeption mitgeteilt werden seien genannt.


Der Wortwechsel zwischen Franz und dem Ankläger:
Ankläger- Haben Sie sich mit dem Hebräischen vertraut gemacht?
Franz-
Ja

Ankläger --
So dass Sie über einen beträchtlichen sprachlichen Apparat verfügen?
Franz--
Ja, zum Gebrauch für meine Arbeit mit der Bibel.

Prosecutor--
Ich glaube, Sie sind in der Lage, die Bibel in Hebräisch, Griechisch, Spanisch, Portugiesisch, Deutsch und Französisch zu lesen und ihr zu folgen.
Franz--
Ja

Prosecutor--
Können Sie selbst dies hier ins Hebräische übersetzen?
Franz--
Was?

Prosecutor--
Diesen vierten Vers im zweiten Kapitel von 1. Mose?
Franz--
Nein.

(Fred Franz im Kreuzverhör. Beweise des Anklägers im Fall Douglas Walsh gegen The Right Honorable James Latham, Clyde, Scottish Court of Sessions, Mittwoch, 24. November 1954, Seite 7, Abschnitte A-B. und Seite 102, Abschnitt F.)

Hayden C. Covington "verewigte" sich mit dem nachfolgenden Statement:


Ankläger --
Es wurde falsche Prophetie verbreitet?
Antwort-- Ich stimme zu.

Ankläger --
Sie musste von den Zeugen Jehovas akzeptiert werden?
Antwort --
Das ist korrekt.

Ankläger --
Wenn ein Glied der Zeugen Jehovas zu dem eigenen Schluss kam, die Prophetie sei falsch, und das auch sagte, wurde er dann üblicherweise ausgeschlossen?
Antwort -- Ja ... Unsere Absicht ist es, Einheit zu haben.

Ankläger --
Einheit um jeden Preis?
Antwort --
Einheit um jeden Preis ...

Ankläger --
Und Einheit aufgrund zwangsweisen Annehmens falscher Prophetie?
Antwort --
Das räume ich ein.

Ankläger --
Und derjenige, der seine Ansicht äußerte, dass sie ... falsch sei, und der dann ausgeschlossen wurde, würde gegen den Bund verstoßen, wenn er getauft war?
Antwort -- Das ist richtig.

Ankläger --
Und wäre, wie Sie gestern ausdrücklich sagten, des Todes würdig?
Antwort -- Ich antworte unbedingt mit ja. Ohne Zögern.

Ankläger --
Bezeichnen Sie das als Religion?
Antwort --
Das ist es sicher.

Ankläger --
Nennen Sie das Christentum?
Antwort -- Ganz bestimmt.

(Beweise des Anklägers im Fall Douglas Walsh gegen The Right Honorable
James Latham Clyde, Scottish Court of Sessions, November 1954, Seiten
347-348)

Raymond Franz zitiert weiter aus der Zeugenaussage seines Onkels (des WTG-Vizepräsidenten F. W. Franz) wobei er die Kürzel
F: für Frage; und
A: für Antwort verwendet:

F.: Arbeiten Sie zusätzlich zu diesen regulären Veröffentlichungen von Zeit zu Zeit eine Anzahl theologischer Broschüren und Bücher aus und geben sie heraus?
A.: Ja.

F.:
Können Sie mir folgendes sagen: Werden diese theologischen Veröffentlichungen und die Halbmonatsschriften benutzt, um Lehraussagen zu besprechen?
A.: Ja.

F.:
Sieht man diese Lehraussagen innerhalb der Gesellschaft als maßgebend an?
A.: Ja.

F.:
Steht es frei, sie zu akzeptieren, oder sind sie verpflichtend für alle, die Mitglieder der Gesellschaft sind und bleiben wollen?
A.:
Sie sind verpflichtend.

F.:
So, daß es praktisch als Ergebnis eine neue menschliche Gesellschaft geben wird?
A.: Ja. Es wird eine Neue-Welt-Gesellschaft unter neuen Himmeln geben, denn die früheren Himmel und die frühere Erde werden in der Schlacht von Harmagedon vergangen sein.

F.:
Nun zur Bevölkerung dieser neuen Erde: Wird sie nur aus Zeugen Jehovas
bestehen?

A.:
Am Anfang wird sie nur aus Zeugen Jehovas bestehen. Die Glieder des Überrests erwarten, diese Schlacht von Harmagedon genauso zu überleben wie eine große Schar dieser anderen Schafe. Der Verbleib des Überrests auf der Erde nach der Schlacht von Harmagedon wird aber nur zeitweilig sein, da er seinen irdischen Lauf treu bis zum Tod vollenden muß, aber die anderen Schafe dürfen, wenn sie ständig Gottes Willen gehorchen, für immer auf der Erde leben.

F.:
Und werden diese disziplinarischen Maßnahmen tatsächlich vollzogen, wenn sich die Situation ergibt?
A.: Ja.

F.:
Nun, ich will Sie nicht noch mehr über diese Seite der Angelegenheit fragen, aber gibt es Verstöße, die als so schwerwiegend angesehen werden, daß sie einen Ausschluß ohne Hoffnung auf Wiederaufnahme rechtfertigen?
A.: Ja. Tatsache ist, daß der Ausschluß als solcher für den Ausgeschlossenen zur Vernichtung führen kann, wenn dieser niemals bereut und seinen Lauf ändert und wenn er außerhalb der Organisation bleibt. Für ihn gäbe es keine Hoffnung auf Leben in der neuen Welt. Es gibt jedoch eine zum Ausschluß führende Handlungskette, aus der derjenige mit Sicherheit nie zurückkönnte, und das ist die sogenannte Sünde gegen den Heiligen Geist.

F.:
Stimmt es nicht, daß Pastor Russell den Zeitpunkt 1874 festsetzte?
A.: Nein.

F.:
Es stimmt doch aber, daß er die Festsetzung des Zeitpunktes vor 1914 vornahm?
A.: Ja.

F.:
Welchen Zeitpunkt setzte er an?
A.: Das Ende der Zeit der Heiden setzte er mit 1914 an.

F.:
Hat er nicht 1874 als irgendein anderes entscheidendes Datum angesetzt?
A.:1874 verstand man allgemein als den Zeitpunkt des Zweiten Kommens Jesu im Geiste.

F.:
Sagen Sie: Verstand man allgemein?
A.: Das ist richtig.

F.:
Und wurde das als Tatsache herausgebracht, die von allen, die Zeugen Jehovas waren, akzeptiert werden mußte?
A.: Ja.

F.:
Jetzt wird das nicht mehr angenommen, nicht wahr?
A.:
Nein.

F.:
Als Pastor Russell zu diesem Schluß kam, da gründete er die Ansicht doch auf eine
Auslegung des Buches Daniel, nicht wahr?
A.: Zum Teil.

F.:
Und insbesondere auf Daniel, Kapitel 7, Vers 7 und Daniel, Kapitel 12, Vers 12?
A.: Daniel 7:7 und 12:12. Was sagten Sie, gründete er auf diese Schriftstellen?

F.:
Seinen Zeitpunkt 1874 als entscheidenden Zeitpunkt und das Datum des Zweiten Kommens Christi?
A.: Nein.

F.:
Als was, sagten Sie, setzte er es an? Ich habe das so dem von Ihnen
Gesagten entnommen. Da muß ich Sie wohl falsch verstanden haben.
A.: Er gründete nicht 1874 auf diese Schriftstellen.

F.:
Er gründete es auf diese Schriftstellen in Verbindung mit der Ansicht, daß im Jahre 539 das Königreich der Ostgoten auf den Plan trat?
A.: Ja. 539 war ein Datum, das er bei der Berechnung benutzte. Aber 1874 gründete sich nicht darauf.

F.:
Aber es handelte sich um eine Berechnung, die nun nicht mehr vom Direktorium der Gesellschaft angenommen wird?
A.: Das ist richtig.

F.:
So habe ich also doch recht; ich bin nur bemüht, die Einstellung herauszufinden. Es wurde also die Pflicht und Schuldigkeit des Zeugen, diese Fehlberechnung zu akzeptieren?
A.: Ja.

F.:
So muß die Gesellschaft also vielleicht in ein paar Jahren einräumen, daß das, was sie heute als Wahrheit herausgibt, dann falsch ist?
A.: Wir müssen eben abwarten.

F.:
Und in der Zwischenzeit ist die Gesamtheit der Zeugen Jehovas weiter einem Irrtum gefolgt?
A.: Sie sind Mißverständnissen in bezug auf die Schrift gefolgt.

F.:
Irrtum?
A.: Nun ja, Irrtum.
A.:
Um ein ordinierter Diener zu werden, muß er ein Verständnis der in diesen Büchern enthaltenen Dinge erlangen.

F.:
Aber wird man nicht durch die Taufe zu einem Diener ordiniert?
A.: Doch.

F.:
Er muß daher also bei der Taufe diese Bücher kennen?
A.: Er muß die Vorhaben Gottes verstehen, die in diesen Büchern dargelegt sind.

F.:
In diesen Büchern dargelegt; und dargelegt aus Auslegung der Bibel?
A.: Diese Bücher geben eine Darlegung der gesamten Schrift.

F.:
Aber eine maßgebende Darlegung?
A.: Sie legen die Bibel oder die darin gemachten Aussagen dar, und der einzelne untersucht die Aussage und dann die Schrift und stellt fest, daß die Aussage von der Schrift gestützt wird.

F.:
Er - Wie bitte?
A.: Er untersucht die Schrift, um festzustellen, ob die Aussage von der Schrift gestützt wird. Der Apostel sagt: "Vergewissert euch aller Dinge; haltet an dem fest, was vortrefflich ist."

F.:
Ich habe Ihre Haltung so verstanden -bitte korrigieren Sie mich, wenn ich unrecht habe-, daß ein Mitglied der Zeugen Jehovas das, was in den Büchern steht, auf die ich Sie hinwies, als eine Art Bibel und als wahre Auslegung annehmen muß.
A.: Aber er tut das nicht unter Zwang; man gibt ihm das Recht als Christ, die Schriftstellen zu untersuchen, damit er die Bestätigung erhält, daß das von der Bibel gestützt wird.

F.:
Und wenn er nun sieht, daß die Schriftstelle nicht von den Büchern gestützt wird oder auch umgekehrt, was wird er dann tun?
A.: Die Schriftstelle steht da als Stütze der Aussage, darum wird sie dort angeführt.

F.:
Was tut jemand, wenn er sieht, daß zwischen der Schriftstelle und diesen Büchern eine Diskrepanz besteht?
A.: Sie müssen mir schon jemanden beibringen, der das findet, dann kann ich antworten oder er wird es tun.

F.:
Haben Sie damit auch sagen wollen, daß das einzelne Mitglied das Recht hat, die Bücher und die Bibel zu lesen und sich dann seine eigene Meinung zu bilden, was die richtige Auslegung der Heiligen Schrift ist?
A.: Er kommt---

F.:
Würden Sie ja oder nein sagen und es dann näher ausführen?
A.: Nein. Möchten Sie, daß ich das jetzt begründe?

F.:
Ja, wenn Sie wollen.
A.: Die Schriftstelle ist dort als Stütze für die Aussage angegeben. Wenn daher jemand die Schriftstelle nachschlägt und sich so die Aussage bestätigen läßt, dann gelangt er zu der schriftgemäßen Ansicht über den Stoff, zu dem schriftgemäßen Verständnis wie in Apostelgeschichte, Kapitel 17, Vers 11, wo es heißt, daß die Beröer edler gesinnt waren als die Thessalonicher, weil sie das Wort mit der größten Bereitwilligkeit aufnahmen, indem sie in der Schrift forschten, ob sich die Dinge so verhielten. Und wir erteilen Anweisung, diesem edlen Lauf der Beröer nachzufolgen und in der Schrift zu forschen, ob sich die Dinge so verhalten.

F.:
Ein Zeuge hat dann doch wohl keine Alternative, als die im "Wachtturm", dem "Informator" oder in "Erwachet!" herausgegebenen Anweisungen als maßgebend anzunehmen und zu befolgen?
A.: Er muß sie akzeptieren.

F.:
Gibt es für jemanden Hoffnung auf Rettung, der sich in einer Situation in der Welt, wo er die Traktate und Veröffentlichungen Ihrer Vereinigung nicht erhalten kann, allein auf die Bibel stützt?
A.:
Er stützt sich ja auf die Bibel.

F.:
Kann er sie dann richtig auslegen?
A.: Nein.

F.:
Ich möchte nicht, daß wir uns gegenseitig Texte vorhalten, aber sagte Jesus nicht: "Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stürbe, [und wer lebt und an mich] glaubt, wird niemals sterben"?
A.: Ja.

F:
Hat in religiösen Dingen jedes Mitglied des Direktoriums gleichviel zu sagen?
A: Der Präsident ist das Sprachrohr. Er hält die Reden, die einen Fortschritt im Bibelverständnis zeigen. Danach kann er andere Mitarbeiter im Hauptbüro vorübergehend beauftragen, andere Reden zu halten, in denen Teile der Bibel besprochen werden, auf die weiteres Licht gefallen ist.

F:
Sagen Sie bitte, wird über die Fortschritte, wie Sie es nennen, von den Direktoren abgestimmt?
A:
Nein

F:
Wie werden sie dann zu offiziellen Verlautbarungen?
A: Sie werden dem Herausgeberkomitee vorgelegt, und ich prüfe sie an Hand der Bibel und gebe meine Zustimmung Dann leite ich sie an Präsident Knorr weiter, und Präsident Knorr trifft die endgültige Entscheidung.

F:
Und dem Direktorium werden sie überhaupt nicht vorgelegt?
A: Nein

Hayden C. Covington wand sich nach dem Bericht von Raymond Franz in diesem Verhör noch wie folgt:


F.:
Ist es nicht unbedingt notwendig, wahrheitsgemäß in religiösen Dingen zu reden?
A.: Ja, sicher.

F.:
Gibt es Ihrer Ansicht nach in einer Religion Raum für eine Änderung der Auslegung der Heiligen Schrift von Zeit zu Zeit?
A.: Es gibt allen Grund für eine Änderung der Auslegung der Heiligen Schrift, wie wir sie sehen. Unser Blick wird klarer, weil wir sehen, wie sich mit der Zeit die Prophetie erfüllt.

F.:
Sie haben -entschuldigen Sie das Wort- falsche Prophetie
verbreitet?
A.: Wir haben -ich glaube nicht, daß wir falsche Prophetie verbreitet haben; es hat da Aussagen gegeben, die waren irrig, so würde ich es ausdrücken, und unangebracht.

F.:
Ist es bei der heutigen Weltlage ein höchst wichtiger Aspekt, zu wissen, ob der Prophetie eine konkrete Bedeutung gegeben werden kann, wann Christi zweites Kommen stattfand?
A.: Das ist es, und wir sind immer bestrebt gewesen zu sehen, daß wir die Wahrheit haben, ehe wir uns äußern. Wir stützen uns auf das bestmögliche uns zur Verfügung stehende Material, können aber nicht warten, bis wir vollkommenes Wissen haben. Wenn wir das nämlich täten, dann könnten wir nie etwas sagen.

F.:
Lassen Sie uns den Faden etwas weiterspinnen. Daß das zweite Kommen des Herrn im Jahr 1874 stattfand, war als etwas verbreitet worden, dem alle Mitglieder der Zeugen Jehovas zu glauben hatten?
A.: Damit kenne ich mich nicht aus. Sie sprechen da über etwas, von dem ich nichts weiß.

F.:
Sie haben Mr. Franz' Aussage mitbekommen?
A.: Ich habe Mr. Franz' Angaben gehört, aber ich kenne mich mit dem, was er darüber sagte, nicht aus. Deshalb kann ich nicht mehr darauf erwidern als Sie, der Sie gehört haben, was er gesagt hat.

F.:
Lassen Sie mich bitte aus dem Spiel.
A.: Was ich im Gerichtssaal gehört habe, ist die Quelle meiner Kenntnis.

F.:
Sie haben die Literatur Ihrer Bewegung studiert?
A.: Ja, aber nicht die gesamte. Ich habe nicht die sieben Bände der "Schriftstudien" studiert und auch nicht das, was sie jetzt über 1874 erwähnen. Ich kenne mich da ganz und gar nicht aus.

F.:
Nehmen Sie als von mir gegeben an, es sei von der Gesellschaft verbreitet worden, Christi zweites Kommen fände 1874 statt.
A.: Unterstellt, es sei so, dann ist das eine hypothetische Feststellung.

F.:
War das Veröffentlichung falscher Prophetie?
A.: Es war Veröffentlichen falscher Prophetie, es war eine falsche Aussage oder eine irrige Aussage über die Erfüllung von Prophetie, die falsch oder irrig war.

F.:
Und das hatte von der Gesamtheit der Zeugen Jehovas geglaubt zu werden?
A.: Ja, sie müssen nämlich verstehen, daß wir in Einheit sein müssen; wir können keine Uneinigkeit haben, wo eine Menge Leute alle möglichen Wege gehen. Von einer Armee wird erwartet, daß sie im Gleichschritt marschiert.

F.:
Sie glauben doch aber nicht an die Berechtigung weltlicher Armeen?
A.: Wir glauben an die christliche Armee Gottes.

F.:
Glauben Sie nun an die Berechtigung weltlicher Armeen?
A.: Darüber erlauben wir uns keine Feststellungen. Wir predigen nicht gegen sie, wir sagen bloß, daß die Armeen der Welt, wie die Nationen der heutigen Welt, ein Teil der Organisation Satans sind, und wir haben nicht an ihnen teil. Wir predigen nicht gegen den Krieg, wir nehmen nur in Anspruch, davon befreit zu werden. Das ist alles.

F.:
Kommen wir jetzt auf den Kern zurück. Es wurde falsche Prophetie verbreitet?
A.: Ich stimme zu.

F.:
Sie mußte von den Zeugen Jehovas akzeptiert werden?
A.: Das ist korrekt.

F.:
Wenn ein Glied der Zeugen Jehovas zu dem eigenen Schluß kam, die Prophetie sei falsch, und das auch sagte, wurde er dann üblicherweise ausgeschlossen?
A.: Ja, wenn er das sagte und weiterhin Unruhe verursachte. Wenn nämlich die gesamte Organisation etwas glaubt, auch wenn es falsch ist, und jemand kommt daher und versucht, seine Ideen unter die Leute zu bringen, dann gibt es Uneinigkeit und Unruhe, kein Marschieren im Gleichklang. Wenn eine Änderung kommt, sollte sie aus der richtigen Quelle kommen, von der Leitung der Organisation, der leitenden Körperschaft, nicht von unten nach oben. Sonst hätte nämlich jeder so seine Vorstellungen, und die Organisation würde zerfallen und in Tausende verschiedener Richtungen gehen. Unsere Absicht ist es, Einheit zu haben.

F.:
Einheit um jeden Preis?
A.: Einheit um jeden Preis, weil wir glauben und dessen gewiß sind, daß Jehova Gott unsere Organisation benutzt und ihre leitende Körperschaft zu ihrer Führung, auch wenn von Zeit zu Zeit Fehler gemacht werden.

F.:
Und Einheit aufgrund zwangsweisen Annehmens falscher Prophetie?
A.: Das räume ich ein.

F.:
Und derjenige, der seine Ansicht äußerte, daß sie, wie Sie sagen, falsch sei, und der dann ausgeschlossen wurde, würde gegen den Bund verstoßen, wenn er getauft war?
A.: Das ist richtig.

F.:
Und wäre, wie Sie gestern ausdrücklich sagten, des Todes würdig?
A.: Ich glaube---

F.:
Würden Sie nun ja oder nein sagen?
A.: Ich antworte unbedingt mit ja. Ohne Zögern.

F.:
Bezeichnen Sie das als Religion?
A.: Das ist es sicher.

F.:
Nennen Sie das Christentum?
A.: Ganz bestimmt

F.:
Im Zusammenhang mit Irrtümern standen Sie in einem ziemlich ausführlichen Kreuzverhör über Ansichtsunterschiede, die es vielleicht in der maßgebenden Darstellung der Schrift die Jahre hindurch seit Gründung der Gesellschaft gegeben hat, und ich meine, sie haben zugestimmt, daß es da Unterschiede gegeben hat.
A.: Ja.

F.:
Sie haben auch ganz freimütig beigepflichtet, daß Personen, die zu irgendeiner Zeit die maßgebende Darstellung nicht akzeptieren wollen, mit ihrem Ausschluß aus der Gesellschaft rechnen müssen, mit den geistigen Folgen, die das vielleicht mit sich bringt.
A.: Ja, das habe ich gesagt, und das stelle ich nochmals fest.

Die Vernehmung des Grant Suiter wird mit den Worten zitiert:


F.:
Wie sieht die Stellung eines Dieners der Gesellschaft in dieser Hinsicht aus?
A.: Er muß die Voraussetzungen erfüllt haben, von denen zuvor gesprochen wurde, er muß Reife und Verstand und geistiges Verständnis besitzen, um die Versammlung zu leiten. Er muß die eben erwähnte Schulung in der Theokratischen Dienstschule haben, im Felddienst selbst führend vorangehen, lehrfähig sein, und sonst noch Fähigkeiten haben, die die Schrift festgelegt hat. Wissen Sie, der Mensch kann keine Fähigkeiten bestimmen, die die Schrift selbst nicht festlegt.

F.:
Das ist allgemein gesagt. Aber um auf die eigentliche Praxis zu kommen, er muß nun also die Theokratische Dienstschule besuchen, nicht wahr?
A.: Ja.

F.:
Und dort findet er die Bibliothek vor?
A.: Ja.

F.:
Erwartet man von ihm nicht, daß er sich mit den Publikationen der Gesellschaft vertraut macht?
A.: Ja, sicher.

F.:
Kann er nun eigentlich nach Ansicht der Zeugen Jehovas ein Verständnis der Schrift ohne die Publikationen der Gesellschaft haben?
A.: Nein.

F.:
Er kann nur durch die Publikationen ein richtiges Verständnis der Schrift haben?
A.: Ja.

F.:
Ist das keine Anmaßung?
A.: Nein.

F.:
Sie haben die Aussage darüber gehört, daß man 1874 als wesentliches und entscheidendes Datum schließlich für falsch gehalten hat und daß 1925 ein falscher Zeitpunkt war? Was diese zwei Punkte angeht: Allen Zeugen Jehovas zu der Zeit wurde auferlegt, sie als die Wahrheit zu akzeptieren, und zwar uneingeschränkt?
A.: Das ist richtig.

F.:
Sie stimmen zu, daß das Falsches zu akzeptieren hieß?
A.: Nein, nicht ganz. Die Punkte, die verkehrt waren, waren es deshalb, weil wir uns irrten, aber wichtig ist das, was insgesamt dabei herauskam. All die Jahre des Dienstes von Zeugen Jehovas, seit der Gründung der Gesellschaft, der Pennsylvania Corporation, hat es ein ständiges Hinwenden der Menschen mit Herz und Sinn zu Gottes Wort und seinen gerechten Grundsätzen gegeben, und es wurde ihnen die geistige Kraft gegeben, für das einzutreten, was nach ihrem Wissen richtig ist, Jehovas Namen hochzuhalten und sein Königreich zu verkünden. Man kann die nebensächlichen Punkte, die berichtigt worden sind, einfach nicht mit der Bedeutung der Hauptsache vergleichen, der Anbetung Jehovas Gottes. Die ist all die Jahre hindurch im Sinn von Jehovas Zeugen und anderen Personen verankert worden.

1955er Rückblick zur Zeugen Jehovas-Geschichte

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